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Ischthoret, die Vielgeliebte
ОглавлениеAugust 430 A. D.
Ischthoret straffte ihren makellosen Körper vor ihrem Prunkstück, einem fast sechs Fuß hohen Kupferspiegel. Anstelle eines Rahmens war die Metallplatte ringsum mit Hilfe von Punzierungen zu einem kunstvollen Ornament verschiedenster, scheinbar wildwuchernder Pflanzen gestaltet. Die blankpolierte Fläche des Spiegels selbst, die beflissener Pflege bedurfte, hatte der großzügige Spender den Künstler nur knappbemessen freizulassen veranlasst. So, dass Ischthoret immer ihrer wahrhaft betörenden Formen gewahr sein musste, aber auch als ständige Mahnung, nicht der Disziplinlosigkeit zu verfallen, auf dass sie diese nicht verlor. Obwohl sie über Jahre hinweg bei keinem Bankett hatte fehlen dürfen, war es ihr nur selten vergönnt gewesen, sich ordentlich satt zu essen, denn das Kapital für ihr Gewerbe, viele nennen es das älteste der Welt, bildete nicht zuletzt ihre aparte Figur.
Sie war für eine Punierin hochgewachsen, ihr schwarzes, glattes Haar, das, wenn sie es offen trug, ihren Körper bis zur Hüfte einhüllte, war meist zu einer Vielzahl langer, dünner Zöpfchen geflochten. Sie stand in dem Ruf, die abgeschlafftesten und verbrauchtesten Lustgreise des Sündenbabels Karthago wieder in Fahrt zu bringen. Das Gefeilsche mancher Berufsgenossinnen war ihr ein Graus, sie hatte den Grundsatz, prinzipiell nicht mit sich handeln zu lassen, von ihrer Mutter Chattah übernommen. Ischthorets dunkler Teint und Haarpracht waren ihr Erbe, doch auch ihr Vater hatte ihr einiges mitgegeben.
Der dunkelblonde, blauäugige Nikomedes, „direkter Nachfahre des Periander aus Korinth“, wie er gerne hervorkehrte, hatte ihrer Mutter wohl gefallen, und sie hatte fast ein ganzes Jahr in schon fast eheähnlich zu nennendem Verhältnis mit ihm verbracht. Nichtsdestotrotz hatte immer festgestanden, dass ihrer Liebe zeitliche Begrenzungen auferlegt waren. Nie hatte Niko ein Hehl daraus gemacht, dass er nicht ewig im Hafen dümpelnde Schaluppen steuern, sondern bei passender Gelegenheit einen Piratenjäger kommandieren wollte. Und einige Zeit nach den Donatistenunruhen, wo er eine Triere kommandiert hatte, war der in seinem Herzen unstete Mann plötzlich verschwunden. Sein abschiedsloser Aufbruch glich der Flucht vor Verantwortung. Hatte er Chattahs Schwangerschaft geahnt? Indem sie zu lange schwieg, hatte sie ihm die Flucht leicht gemacht. Niemand nahm daran Anstoß, eine Dirne zu verlassen, und juristisch besehen sah es noch schlechter aus für Chattah, deren Bauch sich zu wölben begann. Sie gehörte schlichtweg zu jener Gruppe von Hetären, die Pech gehabt hatten. Das zurückgelegte Geld, Nikomedes hatte sich in guten Zeiten nicht lumpen lassen, war in den nahezu zwei Jahren der Zwangspause, selbst bei niedrigsten Ansprüchen, fast aufgebraucht. Danach hatte sie sich in ihr Schicksal gefügt und ihre Arbeit wieder aufgenommen. Sie war abgeklärt genug, den Griechen auch nicht mit der Ohnmacht des Hasses zu verfolgen und hatte auch niemals vor Ischthoret ein despektierliches Wort über ihren Vater verloren. Das Einzige, was ihr nach den Jahren von ihm geblieben war, war ein Amulett in Form eines Skarabäus an einer Silberkette. Der Käfer war aus Speckstein geschnitten und trug in der Schriftkartusche auf der Bauchseite einen vorgewölbten Halbmond und eine ausgesparte Vertiefung in Gestalt der Sonnenscheibe. Allerdings war es kein Geschenk von ihm an sie gewesen, sondern sie hatte ihm den anderen Teil geschenkt, mit hervortretender Sonne und Hohlraum für den Halbmond. Beide zusammen ergaben eine Kapsel, die annähernd die Form einer Kugel bildete. Ihren, den weiblichen Teil, hatte sie aufbewahrt und der Tochter als kleines Andenken vererbt. Der materielle Wert des Amuletts war gering, doch hielt Ischthoret den Käfer in Ehren, wenngleich sie ihn nie bei sich trug – war er doch zu armselig für die Gesellschaft, in der sie zu verkehren pflegte.
