Читать книгу Crystal Fire - Jürgen Ruhr - Страница 8
5. Leistungssteigerung
ОглавлениеDaniel Bossheimer erwachte in dem Sessel in der gleichen Stellung, in der er auch eingeschlafen war. Die Sonne schien hell in sein Zimmer und brannte in seinen Augen. Aber es waren nicht nur seine Augen, die brannten, sondern sein ganzer Kopf schien in Flammen zu stehen. Er sprang auf und stürzte ins Badezimmer. Rasch drehte er den Wasserhahn am Waschbecken auf und hielt den Kopf darunter. Das kalte Wasser linderte seinen Schmerz, der nach einiger Zeit nachließ und schließlich ganz abebbte. Daniel betrachtete sein Gesicht im Spiegel, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken.
Im Gegenteil: Jetzt, da das Brennen aus seinem Kopf verschwunden war, fühlte er sich außerordentlich wohl. „Das kam wohl von dem vielen Bier gestern“, murmelte er vor sich hin und stieg unter die Dusche. Es kam selten vor, dass er zu viel Alkohol trank und er nahm sich vor, zunächst darauf zu verzichten. Er stieg aus der kleinen Duschkabine, trocknete sich ab und zog frische Kleidung an. Vor dem Spiegel begann er sein Haar exakt zu scheiteln, so wie er es gewohnt war. Doch dann hielt er inne. „Du siehst aus wie ein Streber“, sagte er zu sich selbst und holte seine Brille aus dem Wohnzimmer. Dann betrachtete er sich erneut. „Streber, Nerd“, beschimpfte er sein Spiegelbild und nahm die Brille ab. Das akkurat gescheitelte Haar kennzeichnet ihn als das, was er ja auch war: Ein Streber und Überflieger. Daniel zerzauste die Haare mit einer Hand. Das sah schon besser aus. Er nahm sich vor, zu einem Friseur zu gehen und sich einen modernen Haarschnitt verpassen zu lassen. Und bei der Gelegenheit musste auch die Brille mit den dicken Gläsern einem Paar Kontaktlinsen weichen.
Als Daniel in die kleine Küche trat, fiel sein Blick zufällig auf die Uhr an der Wand. „Verdammt“, stöhnte er. Der kleine Zeiger stand knapp hinter der Eins. Das war ihm noch nie passiert, dass er bis mittags geschlafen und dadurch Vorlesungen verpasst hatte. Doch knapp eine Woche vor dem Beginn der Semesterferien verpasste er doch eigentlich nichts. Ein Großteil seiner Mitstudenten besuchte die Vorlesungen ohnehin nicht mehr und den Stoff kannte er ja in- und auswendig. Daniel ging in Gedanken die Themen durch, die für heute auf dem Lehrplan standen und wie von Zauberhand erschienen die entsprechenden Texte vor seinen Augen. Er würde heute die Uni komplett schwänzen und dafür einen Friseur und einen Optiker aufsuchen.
Nachdem er eine Kleinigkeit gegessen hatte, sah er sich die Aufnahmen seines Selbstversuchs vom Abend zuvor im Zeitraffer an. Sein Verhalten war in keiner Weise außergewöhnlich. Allerdings - verhielten sich die Katzen am Anfang der Versuchsreihen nicht ebenso? Daniel erinnerte sich an die Versuche in allen Einzelheiten. Bis auf die Tiere, die sofort gestorben waren, waren in den ersten Tagen nach der Einnahme der Substanz auch keine großartigen Veränderungen zu bemerken gewesen. Vielleicht beeinträchtigte die Kombination mit dem Alkohol ja auch die Wirkung seines Mittels.
Er tippte eine Notiz zum gestrigen Abend in seinen Laptop und einer plötzlichen Eingebung folgend, formulierte er als Überschrift darüber ‚Crystal Fire‘, wobei er an das Brennen in seinem Kopf dachte. Dann schloss er das Gerät mit einem Schwung und verließ gutgelaunt das Haus, um endlich einen vernünftigen Haarschnitt zu bekommen.
