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In Erwartung der Flut

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430 A. D.

Bonifacius, ein untersetzter Mittfünfziger, in dessen sinnenfrohem, rotgeädertem Gcesicht auch Durststrecken ihre gekerbten Spuren hinterlassen hatten, befand sich in einer wenig beneidenswerten Situation. Der comes Africae ballte die behaarte Faust. Klobiger Goldschmuck zierte seine breiten Finger. Sein Rang des Generalissimus Africas war gegenwärtig nichts als ein wohlklingender, leerer Titel. „Der Pavian“, wie ihn seine Freunde und Feinde gleichermaßen nannten, ein kaum zu übertreffender Meister der Intrige, schlug Rivalen lieber schon so aus dem Felde, ehe er sich ihnen auf demselben zum Kampf hätte stellen müssen. Mehr als einmal schon hatte er sich dafür verflucht. Hätte er nur niemals diesen vermaledeiten Brief geschrieben!

Nun erwuchs aus seinem privaten Notstand dem ganzen Land die ärgste Krise, seitdem die Römer ihr Imperium auf Africa ausgedehnt hatten. Nur großer Mühe und vielen Briefen hatte er es zu verdanken, dass Galla Placidia ihn in seinem Kommando über die africanischen Provinzen bestätigt hatte, allen Intrigen seines Rivalen zu Trotz. Dieser nichtsnutzige Illyrer Aëtius hatte doch tatsächlich von Untreue, Illoyalität, ja Verrat des comes Africae gesprochen. Das Amnestieschreiben, das Bonifacius nun in den Händen hielt und das ihn des uneingeschränkten Vertrauens der Kaiserin und ihres Mitregenten versicherte, war wohl moralisch betrachtet eine Siegerpalme, doch die dringend benötigten Hilfstruppen zauberte es nicht herbei. Da saß er nun in der alten Residenzstadt der Nubierkönige, Hippo Regius, und verfolgte mit ohnmächtiger Wut das sich in seinen Provinzen anbahnende Desaster. Seine Goten und die wenigen Marusier, die ihm als reguläre Truppen die Treue gehalten hatten, waren gegen das, was da heranzog, machtlos. Die vandalischen und alanischen Massen, die wie eine Flutwelle durch die Wadis schwappten, ließen sich nicht mehr stoppen.

Diese Flut aus Mensch und Tier wurde durch die alte römische Versorgungsstraße über Tingis, Volubilis und Thagaste geradewegs auf die reiche, fruchtbare Region um die Hauptstadt Karthago hingeleitet. Die breite, wohlerhaltene Piste erleichterte dem Tross aus Ochsenwagen, Eselskarren und Maultiergespannen, die alle Habe der beuteschweren Sippen fassten, das Vorwärtskommen auf dem neuen Kontinent erheblich.

Die Sonne sog den Kriegern des Comes die Lebenskraft förmlich aus den Leibern. Mit vor Trockenheit roten Augen bespähte man die Invasoren und ging größeren Kampfhandlungen tunlichst aus dem Weg. Auch die Eindringlinge waren nun, kurz vor Erreichen ihres lang verfolgten Zieles, immer weniger dazu bereit, ihr Leben aufs Spiel zu setzen.

Bonifacius pickte sich gedankenverloren ein paar getrocknete Weintrauben aus einer einsamen Schale vom Tisch. Für die afrikanische Weinlese wäre es jetzt höchste Zeit, ließ er seine Gedanken vom Gaumen zum Gegenständlichen hin leiten, aber der Wein dieses Jahres würde – wenn überhaupt – in den Kellern der Barbaren reifen. In Fachkreisen war der zu erwartende Jahrgang als ein besonders feiner Tropfen gehandelt worden, und nun würden ihn diese Wilden wie gewöhnlichen Landwein und obendrein ungemischt literweise in sich hineinschütten. Er schüttelte sich ob des Gedankens. Sein Blick wanderte über die grünen Weinberge im Hinterland, um sich dann auf die gespenstisch stille Ebene vor der Stadt zu konzentrieren. Mit zusammengekniffenen Lidern spähte er vergeblich nach einem Lebenszeichen in den Stellungen der Vandalen. Trotz seiner geringen Mannschaftsstärke war er in der taktisch günstigeren Position, doch wäre er der Letzte gewesen, in dieser Situation sein Schicksal dem launischen Schlachtenglück anzuvertrauen. Mit großer Genugtuung hatte er festgestellt, dass der Feind auch nach dreimonatiger Umzingelung der Stadt noch keine Belagerung im klassischen Sinne zuwege gebracht hatte. Die Vandalen waren mit leichtem Gepäck gekommen, ohne Rammböcke, Ballisten und Sturmtürme. Ihr Befehlshaber an dieser Front war ein Meister der Tarnung, so verzichteten seine Männer auf ihre bunten Kriegsmäntel und hüllten sich in farblose Stoffe, Helme erhielten Lederkapuzen, Speerspitzen staken in Scheiden, Panzer und Harnische trug man unter den Wämsern, um zu verhindern, dass die Sonne sie verriet. Kein Blinken, kein Blitzen war in der dürren Ebene zu sehen, und doch war das Vorfeld um die Stadt gesät mit tausendfachem Tod und Mord in Gestalt der farblosen Masse der Krieger. Nur der Staub, den gelegentlich losgeschickte Meldereiter aufwirbelten, zeugte von der Präsenz einer Armee. Nachts war die Ebene übersät mit Feuern, so weit das Auge reichte – doch nicht jedes war besetzt. Der Belagerer gaukelte dem Verteidiger der Stadt die Anwesenheit einer etwa doppelt so starken Armee vor, um Bonifacius von eventuellen Ausfällen abzuschrecken. Inzwischen schuf der Vandalenkönig Tatsachen, indem er das weite Land mit seinen ausgedehnten Latifundien besetzte.