Von ihrem Vater hatte sie die gerade, schmale Nase mit der niedlich aufgeworfenen Spitze und den zartgeschwungenen, rundlichen Nüstern geerbt, ebenso die kräftigen Brauen, die weiblich abgeschwächt, ihre breite Stirn dominierten. Ihr Mund war nicht so breit, wie es das Schönheitsideal Nordafricas eigentlich verlangt hätte, doch waren die natürlich roten Lippen voller als bei den meisten Griechen dieser Zeit. Die leicht vorspringende Unterlippe versprach Sinnlichkeit und das feste Kinn Durchsetzungsvermögen. Die Spannung der Wangen deutete auf ein großes Energiereservoir hin und verlieh ihren Zügen jene jugendliche Frische, die auch Kenner der Materie darüber hinwegtäuschen mochten, dass sie bereits in der Mitte ihrer Zwanziger war und nun schon zehn Jahre ihrer kraftraubenden Tätigkeit nachging. Doch aller Harmonie der Formen zu Trotz waren es ihre Augen, die wie ein Magnet die Blicke aller auf sich zogen. Ihr linkes hatte die dunkle braune Tiefe von Chattahs punischer Rasse, was durchaus mit der Farbe ihres Haares und dem dunklen Teint vereinbar war. Was jedoch aus dem Rahmen fiel und den Betrachter wie mit einem Bann belegte, war das Rechte, welches im ungetrübten Blau des Väterlichen erstrahlte. Ihr Stolz auf diese Extravaganz wurde kompensiert durch die abergläubische Furcht vieler Menschen vor dem „Bösen Blick“, den sie angeblich aussandte, um impotent zu machen. Als sie zum ersten Mal den Diätetiker in den Thermen konsultierte, hatte dieser mit einem geschliffenen Glas lange ihre Augen betrachtet und ihr dann eröffnet, sie habe wohl einen „schwierigen Charakter“, ihr Lebenslauf werde von Spannungen bestimmt sein. Das Unstete des Vaters konkurriere zu stark mit dem erdhaften Element der Mutter und würde ihre natürlichen Wünsche nach Geborgenheit, Familie und Kindern dauerhaft bekämpfen. Was in der Jugend Abenteuerlust sein mochte, könne sich später in Unrast verwandeln. Der grauhaarige Mann zuckte nur die Achseln, als sie ihn um Rat zur Abhilfe fragte, und so hatte sie beschlossen, nur sich selbst und sonst niemandem treu zu sein. Mit der Auswahl ihrer Parfums, der Verweigerung der Mode ihrer Zeit, sich Scham- und Achselbehaarung entfernen zu lassen, zielte sie auf die tiefsitzenden Urinstinkte der Männerwelt, auf die Krieger und Freibeuter in ihrer, vom urbanen Lasterleben überreizten Psyche. Nimmt doch auch beim zivilisierten Menschen die Witterung Reize wahr, die dem Filter des kontrollierenden Bewusstseins entgehen. Die Kunst lag darin, ihre Opfer nicht merken zu lassen, dass sie ihr bereits ins Garn gegangen waren und ihnen vorzugaukeln, sie selbst seien die Eroberer.