Der Friseur schien genau zu wissen, was er wollte und zeigte Daniel einige angesagte Haarschnitte in einem Männermagazin. Mit seinen kurzen Haaren reduzierte sich die Auswahl zwar, doch schließlich entschied er sich für Undercut-Frisur, die sein tristes Aussehen radikal veränderte. Daniel nahm sich vor, die Haare etwas länger wachsen zu lassen und wöchentlich einen Friseur aufzusuchen. Warum er nicht schon längst darauf gekommen war, blieb ihm schleierhaft.
Der Optiker präsentierte ihm eine Reihe von Kontaktlinsen, die es in allen möglichen Farben und sogar mit Mustern darauf gab. Er zeigte Daniel die Handhabung und worauf er als ‚Neuling‘ achten musste und Daniel entschied sich schließlich für ein Paar, dass seine blaue Augenfarbe unterstrich und hervorhob. Dann - aus einer Laune heraus - erstand er zwei weitere Paare, von denen eines pechschwarz war und das andere um eine klare Linse herum rote Äderchen zeigte. Die Kontaktlinsen, die er zuerst gesehen hatte, setzte er sich schließlich unter dem fachlichen Kommentar des Optikers ein.
In einer nie dagewesen Hochstimmung kaufte Daniel sich schließlich in einer Herrenboutique mehrere modische Hosen, Hemden und Jacken. Dass der homosexuelle Inhaber ihm dabei Avancen machte und ihn schließlich versuchte, zu sich nach Hause einzuladen, nahm er gelassen hin.
Zurück in seiner Wohnung probierte er die neuen Kleidungsstücke nacheinander an und setzte sich auch die verschiedenen Kontaktlinsen ein. Daniel war mehr als zufrieden mit sich.
Nach dem Abendessen, bei dem er bewusst auf Bier und Alkohol verzichtete, richtete er sein Handy für den nächsten Selbstversuch ein. Er würde die Substanz erneut schnupfen und erst wenn sich nach mehreren Tagen keine Wirkung zeigte, wollte er das Mittel unter sein Essen mischen. Nach einigen einleitenden Worten, bei denen er penibel Datum, Uhrzeit, sein aktuelles Gewicht und andere relevante Daten nannte, nahm er das Pulver wieder mit dem Hunderteuroschein zu sich. Einen gewissen Stil wollte er schließlich bewahren.
Diesmal wartete Daniel keine zwei Stunden, sondern schaltete das Handy schon nach einer halben Stunde ab, als sich wieder keine Wirkung zeigte. ‚Verlorene Zeit‘, dachte er. Doch so schnell würde er seine Versuche nicht aufgeben. „Du musst Geduld zeigen“, ermahnte er sich selbst, ‚dies ist Tag zwei deiner Versuchsreihe, so schnell solltest du keine Ergebnisse erwarten‘. Er schlief auch nicht im Sessel ein, sondern begab sich frühzeitig zu Bett. Vorsichtshalber aktivierte er noch die Weckfunktion seines Smartphones, um nicht wieder zu verschlafen.
Am nächsten Morgen erwachte Daniel fünf Minuten bevor sein Handy den Weckton von sich gab. Sofort stellten sich wieder diese fürchterlichen Kopfschmerzen ein und er taumelte ins Bad, um seinen Kopf unter kaltes Wasser zu halten. Er warf einen kurzen Blick in den Spiegel, um sicher zu gehen, dass sein Kopf nicht in Flammen stand. Es musste wirklich sein Gehirn sein, das dermaßen schmerzte, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte. Nach einiger Zeit unter dem kalten Wasserstrahl ließ der Schmerz tatsächlich wieder nach und kurz darauf verschwand er vollkommen. ‚Also liegt es nicht an dem Bier‘, überlegte er. Gestern hatte Daniel streng darauf geachtet, keinerlei Alkohol zu sich zu nehmen. Somit musste es sich um eine Nebenwirkung seines ‚Medikaments‘ handeln. ‚Das muss ich mir notieren‘, nahm er sich vor und überlegte, ob sich diese Nebenwirkungen irgendwie reduzieren oder ganz eliminieren ließen. Aber er wollte die Rezeptur seiner Substanz auch nicht verändern. In dem Fall müsste er nämlich erneut mit den Versuchsreihen an Tieren beginnen.
