Читать книгу Die Facebook-Entführung - Jürgen Hoffmann - Страница 16
Lovley Rita, Roswitha Maid
ОглавлениеMeine Liebe zu Facebook ist eine sanfte Liebe.
Aber ich kann mich ja sogar in Äpfel verlieben, es ist verrückt. Große Sache für mich, wenn ich im Garten einen Apfel pflücke, der Ast spannt sich und spannt sich noch mehr und fast droht er zu brechen, bis er mit einemmal doch die Frucht freigibt. Ich trage sie nach Hause und spüre in meiner Hand sehr genau die, je mehr man darauf achtet, spektakuläre Glattheit der Oberfläche. In meinem Zimmer, wenn der Apfel und ich allein sind und keiner uns sieht, beiße ich tief in ihn hinein, langsam in einem Zug, der Saft fließt in kleinen Mengen an meinen Mundwinkeln hinab, süsssauerer Saft. Danach steht der Restapfel unter Beobachtung, zwei Stunden danach, 6 Stunden, 14 Stunden, auf die Minute einen Tag nach der Pflückung, wie sich die Bisswunde bräunlich einfärbt und die Oberfläche sehr langsam, aber komplett unaufhaltbar seine Glätte verliert.
Ich muss mich verbergen vor der Welt, das habe ich sehr früh begriffen, weil ich einfach zu weich bin, zu rührselig. Mein liebevolles Strahlen wirkt auf andere Menschen debil, jetzt hör doch endlich mal auf mit deinem scheinheiligen Gegrinse, das ist ja furchtbar. Alle sagen das, und Sebas sagt es auch. Mein lieber Sebas, der sich so anstrengt und es deshalb nicht gut macht. Mit ihm zu schlafen ist eine Anstrengung, vor allem für ihn, für mich aber auch. Er achtet auf alles, das heißt, er achtet nicht auf seinen Körper, so eitel ist er nicht, aber darauf, was er mit ihm macht. Er überlegt, wenn er in mir drin ist, was der richtige Rhythmus ist, es ist vollkommen verrückt und eigentlich furchtbar. Das richtige Tempo und ob er mir mit der Hand über das Haar streichen soll, wenn ich ihm einen blase. Gar nicht gut, wenn man beim Küssen spürt, was das für eine Aufgabe für ihn ist! Trotzdem habe ich ihn geliebt und liebe ich ihn, sogar noch mehr als die anderen Menschen und natürlich auch mehr als einen frischen und dann schnell alt werdenden Apfel, die Beschaffenheit der Gehwege in unserem Ort und die völlig dummen, hilflosen und zu absolut nichts, was das Leben ausmacht, fähigen Insekten. Meine Rundumliebe schließt auch mich selber ein; wenn ich zehn Minuten hochkonzentriert und absolut fokussiert auf meine Hand schaue, habe ich das Gefühl, ich müsste unbedingt vor Dankbarkeit auf die Knie gehen, dass so etwas Wunderbares wie meine Hand tatsächlich möglich ist und, völlig schräg, sich dann sogar in meinem Besitz befindet.
Das Verrückte ist, dass ich völlig sicher bin, nicht verrückt zu sein. Ich weiß, würde ich über meine Beziehung zu Äpfeln und zu meiner rechten Hand erzählen, wäre das ein starkes Argument für jeden Arzt, mich irgendwo einweisen zu lassen. Und viele Verrückte wissen ja auch nicht, dass sie verrückt sind, mir ist das alles sehr bewusst, aber noch bewusster ist mir eben, dass sich die Dinge bei mir anders verhalten. Was ich sage (empfinde!), klingt nur verrückt, ist es aber nicht. Oder vielleicht ist es sogar verrückt, aber nicht in dem Sinne, dass es mich irgendwie einschränken oder meinen Blick trüben würde. Ich UNTERHALTE ganz normale Beziehungen zu anderen Menschen und finde mich in dieser, oh ja, durch und durch wunderbaren Welt richtig gut zurecht, da ist einfach nichts, was man ernsthaft als Problem bezeichnen könnte. Ich habe eben nur einen völlig übersteigerten Blick für das Schöne und Liebenswerte in der Welt, auch wenn ich damit vielleicht falsch liege. Ist am Ende gar nicht alles so beseelt, wie ich denke? Nein, ich glaube nicht, dass ich mich täusche.