Was sich da unter den Augen des ohnmächtigen Comes vollzog, war kein simpler Strandhieb, sondern Landnahme und zugleich soziale Revolution im großen Stil. Die Invasoren, das war unübersehbar, kamen nicht als Piraten oder Diebe, Geiserich führte seinen Krieg nur gegen die römische Oberschicht und den besitzenden katholischen Klerus. Auch dem Comes war allmählich klar geworden, dass Geiserichs Vandalen kein groß angelegtes Mordbrennen inszenierten. Ihre Absicht lag vielmehr darin, sich häuslich niederzulassen und ihre künftigen Wohnstätten möglichst unbeschädigt in die Hand zu bekommen. Geiserich verschonte das gemeine Volk und verbot das Niederbrennen von Gehöften. Durch Enteignung und Vertreibung der Besitzenden einerseits und mit der Befreiung der rechtlosen Ureinwohner andererseits stellte er die gewohnten Verhältnisse auf den Kopf. Wer gestern noch Herr war, fristete heute als Sklave sein ärmliches Dasein auf seinen vormaligen Besitztümern und durfte noch froh sein, wenigstens das Leben gerettet zu haben. Auf den Latifundien, wo zahlreiche Sklaven arbeiteten, hatte stets die Peitsche vor dem Zuckerbrot Vorrang gehabt. Die Vandalen, die sich an den besitzlosen Landarbeitern nicht vergriffen, sahen meist nur zu, wie die nun Befreiten an ihren Peinigern von gestern, ihrer grenzenlosen Wut freien Lauf lassend, fürchterliche Exempel statuierten. Das über lange Zeit hinweg gedrückte Selbstbewusstsein der Marusier entlud sich nun als Gewaltorgie.

Vom ständigen Frieden verwöhnt, hatten neben dem Kampfgeist der africanischen Römer auch die Befestigungen, die ohnehin nur sehr sporadisch angelegt worden waren, gelitten. Schließlich galt noch immer das Ummauerungsverbot für africanische Städte, ein Relikt aus der frühen Kaiserzeit, so dass Bonifacius’ Goten und Marusier trotz pausenloser Schufterei Hippo Regius nur sehr provisorisch zur Verteidigung bereit machen konnten. Bestimmte Häuserzeilen waren zur Stadtbegrenzung erklärt worden, andere abgerissen, so dass am Ende eine schiere Beleidigung des Begriffs „Stadtmauer“ die Stadt umschloss. Die „Perle Numidiens“, wie Hippo gerne von reisenden Römern genannt worden war, war von derber Hand in die unansehnliche Muschel geschoben worden.

Die außerordentliche Fruchtbarkeit jenes breiten Landstrichs um Karthago und das Küstengebiet zwischen der Syrte, der Grenze zu Libyen und den Säulen des Herakles war die Grundlage für den Reichtum der Provinz und ihres Herrn, des römischen Kaisers. Äußere Feinde fürchtete Rom in diesem idyllischen Garten am Rande der Oikumene nicht. Um die Verwaltung effektiver zu gestalten, hatte Diocletian das Reich in eine westliche lateinische und eine östliche griechische Hemisphäre getrennt. Nun gab es zwei Kaiser und zwei Hauptstädte. Wurde Konstantinopel von Ägypten aus versorgt, so Westrom aus Africa. Wer dieser Provinz vorstand, hielt die römische Wölfin an der Kette.

Africa, das die Hellenen Libya nannten, stand vormals für Sicherheit, ruhiges Leben, Behaglichkeit und Überfluss. Als in Pannonien die Zeichen auf Sturm standen, die Donaugrenze über ihre gesamte Länge einbrach, römische Kaiser höchstpersönlich gegen die Barbaren in die Schlacht zogen und fielen, herrschte in Africa tiefster Friede. Nur eine Generation später, Britannien, Gallien und Hispanien gingen zum Großteil an die Barbaren verloren und der rätische Limes hielt nur unter Aufbietung aller Kräfte dem Druck aus dem Norden stand, belustigte sich die römische Bevölkerungsschicht in den weitläufigen Arenen Karthagos an Tierhatzen und Gladiatorenkämpfen! Dieser lokale Frieden wurde nur kurzzeitig durch den Aufstand der Sekte der Donatisten getrübt. Weite Teile der westlichen Regionen wurden verheert und geplündert. Hier nun hatte die Kaiserin den fähigen Feldherrn Bonifacius geschickt, die Ordnung wiederherzustellen.