Daniel betrachtete sich intensiv im Spiegel. Jetzt, da die Schmerzen abgeklungen waren, ging es ihm wieder außerordentlich gut. Es wurde Zeit, sich für die Uni bereitzumachen.
Florian traf er erst gegen Mittag in der Mensa. Der Freund setzte sich wie immer mit einem vollbeladenen Tablett ihm gegenüber. „Hallo Boss“, grüßte er grinsend und sah Daniel mit einem langen Blick an. „Was ist denn mit dir passiert?“
„Mit mir? Flo, was meinst du?“
Flo blickte ihn von oben bis unten an. „Nun, du hast dich ... verändert.“
Daniel schob sich ein großes Stück Schnitzel in den Mund. Merkwürdigerweise hatte er heute einen Wahnsinnshunger auf Fleisch verspürt, obwohl er eher vegane Kost bevorzugte. Nicht, dass er kein Fleisch aß, doch sonst machte er sich nicht viel daraus. „Verändert? Inwiefern?“
„Na, deine Haare zum Beispiel. Oder deine Brille. Wo ist deine Brille? Ohne die siehst du doch gar nichts. Und dann deine Klamotten. Daniel, so habe ich dich in all den Jahren, die wir uns kennen, noch nicht erlebt.“
Daniel lachte leise. „Dann wurde es wohl längst einmal Zeit für eine kleine Typänderung. Ich war beim Friseur und ließ mich dort beraten. Gefällt dir meine neue Frisur?“
Flo nickte, doch es schien nicht wirklich ehrlich. „Ja, sieht ganz gut aus. Modern. Und was ist mit der Brille? Kannst du plötzlich ohne sie sehen?“
„Kontaktlinsen. Ich war gestern auch bei einem Optiker.“
Flo schüttelte den Kopf. „Typänderung? Was ist mit dir los, Daniel? Hast du dich verliebt?“ Er suchte mit den Augen die Mensa ab und Daniel wusste, dass er nach Sylvia schaute. Doch Flo schien sie nicht zu entdecken.
Daniel seufzte leise. „Nein, nein. Ich musste nur einfach einmal etwas Neues ausprobieren. Solltest du vielleicht auch ...“
Florian winkte ab. „Nein danke. Ich brauche so etwas nicht. Ich fühle mich ganz wohl in meiner Haut.“ Dann schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht, das einen verliebt - dümmlichen Ausdruck annahm. Daniel wandte sich um und sah eine Gruppe von Mädchen, die zwei Tische hinter ihnen Platz nahmen. Während sie ihre Tabletts auf dem Tisch abstellten, redeten sie unentwegt miteinander. Daniel sah, dass Sylvia Rakelt bei ihnen war.
„Daniel ... Daniel“, hörte er seinen Freund sagen. „Nun schau die Mädchen doch nicht so an. Das fällt ja langsam schon auf.“
Daniel konnte sich von dem Anblick Sylvias nicht losreißen. Zum ersten Mal betrachtete er die Studentin genauer und ihn durchströmte ein warmes Gefühl. Ihr schlanker Körper, die langen dunkelbraunen Haare und ihr Lächeln befeuerten seine Phantasie auf eine noch nie dagewesene Art. Sylvia sah plötzlich auf, so als würde sie spüren, wie er sie anschaute und ihre Blicke trafen sich kurz.
„Hallo? Erde an Daniel.“ Flo holte ihn aus seinen Gedanken zurück. „Mensch, Boss, was ist denn mit dir los? So kenne ich dich ja gar nicht.“
Daniel lachte und widmete sich wieder dem Essen. „Hast du die kleine Blonde bemerkt?“, fragte er dann, damit sein Freund nicht auf die Idee kam, dass es Sylvia war, die es ihm angetan hatte.
