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Szenekundig

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Der Kaffee ist kalt. Geschmeckt hat er von Anfang an nicht.

»Wie lange wollen die uns hier noch schmoren lassen?« Wir sitzen bestimmt seit 30 Minuten in dem Besprechungsraum der Ulmer Hauptzentrale. Er ist noch schlimmer als der unsere. Kalt und kahl. Tisch, Stühle, das war’s. Eigentlich ist das gesamte Gebäude so. Kein Wunder, dass ich mich hier immer frage, ob ich im richtigen Job gelandet bin.

»Kennen die Fans eigentlich die SKBs?«

Ich grinse Schröter an. »Den Stallgeruch kriegst du nicht weg.« Die szenekundigen Beamten agieren zwar in Zivil, man braucht aber nur darauf zu achten, wer im Block bei einem Tor der Heimmannschaft nicht aufspringt.

Endlich geht die Tür auf, und die zwei Beamten kommen rein. Der erste in Uniform. Ich dachte, ihr seid in Zivil unterwegs? Der zweite nicht.

»Morgen, Kollegen. Thomas Scharf, SKB.« Der Uniformierte schüttelt Kaugummi kauend meine Hand, kräftig, dann die von Schröter.

»Guten Morgen. Frank Neupert«, stellt sich der andere vor. Sein Händedruck ist weicher. Sein Tonfall auch.

»Ich sehe, Sie haben sich bedient«, meint Scharf und grinst kauend.

Ja, danke, wir sind bedient.

»Katrin Benzeler war selbstverständlich auf unserem Radar. Kategorie B.« Scharf schüttet die schwarze Plörre in sich hinein als sei es Bier und kaut munter dabei weiter.

»Warum B?«, frage ich. »Sie war doch keine Randaliererin?« Unsere Fußball-Beobachter teilen die Fans intern in die Kategorien A, B und C ein. A ist der »Normalo« oder der brave Kuttenfan, der einfach nur für seine Mannschaft schwärmt, aber friedlich ist. Kategorie B der Fan, der sich in bestimmten Situationen gewaltbereit zeigt, und C ein Hooligan: Ihm geht es nicht um den Sport, sondern ums Prügeln. »Gewaltsuchend«. Nach der offiziellen Einteilung umspannen die Ultras alle drei Kategorien. Ansichtssache.

»Benzeler neigte zu Provokationen«, meint Scharf. »Gegen die gegnerischen Fans wie gegen die Einsatzkräfte. Die Kleine war kaum zu bändigen.«

Ein Gefühl durchfährt mich, das ich nicht einordnen kann. Ich muss innerlich schmunzeln.

»Sie hat sich oft genug auch mit der BFE angelegt.«

»Mit den Schwarzen Gespenstern?«

»Ja.«

Schwarze Gespenster sind Leute der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten, kurz BFE, also spezialisierte Kräfte der Landespolizei, die die örtliche Polizei beim Vorgehen gegen gewalttätige Störer unterstützen. Die Dienstvorschrift spricht von »beweissichernden Festnahmen an Brennpunkten unfriedlichen Geschehens«, Großveranstaltungen also, bei denen Auseinandersetzungen zu erwarten sind; Unruhen, Demonstrationen oder Fußballspiele.

»Sich mit der BFE anzulegen ist keine gute Idee«, meint Schröter.

Gespenster nennen wir sie vor allem deshalb, weil die in ihrer ganz eigenen Dimension leben. Zumindest hat man manchmal das Gefühl, dass sie in ihren Kasernen wenig von der realen Welt hier draußen mitkriegen. Und werden sie dann einmal zum Einsatz rausgelassen, dann tragen sie meist noch eine schwarze Sturmhaube unterm Helm. Gesichtslose Geister.

»Da bist du schnell weg vom Fenster«, stimme ich ihm zu.

Mir jedenfalls ist keiner bekannt, der privaten Kontakt zu einem Gespenst hat. Keine Ahnung, wie die eigentlich ticken. Ich weiß nur: Die Gespenster sind besonders ausgebildet, gut ausgestattet und gelten in Polizeikreisen als extrem leistungsfähig. Was auch immer das heißt. Bei Kundgebungen besteht ihre Strategie neben der massiven Präsenz in voller Montur zumeist darin, gezielt einzelne Straftäter und Aufwiegler aus Versammlungen heraus festzunehmen.