Facebook, das muss ich so sagen, hat meine Freude an dieser Welt noch einmal enorm gesteigert. Ich kenne die ganzen Einwände gegen Facebook, Google, Trallalla, die Typen legen Kundenprofile von dir an, verkaufen sie an die Werbeindustrie und verdienen damit ein Schweinegeld. Du bist nicht Kunde von Facebook, sondern das Produkt, das sie verkaufen. Darüber kann man sich aufregen, ja wirklich, ich habe auch „Der Circle“ von Dave Eggers gelesen, aber ich sehe die Sache eher persönlich, ich kann nicht anders. Im Grunde halte ich das mit allen Dingen so, die Aufforderung, bei sich selbst anzufangen, stößt bei mir auf taube Ohren. Nicht mein Job, die Welt zu retten, Google in die Schranken zu weisen, irgendwelche Klimaziele zu erreichen, ich meine, genau dafür haben wir doch die Politik erfunden, und ich persönlich habe nicht den Größenwahn, durch mein Konsumverhalten, das ja volkswirtschaftlich gesehen mikroskopisch klein ist, irgendetwas verändern zu können.
Außerdem habe genug damit zu tun, die Welt zu lieben und nicht komplett alles zu übersehen, was es wert ist, gesehen zu werden. Die kleinen Freuden sind Legion! Zum Beispiel ein neuer Schraubverschluss bei meiner bevorzugten Saftmarke, der so leise knackt und vibriert, wenn man die Flasche öffnet. Und das alles gilt eben auch für Facebook. Man darf sich die Freude daran nicht verleiden, indem man dauernd prinzipiell darüber nachdenkt. Diese Art des Denkens versperrt uns nur den Weg zu Wahrheit und Glück. So sehe ich das.
Facebook. Du musst dich dieser Website mit Liebe nähern, sie ist blau, vor allem aber ist sie ein absolutes Wunder, ein Menschheitstraum, erdacht bestimmt schon vor hunderten von Jahren. Du gehst auf die Seite und unter den ganz extrem vielen Dingen, die auf dieser Seite sind, bist auch du, also du gehst auf diese Seite und bist schon da, mit deinem Profil, das immer da ist, und mit deinen Posts, die wachsen, gedeihen und sich ihren Weg bahnen durch eine Welt, die du mit zwei Milliarden Menschen teilst, weltweit, global, überall, kleine Dörfer, große Städte, dicke Kinder, kranke Männer, seltsame Hausfrauen, Nepper, Schlepper, Bauernfänger, liebe Menschen, einsame Menschen, ehrgeizige Menschen, rufende Menschen. Und mit allen diesen Menschen kannst du in Kontakt treten, wenn du es nur willst, freier Zugriff nicht auf die Welt (den Wald gibt es nur im Wald, das Wasser auf der Haut nur mit Wasser), aber auf die darin lebenden Menschen.
Du bist ein winziges Rädchen in dieser Welt und doch so sehr Teil davon, im Grunde ist es wie in der Offline-Welt, nur merkt man es da nicht so, man sieht es nicht, obwohl es so ist, wir sind alle ein Teil, aber man sieht es nicht, bei Facebook aber eben schon, diese Welt liegt dir zu Füßen, du siehst auf sie herab wie ein höheres Wesen, und was du unter anderem siehst, bist du selbst, und dieser Anblick ist so überwältigend, groß und schön, dass du schon ein sehr, sehr großes, die Sicht versperrendes Ego haben musst, um das nicht zu erkennen. Ich bin mir so ohnmächtig sicher, dass das ein uralter Menschentraum ist, sich und die anderen so sehen zu können, to appreciate, wir sollten dankbar sein, die Erfüllung dieses Menschheitstraums erleben zu dürfen, diese Erweiterung unseres Lebens, diese Vergrößerung der Fließgeschwindigkeit unseres Ichs.
