Читать книгу Gefahren - Abwehr - Jürgen Ruhr - Страница 6
III.
ОглавлениеIch lieferte Gisbert am Krav Maga Studio ab und begab mich direkt zum Gebäude unserer Detektei. Mit der nassen Hose wollte ich mich nicht auch noch dem Spott der Kollegen und Jennifer aussetzen.
Seufzend betrat ich mein Büro, das ich mir leider inzwischen mit Birgit teilen musste. Seitdem sie von unserer Sekretärin zur festen Mitarbeiterin in der Detektei und im Personenschutz aufgestiegen war, okkupierte sie regelmäßig meinen Sessel. Jetzt aber ließ ich mich erschöpft hineinfallen, schloss für ein paar Sekunden die Augen und rekapitulierte meinen neuen ‚Fall‘.
Ich musste ein wenig eingenickt sein, denn die Türklingel riss mich aus meinen Gedanken und jagte mir einen mächtigen Schreck ein. Fast wäre ich von meinem Chefsessel gefallen. Die Gedanken an Sonne, Strand, gutes Essen und Meerwasser verdrängend, schlurfte ich zum Eingang. Wer mochte mich jetzt stören? Normalerweise verliefen sich keine Kunden hierhin. Misstrauisch blickte ich durch die Glastür und erkannte einen heftig gestikulierenden Praktikanten.
Gisbert!
Verdammt, was verschlug den Kerl denn jetzt hierhin? Wenn Bernd mir etwas mitteilen wollte, konnte er mich doch anrufen. Jetzt klopfte der Praktikant mit seinen Fingerknöcheln sogar gegen die Tür und bedeutete mir, ihm aufzuschließen. Innerlich musste ich grinsen. Wie war das früher in den guten alten Zeiten? Man hatte sich mit Auszubildenden oder Praktikanten einen Scherz erlaubt. Zur Einführung in das Berufsleben quasi. Ich sah keinen Grund, warum es Gisbert nicht anders ergehen sollte.
Nachdem er erneut gegen das Glas klopfte, ruderte ich ebenfalls mit beiden Armen wild in der Luft herum und deutete auf das Türschloss. Gisbert nickte schließlich verstehend und wandte sich um. In diesem Moment klingelte das Telefon in der Halle.
„Detektei Argus, Jonathan Lärpers am Apparat“, meldete ich mich und hörte ein leises Glucksen am anderen Ende. So als würde jemand ein Lachen nur mühsam unterdrücken.
„Jonathan, würdest du bitte die Türe aufschließen?“, erklang Gisberts Stimme.
Jetzt musste ich fast lachen. Mein Plan stand fest: „Das geht leider nicht“, erklärte ich. „Der Schlüssel ist abgebrochen und jetzt bin ich hier gefangen und kann die Tür nicht öffnen.“ Das dürfte genügen, damit der Kerl wieder zurück zu Jennifer ging.
„Ach so, das ist natürlich schlecht. Warte, ich rufe einen Schlüsseldienst.“
Schon unterbrach er das Gespräch. Einen Schlüsseldienst verständigen? Das hatte mir noch gefehlt! Hastig stürmte ich zur Tür und klopfte dagegen. Gisbert wandte sich verwundert um. Ich konnte erkennen, dass er gerade dabei war, in seinem Adressbuch im Telefon nach einer Rufnummer zu suchen. Erneut klopfte ich und deutete auf das Schloss. Dann schüttelte ich den Kopf und griff rasch zu dem Schlüssel, der dort steckte. Ich würde nicht darum herumkommen, ihm doch zu öffnen.
Immer noch in Eile, dass der junge Praktikant auch ja nicht den Schlüsseldienst rufen würde, zerrte ich an dem Schlüssel. Mit einem leisen Knirschen brach er auseinander, wobei eine Hälfte im Schloss verblieb. Entgeistert starrte ich auf den anderen Teil in meiner Hand.