Durch sein entschlossenes Vorgehen den Fanatikern gegenüber hatte der Comes dem Spuk damals ein jähes Ende bereitet. Doch kaum war der erste heftige Brandgeruch verflogen und waren Truppenstationierungen zur Sicherung des inneren Friedens an diesem neuralgischen Punkt erfolgt, wurde auch das Verhältnis des Comes zur Kaiserin in eine heftige Krise gestürzt. Nach „Wiederherstellung der Ordnung“, die er alleine seinem persönlichen Einsatz zuschrieb, wurde Bonifacius kecker in seinen Forderungen, seine offensichtliche Loyalität angemessen zu honorieren, so dass die Kaiserin sich gezwungen sah, ihn in die Schranken zu weisen. Endgültig jedoch hatte er die Nerven an jenem denkwürdigen Tag vor vier Jahren verloren, als er jenes ominöse Sendschreiben an die Vandalenkönige losgeschickt hatte. Nun saß er in der Mausefalle, die er selbst gespannt hatte, fest und konnte warten, bis die Katze kam, ihn aus seiner ungemütlichen Lage auszueisen. Kein erbaulicher Gedanke und zu allem Überdruss gab es niemanden, den er mit Hass und Rache verfolgen, niemanden, den er für seine Notlage verantwortlich hätte machen können – außer sich selbst. Bonifacius’ Idee, König Gundarich und seinen Bruder, den Piratenhäuptling Geiserich, als gleichwertige Partner anzusprechen, war altrömischer Strategie entsprungen: Divide et impera – teile und herrsche! Er hatte geplant, die rivalisierenden Barbarenhäuptlinge gegeneinander auszuspielen, um zuletzt selbst Herr im Hause zu bleiben.

Seine Mittelsmänner hatten ihn von den außerordentlichen Begabungen und dem unbeugsamen Willen zur Macht, die sich in des Königs illegitimem Halbbruder kristallisierten, unterrichtet und er kannte Details pikanter und dramatischer Art der Hasdingenfamilie. Mit seiner doppelten Adresse betätigte er sich als römischer Königsmacher bei den Vandalen, zeigte dezent an, dass er im Seehelden auch den Führer eines Teils des Volkes erblickte. Geiserichs Ehrgeiz würde mit Sicherheit über kurz oder lang mit dem Alleinherrschaftsanspruch Gundarichs kollidieren und er, Bonifacius, hätte in Africa dann zwei streitende Brüder als Mitregenten, die ihn als Schiedsrichter anrufen müssten. Dann hätte er sie mit jenen Provinzanteilen mit dem größten Donatistenanteil und natürlich der unregierbaren Grenzregion an den Ausläufern der Wüste abgespeist, wo kriegerische Stämme den vandalischen Wehrbauern schon so einheizen würden, dass sie keine weiteren Expansionsgedanken mehr fassen könnten. Zudem würden ihm die Vandalen und Alanen wunderbar als Prellbock dienen, an dem sich die eventuell nachziehenden Westgoten die Hörner würden abstoßen können. Und das Meer beherrschte er dann mit Hilfe von Geiserichs Flotte. Er hatte alles so schön geplant, mit Hilfe und zur Not sogar gegen die Kaiserin.

Das in Militärkreisen so unrühmliche wie unbeliebte Wort „Putsch“ rückte da in die tieferen Windungen des Gehirns des Comes vor, nur um sogleich daraus eliminiert zu werden. Mit dem ränkereichen Geiserich war an „teile und herrsche“ natürlich nicht mehr zu denken. Der neue Vandalenkönig und er waren sich zu ähnlich, um gemeinsam herrschen zu können. Gundarich war tot, und Geiserich hatte Bonifacius in der Zange.

Noch war die berüchtigte Vandalenflotte nicht vor der Hafeneinfahrt Hippos gesichtet worden, noch war man nicht vollständig im Kessel. Jetzt galt es die Stadt zu halten, bis eventueller Entsatz nahen würde – sofern überhaupt auf ein Eingreifen Roms zu hoffen war.

Ein leichtes Stechen in der Magengrube machte sich bemerkbar. Langes Wachen, viel Sonne und wenig Nachschub machten noch jede Armee irgendwann mürbe. Viele Kaufleute waren, noch bevor allgemeiner Alarm ausgegeben worden war, mit ihren Kornfrachtern nach Rom ausgelaufen, die ihnen eigenen Nachrichtendienste wussten wie immer mehr als die Militärs. Aufgrund von Rationierungsmaßnahmen bei der Kornverteilung herrschte zwar noch keine Hungersnot, doch murrte das Volk fast so lautstark wie die Mägen der Wachmannschaft draußen im engen Vorzimmer.