Manchmal gehe ich drei Tage nicht auf Facebook, was eine ungeheuere Willensanstrengung darstellt, ein Exerzitium. Du bist nicht in der Facebook-Welt, aber gleichzeitig weißt du, dass ein Teil von dir es doch ist, es entwickelt sich etwas mit dir, ohne dass du dabei ist, was natürlich absolut spirituell ist. Wenn ich mich dann einlogge ist es so, als würde ich mein Ich updaten. Wieso „als würde“?, ich date mein Ego ab. Absolut gesehen, also gemessen an meinem Gesamt-Ich mit all seinen Gedanken, Erlebnissen et cetera, sind die Veränderungen natürlich marginal, aber das macht es nur noch schöner, weil handhabbarer, beherrschbarer, verarbeitbar. Und selbst diese kleinen Veränderungen geben einem noch mehr als genügend zu tun. Beim letzten Mal: 9 neue Kommentare auf meine Posts plus 12 Kommentare zu meinen Kommentaren auf Posts von anderen. 4 neue Freundschaftsanfragen. Zu checken außerdem, was sich bei meinen 415 Facebook-Freunden in den vergangenen drei Tagen getan hat. Ich verarbeite das alles mit Bedacht und spüre richtig, wie sich in meinem Kopf Synapsen bilden und in Bewegung setzen. Ist das alles bedeutungsloses Geschnatter, oberflächliches und vor allem extrem flüchtiges Zeug, eine Verschwendung von Zeit und Lebensenergie? Wer so denkt, hat von der Poesie des Lebens nichts verstanden. Ja, meine Posts von vor sieben Wochen sind vergessen (immerhin aber noch auffindbar, was einen großen Unterschied macht), aber: Würden wir im normalen Leben damit aufhören, mit Leuten zu sprechen, nur weil die allermeisten dieser Gespräche in Vergessenheit geraten und keine sichtbaren/messbaren Folgen haben? Niemals, was für ein absurder Gedanke! Unser Leben ist mikroskopisch klein, alles, was wir tun, ist mikroskopisch klein. Das zu beklagen hieße, sich über das Leben selbst zu beklagen.
Drohe ich durch die intensive Beschäftigung mit meinem Facebook-Leben den Bezug zum richtigen Leben zu verlieren? Gar nicht. Es ist andersherum, mir ist, als sei mein Leben viel anfassbarer geworden, präsenter, auch wenn das seltsam klingt. Ich denke immer: Mein wahres Ich ist nicht etwas tief in mir drin, was ich entdecken muss, sondern es ist das, was ich hinaus in die Welt schicke - und die Reaktionen darauf helfen mir, überhaupt erst der zu werden, der ich bin (als der ich gedacht bin). Die Gedanken, die ich auf Facebook poste, sind doch lauter Dinge, die mir gar nicht eingefallen wären, wenn es Facebook nicht gäbe! Und das mit der „realen Welt“, es ist so: erstens, zweitens, drittens.
Erstens: Leute, die ich kenne. Die treffe ich natürlich weiterhin auch in echt, und zwar, glaube ich, nicht weniger, als ich es täte, gäbe es Facebook nicht. Nur dass diese Begegnungen schöner sind als davor. Ich merke das an meinen Bekannten, mit denen ich nicht auf Facebook befreundet bin. Es ist, als fehle in diesen Bekanntschaften eine Dimension. Eine wichtige Dimension. Ich weiß, was Josef die vergangenen drei Wochen gepostet hat, und wenn ich ihn treffe, kann ich Dinge sagen wie: „Josef, sehr bedenklich, was für einen Pegida-Scheiß zu plötzlich sharst! Alles in Ordnung in deinem Kopf? Wir sollten darüber reden - oder uns besser gleich entfreunden.“ „Auf Facebook?“ „Ja, erst mal nur auf Facebook. Möchte nicht, dass die Leute denken, ich hätte etwas mit Leuten zu tun, die so ein Zeug verlinken.“ „Okay, aber privat können wir ja darüber sprechen. Ohne Zeugen. Wenn dir das nicht zu privat ist.“
Zweitens: Leute, die ich durch Facebook überhaupt erst kennenlerne! Die mir dann auf der Straße, im Konzert, in der Kneipe nicht als Fremde gegenübertreten, sondern als Somehow-Buddies. Bei manchen davon: „Ich hätte mich dir ganz anders vorgestellt!“ Bei anderen: sofortige Vertrautheit, was eine komplett neue Erfahrung ist, die es bei reinen Offline-Offline-Bekanntschaften gar nicht gibt, weil es sie ja gar nicht geben kann.