Sich umwendend betrachtete sie über die Schulter hinweg im Spiegel ihre Rückenansicht. Die schmale Taille betonte die Reize ihres breiten, sehr weiblichen Beckens und ihres straff gerundeten Hinterns. Sie ließ sich ins Hohlkreuz fallen, drückte mit einer Überstreckung der Rückenmuskeln ihre festen Brüste mit den kleinen dunklen Höfen um die mit Rötel hervorgehobenen Brustwarzen heraus und ließ mit pendelnden Kopfbewegungen ihre Mähne, die bis ans Gesäß fiel, ihren Körper umspielen. Ihre Sklavinnen glaubten sehr gut zu verstehen, weshalb viele ihrer Liebhaber vor allem das Katzenspiel und das Spiel der Pferde mit Ischthoret bevorzugten. Denn letztendlich war ihren Galanen gerade jene animalische Entfesseltheit, die sie an der Hetäre während des Liebesaktes besonders reizte, auch wieder suspekt. Ischthorets sich aufbäumender, zuckender Körper; ihr Stöhnen, Wimmern und Fauchen, ihre schnappenden Zähne, der entrückte zwiefarbene Blick und die scharf schneidenden Fingernägel kurz vor und während des letzten Höhepunktes stachelten sie zwar an, das Letzte aus sich herauszuholen, und doch verspürten sie, ohne es sich jemals einzugestehen, eine leise Angst, der bacchantischen Ekstase Ischthorets zum Opfer zu fallen. Wenn sie „nachher“ neben ihr lagen, und sie selbst, als hätte sie keinerlei Anstrengung gehabt, mit ihren langen, schmalen Händen, ihren Helden eine sanfte entspannende Massage angedeihen ließ, lachten sie innerlich über ihr Unbehagen von zuvor.
Ischthoret war klar, dass es mehr an ihrem Bedürfnis nach Kontrolle lag als an den unwiderstehlichen Reizen ihrer Rückansicht, dass ihre Freier sich das Pferdespiel für den abschließenden Höhepunkt aufhoben; wenn sie dann ihre wilde Mähne vor Augen hatten, glaubten die schwitzenden und keuchenden Hengste, „ihre“ Stute im Griff zu haben.
Neben der Pflege von Haut und Haaren durch ihre Sklavinnen stählte sie ihren Körper durch rhythmische Gymnastik. Sie liebte den Aufenthalt in den Thermen, wo sie neben den üblichen heißen und kalten Bädern auch Schwitzkammern und in unregelmäßigen Abständen den Diätetiker aufsuchte, der neben Ernährungsratschlägen auch das eine oder andere Tränklein gegen Beschwerden aller Art und vor allem Schwangerschaft wusste. Ein Kind, soviel stand fest, hätte das vorzeitige Ende ihrer Karriere bedeutet. So wie sich alles darum riss, sich mit ihr zu schmücken – sie auszuführen war kein billiges Vergnügen, denn sie stellte hohe Ansprüche –, wäre wohl niemand bereit gewesen, sie zu ehelichen, wie auch sie keinen Gedanken an Familie verschwendete. Doch mit Hilfe der ihr eigenen Intelligenz hatte sie sich ein kleines Vermögen geschaffen und schacherte vor allem mit den Griechen vor Ort. Geld muss arbeiten, war ihr Leitsatz, und so verlieh sie zu mäßigem Zins und vergrößerte so ihr Kapital zusätzlich. Doch für einen Ausstieg aus ihrem primären Geschäft, dem „Verleih ihres Körpers zu erfreulichem Nutzen“, wie sie ihre Tätigkeit manchmal spaßeshalber nannte, reichte es noch lange nicht – zumindest wenn sie den gegenwärtigen aufwendigen Lebensstil beibehalten wollte.
Dass die Vandalen vor der Stadt lagen, interessierte sie, wie die wohlhabenden Kreise Karthagos generell, einen Pappenstiel. Wer in Africa Herr sein würde, war ihr ziemlich gleichgültig, auch nach einem Machtwechsel würde das Geld Alleinherrscher sein, und als Realistin sagte sie sich, dass sie es wohl auch über sich bringen würde, sich mit den Barbaren zu arrangieren. Sie hatte in ihrer Anfangszeit öfter geschäftlich mit Goten zu tun gehabt, deren stürmisch direkter, unkomplizierter Art sie durchaus auch etwas abgewinnen konnte. Hatte sie früher auch mehrere Freier pro Nacht gehabt, war sie jetzt lieber der Ring am Finger einiger weniger Männer von Rang und Ansehen, die sich mit Großzügigkeiten überboten, um sich gegenseitig bei ihr auszustechen. Ihr einziges Unglück im Moment war der eingeschlossene comes Africae in Hippo Regius, der bei ihr nicht unbeträchtlich in der Kreide stand. Auch wenn er ein guter Liebhaber war, seine Liquidität war inzwischen arg gesunken. In seinen letzten Wochen in Karthago hatte sie ihn auf kleiner Flamme schmoren lassen und nur nach Abzahlung von Teilbeträgen weitere Dienste ihrerseits in Aussicht gestellt. Dann war ihr der Bischof von Hippo, Augustinus, in die Quere gekommen, der Bonifacius solange mit Briefen bombardierte, bis dieser seine Goten zusammentrommelte und zum Schutz der bedrängten Stadt aufbrach. Wäre sie ein Mann, sie hätte die blonden Bestien schon bei Tingis abgefangen und ins Meer geworfen. Da dem aber nicht so war, hieß die Parole gegenwärtig „Gesericus ad portas“.