Anders als die Hauptstadt und wichtige römische Garnisonen musste Hippo Regius ohne einen Aquädukt auskommen. Gäbe es nicht den Ubus, das kleine Flüsschen, das der Stadt Süßwasser zur Verfügung stellte, die Magistrate wären bei der Trinkwasserversorgung arg in Bedrängnis geraten. Bonifacius hatte jegliche Verunreinigung des jetzt während der Hundstage nur sehr spärlich fließenden Nasses verboten und mit strengsten Strafen belegt. Doch mit jedem Tag erhöhte sich die Zahl der in den Mauern Darbenden. Aus dem Umland flüchteten immer wieder verängstigte Dörfler und Latifundienbesitzer in die scheinbare Sicherheit der Stadt, und immer öfter waren Bischöfe, die Weisungen ihres greisen Oberhirten Augustinus missachtend, unter den Flüchtigen.

Der Patriarch Africas, Augustinus, war bereits zu Lebzeiten Legende. Dieser im Ruf der Heiligkeit stehende Mann trug die Schuld dafür, dass er, Bonifacius, hier in der Mausefalle saß und sich langsam aushungern lassen musste. Ohne seine dringlichen Briefe hätte der Comes sich nie hierher begeben. Glücklicherweise hatte er seine Gattin, die dralle Gotin Pelagia, samt Tochter beizeiten nach Rom schaffen lassen.

Als Pragmatiker mit Sinn für Macht unterstellte sich Bonifacius in Glaubensfragen zwar dem energischen Oberhirten und blieb letztendlich dem Katholizismus treu, den Bekehrungsversuchen seiner arianischen Gemahlin zu Trotz – doch die Augustinischen Lehren blieben ihm weitgehend fremd. Er, Bonifacius, war mit Sicherheit keines jener Geschöpfe, die Gott als Ersatz für die gefallenen Engel in den Himmel aufnehmen würde. Hierfür war er doch allzusehr dem Diesseits verhaftet. Die moralische Instanz der meisten Menschen, das Gewissen, ist doch noch immer recht rudimentär entwickelt, dachte er, wobei ein Grinsen über sein breites Gesicht huschte, solcherart Luxusware konnte er sich nicht leisten.

Augustinus’ Charisma rührte von der tiefen Seelenweisheit des Mannes mit Erfahrung. Wie jeder wusste, war der Patriarch nicht schon immer ein Heiliger gewesen. Im Gegenteil! Nur mit Mühe war er als junger Mann der Gefahr, auf Erden bei Nacht zu verkommen, entronnen. Er zählte 75 Jahre, und, wie man hörte, war er während der Monate der Belagerung fast ständig auf den Beinen gewesen um der heimgesuchten Schar Trost und Segen, Heilung und Cura zu spenden.

Schritte näherten sich, und Bischof Possidius von Calama, sein Adlatus, trat ungestüm ein. Voller Sorge berichtete er dem Comes, das Fieber, das den greisen Oberhirten vor einigen Tagen gepackt hatte, habe sich in der Nacht verschlimmert und ihn aufs Lager geworfen, von wo aus er mit Handauflegen noch viele Kranke heilte, jedoch zunehmend an Kraft verlor. Die Quelle, die so vielen Trost und Hoffnung spendete, drohte zu versiegen. Der Heilige Mann bestünde nur noch aus Haut und Knochen, sein Geist sei schon im Gespräch mit den Engeln.

Die Hundstage würden das ihre tun, um das Fieber noch anzuheizen. Bonifacius sah den Patriarchen schon leibhaftig in den Himmel auffahren, währenddessen jenen bis in die letzten Atemzüge Zweifel an der Reinheit seiner Seele quälten. Um vor Augen zu haben, was der Mensch letztlich sei, hatte Augustinus die Wände seiner Kammer mit den Bußpsalmen Davids beschreiben lassen, berichtete Possidius bedrückt.

„Morgen“, beschied ihm der Comes, „werde ich dem frommen Mann einen Besuch abstatten, heute lassen es meine Pflichten an der Mauerkrone nicht mehr zu.“ Mit ein paar allgemeinen Wünschen für eine Besserung des Kranken komplimentierte er den Geistlichen wieder hinaus, der sogleich ans Krankenbett des Freundes zurückeilte.

Entgegen Augustinus’ Weisungen war auch der Wüstenbischof Adeodatus mit einigen Akoluthen aus Sitifis geflohen. Ihn wollte der Comes vernehmen über etwaig beobachtete Truppenbewegungen der Vandalen und hatte ihn deshalb für die Morgenstunden zu sich gebeten. Doch offenbar ließen sich die Gottesmänner Zeit für ihre Morgentoilette! Langsam wurde er ungeduldig. Er goss sich mit Essig gestrecktes Wasser aus einer Metallkaraffe in einen Becher und leerte ihn in einem Zug. Seine schlechte Laune nicht mehr kaschierend, stellte er das unschuldige Trinkgefäß mit einem lauten Knall ab und wischte sich angewidert den Bart. Wie ihm dieser Essig zum Halse heraushing! Ein lautes Rülpsen verschaffte ihm Erleichterung von seinem ewig übersäuerten Magen, der von Zeit zu Zeit nach oben ans Zwerchfell drückte. Er blickte auf seine zur Tatenlosigkeit verurteilten Hände. Die Schwertschwielen stellten sich langsam wieder ein, dennoch waren diese Hände von seinen zahlreichen Geliebten begehrt. Trotz seiner martialischen Erscheinung war der General ein zärtlicher Liebhaber. Nicht nur in besseren Zeiten hatte er es nicht nötig gehabt, Sklavinnen zur Liebe zu zwingen, wie so manch anderer, und auch jetzt noch war er überzeugt von seiner männlichen Ausstrahlung und Potenz. Früher, noch in Karthago, hatte er ab und zu seiner Vorliebe fürs Derbe freien Lauf gelassen, hatte sich inkognito in den billigeren Bordellen herumgetrieben und sich an käuflichen Dienerinnen der Astarte abreagiert. Seine Vorstellungen von „inkognito“ waren jedoch offenbar nicht weit genug gegangen, denn er war im ganzen Land als Wüstling und Schlemmer verschrien, was er nolens volens zur Kenntnis genommen hatte. Mit der betörenden Hetäre Ischthoret hatte er sich gezeigt, wo es nur ging, denn es galt viel in Karthago, die Ehre zu haben bei – beziehungsweise mit – ihr zu verkehren ...

