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ALLES NUR THEATER?

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Amerikas berühmtester Football-Trainer war der Verfechter eines erbarmungslosen Körperkults. Ein Typ wie geschaffen für den Broadway

Rund eine Stunde ehe im fernen Dallas die Begegnung des Jahres angepfiffen wird, beginnt im Circle in the Square Theatre am New Yorker Broadway ein Rennen gegen die Uhr.

„Viele von ihnen sind Packers-Fans geworden“, sagte der Produzent der Broadway-Produktion neulich über die Schauspieler, die in ihrem neuesten Stück mit dem schlichten Titel Lombardi die Erfolgsgeschichte des berühmtesten Football-Trainers Amerikas erzählen und sie zu einem Publikumserfolg gemacht haben.

Also werden die Mitglieder des Ensembles nach dem letzten Vorhang der Nachmittagsvorstellung wie schon vor zwei Wochen vor dem Spiel um die Conference Championship von der Bühne hasten und sich abschminken, um rechtzeitig in einer der Kneipen in der Gegend einen Platz zu erhaschen und das Ganze im Fernsehen verfolgen zu können. Für sie hat das Spiel nämlich eine besondere Bedeutung: In diesem Jahr haben die Green Bay Packers, zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren den Super Bowl erreicht und greifen mal wieder nach dem schweren Goldpokal, eine Auszeichnung, die man zu Ehren des alten Packers-Trainers Vince Lombardi Trophy nennt52. Also jenes Mannes, den die Schauspieler in Manhattan aus dem altvertrauten Milieu herausgezogen und auf die Bühne gebracht haben.

Halb Amerika steht beim Finale der National Football League still. Mehr als 100 Millionen Amerikaner verfolgen das Spiel live am Bildschirm. So mancher von denen wird in solchen Momenten nostalgisch, nicht nur die Schauspieler am Broadway, die sich dieser Tage beruflich mit der Geschichte des legendären Coachs auseinandersetzen, der vor einem halben Jahrhundert den Profi-Football mit einfachen Spielzügen und schlichten, einpeitschenden Slogans geprägt hatte. Zu seinen Hinterlassenschaften gehören wahre Aphorismen-Klassiker, die heute jedes Kind in den USA kennt. Wie etwa dieser: „Gewinnen ist nicht alles, es ist ein und alles.“

Lombardis Sprüche, mit denen er seine Spieler im Stil eines aufgeblasenen Feldwebels anherrschte, klangen kaltschnäuzig und zynisch zugleich: „Niemand hat jemals wirklich Schmerzen“, sagte der autoritäre Patriarch, dessen kurzkrempiger Hut und dessen dickrandige Brille zum Markenzeichen wurden, seinen verletzten Spielern. „Schmerzen hat man nur im Kopf.“

Die knochenkrachende Sportart konnte nun mal keine Weichlinge gebrauchen. Schon gar nicht in einer Zeit, als in den USA dank Rassenunruhen, Flower Power und dem Krieg in Vietnam die gesellschaftliche Orientierung aus dem Ruder lief. „Ich denke, es gibt nur einen Weg, um Spieler in diesem Geschäft zu trainieren“, sagte Lombardi, der einst unter anderem an der Militärakademie in West Point als Assistenztrainer gearbeitet hatte. „Du musst so hart sein wie das Geschäft.“

Dass die gute alte Zeit romantisiert und ihre erfolgreichsten Repräsentanten zu Überfiguren stilisiert werden, wirkt verstörend und nachvollziehbar zugleich. Schließlich hatte Lombardi, der Sohn italienischer Einwanderer aus Brooklyn, die Packers vom schlechtesten Team der Liga zum unschlagbaren Abonnementssieger gemacht und Green Bay, die kleinste Stadt im Universum der NFL, wo man im Winter während der Saison bei Temperaturen bis zu minus 25 Grad vor ausverkauften Rängen Football spielt, zur Title Town.

