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2. Versuchsmaterial

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Daniel Bossheimer saß in seiner Zweizimmerwohnung in der Düsseldorfer Altstadt und las die Protokolle seiner letzten Versuche mit der entlaufenen Katze. Er ärgerte sich, dass das Tier entkommen war, denn das bedeutete, dass er nun wieder bei Tag eins seiner Experimente beginnen musste. Aber wenigstens schien die Zusammensetzung der Substanz die Katze nicht geschädigt zu haben. Im Gegenteil: Nachdem er die richtige Dosis gefunden hatte, zeigte der kleine Stubentiger sensationelle Fortschritte. Die Reflexe waren eindeutig schneller geworden und die Intelligenz steigerte sich merklich. Dabei zeigte das Tier niemals Anzeichen irgendeiner physischen oder psychischen Abhängigkeit. Natürlich war das schwer zu beurteilen, doch Daniel hatte keinerlei Entzugserscheinungen bei seinem Versuchstier bemerken können. Das Pulver, das er aus einer Reihe von Zutaten zusammenmixte und selbstverständlich Anteile von LSD enthielt, schien dem Körper aber in keiner Weise zu schaden.

Daniel lächelte und klickte auf ein Symbol am Bildschirm. Eine komplizierte chemische Formel erschien und als er diese erneut mit dem Mauszeiger anklickte, wurden die Molekülketten der Formel grafisch dargestellt. ‚Lysergsäurediethylamid‘, überlegte er und sah sich die Verbindung mit den anderen chemischen Mitteln an, ‚das ist der eigentliche Katalysator‘. Seine Versuche mit Kokain und einem Haschischderivat hatten in der Kombination mit den Tabletten, die er mühsam in einem Mörser zerkleinerte, und den anderen chemischen Mitteln zum Versagen der Organe im Katzenkörper geführt. Mit Lysergsäurediethylamid lag die Sache ganz anders und Daniel war sich sicher, endlich den großen Treffer gelandet zu haben. Seit ihm seine Eltern mit zwölf Jahren einen Chemiebaukasten schenkten, arbeitete er schon darauf hin. Er lachte leise und murmelte zu sich selbst: „Wenn die wüssten, was ich damals schon zusammengebraut habe ...“

Daniel kehrte zu seinen Aufzeichnungen über die Experimente mit den verschiedenen Mitteln zurück. Anfänglich versagte der Kreislauf der kleinen Tiere, als er aber die Dosis verringerte, die er ihnen ins Futter mischte, zeigte sich gar keine Wirkung mehr. Oder eine zu geringe und vernachlässigbare Veränderung des Verhaltens der Katzen. Teilweise schienen sie unkonzentriert zu sein, verloren das Gleichgewichtsgefühl oder nach einiger Zeit sogar das Interesse an ihrer Umgebung.

Die Obduktion der Gehirne aller toten Katzen hatte keinerlei Anzeichen einer Veränderung durch sein Mittel feststellen lassen, die Substanz, auch in den unterschiedlichen Zusammensetzungen, schädigte also nicht das Gehirn.

Und jetzt hatte die letzte Katze insgesamt über fünfzehn Tage überlebt. Eine noch nicht dagewesen Zeitspanne. Doch vor fünf Tagen war das Tier aus der Wohnung geflohen und die Umstände erschienen Daniel mehr als merkwürdig. Als er von der Uni nach Hause kam, stand das Fenster im Badezimmer einen Spalt offen und die Katze musste da herausgeklettert sein. Daniel war sich aber absolut sicher, dass er sowohl das Fenster, als auch die Tür zum Bad fest geschlossen hatte, und der Hebel ließ sich nur mit einiger Kraft bewegen. Er suchte nach Anzeichen, dass jemand in seine Wohnung eingebrochen war und sein Versuchstier befreit hatte, doch darauf deutete nichts hin. Und es fehlte ja auch nichts. Daniel hatte das Fenster die letzten Tage einen Spalt offenstehen lassen, in der Hoffnung das Tier würde zurückkehren, doch leider war die Hoffnung bisher vergebens gewesen.

Er blickte auf die Uhr am Computerbildschirm. Es wurde Zeit, dass Florian mit dem neuen Versuchstier kam. Der ließ schon wieder viel zu lange auf sich warten. Daniel nutzte die Zeit, um eine Vielzahl von Tabletten zu mörsern und neue Portionen seiner ‚Medizin‘ vorzubereiten. Das Mittel würde die Welt verändern, da war er sich sicher. Schnellere Reaktionen, intelligentere Menschen und nicht zuletzt eine Steigerung der Leistungsfähigkeit des Gehirns mit vielleicht ganz neuen und unbekannten Möglichkeiten schwebten ihm vor. Einen Moment gab er sich den Träumen seiner Kindheit hin, als in diversen Science-Fiction Romanen sogenannte ‚Mutanten‘ Fähigkeiten, wie Telekinese oder Teleportation, hervorbrachten. Er war sich darüber im Klaren, dass dies nur Phantasien waren, doch konnte man das wirklich wissen? Die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns waren noch nicht endgültig erforscht und die Erfindungen und Entwicklungen der letzten Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende zeigten, dass der Mensch durchaus über sich selbst hinauswachsen konnte. Warum dann nicht auch so ‚übernatürliche‘ Fähigkeiten?