Isis, sein Pavianweibchen, gähnte herzhaft und schmetterte ihm fordernde Laute aus ihrem Kissenberg auf dem Feldbett entgegen. Trotz des Mangels musste es für Bananen für seinen Liebling allemal noch reichen. Er warf ihr ein Paar zu, das sie geschickt auffing und abschälte. Dem Comes hatte die Extravaganz, auch auf Feldzügen sein Maskottchen mitzunehmen, den Ruf des Sodomiten eingetragen, was jedoch in keinster Weise hieß, dass ihn seine Soldaten nicht geschätzt und geehrt hätten.

Simiamator“ hatten sie ihn nach dem großen Sieg über die Goten in der Narbonensis, als sie ihn nach guter altrömischer Militärtradition zum Imperator ausriefen, geheißen. „Affenliebling!“ Nun, über derlei derbe Späße musste ein Feldherr hinwegsehen können und den Legionären deshalb zu grollen wäre als Zeichen von Unreife aufgenommen worden. Schon Caesar war als „kahler Päderast“ ausgeschrien worden und hatte gute Miene zum bösen Spiel gemacht.

Und jetzt ließen ihn diese Pfaffen warten! Ihn, den Kommandeur! Sollte sich Thorwald mit ihnen besprechen, er war schließlich nicht zur Beichte angetreten, um auf dem Arme-Sünder-Bänklein auf die Absolution zu warten.

„Thorwald!“

Auf diesen Ruf hin stürzte sein Adjutant der Gotenwache herein und salutierte zackig mit dem römischen Gruß.

„Du holst dir aus den Klerikern, die demnächst hier vorstellig werden, die nötigen Informationen über eventuelle Truppenbewegungen und Zahlen der Feinde ein. Und halte deine arianische Zunge im Zaum! Kein Gerangel mit den Pfaffen um Licht und Wahrheit, verstanden? Zahlen will ich sehen, Zahlen und sonst nichts, alles klar!?“

Der Gote nickte leicht eingeschüchtert zum Zeichen, dass er verstanden hatte.

„Wegtreten!“

So schnell es ging, schuf Thorwald Raum zwischen seiner Person und dem offenbar übellaunigen Comes, der mit einer lässigen Bewegung Helm und gladius vom Bord angelte, sich gürtete und hinaustrat in den erbarmungslos heißen Vormittag dieses 28. August 430 A. D.

Von der Zitadelle aus konnte er die Stadt mit ihren beeindruckenden Thermen, dem Theater, den geweihten und profanen Basiliken und den diversen heidnischen Heiligtümern überblicken. An den römischen und phönizischen Tempeln nagte, anders als im liberaleren Karthago, der Zahn der Zeit. An den heidnischen Baudenkmälern, den inoffiziellen Steinbrüchen, durfte sich jeder ungestraft bedienen. Nein, Repräsentationsbauten waren sie nicht mehr. Bevor der Comes jedoch in das heillose Wirrwarr des Häusermeeres da unten eintauchen konnte, begann plötzlich irgendwo eine kleine Glocke, ganz außerhalb der Gebetszeiten, wie in fiebernder Agonie schnell und unregelmäßig zu schlagen.

„Ein Alarm?“, durchfuhr es ihn. Der General war außer sich. Der Weg von jeder x-beliebigen Stelle im Mauerring zur Zitadelle war kurz, längst hätte er wissen müssen, was anstand. Seine Bedeckung stürzte aus den Innenräumen auf die Hochterrasse der Festung. Thorwald zog noch den Helmriemen fest und überprüfte den Sitz des Schildgurtes. Seine blauen Augen spähten in die flirrende Hitze vor der Stadt. Weit und breit kein Staubwölkchen, das einen alanischen Reiter hätte anzeigen können. Auch die Goten waren verwirrt. Wieso nun dieser Alarm?