»Schwanger?«, wiederholt Neupert ein wenig später mit großen Augen. »Das ist hart.«

Scharf pfeift nur durch die Zähne.

»Und in welche Richtungen gehen Ihre Überlegungen bislang?« fragt sein Kollege weiter.

Schröter und ich sehen uns an.

»Der Zustand der Leiche lässt viele Motive zu«, erklärt ihm mein junges Nordlicht. »Mord aus Leidenschaft, sei es wegen des Spiels, einer Provokation oder was auch immer. Auch eine Sexualstraftat haben wir noch nicht völlig ausgeschlossen. Wir warten auf den abschließenden Bericht der Gerichtsmedizin.«

»Ein heißer Käfer war sie ja«, meint Scharf. Da haben wir sie wieder, die professionelle Pietätlosigkeit. Und damit kann ich aktuell gar nicht umgehen. Wäre es irgendein Opfer, könnte ich mich davon distanzieren. Es ist aber Katrin … und ich bin dünnhäutig wie sonst was.

»Und von uns möchten Sie nun Näheres über die Szene erfahren?«, fängt mich Neupert zum Glück aber ein. Er scheint cleverer zu sein als sein Vorgesetzter.

»Ganz genau«, übernimmt Schröter, und es ist mir mehr als recht. »Wie schätzen Sie Benzelers Position ein?«

Neupert erzählt: Cat sei angesehen gewesen in der Kurve, beliebt und geschätzt von nahezu allen im eigenen Stall, gehasst oder gar gefürchtet von anderen Lagern. Stand auch unter spezieller Beobachtung der SKBs. »Gerade weil sie so schwer einzuschätzen war, sich immer Neues einfallen ließ.«

»Und weil der blonde Giftzwerg immer Ärger machte«, meint sein kauender Kollege Scharf. »Sie hat mehrmals versucht, Kollegen der BFE anzuschwärzen. Ich glaube, es laufen noch zwei ihrer Anzeigen, eine wegen Nötigung und eine sogar wegen sexuellen Übergriffs.«

»Mit Uwe Boltz allerdings, dem Capo der Fanatico Boys, hatte sie ihre Schwierigkeiten«, fällt Neupert Scharf ins Wort.

»Wohl eher er mit ihr. Die Bohnenstange. Die hat dem Jungen ordentlich eingeheizt.«

Ich spüre ein Kribbeln in den Beinen. »Was meinen Sie damit?«

»Sie hat ihn öfter kritisiert.«

»Ich meine die Bohnenstange.«

Scharf lacht. »Ach so. Bolz ist eben lang und ziemlich dürr.«

»Wie war das Verhältnis zu den Aalener Fans in letzter Zeit?«, frage ich.

Neupert rümpft die Nase. »Die haben eine lange Geschichte miteinander. Freunde werden die sicher nie.« Davon bin ich überzeugt. »Haben sich getriezt, wo immer es ging.«

»Gab es in jüngerer Vergangenheit spezielle Vorfälle im Block?«, erkundigt sich Schröter.

»Außer dem Busenblitzer am Sonntag?«, lacht Scharf. »Konnte es nur aus der Entfernung sehen. Aber ich kann sagen: Einen BH brauchte die wirklich nicht.«

»Es gab genügend Vorfälle, aber nichts Herausstechendes«, meint Neupert. »Im Prinzip war Benzeler harmlos.«

Scharf schüttelt entschieden den Kopf. »Also, Kollegen, jetzt mal Klartext: Neupert gehört leider ein wenig zur Weichspüler-Fraktion und nimmt gewisse Tendenzen auf die leichte Schulter. Katrin Benzeler war definitiv ein subversives Element, das Gesetz und Ordnung für einen Witz hielt.« Neupert will etwas äußern, kommt aber nicht dazu. »Diese sogenannten Fans sehen das Stadion als ihre Spielwiese an, auf der sie sich austoben und am Wochenende Dampf ablassen können. Und am liebsten treiben sie schon auf dem Weg dorthin ihre Spielchen mit der Polizei.«

Ich sehe zu Neupert; er kommentiert die Aussage nicht. »Als Szenekundiger kennen Sie aber auch die Methoden der Gespenster«, sage ich, »und wissen, dass die diese Spielchen oft genug provozieren.«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, antwortet Scharf schmatzend. Neuperts Gesichtszüge scheinen harscher zu werden.

