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Vorwort

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Kein Zweifel, es war die abenteuerlichste Flucht in der Geschichte des geteilten Deutschland. Zusammengepfercht auf einer winzigen Gondel, getragen von einem riesigen, selbstgenähten Ballon, überquerten zwei Familien unter sternklarem Himmel die Grenze zwischen Deutschland und Deutschland, zwischen Kommunismus und Kapitalismus, zwischen den Machtblöcken in Ost und West.

»Acht Menschen mit Heißluftballon aus der DDR geflüchtet«, berichtete per Eilmeldung am Sonntag, dem 16.September, die »Deutsche Presse Agentur«. Die Nachricht ging um die Welt. Überall im Westen – von Amerika bis Australien, von Finnland bis Südafrika – wurde das anscheinend unglaubliche Ereignis verbreitet und kommentiert. Und überall im Osten peinlich verschwiegen.

Eine Portion Schadenfreude war im Westen wohl auch dabei – platzte die Ballonflucht doch mitten in die Vorbereitungen zur größten Jubelveranstaltung der DDR, die unter dem Motto »Größte Leistungsschau des Sozialismus auf deutschem Boden« gerade ihren 30. Jahrestag feiern wollte. Vor diesem Hintergrund geriet die symbolträchtige Ballonfahrt der Familien Strelzyk und Wetzel aus der kleinen Stadt Pößneck in Thüringen in die kleine Stadt Naila in Oberfranken zum weltweiten Politikum.

Für die »New York Times« sprach »die Flucht zweier Familien mit einem Ballon Bände über die politischen, wirtschaftlichen und menschlichen Verhältnisse in der DDR«.

Die »Süddeutsche Zeitung« wertete das Ereignis als »unerhörte Tat, die einen bitterbösen Kommentar auf die Verhältnisse im Herzen Europas schreibt; zugleich freilich ist sie eine Hymne auf die Freiheit«.

Der gewöhnlich auch bei ernsten Angelegenheit zu Ironie neigende »Spiegel« pries das Geschehen diesmal mit ungebremster Begeisterung: »Die Ballonflucht stellt an schierer, vorbedachter Tollkühnheit nun wirklich alles in den Schatten, was unsere hochbezahlten Stuntmänner, Risikosportler und Abenteurer zu bieten haben.«

Die so bejubelten Flüchtlinge sehen das anders: »Warum muß man unbedingt einen Beweis unseres Heldentums finden?« überlegt sich der Ballonfahrer Peter Strelzyk, früher SED-Mitglied und »Verdienter Aktivist des sozialistischen Wettbewerbs«. Er fragt: »Ist es heldenhaft, frei sein zu wollen?« Und er stellt fest: »Unser Drang zur Freiheit war jedenfalls größer als unsere Angst.«

Dieses Buch entstand nach wochenlangen Gesprächen mit den Flüchtlingen und nach zusätzlichen Recherchen in Ost und West. Es schildert die dramatische Ballonflucht und ihre Hintergründe, und es gibt einen Einblick in das Alltagsleben in der DDR. Aber es kann nicht objektiv sein. Denn es schildert die Verhältnisse drüben aus der Sicht von Menschen, die gute Gründe hatten, den »ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden« zu verlassen. Sie fühlten sich unfrei und unterdrückt. Sie hoffen im Westen die Freiheit zu finden.

Viele Menschen drüben denken wie die Strelzyks und die Wetzels, viele würden über die Grenze wechseln, hätten sie die freie Wahl – gäbe es nicht Mauer und Minen, Stacheldraht und Selbstschußanlagen. Aber nicht alle. »Wir vergessen manchmal«, schrieb meine Kollegin Eva Windmöller 1 , zwei Jahre lang Korrespondentin des »Stern« in der DDR, »daß sich die Mehrheit der 17 Millionen Menschen mit der ihr aufgezwungenen Gesellschaftsordnung arrangiert hat. Den meisten ist die DDR Heimat geworden – so wie sie ist, so verbesserungsbedürftig wie sie ist.«

JP

Mit dem Wind nach Westen

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