Kein Bucinensignal war ertönt, nur die Glocke terrorisierte mit ihrem ängstlichen Gescheppere die Stadt und ihre Wachen. Ein Aufruhr innerhalb der Mauern? Musste Bonifacius seine Goten gegen seine Schutzbefohlenen hetzen, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen? Aus der Stadt war kein Geschrei zu vernehmen, kein Rauch, kein Volksauflauf auf dem Forum, dem einzigen Versammlungsplatz, den die römische Zivilisation dem anarchischen Wildwuchs des Stadtmusters abgetrotzt hatte.

Die gotischen Offiziere wechselten ratlose Blicke und besprachen sich in ihrem vokalreichen, an Zisch- und Stoßlauten nicht gerade armen Idiom, bis schließlich Thorwald mit cholerischem Geschnatter vier Melder losjagte, um von den Mauern Nachricht einzuholen. Angestrengt starrte Bonifacius in die Runde, bis seine Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Ort gelenkt wurde. Die Basilica Pacis, die älteste christliche Kirche der Stadt, war weder so beeindruckend noch so erhaben, wie ihr Name nahelegte. Eigentlich war sie nicht mehr als ein größeres Bethaus mit niedrigem, gedrungenem, kantigem Turm, vor dem sich viele Menschen, die neugierig dem Geläut gefolgt waren, eingefunden hatten.

Gerade als der Comes hinabsteigen wollte, tauchte am Fuß der Treppe, die außen zur Dachterrasse der Zitadelle hinaufführte, wie aus dem Nichts Bischof Adeodatus von Sitifis mit einigen Messdienern auf.

Er trug bescheiden den bodenlangen schwarzen Byrrhus der einfachen africanischen Geistlichkeit. Gesenkten Blickes, die Häupter mit Hilfe der Kapuzen verhüllt, erklommen die Knechte Gottes, die Finger zum Gebet ineinandergeschlungen, die schmale, geländerlose Treppe. Während sie sich würdig und ohne Hast, als ob sie eine Prozession anführten, näherten, witterte der Comes förmlich das Unheil, das ihm hier schwarzgewandet entgegenkroch. Die Gruppe von Klerikern erwartete Bonifacius auf der Südseite der Terrasse, wo sie, Adeodatus einen Schritt vor den Übrigen, hingebungsvoll in der ärgsten Hitze der prallen Sonne standen. Der einfache schwarze Byrrhus hing unmotiviert an dem mageren Männlein, dessen fast kahler Vogelkopf mit der schmalen, hakig gebogenen Nase fast vollständig in der weiten Kapuze verschwand. In tiefen, verschatteten Höhlen glühten seine Augen wie zwei Häufchen brennender Kohlen. Die schmalen Lippen wirkten wie eine Unterstreichung seiner eingefallenen Wangen. Seine knochigen, deformierten Hände, sie erinnerten Bonifacius an die Klauen von Kampfhähnen, waren ineinandergeklammert, als bärgen sie einen Schatz. Wie deutlich zu sehen war, trug er die Nägel nach africanischer Mode lang und spitz. Der blutverkrustete, schmutzige Verband an seiner Rechten zeugte von einer nur schlecht verheilenden Wunde. Selbst in der Hitze der prallen Sonne zitterte der Mann, was er, allerdings vergeblich zu verbergen suchte.

Ihn hat wohl das Fieber gepackt, sinnierte Bonifacius beim Anblick des leicht schwankenden Klerikers. „Ich entbiete Euch meinen Gruß“, hieß er den Ankömmling willkommen.

„Gelobt sei Jesus Christus!“

Bonifacius bat den Bischof in sein kühles Zimmer und wies ihm einen Platz an. „Ich ziehe es vor, zu stehen“, verkündete der Kirchenmann, woraufhin Bonifacius ebenfalls auf einen Hocker verzichtete, konnte es doch der befehlsgewohnte Mann nicht ertragen, wenn andere auf ihn herabblickten.

„Die Hitze heute ist tödlich“, bemerkte er, um das Schweigen des Klerikers aufzulockern.

„In der Tat, der Patriarch ist soeben gestorben“, kam es lapidar zurück, „deshalb läutete Possidius, dieser Narr, die Glocke. Augustinus ist dem Fieber erlegen, er schaut jetzt die Herrlichkeit Gottes, wie beneidenswert!“

„Wie man mir mitteilte, hättet Ihr Gelegenheit gehabt, ihm dort“, Bonifacius, auf den sich die Gefühlskälte seines Gegenübers übertrug, wies mit dem Zeigefinger nach oben, „noch dazu als Märtyrer, Quartier zu machen.“ Die Augen des Sitifeners verengten sich missbilligend.