Gisbert, der mich beobachtete, nickte und formte mit Daumen und Zeigefinger das OK - Zeichen. Dann wählte er die Nummer des Schlüsseldienstes.
Eine Stunde und fünfzehn Minuten später - pünktlich zum Ende meiner Mittagspause - stand Gisbert mir in meinem Büro gegenüber. Der Mann vom Schlüsseldienst - ständig blickte er grinsend auf den Fleck auf meiner Hose - war zufrieden abgerauscht, nachdem ich die Übernahme aller Kosten durch unsere Firma mit meiner Unterschrift bestätigt hatte. Immerhin musste das alte Schloss aufgebohrt und ersetzt werden. Es lag jetzt auf meinem Schreibtisch, zusammen mit dem Durchschlag des Arbeitszettels.
„Bernd schickt mich zu dir“, begann Gisbert jetzt. „Er meint, ich solle die gesamte Zeit über, die du an dem Auftrag arbeitest, an deiner Seite bleiben und Praxiserfahrung sammeln. Longum iter est per praecepta, breve et efficax per exempla.“
Ich stöhnte gequält auf. Wollte Bernd mich eigentlich in den Wahnsinn treiben? Ein paar Zeilen eines Liedes gingen mir durch den Kopf und plötzlich wusste ich, wie ich den Jungen zum Schweigen bringen würde: „Et Tring sät un deit och hück, wat et denk“, gab ich grinsend von mir.
Jetzt hatte ich ihn.
„Katharina sagt und tut auch heute, was sie denkt“, gab Gisbert den Text in Hochdeutsch wider. „Kölsches Liedgut“, erklärte er dann überflüssigerweise, da ich das alles nicht wissen wollte. „Es handelt sich dabei um das Lied: Et Hätz op der Zung. Allerdings erschließt sich mir nicht, was das mit ‚Longum iter est per praecepta, breve et efficax per exempla‘ - was ja übersetzt heißt: Lang ist der Weg durch Lehren, kurz und wirkungsvoll durch Beispiele - gemeinsam haben könnte.“
In diesem Moment beschloss ich, mit Bernd ein ernstes Wörtchen zu reden.
Die Wartezeit auf den Schlüsseldienst hatte ich dazu genutzt, am Düsseldorfer Flughafen anzurufen. Nach einigem Hin- und Her und nachdem ich durch viel Hinterfragen die Fluglinie, mit der Weser von Lublin nach Düsseldorf geflogen war, herausbekommen hatte, wurde ich schließlich mit der zuständigen Gepäckermittlung verbunden. Wie durch ein Wunder teilte man mir schon nach wenigen Minuten mit, dass ein Alukoffer gefunden worden wäre.
Fall gelöst!
Jetzt musste der Koffer lediglich noch dort abgeholt werden, wobei die Aufgabe mit Sicherheit wieder an mir hängen bleiben würde. Allerdings bräuchte ich eine Vollmacht des auf dem Flug registrierten Besitzers, wenn ich das nicht selbst wäre.
„Prima Gisbert, sehr sehr schön“, lobte ich den Praktikanten und hoffte, dass mein Sarkasmus auch genügend zum Ausdruck kam. „Da habe ich gleich eine hervorragende Praxisaufgabe für dich: Ich brauche von Herrn Weser eine Vollmacht, damit ich seinen Koffer abholen kann. Es sei denn, der Mann fährt selbst zum Flughafen ...“
„Der Koffer wurde gefunden?“, fragte Gisbert überflüssigerweise. „Da wird sich Herr Weser aber freuen.“
„Ja und er wird sich noch mehr freuen, wenn du ihm die frohe Botschaft persönlich überbringst. Und sollte er wirklich nicht selber nach Düsseldorf fahren wollen, sondern mir das überlassen, dann brauche ich eine Vollmacht von ihm, die mir erlaubt den Koffer entgegenzunehmen. Kannst du das erledigen?“
„Natürlich, gerne Jonathan. Mein erster selbständiger Einsatz im Detektivgewerbe.“
„Ja, dann lass dich nicht aufhalten. Oder hast du noch Fragen? Entweder Weser fährt selbst zum Flughafen oder wir brauchen diese Vollmacht. Schaffst du das?“
„Kein Problem, mon patron. Carpe diem!“
„Ja, du mich auch. Karre die hem!“ Ich nickte Gisbert zu und deutete auf die Tür. Er sollte endlich sein komisches Karre Ding nehmen und verschwinden!