Drittens: Wiederentdeckungen! Alte Hits, die man lange nicht mehr gehört hat, die jetzt aber digital abrufbar sind. Ronny, der mit seinen Eltern mit 14 weggezogen ist und seitdem in Mexiko lebt, was ja an sich schon sehr, sehr aufregend ist. Wenn ich mich mit ihm auf Facebook befreunde, sehe ich nicht nur ihn, sondern seinen Facebook-Kosmos. Eine ganze Welt, die man an einem lauen Nachmittag entdecken kann. Awesome!
Du musst lernen, das Instrument Facebook zu spielen. Wenn du das schaffst, gehen Türen auf, von denen du davor nicht einmal etwas geahnt hast.
Gleich groß oder größer, wenn Leute mich überraschend in meiner Wohnung besuchen, um mir seltsame Dinge zu erzählen. Vorgestern Peter, gestern Hubertus Link.
Peter ist okay, er ist der beste Freund von Sebas, daher kenne ich ihn auch. Abende zu dritt, bei denen man sich als Paar immer die Frage stellt, wie zutraulich man sein darf. Ich bin in diesen Dingen offen und hätte nichts dagegen gehabt, Sebas zu küssen und Peter dabei zusehen zu lassen. Viel mehr als nur küssen. Mit Sebas war das nicht möglich (einer der Gründe, warum wir nicht mehr zusammen sind, aber nicht der wichtigste), bei Peter bin ich mir da nicht so sicher.
Sebas ist ein Problemfall, das habe ich ja schon angedeutet. Wir kamen ganz zum Anfang des Studiums zusammen, der entscheidende Kick war nicht, dass wir uns Hals über Kopf verliebt hätten, sondern dass wir beide den festen Vorsatz hatten, innerhalb der ersten drei Wochen an der Uni jemanden zu finden, mit dem man die neue Lebensphase starten kann. Kein Single mehr zu sein bedarf es wenig, und wer es nicht mehr ist, dem geht es besser. Wir saßen also in der Mensa zusammen und signalisierten durch explizit offenes Lächeln die Bereitschaft, offen zu sein für sehr viel. Er:
„Auch neu?“
„Ganz.“
„Es ist toll hier, tausend interessante Leute. Ich finde es nur ein bisschen schwierig, die richtige Orientierung zu finden.“
„Ja, das geht auch besser zu zweit.“
„Viel besser.“
Ich lache und denke mir, ich lebe jetzt in der absoluten Freiheit, mehr als es jemals später der Fall sein wird, und wenn ich jetzt nicht mutige Dinge tue, werde ich es später erst recht nicht tun, also sage ich:
„Um ehrlich zu sein: Ich habe mir vorgenommen, mir hier sofort einen Freund zu suchen. Also sofort in der Bedeutung von: Erst Beziehung und dann gegenseitiges Kennenlernen. Ich muss nur noch jemand finden, der mitzieht.“
„Na, so gut wie du aussiehst, dürfte das kein allzu großes Problem darstellen.“
„Wow, das war jetzt eine richtig gute Antwort! Sehr gut, wirklich sehr gut.“
Es funktionierte tatsächlich, eine Stunde später hatten wir die Ehe auch körperlich vollzogen. Ich mochte Sebas, ich mochte ihn sogar sehr, er ist ein wirklich guter Junge mit einem unglaublich geringen Anteil an bösen Gefühlen. Nur leider ist er auch sehr uninteressant, und zwar in dem Sinne, dass ihm alles das, was interessant an ihm ist, Angst macht oder peinlich ist. Ich habe ihm immer wieder zu erklären versucht, dass alle Leute, aus denen etwas geworden ist, es irgendwann geschafft haben, ihren Schatten zu befreien, mit ihm zu arbeiten, und dass es absolut in eine Sackgasse führt, sich andauernd zu verstecken und sich einfach nicht zu trauen, die Dinge und sich selbst ein bisschen laufen zu lassen. Jedes Ich braucht Auslauf, sonst kann aus deinem Leben nichts werden. Sebas hat es verstanden, zumindest irgendwie, aber er schaffte es einfach nicht, meinen Rat wirklich zu beherzigen. Und so erschöpfte sich unsere Liebe bald im Austausch von Freundlichkeiten.