Adeodatus hatte sich erst vor ein paar Wochen nach einem Rechtfertigungsbrief an Augustinus aus seiner abgelegenen Gemeinde verzogen. Eine vielleicht nicht heroische, aber durchaus verständliche Haltung angesichts der Tatsache, dass die Eroberer es vorwiegend auf die katholischen Würdenträger und deren Schätze abgesehen hatten. Im Grunde gab es keine Herde, die es zu schützen galt, da die Wölfe nur die Hirten anfielen, die Lämmer jedoch verschonten. Es wäre Wahnsinn gewesen, sich den blutgierigen, blonden Bestien in den Weg zu stellen. Die Bischöfe Mansuetus von Urusi und Pampianus von Vita hatten es beide versucht, und beide waren aufs Grausamste ermordet worden. Sicherheit, dass wusste Adeodatus, würde ihm erst die Stadt Hippo schenken können. Unterwegs jedoch fielen er und seine Begleiter einer Schar entlaufener marusischer Sklaven in die Hände. Dem Kreuz, das er an einer Kette um den Hals trug, erwiesen die Heiden keinen Respekt, sie erblickten darin in erster Linie den Metallwert. Während die Banditen noch untereinander scherzten, ob sie dem Bischof den Kopf abschlagen sollten, um leichter in den Besitz der Kette zu gelangen, angelte sich einer die Beute mit seinem langen Krummschwert, ohne den Bischof zu berühren. Ernst wurde es allerdings, als sie den herrlich gearbeiteten Saphirring, Zeichen der unbefleckten Keuschheit, an des Bischofs Hand entdeckten. Er hatte ihn seit Jahren nicht mehr abgelegt, da seine vom Rheumatismus deformierten Finger dies nicht mehr zuließen. Allerorten sah man einarmige Priester, denen ihr Schmuck zum Verhängnis geworden war. Doch seine Peiniger hatten es nicht so eilig und trennten, nach einigem Geziehe und Gezerre, ihm mit fast schon chirurgisch zu nennender Präzision den begehrten Ringfinger von der Hand. Zuletzt zwang man ihn noch, seine Kleider bis aufs Unterhemd abzulegen, und dann jagten sie ihn und seine ebenfalls sehr dürftig bekleideten Diakone und Akoluthen, in die Hitze der Wüste.

„Ein Martyrium, das nicht aus vollem Herzen kommt, ist nichts wert“, entgegnete Adeodatus trocken. „Momentan braucht die ecclesia militans lebende Vorbilder. Hirten, die stark und gefestigt sind im Glauben und ihre Lämmer vor dem Pesthauch der arianischen Häresie bewahren, den diese Barbaren verbreiten. Sieh sie dir nur an, ihre Priester, mit langen Haaren und Bärten laufen sie herum, sie stinken und“, der Bischof holte tief Luft, „sie halten sich Kebsweiber. Sie sind die achte Plage Ägyptens, die Engel Luzifers, die Antichristen. Wir müssen uns wappnen mit dem Schwert des reinen Glaubens, den Schild der Wahrheit vor uns hertragen ...“

Hier sah sich der Comes, der an der Liturgie nichts so sehr hasste wie die Predigt, und der erkannte, dass Adeodatus in den wohlbekannten Kanzelstil zu verfallen drohte, gezwungen einzuschreiten. Ungewöhnlich schroff fiel er dem Bischof ins Wort.

„Ja, ich weiß! Doch wir brauchen scharfe Schwerter aus Stahl, nicht verbale Großtaten. Als militärischer und ziviler Befehlshaber der Stadt will ich eines klarmachen: Ihr lasst unsere arianischen Mitbürger, insbesondere meine Goten, in Ruhe. Wir können uns Zwistigkeiten in vom Feind belagerten Mauern nicht leisten. Sonst könnt Ihr Euch hinterher als der neue Apostel der Vandalen betätigen – wenn sie gewillt sein werden, Euch zuzuhören. Ohne meine arianischen Goten könnt Ihr Geiserich mit Weihwasser und Weihrauch von der Stadt fernhalten.“ Ein verächtliches Lächeln huschte über das breite Gesicht des Comes. „Mal sehen, ob ihn das beeindruckt.“

Der Bischof, der von Sitifis her einen kriecherischen, bigotten Magistraten gewöhnt war, der ihm alle Wünsche von den Augen abgelesen hatte, war ob der Respektlosigkeit des Comes entrüstet, schluckte seinen Zorn jedoch hinunter und erkannte, dass Bonifacius die Besprechung vielleicht als beendet betrachten könnte, wenn er nicht bald zur Sache käme. „Die Pflanze deines Glaubens bedarf noch einer großen Menge Wassers“, belehrte er den Comes. Derartiges kannte Bonifacius schon aus den Predigten seiner Frau, nur eben mit umgekehrtem Vorzeichen, doch war ihm im Augenblick nicht nach einem Glaubensgespräch. Er kehrte zur höflichen Anrede zurück, um dem Bischof entgegenzukommen. „Was gedenkt Ihr nun zu tun, Eminenz?“

„Wir werden die Trauerfeierlichkeiten vorziehen, wegen der großen Hitze, und sodann einen Nachfolger durch Wahl bestimmen.“

Der Comes runzelte die Stirn. Eine Wahl? Das hatte symbolische Bedeutung: In der vom andersgläubigen Feind belagerten Stadt musste das neue Oberhaupt bestimmte Qualitäten aufweisen. Possidius, der Menschenfreund, der vertrauensvoll offene Intimus des Verstorbenen, den dieser als seinen Nachfolger vorgesehen hatte, würde sich harttun, wenn ein kämpferischer Typus es wagte, als Herausforderer anzutreten. Bonifacius ging ein Licht auf. „Die Wahl hat doch bereits der verstorbene Patriarch getroffen.“