Flo lachte und es klang eine Spur Erleichterung heraus. „Ja, die ist ganz süß, nicht? Ich kann Sylvia ja mal nach ihrem Namen fragen ...“
„Untersteh dich.“
Sie aßen schweigend weiter, wobei jeder seinen Gedanken nachhing. Aber beide beschäftigten sich mit Sylvia Rakelt.
Als sie sich dem Nachtisch widmeten, fragte Daniel seinen Freund: „Warst du heute Vormittag wieder bei deinem Prof?“
Flo nickte.
„Und wie läuft das so? Der scheint dich ja ganz schön in Anspruch zu nehmen.“
Erneut nickte der Freund und stöhnte leise: „Momentan quäle ich mich mit Reinigungsarbeiten und uninteressanten Vorbereitungen herum. Der Professor nennt es ‚die Probezeit‘, doch ich denke, er hat auf diese Art und Weise eine billige Hilfskraft gefunden.“ Flo überlegte einen Moment und schüttelte dann den Kopf. „Billig ist gut“, lächelte er dann. „Kostenlose Hilfskraft trifft es aber eher. Offiziell fange ich ja erst nach den Semesterferien bei ihm an und ab dann werde ich auch erst bezahlt.“
„Aber du hast den Job doch sicher?“, erkundigte Daniel sich. „Nicht, dass du jetzt die Ferien über die Drecksarbeit machst und danach leer ausgehst.“
Florian schüttelte den Kopf. „Nein, der Job ist so gut wie sicher. Da brauche ich mir keine Sorgen zu machen. Glaube ich jedenfalls“, fügte er dann hinzu.
Daniel aß den letzten Rest seines Vanillepuddings mit Himbeeren und warf einen verstohlenen Blick auf den Tisch mit den jungen Studentinnen. Sylvia unterhielt sich angeregt mit einer Freundin und lachte dabei häufig und laut, wobei sie ihre weißen, makellosen Zähne zeigte. „Gehst du vor dem Semesterende überhaupt noch in Vorlesungen?“, fragte Daniel und wandte sich wieder seinem Freund zu. Der blickte nun selbst an Daniel vorbei zu den Mädchen. Flo versuchte Sylvias Blick zu erhaschen, doch die Studentin war intensiv in ihr Gespräch vertieft. Enttäuscht wandte er sich schließlich wieder Daniel zu. „Keine Zeit“, erklärte er mit einem Achselzucken. „Außerdem ist der Stoff jetzt nicht mehr wirklich interessant. Das meiste von dem, was jetzt in den Vorlesungen drankommt, kenne ich ohnehin schon. Wie sieht’s denn bei dir aus? Wie ich dich kenne, besuchst du die Vorlesungen bis zum bitteren Ende ...“
Daniel schüttelte den Kopf. „Nicht unbedingt. Genau wie du, kenne ich das alles auch schon. Nein, ich dachte daran, mich in den letzten Tagen vor den Ferien einmal außerhalb unseres Bereiches umzusehen.“
Flo sah ihn fragend an. „Was soll das bedeuten? Außerhalb ‚unseres Bereiches‘?“
Daniel grinste. In dem Moment, als er die Worte ausgesprochen hatte, war ihm die Idee gekommen, einmal bei den Vorlesungen der ersten Semester anwesend zu sein. Eigentlich wollte er bei den Viertsemestern vorbeischauen, doch bei den Anfängern bestand die Möglichkeit, Sylvia wiederzusehen. „Ich werde mir einmal anhören, was bei den anderen Semestern so los ist“, erklärte er vage und fügte hinzu: „Beim Vierten zum Beispiel.“
„Jetzt vor den Semesterferien werden dort wahrscheinlich auch keine relevanten Themen besprochen“, überlegte Florian. „Das wird sich wohl kaum lohnen.“
„Jedenfalls ist es besser, als das alte Zeug von unserem Semester erneut durchzukauen“, gab Daniel zu bedenken.