Ihn zu verlassen hätte ich dennoch nie übers Herz gebracht. Ich schätze, ich werde mein ganzes Leben lang zu den Frauen gehören, die darauf angewiesen sind, verlassen zu werden. Als Sebas mir schließlich den Laufpass gab, weil er erkannte, dass von mir nicht mehr viel zu holen war, war ich am Ziel meiner Wünsche. Er hatte sich in der Zwischenzeit - seit wir zum ersten Mal miteinander im Bett gewesen waren, waren neun Monate ins Land gegangen - gut an der Uni akklimatisiert, er hatte eine Reihe von oberflächlichen Freundschaften geschlossen, und sein hübsches Gesicht, sein makelloser Auftritt, seine Herkunft aus fast schon reichem Hause sowie die Gewissheit, dass er es im Leben schon zu etwas bringen würde, war etwas, was ihn für genügend junge Frauen zu einem begehrenswerten Partner machte.
Umso größer war meine Überraschung, als Peter bei mir auftauchte und sagte, Sebas sei in Problemen.
„Du machst Witze.“
„Verfolgst du seine Facebook-Posts?“
„Eigentlich schon, absolut. In den letzten zwei, drei Wochen nicht mehr so. Ehrlich gesagt habe ich ihn auch aus meinem Newsfeed verbannt. Ich habe so viele Facebook-Freunde, dass ich einfach ein bisschen haushalten muss, okay? Aber jetzt tut es mir wahnsinnig leid. Ich hätte das nicht tun sollen, völlig klar.“
Peter erzählte mir, was los ist, alles sehr verwirrend und beunruhigend und also sehr willkommen. Ich war sofort bereit, zu helfen, aber weder Peter noch ich hatten eine Vorstellung davon, wie diese Hilfe aussehen könnte. War er nun entführt worden oder war es das nicht? Was war von seiner flehentlichen Bitte an Peter zu halten, um Gottes Willen nicht die Polizei einzuschalten? Abgesehen davon, dass man dieser Bitte natürlich unbedingt Folge zu leisten hatte? Wir verblieben schließlich so, dass wir noch zwei Tage warten und dann noch einmal Sebas’ Vater unsere Aufwartung machen.
Aber dann, am nächsten Tag, kam mein Ex-Lover Hubertus Link, was eine noch viel größere Überraschung war als der Auftritt von Peter. Ich hatte mal etwas mit ihm, aber nur sehr kurz und mit so wenigen Gefühlen wie mit keinem anderen davor, was natürlich auch eine interessante und gute Erfahrung war. Der Mann hat ein so großes Ego, aber eigentlich so, dass man sofort denkt, sein großes Ego ist in Wirklichkeit klein, was ich absolut nicht als Kritik meine, sondern im Gegenteil, ein kleiner Wicht, der sich aufschwingt zu einer respektablen Scheingröße, das hat erst einmal meine Anerkennung. Egal, das Gute an der Sache mit Link war die beidseitige Bereitschaft, Ungewöhnliches zu tun. Wie zum Beispiel was? Wie zum Beispiel: einen Einbruch vorzubereiten. Und ihn dann auch durchzuführen. Komplett okay für mich (weil: jung!), komplett peinlich für ihn (Begründung folgt). Wir drangen in eine Wohnung ein (Mietshaus, mehrere Parteien), die verblüffendste Erkenntnis war, wie leicht sich normale Türen öffnen lassen, nicht nur in Krimis, sondern eben auch in echt. Es war mitten am Nachmittag, nichts los, aber trotzdem. Der Kick bestand nicht darin, etwas zu klauen, sondern Sex zu haben in einem fremden Bett, Link spritzte mir diesmal nicht ins Gesicht, sondern auf das Laken, außerdem holten wir zwei Bier aus dem Kühlschrank und ließen die Tür offenstehen, damit er unkontrolliert abtauen kann. Erst später beschlich mich der Verdacht, dass das Ganze ein Fake war, also kein echter Einbruch in eine echt fremde Wohnung, sondern arrangiert, aber im Grunde glaube ich zu 55 zu 45 Prozent heute noch, dass die Dinge so waren, wie sie schienen, also echt. Anyway, die zwei Stunden waren wirklich ein großes Vergnügen, in Bettwäsche zu liegen, die nach Menschen riecht, die man nicht kennt, war eine Sensation, eine wirklich große Sache, die mich bis heute angenehm verfolgt. Wie unser Bild im Schlafzimmerspiegel und die Geräusche und der wahnsinnig traurige Schmutz in der Wohnung, der nichts mit mir zu tun hatte und mir doch so nahe ging.