„Natürlich will hier niemand seinen Entschluss anfechten, aber die Verhältnisse haben sich geändert, und“, Adeodatus’ Stimme bekam etwas Klirrendes, Bedrohliches, „letztendlich kann kein Bischof seinen Nachfolger ernennen. Er gibt eine Empfehlung ab, die, auch wenn sie aus einem derart vom Heiligen Geist durchdrungenen Mann kommt, wie es der Verstorbene war, nicht bindend für das Kollegium sein kann. Entschieden, Comes, ist in dieser Sache noch gar nichts.“

„Nun gut, das ist Eure Angelegenheit, auch wenn ich Eure Vorgehensweise etwas übereilt finde“, beschloss der Comes das Thema. Eigentlich war es ihm egal, gab es doch im Moment dringlichere Probleme als eine Bischofswahl. Wie würde der abgebrühte karthagische Klerus darauf reagieren, wenn man ihm einen Wüstenheiligen als Oberhaupt vor die Nase setzte? Mit Possidius konnte man reden, er war ein Mann des Dialogs, aber diese Vogelscheuche im Talar war eher eine Gefahr für die Kirche Africas als ein würdiger Nachfolger Augustinus‘. Nicht allein sein Anstand gebot ihm, Possidius zu warnen, dass etwas im Busch flackerte, das sich ohne Weiteres zum Flächenbrand ausweiten könnte.

„Ihr verzeiht, aber der Grund, weshalb ich Euch zu mir bat, ist eher diesseitigen Charakters. Habt Ihr während eurer Flucht Truppenbewegungen des Feindes beobachten können?“

„Die Geschichte mit dem Ring scheint sich ja wie ein Lauffeuer herumgesprochen zu haben“, Adeodatus wies auf seinen Verband. „Sie schrecken vor nichts zurück, diese Vandalen. Mögen sie in der Hölle schmoren!“

Adeodatus hatte das Lauffeuer selbst entfacht und seine Geschichte in der Stadt als einen Überfall vandalischer Reiter ausgegeben, um die Sensationslüsternen auf seiner Seite zu haben. Von der Wildheit der Vandalen erzählte man sich ja so manches, aber gesehen hatten bisher nur die Wenigsten diese Blondköpfe mit den angeblich nimmermüden Schwertern. Dem Comes gegenüber besann er sich jedoch auf die Wahrheit. „Die Räuber stecken zumindest mit den Invasoren unter einer Decke.“

„Das wissen wir hier auch“, entgegnete dieser gereizt, „habt Ihr nun Vandalen gesehen oder nicht?“

„Im Vertrauen gesagt, nein, aber ...“

„Danke Eminenz, Eure Ausführungen waren mir von großem Nutzen“, unterbrach ihn Bonifacius, „jetzt muss ich jedoch nach den Wachen sehen, Gott befohlen.“

Er freute sich tierisch, dass es keinen Ring gab, den er nun etwa hätte küssen müssen und komplimentierte den sprachlosen Bischof hinaus.

Der Comes seufzte. So hatte also auch der Bischof keine leibhaftigen Vandalen gesehen. Waren sie nichts weiter als ein Wüstenspuk?

Doch bevor er diesen angenehmen Gedanken vertiefen konnte, fuhr ihm scharf und schneidend jenes Wort in den Nacken, vor dem sich die Stadt seit Langem geduckt hatte.

„Die Flotte! Alarm! Vandalenschiffe vor der Einfahrt!“

Er rannte um den würfelförmigen Zitadellenaufbau, der seine Wohnstätte darstellte, herum, um in nördlicher Richtung den Blick aufs Meer hinaus zu bekommen. Etwa ein Dutzend Schnellsegler kreuzte, in sicherer Entfernung von den Speerschleudern und Ballisten, vor der Hafeneinfahrt.

Am Horizont drehte gerade ein karthagischer Kauffahrer ab, vermutlich der letzte, den sie zu Gesicht bekommen würden. Die Karthager liebten zwar in der Tradition ihrer punischen Ahnen den Kitzel gefährlicher Geschäfte, aber wer sollte das Risiko eingehen, an der berüchtigten Vandalenflotte vorbei, in die eingeschlossene Nachbarstadt Mangelware zu liefern? Wer könnte dieses Risiko in Solidi und Sesterzen umgerechnet bezahlen? Hippo Regius würde von den karthagischen Zielhäfen gestrichen werden, wo man sich nun selbst allmählich auf die Barbareninvasion würde vorbereiten müssen.

„Das ist das Ende“, befand Thorwald, „jetzt sind wir völlig abgeschnitten.“

„Wir werden die Stadt halten, das verspreche ich dir!“

Unten am Hafen wehrte die schwere Eisenkette der Einfahrt der ungebetenen Gäste, und man konnte gut beobachten, wie die Geschützmannschaften auf den Moletürmen wie Ameisen nur scheinbar durcheinander und ohne System herumwuselten. Die Feuer für das Pech brannten, die Kugeln lagen bereit, aber noch machten die Vandalen keine Anstalten anzugreifen.

Noch …

Habichte über Karthago

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