Flo nickte. „Dann sehen wir uns übermorgen, wenn ich den Wagen abhole. Um wieviel Uhr passt es dir denn?“
Daniel überlegte. Er hatte für den Samstag nichts geplant, sondern wollte sich mit seinen Versuchen und der Ausarbeitung des Artikels darüber beschäftigen. Im Prinzip war es also egal, wann sein Freund den Wagen abholen würde. Hauptsache nicht zu früh. „Um achtzehn Uhr?“, fragte er.
Flo sah ihn enttäuscht an. „So spät? Ich wollte den Mazda eigentlich noch durch die Waschanlage fahren. Auf meine Kosten natürlich. Kann ich nicht schon um Zwei kommen?“
„Einigen wir uns auf vier Uhr“, schlug Daniel vor. Er wusste zwar, dass sein Freund sehr gut Auto fuhr, doch der sollte nicht auf die Idee kommen, vor der Party noch einen längeren Ausflug damit zu unternehmen.
„Gut, dann um Vier. Hast du was dagegen, wenn ich Sylvia erzähle, es wäre mein Auto? Nur für den Fall, dass sie fragt ...“
Daniel stöhnte. Die Sorgen seines Freundes wollte er haben. Er war fast versucht, Flo zu erklären, dass ein Mädchen wie Sylvia sich kaum mit einem Schwabbel wie ihm einlassen würde, unterdrückte dann aber seine Worte. „Nein, das ist in Ordnung. Pass nur auf, falls sie die Fahrzeugpapiere sehen will. Dann fliegt deine kleine Lüge auf.“
Flo lachte. „Keine Sorge, das werde ich zu verhindern wissen.“ Er warf einen Blick auf seine Uhr und erhob sich. „Ich muss wieder, der Prof wartet. Also dann bis Samstag.“
Daniel nickte gedankenverloren. Er würde einmal nachschauen, welche Vorlesungen für das erste Semester heute Nachmittag noch anstanden. Er musste diese Sylvia unbedingt wiedersehen.
„Ach ja“, wandte sich Flo im Gehen noch einmal um, „wie geht es eigentlich Tinka? Kann ich sie Samstag kurz besuchen, bevor du mir den Wagen übergibst?“
Daniel lächelte und hoffte, dass es nicht zu gequält aussah. „Natürlich. Der Katze geht es hervorragend. Du kannst dich selbst überzeugen.“
Kaum, dass sein Freund den Raum verlassen hatte, wandte Daniel sich zu den Mädchen um, die sich an dem Tisch immer noch angeregt unterhielten. Sylvia hatte aber inzwischen wohl die Mensa schon verlassen, denn ihr Platz dort war leer.
Den Nachmittag über besuchte Daniel verschiedene Vorlesungen, konnte aber die hübsche Studentin nirgendwo entdecken. Schließlich kehrte er enttäuscht in seine Wohnung zurück. Es wurde Zeit, mit Tag drei seines Experimentes zu beginnen.
Wieder bereitete er alles akribisch für den Selbstversuch vor. Er tippte sogar einen kleinen Text in seinen Laptop, den er einleitend sprechen wollte und in dem er von den Kopfschmerzen sprach, die am Morgen nach der Einnahme seines ‚Medikaments‘ auftraten. Den Text fügte er den Unterlagen an, so dass er auch in schriftlicher Form existierte. Dann aktivierte er die Kamerafunktion seines Smartphones.