Kurz vor sechzehn Uhr betrat ich das Krav Maga Studio und nickte Jennifer im Vorbeigehen zu.
In der Detektei drüben war mir eine glänzende Idee gekommen, wie ich den immer noch deutlich sichtbaren Fleck auf meiner Hose kaschieren konnte. Dazu begab ich mich in den Toilettenraum und entledigte mich meiner Beinkleider. Anschließend hielt ich das gute Stück unter den Wasserhahn, so dass die gesamte Hose nass war. Jetzt war der Fleck nicht mehr zu sehen. Zufrieden zog ich sie nach intensiven Auswringversuchen wieder an. Das Feuchte war jetzt äußerst unangenehm, aber wenigstens würde niemand mehr auf den Fleck starren und im Geiste assoziieren, dass ich in die Hose gemacht hätte.
„Jonathan, warte einen Moment“, rief Jenny mir hinterher und ich drehte mich fragend um. „Bernd möchte noch kurz mit dir sprechen. Jetzt direkt.“ Dann sah sie an mir herunter und bemerkte die nasse Hose. „Warst du schwimmen? In deinen Hosen?“
„Nein, nein“, erklärte ich hastig. Ich musste einen Fleck auswaschen.“ Schnell, bevor sie noch weitere Fragen stellen konnte, eilte ich zu Bernds Büro. Er würde sich kurzfassen müssen, denn in ein paar Minuten begann mein Kampftraining bei Dozer und ich wollte nicht zu spät kommen.
„Hallo Bernd“, begrüßte ich meinen Freund. „Jennifer sagte, du willst mich noch sprechen. Was gibt es denn so Wichtiges?“
„Nicht viel Jonathan, ich werde dich nicht lange aufhalten. Du sollst ja zu deinem Training nicht zu spät kommen.“ Dann sah er auf meine Hose: „Was ist denn mit dir passiert? Irgendwo in einen Bach gefallen?“
Im gleichen Moment aber winkte mein Freund ab: „Das kannst du mir später erzählen. Jetzt nur das: Vorhin hat mich Herr Weser angerufen und euch in den höchsten Tönen gelobt. Er war sehr zufrieden. Naja, ehrlich gesagt hat er deine Person nicht erwähnt, sondern unseren Praktikanten über den grünen Klee gelobt. Aber ich interpretiere das so, dass er auch mit dir zufrieden war. Also weiter so, ihr beiden scheint ein gutes Team zu sein.“
Ich nickte: „Ja und der Fall ist auch schon abgeschlossen. Der Koffer befindet sich in der Gepäckermittlung am Flughafen. Ich werde gleich morgen Vormittag dort hinfahren und ihn abholen. Gisbert kann wieder zu Jennifer zurück. Jetzt, da ja alles erledigt ist.“
Bernd lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Ja, über den Koffer hat mich Gisbert schon informiert. Und die Vollmacht befindet sich auch in seinem Besitz. Jedoch soll er ruhig noch ein wenig an deiner Seite bleiben und von dir lernen. Unser Praktikant gehört vorläufig ganz dir. Und es war eine gute Idee, ihn wegen der Vollmacht zu Weser zu schicken. So lernt der Junge auch ein wenig selbständiges Arbeiten. Du siehst ihn übrigens gleich beim Training wieder. So, das war’s, was ich Dir sagen wollte. Viel Spaß im Dojo.“
„Aber, aber ...“ begann ich und wusste nicht so recht, wie ich mich ausdrücken sollte. „Den Koffer kann ich doch auch alleine abholen. Was kann der Praktikant schon dabei lernen, wenn ich das Gepäckstück am Flughafen entgegennehme?“
Bernd stöhnte gequält auf: „Es ist ja nicht das Abholen allein, Jonathan. Der Koffer muss ja auch zu Herrn Weser gebracht werden. Und dabei kann Gisbert lernen, wie wir mit unseren Kunden umgehen. Das hat doch heute Vormittag schon sehr gut geklappt …“
‚Ja‘, dachte ich, ‚würde es nach mir gehen, hätte ich diesen Weser direkt erschossen. Und den blöden Praktikanten dazu.‘ Aber ich nickte lediglich und wandte mich zur Tür.