Dann muss ich deutlicher werden. »Eskortieren der Fans in der Bahn, Empfänge von Fangruppen am Bahnhof in voller Ausrüstung, alles am besten noch mit Videoüberwachung. Leibesvisitationen friedfertiger Leute, willkürliches Herausziehen einzelner Personen, kollektives Einkesseln.«

»Mir kommen die Tränen. Sie werden den Einsatzleitern hoffentlich nicht verbieten, dass sie aus Fürsorge für ihre Mitarbeiter das Aufsetzen von Helmen anordnen. Dass die Ultras das in ihrer bierschwangeren Stimmung nicht nachvollziehen können, ist ja nicht deren Schuld. Jedenfalls haben sich Katrin Benzeler und der Boltz bei solchen Gelegenheiten oft genug mokiert und die Menge aufgewiegelt. Ist doch klar, dass man die als Erstes rauszieht.«

»Klingt aber nicht so, als ob man auf Dialog setzt«, meint Schröter.

Scharf kommt in Fahrt. »Kommunikation ist immer unser erstes Mittel. Aber mit denen ist doch nicht zu reden.« Er wendet sich an mich. »Und was die Einzelkontrollen angeht: Wenn Sie mir sagen, wie wir sonst das Hineinschmuggeln von Pyrotechnik oder Wurfgeschossen verhindern sollen, dann nur zu.«

Neupert wird unruhig auf seinem Platz. Mir geht es nicht anders. »Wollen wir uns nicht lieber auf das Opfer konzentrieren?«, wendet er ein, und Schröter und ich nicken.

»Das ist so eine Sache mit Opfern, die oft genug Täter waren«, muss Scharf noch nachsetzen.

»Jedenfalls gab es zwischen dem relativ neuen Capo und der Toten Querelen«, ignoriert Neupert seinen Vorgesetzten. »Das werden ihnen die Jungs des Fanprojekts sicher bestätigen. Es geht ja darum, wer das Sagen hat, die Macht im Fanblock. Und wenn ich das richtig deute, glänzte Benzeler nicht nur mit den besseren Ideen für Choreos, sondern war Boltz auch in den meisten anderen Dingen überlegen, zum Beispiel intellektuell.«

Ich blicke zu Scharf, kein Kommentar.

»Andererseits hat Uwe Boltz das bewusst genutzt: Benzeler schaffte es nicht nur immer wieder, uns auszutricksen, sondern war die kreative Ideenlieferantin, wenn es darum ging, den gegnerischen Fans eins auszuwischen. Die haben sich, wie wir, ab und an auf die Gruppe um den Capo konzentriert, und Cat konnte unterhalb des Radars agieren.«

Scharf schüttelt den Kopf. »Manchmal habe ich den Eindruck, du findest das witzig.« Er spuckt sich begleitet von einem ekelhaften Geräusch den Kaugummi in die Hand und wirft ihn in seine Kaffeetasse. »Wir konnten es ihr nicht nachweisen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es war, die sich letzte Saison in Sandhausen mit zwei weiteren Frauen von den Societas mitten in den gegnerischen Fanblock schlich, um dort rot-blaue Rauchtöpfe zu zünden. Fragen Sie mich nicht, wie.«

»Das hat denen sicher nicht besonders gefallen«, schmunzle ich. Scharf drückt sich ein neues Kaustück aus der Packung. Nikotinkaugummi.