Alles okay für mich, weil jung, aber warum ließ Manager Link sich auf so etwas ein? Er ist Vertriebsvorstand, verdient 600.000 Euro im Jahr, und hat mir seine Arbeitsweise einmal so beschrieben: „Ich bereite mich nie vor, nur zu AR-Sitzungen. Morgens holt mich ein Fahrer ab, danach zackzack ein Termin nach dem anderen. Ich bin vollkommen entspannt, ich habe keine Angst. Abends vor dem Schlafen: ein Glas Whiskey.“ Vollkommen entspannt, always on und der Beweis dafür, dass man auch ohne Social Media ein Kommunikations-Junkie sein kann. Einmal war ich zwei Stunden mit ihm im Auto, davor die Sorge, bisschen sehr lang, zwei Stunden ohne Sex mit ihm, wie soll das funktionieren?, aber es funktionierte federleicht, ständig rief ihn irgendjemand auf seinem Smartphone an, und wenn ihn mal fünf Minuten keiner anrief, rief er eben jemanden an. 90 Prozent der Gespräche waren informeller Natur. Ein ständiges Abchecken. Link in seinem Element, aber ganz offensichtlich reicht das alles nicht. Der Mann ist nie zufrieden, es wohnt keine ewige Unzufriedenheit in ihm, sondern sie wütet. Er wirkt ständig bereit, ohne genau zu wissen, wofür. Wahnsinnig anstrengend.
Bei seinem Besuch war er irre aufgeregt, das war schön, irgendwie war es so, als zerfiele er vor meinen Augen. Ob ich bei etwas mitmachen würde, von dem er mir nicht exakt erklären könne, worum es sich handle? Was mir vielleicht sogar obskur vorkäme? Ich lachte so, wie er es erwartet hatte, und sagte das, was er hören und ich sagen wollte:
„Am liebsten bin ich bei Sachen dabei, bei denen ich nicht genau weiß, worum es sich handelt. Die eine hidden agenda haben. Im Ernst: Ich wüsste nicht, was ich lieber machen würde.“
„Okay, meine Liebe, dann pass mal schön auf.“
Es ging, anfangs gähnte ich leicht, um einen Post auf Facebook. Aber dann: Um einen Post IM NAMEN SEBAS. Das klang sehr okay. Eine halbe Stunde komponierten wir zusammen, dann stand der Song in seinen Grundzügen. Die Ausarbeitung danach allein. Und jetzt schauen wir, was und ob etwas passiert. Wir werfen einen Stein in den See und beobachten die Wellen. Die Wellen sind die Schönheit; deine.
Lovely Roswitha, ist sie wirklich so gut und nett? Was sie ganz sicher ist: angenehm. Keine Bedrohung! Und das ist ein Vorteil, so groß und schön duftend, dass man ihn nicht hoch genug bewerten kann. Jeder Blick, der auf uns fällt, scannt uns ab nach Schwächen und Angriffspunkten, wir sind ein Opfer, potenziell oder echt. Roswitha sieht deine Schwächen auch, vielleicht sogar besser als fast alle anderen, aber sie verzeiht dir alles und sofort. Ihr fehlt das Killer-Gen, und das spürst du und suchst ihre Nähe.
Roswitha hat mehr Erfolg bei Männern, als sie haben sollte, wenn nur das Aussehen zählte. Sie ist keine Trophäe, die du stolz ausführen kannst, aber du weißt, wenn ihr allein seid, erfüllt sie dir Wünsche, die du vor anderen Frauen verbergen musst. Sie blickt in deinen Abgrund, sie sieht deinen Schatten und heißt ihn willkommen. Du liegst am Boden und sie beißt nicht in deine ungeschützte Kehle.