„Komm doch nach dem Training bitte noch einmal zu mir, dann ist Sam auch hier“, meinte Bernd noch zum Abschied.
Ich blickte auf die Uhr und stellte mit Erschrecken fest, dass es schon fünf Minuten nach sechszehn Uhr war. Jetzt musste ich mich beeilen und würde trotzdem zu spät kommen. Bernd hätte aber auch später mit mir sprechen können ...
Exakt sieben Minuten später betrat ich das Dojo - unseren Trainingsraum - und sah mich einer Gruppe von knienden Kindern gegenüber, die offensichtlich den Worten ihres Lehrers gelauscht hatten. Jetzt aber blickten alle auf mich und Dozer, der ebenfalls auf den Knien vor den Kleinen saß, erhob sich und kam auf mich zu.
„Jonathan. Schön dich wiederzusehen. Allerdings muss ich dich ermahnen, pünktlich zu sein. Wie geht es dir?“
Thomas Friedlich, den alle wegen seines Körpergewichts nur ‚Dozer‘ nannten, war der beste Trainer für Kampfsportarten, den ich kannte. Jetzt breitete er die Arme aus und hatte mich fast erreicht.
Diese Geste konnte nur eines bedeuten: Dozer wollte seinen jungen Schülern einmal vorführen, wie Krav Maga Kampfkunst in Natura aussah und hatte mich als Opfer auserkoren. Ich schmunzelte und dachte an unsere erste Begegnung mit ihm. Damals unterrichtete Dozer noch Kampfsport an der Schule für Personenschutz in Rendsburg und Christine Weru, sowie meine Wenigkeit, nahmen an solch einem Personenschutzlehrgang teil. Da Dozer damals annahm, dass wir keinerlei Kampfsporterfahrung hätten, war seine Verwunderung umso größer, als Chrissi ihn schon am ersten Tag auf die Matte schickte. Bei dem Gedanken an die Situation damals stahl sich ein Lächeln auf mein Gesicht.
„Was grinst du so blöd?“, hörte ich Dozer fragen, dann war er auch schon heran.
Doch jetzt und hier würde dieser Bulle von Mensch mich nicht überrumpeln können. Ich täuschte eine Bewegung nach rechts an, duckte mich dann blitzschnell und stürmte an ihm vorbei. Naja, fast. Leider blieb ich mit der Stirn an seinem abgewinkelten Arm hängen und schlug Sekunden später schmerzhaft auf dem Boden auf. Mein Kopf dröhnte und für einen Moment hatte ich den Eindruck, ohnmächtig zu werden. Dann half mir Dozer hoch, breitete die Arme erneut aus und schloss mich in selbige.