Doch zunächst genügte es schon, die Reaktion und das Denken der Menschen durch seine Erfindung zu verbessern. Jedenfalls wäre ihm der Nobelpreis sicher. Wenn nur die Erprobung des Mittels nicht so lange Zeit in Anspruch nehmen würde und er nicht ständig mit irgendwelchen Rückschlägen zu kämpfen hätte! Aber nach den Versuchen mit der letzten Katze, schien dies ja endlich ein Ende gefunden zu haben.

Das nächste Tier würde ihm auf keinen Fall entkommen, dafür hatte er gesorgt. Sämtliche Fenster waren jetzt mit abschließbaren Griffen versehen. Selbst die stärkste und intelligenteste Katze wäre nicht in der Lage, sie so einfach zu öffnen.

Kurz nach siebzehn Uhr klingelte Florian Feldner endlich an der Wohnungstür. Daniel öffnete ihm und blickte ungeduldig auf den Transportkorb in der Hand seines Freundes. Eine scheue, magere kleine Katze blickte ihm aus großen Augen entgegen.

„Komm rein, Flo.“ Er schloss hinter seinem Freund die Tür sorgfältig und vergewisserte sich zweimal, dass sie von außen nicht geöffnet werden konnte. „Wieso hat das so lange gedauert? Musstest du die Katze erst noch einfangen?“

Flo schaute ihn missmutig an. „Nein, aber die Leute von der Katzenhilfe wollten alles genau wissen. Meinen Namen, wo ich wohne und alles über meine familiären Verhältnisse. Als sie erfuhren, dass ich in einem Studentenwohnheim lebe, hätten sie mir das Tier fast verweigert. Erst eine großzügige Spende hat sie überzeugt.“ Er hielt Daniel eine Quittung über zweihundert Euro hin. „Das übernimmst doch du? Du hast es versprochen.“

Daniel nickte. „Komm erst mal rein. Ein Bier?“

„Gerne. Hast du ein kaltes? Ich bin geschafft.“

Daniel nahm den Transportkorb an sich. Er würde die Katze vorläufig noch darin lassen. Dann überlegte er kurz, sie für die gesamte Dauer seines Experiments in dem kleinen Käfig zu lassen, verwarf den Gedanken aber wieder. Schließlich wollte er die Reaktionen und das Verhalten seines Versuchstieres testen und das ließ sich ja in der kleinen Box nicht bewerkstelligen. Er stellte die Kiste mit der Katze in den abgetrennten Bereich des Wohnzimmers, den er als Labor benutzte. Dann holte er seinem Freund und sich das versprochene Bier.

„Wollten sie sonst noch etwas wissen, die von der Katzenhilfe?“, fragte er, während sie beide anstießen. „Du hast mich doch nicht erwähnt, oder?“

Flo nahm einen tiefen Schluck und schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Und nachdem sie die Spende erhalten haben, gab es auch keine weiteren Fragen. Die sind ja froh, wenn ihre Tiere ein Zuhause finden.“ Er sah seinen Freund fragend an: „Ist die andere Katze wirklich nicht gestorben?“

„Sie lebt bestimmt noch - wenn kein Auto sie überfahren hat. Das schwöre ich dir. Warum sollte ich dich auch belügen? Es ging ihr wirklich gut, das kannst du mir glauben.“

Flo schien etwas beruhigt zu sein, fragte aber trotzdem: „Wieso konnte sie denn aus deiner Wohnung entkommen?“

Daniel gab sich reumütig: „Vermutlich habe ich im Badezimmer das Fenster einen Spalt offengelassen. Da ist sie dann raus.“

„Nun jetzt hast du ja eine neue. Das arme Ding ist halbverhungert und ziemlich verängstigt. Ihr Name ist übrigens ‚Tinka‘. Kann ich sie regelmäßig besuchen?“

Daniel wollte schon zornig reagieren, lächelte dann aber. „Meinetwegen. Sooft du hier bist, kannst du sie besuchen. Du wirst sehen, es wird ihr gut gehen.“ ‚Und wenn sie stirbt, kannst du sie im Rhein besichtigen, gut einbetoniert‘, fügte er in Gedanken hinzu. Doch die Katze durfte nicht sterben, denn dann stünde er wieder am Anfang seiner Versuche und das würde ihn um eine lange Zeit zurückwerfen.

Einige Zeit später verabschiedete sich Flo. „Das Geld, Daniel. Zweihundert Euro“, erinnerte er den Freund und wies auf die Quittung, die auf dem Tisch lag.

Daniel drückte ihm drei Hunderteuroscheine in die Hand. „Für deine Mühen. Du hast mir wirklich sehr geholfen, Flo.“ Dann begleitete er ihn zur Tür. Daniel wollte sichergehen, dass die Wohnungstür auch gut geschlossen war, bevor er die Katze aus der Transportbox ließ.