Das Theaterstück am Broadway, das auf der 1999 erschienenen Biographie When Pride Still Mattered: A Life of Vince Lombardi von David Maraniss beruht, ist nur ein Teil der Kanonisierung des Mannes, der 1970 im Alter von 57 Jahren an Krebs starb.

Lombardis Vita verlief keinesfalls geradlinig. Er war ein abgebrochener Jurastudent, der mit 26 als Lehrer an einer High-School gelandet war. Dort unterrichtete er Latein, Chemie und Physik. Erst mit 41 fand er seine wahre Berufung. Da übernahm Vince Lombardi eine Position als Assistenztrainer eines New Yorker Profi-Football-Clubs.

Dies war das Sprungbrett für den großen Karriereschritt vier Jahre danach zum Cheftrainer der Green Bay Packers. In dieser Position wurde er wenig später so etwas wie der Chefideologe einer schlichten Weltsicht. Die eines autoritären Denkens – als Teamgeist verbrämt –, wie es im Volkssport American Football verankert ist.

Das Anforderungsprofil, das seine Spieler erfüllen mussten, so sagte er mal in einem Interview, bestehe aus nur drei Dingen: Familiensinn, Religiosität und Einsatzbereitschaft:

„There is three things as far as I am concerned. One is the man’s family and two is religion and number three must be the Packer football team.“

Football ist ein Spiel voller Gewalt und militärtaktischer Disziplin. Seine wichtigsten Figuren sind nicht die Gladiatoren auf dem Platz, sondern die Trainer am Rand. Feldherrn und Marionettenspieler. Mystiker und Poeten eines erbarmungslosen Körperkults.

In dieser Rolle brillierte Vince Lombardi wie kein anderer. Denn seine Packers gewannen und bestätigten auf diese Weise seine Aura, durch die er für ein paar Jahre so etwas wie der Pädagoge der Nation wurde.

Ein harter Mann in einem harten Geschäft, dessen Organisatoren sich auf eine einfache Weise bei ihm bedankten. Sie gaben dem Pokal, den die siegreiche Mannschaft beim Super Bowl erhält, seinen Namen.

Um eine solche Figur auf die Bühne zu bringen, brauchte der stämmige Hauptdarsteller Dan Lauria kaum Requisiten. Nur eine Brille, eine mit schwarzer Farbe vorgetäuschte Zahnlücke und diesen deftigen New Yorker Akzent: „We’re only here because we wanna win and when we lose we’re gone. Therefore we have to win.“

„Wir sind nur hier, weil wir gewinnen wollen. Wenn wir verlieren, sind wir weg vom Fenster. Also müssen wir gewinnen.“

Gewinnen – das war von Anfang an natürlich auch das Ziel von Eric Simonson, dem Autor des Stückes, der vor fünf Jahren einen Oskar für den Dokumentarfilm A Note of Triumph erhielt. Die Rechnung scheint aufgegangen. Die Produktion ist ein Publikumserfolg.

Ein Docudrama, wie die Zeitung USA Today nach der Premiere im Oktober schrieb – „vorhersehbar und verdaulich“. Leider beschäftigt sich das Schauspiel nur wenig mit den inneren Befindlichkeiten des Menschen Lombardi, in dem ein Vulkan gebrodelt haben muss. Stattdessen geht es einmal mehr um sein Rollenspiel als Trainer, Stratege und Phrasendrescher. Mit anderen Worten: Eine vertane Chance. So besteht die eigentliche Leistung des Bühnenwerks vor allem darin, die proletarisch geprägte Footballkundschaft an den Broadway zu locken.

Das Timing für die Produktion hätte übrigens nicht besser sein können. Denn die Packers von heute genügen zum ersten Mal seit langem wieder Lombardis Ansprüchen. Sie sind erfolgreich und haben beste Chancen, den Super Bowl gegen die Pittsburgh Steelers zu gewinnen.