„Willkommen zurück“, meinte er nur und schob mich ein Stück von sich fort. „Aber sag einmal, was ist mit dir los? Was sollte dieses merkwürdige Verhalten eben? Hast du jetzt auch schon Angst, einmal in den Arm genommen zu werden?“
„Ich ... ich dachte, du wolltest mich angreifen.“
Dozer schüttelte den Kopf: „Du kommst manchmal auf ganz schön merkwürdige Gedanken, Jonathan. Das kommt später noch. Jetzt setz dich erst einmal zu meinen Schülern und lass mich in Ruhe mit dem Kurs beginnen. Dein Partner bei den Übungen ist übrigens unser Praktikant. Du kennst ihn ja schon, allerdings solltest du wisse...“
„Das ist ja prima“, unterbrach ich Dozer und rieb mir im Geiste die Hände. Das Jüngelchen würde hier und heute einmal wirkliche Kampfkunst kennenlernen und mit reichlich blauen Flecken nach Hause gehen.
Dozer begann den Kurs mit allgemeinen Erklärungen zum Kampfsport und schickte uns einige Runden zum Aufwärmen durch die Halle. Anschließend holte er mich auf die Matte, um die erste gemeinsame Übung vorzuführen. „Keine Angst, Jonathan“, raunte er mir zu, „das ist eine ganz leichte Anfängerübung. Du brauchst also nicht wieder so übertrieben zu reagieren.“
Ich nickte. Dann ließ Dozer die Schüler Aufstellung nehmen und Gisbert eilte zu mir. Brav absolvierten wir ebenfalls die Bewegungsabläufe und aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, dass die Kinder mit Begeisterung bei der Sache waren. Jetzt brauchte ich eigentlich lediglich eine unbeobachtete Sekunde und Gisbert wäre um einen blauen Flecken reicher. Doch Dozer stand leider so unglücklich, dass ich mich ständig in seinem Blickfeld befand.
Weitere Übungen folgten und die Zeit schritt voran. In dem Moment, als ich enttäuscht dachte, dem Praktikanten heute keine Lektion mehr erteilen zu können, wandte Dozer sich um.
Das war die Gelegenheit für mich!
Wir übten gerade das sogenannte ‚Fußfegen‘ - wie Dozer zuvor erklärt hatte, hieß der Wurf ‚De-Ashi-Barai‘ - in teilweiser Ausführung, so dass niemand zu Fall kam und dieser Judowurf nur angedeutet wurde. Ich aber würde dem Praktikantenbürschchen jetzt einmal die volle Wucht der Übung zeigen. Der Junge sollte ja schließlich etwas lernen!
Diesmal griff ich etwas härter zu und fasste seine linke Schulter mit meiner rechten Hand noch bevor Gisbert begriff, wie ihm geschah. Dann vollführte ich mit meinem rechten Fuß einen Schwinger, der ihm seine beiden Beine unter dem Körper wegziehen würde.
Ich weiß nicht, ob Gisbert etwas geahnt hatte oder ob mir ein Fehler unterlaufen war. Jedenfalls befanden sich seine Beine nicht dort, wo sie eigentlich hingehörten und mit einem lauten Krachen landete ich auf der Matte. Schmerzhaft schlug mein Kopf auf und vor meinen Augen tanzten Sterne.
Dann sah ich Dozer, der sich über mich beugte: „Jonathan, ich habe vorhin doch erklärt, dass wir zunächst ohne Körperkontakt üben.“ Er wandte sich an Gisbert: „Sehr ordentlich. Gut reagiert.“
Ächzend erhob ich mich und blickte Dozer an. „Ich ... ich habe do...“
„Doch, Jonathan, hast du“, unterbrach er mich. „Ich sah zufällig, wie du Gisbert die Beine wegziehen wolltest. Was ich dir aber vorhin mitteilen wollte, als du mich einfach unterbrochen hast: Gisbert trägt den schwarzen Gürtel in Judo.“
Der Praktikant lächelte und meinte bescheiden: „Ich habe aber lediglich den zweiten Dan, den Nidan. Vielleicht kann ich ja bei euch weiter mittrainieren und auch entsprechende Prüfungen machen. Vivere militare est.“
Dozer grinste: „Leben bedeutet kämpfen. Stammt das Zitat nicht von Seneca?“
Gisbert nickte.