Flo drehte sich am Treppenabsatz noch einmal um und meinte: „Ach da fällt mir gerade ein: Bei dieser Katzenhilfe lief die ganze Zeit der Fernseher und sie haben die Nachrichten gebracht. Im Stadtgebiet gibt es anscheinend freilaufende Wölfe, denn es wurden schon mehrere Tiere gerissen. Schafe, Schwäne und Gänse und sogar ein Kalb hat man in den letzten zwei Tagen gefunden. Ein Jäger, den sie interviewt haben, vermutet, dass die Wölfe vom Norden herkommen. Auf jeden Fall soll man vorsichtig sein. Schau dir gleich einfach einmal die Nachrichten an!“

Daniel nickte. „Mach ich. Was es nicht alles gibt. Wölfe! Dann sei schön vorsichtig, dass du auf dem Weg zur Uni nicht gebissen wirst. Wir sehen uns morgen.“

Kaum war Flo die Treppe herunter und außer Sichtweite, schloss Daniel sorgfältig die Haustüre und drehte auch den Schlüssel um. Dann widmete er sich der Transportbox und der Katze. Die blickte weiterhin ängstlich und wich in die hinterste Ecke des Kastens zurück. Daniel richtete etwas Katzenfutter an, mischte eine kleine Dosis seines ‚Medikaments‘ darunter und stellte es vor die Box. Dann öffnete er die Tür, zog sich ein Stück zurück und beobachtete das Tier. Er war es gewohnt, zu warten und fast bewegungslos zu verharren. Wie viele Stunden verbrachte er schon so beobachtend und wie vielen Tieren hatte er nach dem Fressen des Futters, das mit der Substanz vermischt war, dabei zugesehen, wie sie unter Zuckungen und mit Schaum vor dem Mund schließlich verendeten.

Es brauchte eine Zeit, bis Tinka die Nase zur Box herausstreckte, vorsichtig schnupperte und sich umsah. Sie bemerkte ihn und verharrte in ihrer Position. Doch irgendwann siegte dann doch der Hunger und Zentimeter für Zentimeter schob sie sich an den Napf heran. Plötzlich schien sie alle Vorsicht zu vergessen und verschlang das Futter, bis nichts mehr davon übrig war.

Daniel zählte die Sekunden. Es würde etwas dauern, bis das Medikament in den Blutkreislauf gelangte, die Blut-Hirn-Schranke überwand und schließlich im Gehirn wirksam wurde. Da er die Wirkstoffmenge geringgehalten hatte, um das Tier zunächst daran zu gewöhnen, rechnete er nicht direkt mit einer durchschlagenden Wirkung. Es dauerte schließlich eine ganze Weile, die richtige Zusammensetzung der Substanz herauszufinden, damit sie wirklich ins Gehirn gelangen konnte. Den Anteil an Drogen hielt er so gering wie möglich, doch auf gerade diese Substanzen, ob es nun Benzoylecgoninmethylester, Lysergsäurediethylamid oder Tetrahydrocannabinol waren, konnte er nicht verzichten. Vielleicht gab es einen Stoff, der die Aufgabe dieser Substanzen übernehmen konnte, doch um das herauszufinden, würden umfangreiche Forschungen und zahlreiche Experimente erforderlich werden. Für den Moment und für eine erste Erprobung war die von ihm entwickelte Rezeptur aber optimal.

Die magere Katze schien sich nach der Mahlzeit ziemlich wohl zu fühlen, denn sie erkundete jetzt neugierig den Raum. Daniel, der sich auf seinem Stuhl weiter ruhig verhielt, ignorierte sie zunächst, doch ein Auge war immer auf ihn gerichtet. Sobald er sich als Gefahr erwies, würde sie flüchten. Tinka schnupperte an einem Blumentopf, in dem eine verwelkte Yucca Palme auf ihre Entsorgung wartete. Daniel hatte sie von irgendjemandem zum Einzug in die Wohnung geschenkt bekommen, doch er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, wer das gewesen war.

Langsam folgte er der Katze durch die Wohnung. Sie schien alles äußerst interessiert zu begutachten, beschnupperte alle Gegenstände in ihrer Nähe und kletterte schließlich in das Katzenkörbchen, in der ihre Vorgängerin schon gelegen hatte. Minuten später schlief sie tief und fest. Daniel vergewisserte sich, dass die Katze wirklich schlief und nicht plötzlich gestorben war, dann widmete er sich seinem Laptop und begann ein neues Kapitel über die Experimente an Tinka in seinem Logbuch.

Danach wollte er sich um die Aufgaben kümmern, die er für den kommenden Tag an der Universität noch zu erledigen hatte. Jetzt, so kurz vor den Semesterferien, standen noch eine Reihe von Klausuren an, doch Daniel war sich sicher, keine Arbeit schlechter als mit der Note Zwei abzuschließen. Doch warum ‚nur‘ eine Zwei, wenn auch eine Eins möglich war?

Crystal Fire

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