Vor ihrer privaten Tür aber stand, unangemeldet, wie so oft, der Reeder Demokedes. Der Grieche, ihr gegenwärtiger Favorit, kam gerade recht, um ihr „beim Ankleiden behilflich zu sein“. Mit einer Handbewegung scheuchte sie ihre Sklavinnen hinaus, das hieß, sie versteckten sich hinter einer künstlichen Wand, von wo aus sie alles mitbekamen, was sich im Geschäftsraum abspielte. Der Sklave an der Tür, der hünenhafte Slawe Tschagrin – in Africa galt es als schick, sich Exoten zu halten –, bedeutete dem Gast einzutreten und verschwand im Vorzimmer, sicher auch er ganz Aug und Ohr. Doch der Schauplatz des Geschehens war bewusst so gestaltet, dass ein Späher an der Türritze oder am Schlüsselloch enttäuscht sein musste, es sei denn, er war zoologisch interessiert: Das einzige, was man von dort aus sehen konnte, war das Fell eines großen Berberlöwen, das einstens noch der Comes seiner Angebeteten verehrt hatte.
„Ganz schön zeitig kommst du hier hereingeweht, ohne ein paar Wachteln oder Täubchen für die Küche, was sollen wir nun frühstücken? Ich habe gar nichts im Haus.“ Ihr spitzbübisches Lächeln produzierte Grübchen in den Wangen. „Der schwerreiche Herr Reeder will sich wohl aushalten lassen, aber da hat er sich leider vertan. Die Kurtisane ist abgebrannt. Sie kann ihm höchstens ein paar Krammetsvögel und Trauben auftragen lassen.“
Demokedes besuchte seine Geliebte jedoch nicht in erster Linie um ein abwechslungsreiches Frühstück einzunehmen, hatte er doch ein Anliegen von weittragender Bedeutung vorzubringen.
Persönlich mischte sie ihm den Begrüßungstrunk, vier Teile Wasser zu einem Teil Wein, denn der Morgen brauchte die Sinne unvernebelt und klar, doch leicht angeregt. Anders als der Comes, der die herben Weine schätzte, bevorzugte Demokedes den lieblichen Sabiner. Als sie ihm die Kylix reichte, fuhr ihre Hand wie zufällig über die seine. Die Züchtige mimend, verhüllte sie ihre Brüste mit ihrem langen schwarzen Haar und wich zurück auf die Liegestatt, den Mann allein mit dem Blick nachziehend. Er konnte ihr nicht entweichen, also ging er zum Angriff über, warf sich neben ihr auf die Liege und suchte mit seinen Lippen die ihren. Seine langen, schmalen Hände, richtige Schreiberhände und nur mit einem Siegelring an der Rechten geschmückt, glitten über ihren warmen Körper. Mit sanften streichelnden Bewegungen reizte er ihre empfindlichen Stellen, bis sie stöhnte, dann erst, als er sichergehen konnte, dass auch sie ihre Freude haben werde, verschaffte er seinem „Mercurulus“, wie er „ihn“ nannte, Zugang in ihren Venustempel. Und anschließend, die Sklavinnen hatten es ja geahnt, war wieder das Pferdespiel an der Reihe. Nach diesem angenehmen Empfang, sie lagen nebeneinander auf der zerwühlten Decke, musste er endlich herauslassen, was ihn zu so früher Stunde zu ihr geführt hatte. „Ich fürchte, wir werden uns jetzt längere Zeit nicht sehen können“, brummelte er auf dem Bauch liegend in seine Ellenbeuge und hob den Kopf. Seine großen, braungrünen Augen mit den langen Wimpern, die jede Frau neidisch machten, strahlten aus einem kantigen Gesicht. Wie auch immer er daliegen und sie ansehen mochte, immer erschien ihr sein Mund zu klein, was auch die quer über das Kinn laufende Narbe, die dem Untergesicht eine ganz eigene Note verlieh, nicht änderte. Er hatte sich bei einem Sturz gegen die Back eines schlingernden Schiffes eine Risswunde zugezogen, die sich während der Reise auf See entzündet und die leicht aufgeworfene Narbe hinterlassen hatte. Er wählte nicht den einfachen Weg, einen Vollbart zu tragen, wie es Mode bei den Auslandsgriechen war, sondern unterzog sich dem alltäglichen Ritual des Barbierens, wodurch er sie wie eine Auszeichnung präsentierte. Nebenher diente sie jenen, die ihn besser kannten, als Indikator seiner Stimmungen. Gegenwärtig war sie gerötet, was niemanden angesichts der Situation verwundert hätte.