Gut, dass die Trainingsstunde vorüber war.
Bernd traf ich nach dem Duschen in unserer Bibliothek, die direkt neben einem Innenhof, dem Atrium, lag. Er saß mit Sam, Birgit und Gisbert an einem Tisch, auf dem verschiedene Fruchtsäfte standen. Nach dem anstrengenden Training freute ich mich auf einen kühlen Orangensaft. Aber zunächst begrüßte ich Birgit und Sam.
„Jonathan, schön dass du wieder aus dem Urlaub zurück bist“, meinte Sam und betrachtete mein Gesicht. „Was ist das denn? Ein Vollbart. Ist dein Rasierer kaputt?“
Und Birgit, die mit ihren rot und blau gefärbten Haaren recht flippig aussah, konnte sich einer Bemerkung ebenfalls nicht enthalten. „Johni, die Matte im Gesicht steht dir gar nicht. Aber dafür hast du ja kaum noch Haare auf dem Kopf ... Hast du dir deswegen den Bart wachsen lassen?“
Seitdem wir nach unserem letzten Auftrag wieder hier in Mönchengladbach angelangt waren und sie ihre ursprünglich kastanienbraunen Haare wieder durch die grässliche Färbung verunstaltete, nannte sie mich auch wieder ‚Johni‘. ‚Jon‘ wollte ich genannt werden - was allerdings niemand tat - aber auf gar keinen Fall ‚Johni‘.
„Der Bart steht mir“, erwiderte ich trotzig. „Und die Haare passen zu meinem Beruf. Militärisch kurz halt!“ Mit Schwung goss ich mir ein Glas Orangensaft ein und freute mich auf das angenehm kühle Getränk. Rasch nahm ich einen Schluck und spürte im selben Moment, wie sich ein paar Barthaare zwischen Glasrand und Lippe schoben. Schon tropfte goldgelber Saft auf mein Hemd und hinterließ dort einen kleinen Fleck.
Die drei am Tisch grinsten und blickten auf meine nasse Hose.
„Irgendetwas ist merkwürdig an dir“, meinte Bernd und auch Sam nickte.
„Da war ein Fleck auf der Hose“, erklärte ich.
„Und deswegen ist jetzt das komplette Kleidungsstück nass?“ Bernd schüttelte den Kopf. „Aber du kannst ja jetzt auch dein Hemd auswaschen, dann siehst du wirklich so aus, als wärst du in einen Bach gefallen“, lachte er, wurde aber sogleich wieder ernst. „Birgit kommt mit ihrem Fall leider nicht weiter. Vielleicht kann Jonathan in den nächsten Tagen verdeckt Birgits Aufgabe übernehmen, wenn die Sache mit Wesers Koffer erledigt ist. Ich befürchte, dass die Täter, die die Damen vom Ordnungsamt angegriffen haben, sich nur bestimmte Opfer aussuchen und Jonathan könnte eine von ihnen beschatten. Birgit wird aber weiterhin als Politesse herumlaufen und Knöllchen verteilen. Irgendwann müssen uns diese Leute doch auf den Leim gehen!“
„Ja, ich könnte übermorgen schon damit anfangen“, ereiferte ich mich und dachte daran, dass der unsägliche Praktikant endlich zu Jennifer zurückkehren könnte. „Dann kann ja ...“
„Natürlich zusammen mit Gisbert“, nahm Bernd mir jede Hoffnung auf ruhige Arbeitstage. „Aber zunächst kümmert ihr euch um den Koffer und fahrt mit dem Zug zum Flughafen, die Bahnkarten liegen schon bei Jennifer. Vergesst nicht, sie mitzunehmen, wenn ihr gleich Feierabend macht!“
„Causa finita est“, ließ sich der Praktikant auch direkt vernehmen und blickte grinsend in die Runde.
Wie aus einem einzigen Mund ließen Bernd, Sam und Birgit die Übersetzung verlauten: „Die Sache ist entschieden!“