Neupert erzählt uns noch weitere Beispiele, die zeigen, dass Cat in den letzten Jahren aufgerüstet hatte, nicht nur die SKBs und die Polizei mit kreativen Mitteln erfolgreich foppte, sondern auch die gegnerischen Fans. Dass sie sich damit einen Namen erwarb unter den heimischen Ultras wie in der Szene, ist verständlich, ebenso dass der Capo sich diese Ressource sicherte und ihre Beliebtheit für sich nutzte. Während Neuperts Schilderungen bleibt Scharf still, wenn auch nicht ruhig. Ich sehe genau, dass er innerlich kocht bei der ein oder anderen Geschichte. Überhaupt scheint er recht wenig Spaß zu verstehen.

Als wir uns für die Informationen und den delikaten Kaffee bedanken und den beiden Männern die Hände schütteln, zieht Scharf mich nochmals zu sich heran. »Wissen Sie, Frau Schätzle, ich bin auch Fußballfan. SSV Ulm.« Die mochten wir nie besonders. »Deshalb finde ich es so nervig, dass diese jungen Chaoten den Fußball kaputt machen. Ich würde am Wochenende viel lieber im Stadion sitzen und meine Mannschaft anfeuern. Stattdessen rauben uns die Ultras unsere wertvolle Freizeit.«

»Wenigstens sind Sie mit Ihrem Job trotzdem in einem Stadion.«

Er lächelt, meint es aber nicht so. »Man ist nicht Teil des Ereignisses.«

Kann ich mir vorstellen.

»Wissen Sie, was mir am meisten auf die Nerven geht an diesen sogenannten Fans? Dass die einfach keinen Anstand besitzen. Die wissen nicht, was sich gehört. Sie kommen mit Bus und Bahn schon betrunken in der Stadt an, halten auf dem Weg ins Stadion den ganzen Verkehr auf und binden dabei Einsatzkräfte, die eigentlich woanders gebraucht werden, pissen überall hin und stören normale Leute bei dem Genuss eines Fußballspiels.«

Ich frage ihn nicht, was genau er unter »normalen Leuten« versteht.

»Diese verzogenen Kids haben einfach keine Kinderstube. Weiß nicht, was die Eltern gemacht haben. Vermutlich gar nichts. Die sehen das Spielwochenende als Legitimation an, gegen alle gesellschaftlichen Regeln zu verstoßen, und sind dann erstaunt, dass nicht jeder Stadionbesucher ihre Ansicht teilt. Und wir Ordnungshüter eben auch nicht.«

Ich blicke zu Neupert, aber Scharf ist noch immer nicht fertig. »Katrin Benzeler zählte definitiv zu denen. Sie mochte es immer bunt und schrill. Ich hatte selbst einmal eine Auseinandersetzung mit ihr, vor einem halben Jahr vielleicht. Als sie ein Kollege der BFE angeblich zu hart anfasste. Dabei ist doch klar: Jeder Polizeibeamte ist gesetzlich dazu verpflichtet, Gefahren von Personen abzuwehren. Einen Spielraum gibt es da nicht.« Er sieht mich durchdringend an.

»Inwiefern zu hart angefasst, Herr Scharf?«

Ein kurzes Lachen schüttelt ihn. »Die haben uns bei ihrer Anreise nach Ulm an der Nase herumgeführt, sich anders als sonst auf mehrere Züge verteilt. Wir aber durchschauten es rechtzeitig, und eine Einheit der BFE konnte sie am letzten Bahnhof vor Ulm abfangen, ein paar bekannte Gesichter herausziehen. Und das Kätzchen haben sie im Einsatzwagen festgesetzt und schmoren lassen. Da hatte das Spiel schon längst begonnen. Als ich dazukam, saß sie nur in Höschen und T-Shirt bekleidet im Bus, sagte, sie müsse dringend mal pinkeln und die Kolleginnen hätten es ihr nur unter der Bedingung erlaubt, dass die sie rechts und links dabei sichern. Angeblich hätte sie so nicht gekonnt.« Er zieht die Achseln hoch, grinst frech.

»Ich hoffe, Sie haben das Ihren Vorgesetzten gemeldet«, antworte ich, und er lässt endlich meine feuchte Hand los.

Blutgrätsche

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