In den Übertragungen vom Super Bowl erfährt man nur wenig darüber, auf welch vielfältige Weise sich in den USA immer wieder Sport und der klassische Kulturbetrieb begegnen. Dabei waren und sind dies höchst anregende und unterhaltsame Experimente. Selbst dann, wenn sie gar nicht erst versuchen, die sperrige kultische Dimension von Sport einer gebührenden kritischen Aufarbeitung zu unterziehen, sondern eher die Legendenbildung vorantreiben. Kinofilme über das Leben und Leiden von Baseball-Profis wie Babe Ruth oder Lou Gehrig oder ironische Komödien voller Sympathien für ihre Charaktere wie Bull Durham oder Slap Shot wollen ihre Zuschauer vor allem unterhalten. Die Anregung zum Nachdenken verstehen sie nicht als ihre Aufgabe.

Trotzdem nimmt immer mal wieder jemand die Folie des Sports und arbeitet sie konsequent in ein Stück Literatur ein – so wie etwa Don DeLillo in seinem Roman Unterwelt von 1997, in dem ein historischer Homerun als Zeitachse für das große Ganze dient – von den Katakomben des Kalten Krieges bis zu den Müllhalden der Zivilisation.

Zu den gelungenen Ergebnissen, Sportalltag und künstlerische Ambitionen zu verflechten, gehört übrigens ebenfalls eine Broadway-Produktion: das Baseball-Musical Damn Yankees von 1955 von Richard Adler und Jerry Ross, eine moderne Form des klassischen Faust-Stoffs. Es wurde auch in der Film-Version 1958 ein Erfolg. Ein Hollywood-Remake ist im Gespräch.

Ein Film über das Leben des Footballtrainers Vince Lombardiist seitdem ebenfalls geplant. Niemand anderer als Robert De Niro soll ihn spielen.

(2011)

Verglichen mit der Popularität des amerikanischen Sports sind Versuche, seine Themenwelt auf die Bühne zu bringen, eher dünn gesät. Immerhin: Es gibt und gab eine Reihe von Musicals wie Damn Yankees oder Good News, das ein bedeutendes Football-Spiel als Aufhänger nutzt und in den zwanziger-Jahren entstand. Es fand zu jener Zeit durchaus sein Publikum. Ebenso wie Golden Boy, ein Stoff aus dem Boxer-Milieu der dreißiger-Jahren, das in der Fassung mit Sammy Davis Jr. in der Hauptrolle 1964 Premiere hatte. Der erfolgreiche Musical-Komponist Andrew Lloyd Webber (Cats, Jesus Christ Superstar, The Phantom of the Opera) nahm 2000 mit The Beautiful Game Fußball ins Visier.

Dramen ohne musikalische Elemente gab es häufiger. Beispielsweise The Changing Room von David Storey (1973), das als Schauplatz eine englische Rugby-Umkleidekabine nutzt. Howard Sackler schrieb in den Sechziger-Jahren ein Drama vor dem Hintergrund der Rassenproblematik im Boxen: The Great White Hope. Experimente gab es auch, wie 2012 die Produktion Magic/Bird über die besondere Beziehung der Basketball-Rivalen Magic Johnson and Larry Bird, an dem Kritiker des New Yorker vor allem die eingespielten Archivvideo-Elemente gefielen. Die Inszenierung selbst wirkte in ihrem Versuch, diese beiden Sportler mit gesellschaftlich relevanten Aspekten ihrer Biographien zu verknüpfen, allerdings eher „gestelzt“.

Manchmal sind scheinbar griffige Titel eher irreführend. In Federer Versus Murray zum Beispiel spielt Tennis nur eine Nebenrolle (im Hintergrund läuft die Fernsehübertragung eines Spiels der beiden).

52 Die Green Bay Packers gewannen in diesem Jahr (2011) tatsächlich den Super Bowl – zum vierten und vorerst letzten Mal. Die Mannschaft bezwang die Pittsburgh Steelers mit 31:25.

Der Stoff, aus dem die Helden sind

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