„Tag drei des Selbstversuches“, sprach er dann in seinem Sessel sitzend. Vor ihm auf dem Tisch lag schon die Substanz, die er um Punkt zwanzig Uhr nehmen würde. Er nannte Tag, Datum und Uhrzeit und fuhr fort: „Bisher bemerke ich keinerlei Veränderungen an mir. Vermutlich ist es dazu noch zu früh, in diesem Versuchsstadium sind mir auch an den Katzen nur minimale Änderungen im Verhalten aufgefallen. Allerdings gibt es eine Nebenwirkung, die ich zunächst dem Genuss von Alkohol - beim ersten Versuch - zusprach. Doch heute Morgen trat das gleiche Phänomen auf, wobei ich gestern keinerlei Alkohol zu mir nahm.“ Er machte eine Pause und sah auf die Uhr. Ein paar Minuten bis zur Einnahme blieben ihm noch. „Nach dem Aufwachen morgens spüre ich rasende Kopfschmerzen, die den Eindruck hinterlassen, als würde mein Gehirn - ja sogar mein ganzer Kopf - in Flammen stehen. Der Schmerz ist schrecklich und verhindert jedes klare Denken. Erst nach einer gewissen Weile, die ich den Kopf unter kaltes Wasser halte, lässt das Brennen nach und verschwindet schließlich ganz. Danach fühle ich mich außerordentlich wohl und die Kopfschmerzen treten nicht wieder auf. Ich schreibe diese Nebenwirkungen einer eventuellen Unverträglichkeit eines der Stoffe in meiner Substanz zu, möchte aber die Zusammensetzung nicht ändern, um den Verlauf des Experimentes nicht in Frage zu stellen.“ Er blickte erneut auf die Uhr und stellte fest, dass es nun an der Zeit war, das Medikament einzunehmen. „Ich werde jetzt mit dem dritten Experiment beginnen ...“
Daniel nahm den zusammengerollten Geldschein und sog die Substanz geräuschvoll in die Nase. Dann lehnte er sich im Sessel zurück und schloss die Augen. Nach einer Weile öffnete er sie wieder und blickte direkt auf sein Handy. „Ich spüre ... nichts“, gab er schließlich von sich und schaltete die Aufnahme ab. Tag drei. ‚Du darfst nicht zu viel erwarten. Nicht nach erst drei Tagen‘, mahnte er sich. Außer den wahnsinnigen Kopfschmerzen morgens zeigten sich keinerlei Symptome. Er erkannte keine Verbesserung seiner Reflexe, keine Steigerung seines Denkvermögens oder sonstige Veränderungen in seinem Verhalten.
Daniel schrieb sich eine Notiz für den kommenden Tag und ging zu Bett.
Wieder brannte sein Gehirn, als würden lodernde Flammen daraus hervorschießen und Daniel torkelte ins Badezimmer. Er war zu keinem klaren Gedanken fähig und erst nach einer geraumen Weile unter dem kalten Wasserstrahl ließen die Schmerzen wie gewohnt nach. Er hob den Blick und fand einen Zettel am Spiegel. Seine Notiz, die er gestern vor dem Zubettgehen noch dort hingehangen hatte. ‚Versuch:‘, stand dort, ‚Was geschieht, ohne das kalte Wasser? Verschwinden die Kopfschmerzen auch so?‘
Daran hatte er natürlich nicht mehr gedacht. Daniel ballte die Faust und schlug auf den Zettel ein. Klirrend zersprang der Spiegel und die einzelnen Scherben fielen in das Waschbecken. Ein feines Rinnsal von Blut lief an seiner Hand herab. Daniel drehte den Hahn erneut auf und hielt die Wunde erschrocken unter den Wasserstrahl. Er war zornig, ja, zornig darüber, dass er vergessen hatte, diesen Teil seines Experiments auszuführen, doch wieso zerschlug er deswegen den Spiegel? Als das kalte Wasser über seine Handgelenke floss, wurde Daniel ruhiger. ‚Ein einmaliger Ausraster‘, beruhigte er sich und wickelte die verletzten Knöchel in ein Handtuch. Zum Glück handelte es sich lediglich eine kleine Schnittwunde und die Blutung versiegte schnell. Er würde morgen früh herausfinden, was geschah, wenn er seinen Kopf nicht mit Wasser kühlte. Dazu wollte er heute Abend eine deutliche Notiz am Wasserhahn befestigen. Eine Notiz, die er kaum würde übersehen können!