„In circa einer Woche dürften die Vorbereitungen für meinen großen Coup abgeschlossen sein … Wie du weißt, wird Bonifacius in Hippo Regius von den Vandalen auch vom Meer her blockiert. Wenn es mir gelänge, ein Schiff mit Lebensmitteln in die darbende Stadt zu schleusen, dürfte das nicht bloß einträglichen Gewinn bringen, das wäre das Geschäft des Lebens! Meinst du nicht auch?“ Um ihr Schweigen zu unterdrücken, fuhr er begeistert fort. „Ich habe mich mit Chaim ben Itzhak zusammengetan, er besitzt in Hippo eine Prokura, die er eigentlich schon abgeschrieben hat, die ich ihm aber retten könnte, wenn ich wieder herauskomme. Deshalb kann ich mir dort zinslos von ihm leihen, was ich zum Unterhalt in Hippo brauche. Er beteiligt sich auch am Einkauf der Ladung und erhält dafür dreißig Prozent vom Gewinn, das ist einigermaßen fair für alle.“
Ischthoret lachte heiser. „Du verteilst das Fell des Bären, ehe du ihn erlegt hast! Und wenn die Vandalen dein Schiff kapern? Was machst du dann?“
„Dazu wird es nicht kommen, das habe ich mir bereits zurechtgelegt. Die Mannschaft muss die Gewässer in und auswendig kennen, vielleicht kommen wir unentdeckt durch … Wenn nicht, so kann ich nur so viel sagen, dass Geiserichs Blutdurst weit hinter seinem Hunger nach Gold zurücksteht. Den zu stillen würde ich dir als Aufgabe stellen. Wenn es hart auf hart geht, musst du mich auslösen aus den Händen der Barbaren, aber wie gesagt, ich bin mir sicher, dass es nicht so weit kommen wird. Glaub mir das jetzt, ich kann es dir nicht erklären. Ich weiß, dass du geschäftstüchtig bist, und ich vertraue dir. Deshalb schlage ich dir vor, meine Geschäfte während meiner Abwesenheit zu führen. Wenn alles glattgeht, könnten wir später unsere Geschäfte zusammenlegen, du bräuchtest nicht mehr als Hetäre zu arbeiten und als vereinte Handelskompanie wären wir nur schwer angreifbar. Was sagst du dazu?“
Ungläubig staunend hatte sie seinen Ausführungen gelauscht.
Natürlich reizte es sie, diese Gesellschaft mitzugründen und zu lenken. Aber würde sie sich dadurch nicht zu eng an den Griechen binden? Sicher, er war reich, gebildet, wohlgestalt und empfindsam, eigentlich ein Traummann! Aber sie liebte ihn nicht. Schon aus Prinzip nicht und auch dann nicht, wenn sie ihre Gefühle tiefer erforschte. Es gab noch andere stattliche Karthager, die sie umschwärmten. Ihre mühsam erkämpfte Unabhängigkeit wäre der Preis – den zu zahlen sie nicht gewillt war. Doch wollte sie Demokedes nicht brüskieren und hielt ihn hin, dass sie sich nicht sofort entscheiden könne, sondern ein paar Tage und Nächte mit sich beraten müsse.
„Gut, morgen früh wirst du mir sagen, wie du dich entschieden hast, ich will dich nicht drängen, aber ich darf jetzt keine Zeit mehr verlieren, in ein paar Tagen wird das mare claustum wieder geöffnet, und ich will mich nicht unbedingt von deinen Träumen abhängig machen, verstehst du.“
Das war hart und direkt, er machte sich immer lustig, wenn sie vor einer Entscheidung auf ihre Träume achtete. Er deutete dann auf seine Stirn mit der Bemerkung, „hier fallen Entscheidungen, nicht da“, wobei er die Hand auf den Bauch legte. Einmal hatte er bei dieser Demonstration ihren Körper benutzt, worauf sie ihn mehr als nur freundschaftlich geknufft und darauf aufmerksam gemacht hatte, dass er ihr Entscheidungszentrum, das allein ihr gehörte, gefälligst verschonen sollte.