Während Daniel unter der Dusche stand und abwechselnd warmes und kaltes Wasser auf seine Haut laufen ließ, tauchten vor seinem inneren Auge verschiedene Themen auf, die er zuvor gelesen hatte. Es handelte sich durchweg um Stoff des vierten Semesters, den er flüchtig überflogen hatte. ‚Ist das nun schon eine Steigerung deiner Intelligenz?‘, fragte er sich. Er würde den Vormittag nutzen, um ein paar Unterlagen vom fünften und sechsten Semester durchzublättern.
Dann tauchte Sylvias Gesicht vor ihm auf. Er nahm sich vor, die Kleine heute in einer Vorlesung anzutreffen und malte sich ihren Körper ohne Kleidung aus. Wie von selbst wanderte seine Hand an seinem Körper herab und er spürte ein nie gekanntes sexuelles Verlangen in sich. Sein Blut pulsierte und es schien, als würde das Feuer, das zuvor in seinem Kopf gewütet hatte, nun durch seine Adern fließen.
Er drehte den Wasserstrahl auf kalt und genoss das prickelnde Gefühl auf seiner Haut.
Zehn Minuten später stand er nackt und nass in der kleinen Küche und goss sich einen Kaffee auf. Daniel fühlte sich stark und nach der eiskalten Dusche erfrischt und munter. Sein Magen meldete sich mit einem unwilligen Knurren und ihn überkam ein unbändiger Appetit auf Fleisch. ‚Auch das ist ungewöhnlich‘, dachte er und suchte im Kühlschrank nach etwas Essbaren. Doch außer Salaten, einer restlichen Portion Nudeln und etwas Wurst fand er nicht das, wonach ihm verlangte. ‚Du musst unbedingt einkaufen‘, nahm er sich vor und schlang die Wurst herunter. Dann folgten die kalten Nudeln.
Während Daniel sich anzog, schaltete er den Fernseher ein, in dem gerade die Lokalnachrichten liefen. Die Angriffe auf Tiere in der Region waren offensichtlich mehr geworden und man vermutete jetzt, dass mehrere Wildkatzen oder wilde Tiere das Stadtgebiet unsicher machen mussten. Daniel stellte den Fernseher ab, als der Sprecher von einer Warnung erzählte, die die Polizei an die Bevölkerung herausgegeben hatte. Es wurde geraten, in der Dunkelheit bestimmte Plätze zu meiden, bis man die wilden Tiere eingefangen habe.
Daniel packte seine Sachen für die Uni zusammen. Er wollte Vorlesungen der Erstsemester besuchen und nach Sylvia Ausschau halten. Währenddessen konnte er die Unterlagen vom fünften und sechsten Semester durcharbeiten.
Auf der Straße führte ihn sein Weg nicht direkt zu der U-Bahn-Station, sondern zunächst in einen Discounter, in dem er verschiedene Fleischsorten erstand. Er packte alles in seinen Rucksack. Das Fleisch würde er heute Abend braten. Daniel lief das Wasser im Mund zusammen, als er an die Koteletts und den Bauchspeck dachte, die verlockend in ihren Plastikverpackungen lagen.
In der U-Bahn warf er einen Blick in den Rucksack. Da lag das Fleisch neben seinem Tablett PC und wartete nur darauf, von ihm verzehrt zu werden. Langsam riss er den Deckel der Verpackung der Koteletts auf und roch daran. Dann sah er sich um, ob ihn irgendjemand beobachtete und als das nicht der Fall war, biss er ein großes Stück von einem der Koteletts ab. Zufrieden lehnte Daniel sich im Sitz zurück und kaute auf dem rohen Fleisch herum. Der Geschmack war einzigartig und er fühlte sich wohl und zufrieden.
In der Universität besuchte der Student mehrere Vorlesungen der Erstsemester und während er die Unterlagen der höheren Semester durchblätterte, wanderte sein Blick auf der Suche nach Sylvia durch den Saal. Endlich entdeckte er sie in einer der ersten Reihen.
Daniel spürte, wie es in seinem Körper zu kribbeln begann. Er musste unbedingt mit der Kleinen sprechen!
Kurz vor Ende der Vorlesung begab er sich zu einem Ausgang und wartete darauf, dass Sylvia den Raum verließ. Die Studenten strömten an ihm vorbei, doch seine Sylvia befand sich nicht dabei. Dann sah er sie, wie sie sich mit dem Professor an dessen Pult unterhielt und lachend ihre weißen Zähne zeigte. Wieso sprach sie jetzt noch mit dem Mann und verließ nicht endlich den Saal? Daniel sah dem Mädchen eine Weile zu und spürte, wie ihn das Gespräch zwischen dem Dozenten und der Studentin wütend machte. Er wollte schon mit der Faust gegen die Türe schlagen, als die beiden den Raum durch eine Tür auf der gegenüberliegenden Seite verließen.
Daniel wanderte bis zur Mittagspause rastlos auf dem Campus umher, konnte Sylvia allerdings nirgends entdecken. ‚Vielleicht sehe ich sie ja in der Mensa‘, dachte er. Es wurde ohnehin Zeit, eine Kleinigkeit zu essen, sein Magen knurrte wie verrückt. Die Koteletts hatte er inzwischen allesamt aufgegessen. Er würde heute auf dem Nachhauseweg noch einmal zu dem Discounter gehen müssen, um seinen Vorrat an Fleisch aufzufüllen.
In der Mensa bestellte er sich zwei Mittagessen, beide mit reichlich Fleisch. Dann blickte Daniel sich nach Sylvia um. Sollte sie an einem der Tische sitzen, so würde er sich zu ihr begeben und ein zwangloses Gespräch beginnen. Aber die Kleine ließ sich nicht blicken und enttäuscht nahm er schließlich an einem leeren Tisch Platz.
Als er die Dunkelhaarige auch am Nachmittag nicht finden konnte, machte er sich schließlich zornig auf den Heimweg. Gut, es war Freitag und die meisten Studenten gingen schon gegen Mittag in das Wochenende. Doch wie konnte Sylvia es wagen, nach Hause zu fahren, ohne mit ihm gesprochen zu haben?
Beim Discounter deckte Daniel sich mit reichlich Fleisch ein. Er nahm, was er finden konnte.
„Ah, junger Mann“, sprach ihn die Verkäuferin, eine Vierzigjährige mit reichlich Speck auf den Rippen, an, „sie planen wohl eine größere Grillparty, was?“
‚Das geht dich einen feuchten Kehricht an‘, wollte Daniel schon antworten und hätte ihr am liebsten in das dicke Gesicht geschlagen. Doch dann riss er sich zusammen, nickte nur und zahlte rasch.
„Was für ein Haufen von Dummköpfen“, murmelte er auf dem Nachhauseweg vor sich hin, wusste aber eigentlich nicht, wen er speziell meinte. Alle natürlich. Die Dozenten, die immer den gleichen Mist von sich gaben, die Menschen in der U-Bahn, die sich mit nichts anderem als ihren Handys beschäftigen konnten und die minderbemittelten Verkäuferinnen im Supermarkt, die es zu nichts im Leben gebracht hatten. Niemand konnte ihm das Wasser reichen! Ihm, Daniel Bossheimer - dem Boss!
Abends bereitete er alles für die nächste Einnahme vor. Heute war Tag vier seines Experiments und es wurde langsam Zeit, dass er endlich eine Wirkung spürte, wenn nicht alles vergebens sein sollte. Daniel bereitete einen Zettel mit dem Hinweis vor, dass er am kommenden Morgen den Wasserhahn nicht benutzen und sehen wollte, wie sich die Kopfschmerzen entwickelten. Dann aktivierte er wieder die Aufnahmefunktion seines Handys.