Auch diesmal erwachte ihr Oppositionsgeist. „Träume kommen nicht auf Kommando, du wirst eventuell etwas warten müssen.“ Demokedes erkannte, dass es nun an ihm war, einzulenken. Wenn Ischthoret sich verletzt fühlte, konnte sie ungemein bockig werden.
„Oh holde Liebesgöttin der Tyrsener, so bitte ich dich denn inständig um dein Orakel, und ich will auch in deinem Tempel opfern.“
Die frivole Anspielung überhörend, meinte sie: „Die Zeit der Taubenopfer ist doch längst vorbei, aber ich werde es die Priester wissen lassen, was mein Mund weissagend verkündet.“ Er hatte sie also wenigstens versöhnt, wenn schon nicht gewonnen. So wenig er daran geglaubt hatte, dass sie ihm mit einem „Ja“ um den Hals fallen würde, so wenig hatte er mit einer Abfuhr gerechnet. Ihre Idee, nochmals seinen Vorschlag zu überschlafen, fand er sinnvoll und lud sie, um ihre Träume günstig zu stimmen, für die Nacht zu sich ein, was sie annahm.
Die Gesichtszüge Demokedes’, auf dem sie rittlings sitzt und ihn schier mit ihren heftigen Beckenbewegungen ans Bett nagelt, verschwimmen vor ihren Augen. Sie ist die Herrin, und er ihr Sklave. Ein orgiastisches Gefühl durchdringt sie von unten her und breitet sich gleichmäßig in ihr aus, ihr Geist fährt aus ihr und steht neben der Bettstatt. Sie sieht sich durch seine Augen, sieht auch den halbwüchsigen Jungen, Produkt ihrer Vermischung, unter dem Bett herauskriechen. Sein Gesicht kann sie sich nicht einprägen, doch trägt er an einer Goldkette ein Hexagramm um den Hals – ein Schutzzeichen, fährt ihr in den Sinn. Der Junge schaut sie verehrend an, sie ihn begehrlich, sich die grellrot geschminkten Lippen leckend.
Sie sieht ihn reiten, auf einem Delphin zwischen den Wölfen des Meeres – zuletzt beißt ihm ein Hai ein Bein unterhalb des Knies ab. Kein Schmerz zeichnet sich ab auf seinem Gesicht, er geht mit einer Porzellanprothese, die bei jedem Schritt ein ekelhaft kratzendes Geräusch auf dem Marmorboden ihrer Halle verursacht. Aus dem Hintergrund tritt ein hochgewachsener Mann in schwarzem Mantel, er trägt in den Händen einen schweren Bronzehammer und schlägt den Jungen in Stücke, die er einsammelt und in einen Kessel füllt.
Sie sieht erneut sich selbst, ihr Abbild, geistesabwesend an einer festlich gedeckten Tafel liegen, vor sich den uralt wirkenden Kessel, aus dem ihr die schattenhaft hinter ihr auftauchende Gestalt des Dunklen mehrere Kellen Kesselfleisch in roter Sauce vorlegt. Sie macht sich mit gutem Appetit über das Mahl her und verschlingt, gierig ganze Stücke hinunterwürgend, die ihr zugedachte Portion.
Sie ist hochschwanger und liegt in den Wehen, ein dunkles, amorphes Etwas drängt sich aus ihrem Leib, ein grausiges Ding, ein riesiger schwarzer Skarabäus, der sich zur Kugel einrollt und so verharrt. Sie kann den Blick nicht mehr von dem Tier wenden. So sieht sie sich sitzen, auf die Mistkäferkugel starrend, plötzlich wird ihr Geist wieder angesogen, fährt spiralig in die Dahockende … Mit einem spitzen Schrei fuhr sie hoch. Demokedes neben ihr atmete ruhig und gleichmäßig, auf ihrer Stirn aber standen die Perlen der Anstrengung, das leichte, seidene Betttuch klebte an ihren weiblichen Rundungen. Erschöpft sank sie zurück in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
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