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IV.
ОглавлениеAm nächsten Morgen trafen der Praktikant und ich uns auf dem Bahnsteig des Rheydter Hauptbahnhofs. Unser Zug sollte um acht Uhr dreißig hier abfahren und eine Stunde später würden wir am Flughafen ankommen. Allerdings mussten wir zwischendurch am Düsseldorfer Hauptbahnhof umsteigen und mit der S-Bahn weiterfahren.
„Guten Morgen Jonathan. Avis matutina vermem capit“, begrüßte mich mein Gehilfe höflich und meine gute Laune war schlagartig verschwunden. Wer wollte schon in aller Frühe auf einem verdreckten Bahnsteig mit dämlichen lateinischen Sprüchen begrüßt werden?
„Morgen“, brummte ich und fügte hinzu: „Ja, ja matu matu Wermut, kapiert. Hast du alles dabei? Wesers Vollmacht und deine Fahrkarte?“
Gisbert sprudelte vor Eifer quasi über und während er nach dem Zug Ausschau hielt, nickte er heftig. „Klar Chef. Alles dabei. Es heißt aber: Avis matutina vermem capit - der frühe Vogel fängt den Wurm.“
„Na, dann guten Appetit“, meinte ich sarkastisch, „bei deinem Würmerfrühstück ...“
Zum Glück fuhr in diesem Moment der Zug in den Bahnhof ein und der Lärm unterband jedwede weitere Konversation. Wir suchten uns einen freien Platz und um weiteren Diskussionen mit dem jungen Mann zu entgehen, lehnte ich mich zurück und schloss die Augen.
„Jonathan, aufwachen“, drang die Stimme des Jungen an mein Ohr, während er meine Schulter rüttelte. „Wir müssen aussteigen, Düsseldorf Hauptbahnhof!“
Die S-Bahn erreichten wir im letzten Moment und endlich, eine halbe Stunde später, suchten wir im Flughafen schon nach der zuständigen Gepäckermittlung. Am Informationsschalter wies man uns schließlich den Weg.
„Also Gisbert. Du lässt mich das machen, verstanden?“
„Ja, du bist der Chef.“
„Genau, vergiss das nicht.“
„Guten Morgen“, machte ich den Mann, der hinter dem Schalter der Gepäckermittlung stand und angestrengt auf einen Computermonitor starrte, auf mich aufmerksam. Doch entweder sprach ich zu leise oder er verstand unsere Sprache nicht.
„Guten Morgen“, wiederholte ich eine Spur lauter und fügte hinzu: „Good morning, good morning. Kundschaft!“
Der Mann blickte von seinem Monitor hoch. „Good morning, what can i do for you?“
Ich kratzte mein Schulenglisch zusammen und erklärte unser Anliegen: „I need a suitkoffer, that is weg.“
Der Mann blickte auf seinen Bildschirm, dann zuckte er mit den Schultern. Anschließend folgte eine ganze Litanei von englischen Sätzen, die ich aber nicht verstand.
„My Koffer, my Koffer - suitcase“, wiederholte ich. Wieso sprach der Knabe eigentlich nicht deutsch? Aber Düsseldorf war ja auch ein internationaler Flughafen.
„Er meint, dass sie keine Koffer verkaufen“, mischte sich Gisbert jetzt übersetzend ein und ich war froh, dass er mich nicht auf Latein ansprach.
„Gisbert, ich will keinen Koffer kaufen. Das weißt du doch. Wir wollen lediglich Wesers verlorengegangenes Gepäckstück abholen. Aber das muss ich dir doch nicht extra noch erklären.“ Ich wandte mich wieder an den Angestellten, der sich mittlerweile erneut um seinen Bildschirm kümmerte. Langsam wurde ich neugierig, was er sich da so intensiv anschaute.
„Good man“, versuchte ich es auf die freundliche Tour. „We are not looking for to sell a Koffer. We need one.“
„Yes, I told you, we don’t sell suitcases and also we don’t buy them.“
„Er verkauft keine Koffer und er will auch keine kaufen“, übersetzte der Praktikant unnötigerweise. Ich wollte ja weder einen verkaufen, noch kaufen.
Gisbert wandte sich an den Mann hinter dem Tresen: „Wir wollen einen verloren gegangen Koffer abholen.“
„Warum sagen sie das nicht gleich? Spricht ihr Vater kein Deutsch?“
Gisbert schmunzelte und ich wurde rot im Gesicht. Sah ich wirklich so alt aus, dass ich als Vater dieses Bürschchen durchgehen sollte?
„Jetzt hören sie mal gut zu“, grollte ich und hätte den Kerl am liebsten hinter seinem Tresen hervorgezogen. „Wir wollen einen verloren gegangenen Koffer abholen.“
„Ja, das sagte ihr Sohn gerade schon. Sie sprechen ja doch ein ganz leidliches Deutsch. Wie ist denn der Name?“
Ich sah den Mann irritiert an: „Der Name? Wir haben dem Koffer keinen Namen gegeben. Er heißt halt ‚Koffer‘.“
„Ihr Name, wie ist ihr Name?“
„Ach so, ich heiße Jonathan Lärpers“
Er tippte auf einer unsichtbaren Tastatur herum. Dann blickte er mich wieder an. „Tut mir leid, ich kann sie in keiner Boardingliste finden. Wann sind sie denn in Düsseldorf angekommen? Oder ist ihnen ihr Gepäck auf einem anderen Flughafen abhandengekommen?“
„Nein, nein“, erklärte ich. „Ich vermisse kein Gepäck. Ich bin von Spanien zurückgeflogen und hatte keine Probleme.“
Der Typ seufzte vernehmlich und hob beide Hände. „Sie haben doch eben gesagt, dass ihnen ein Koffer verlorengegangen ist. Was wollen sie denn jetzt von mir?“
Bevor ich die Situation in meiner gewohnt souveränen Art klären konnte, mischte sich Gisbert wieder ein: „Wir sind hier um einen Alukoffer von einem gewissen Herrn Weser abzuholen. Laut telefonischer Auskunft wurde er gefunden.“
„Herr Weser?“, der Mann nickte und tippte. „Ja, alles klar. Der Koffer befindet sich hinten.“ Dann blickte er Gisbert direkt an: „Sie sind Herr Weser?“
„Nein ist er nicht“, fuhr ich dazwischen, bevor mir die Gesprächsführung völlig entglitt. Das ist der Herr Orbach. Und den Koffer möchte ich abholen.“
„Aber sie sind doch auch nicht der Herr Weser“, insistierte der Angestellte jetzt und ich meinte einen schwachen Ausdruck von Abscheu in seinem Gesicht zu erkennen. „Sie sind doch der Herr Jonathan Lärpers, wie sie eben erklärten. Ich kann den Koffer nur an sie herausgeben, wenn sie auch berechtigt sind, ihn entgegen zu nehmen. Dazu brauche ich eine Vollmacht des Herrn Weser.“
„Habe ich“, gab ich mit überlegener Miene zum Besten.
„Kann ich die dann bitte einmal sehen?“
„Ja, aber ich habe sie nicht, sond...“
„Ich habe die Vollmacht“, fiel mit Gisbert ins Wort und kramte den Zettel hervor. Dann reichte er ihn über die Theke.
„Also holen sie jetzt den Koffer ab?“, fragte der Mann, an meinen Gehilfen gewandt, nach. „Dann brauche ich noch ihren Personalausweis bitte.“
In mir kochte die Wut hoch. Was das Praktikantenbürschlein auf dem Bahnsteig in Rheydt mit seinem dämlichen Lateinspruch gesät hatte, würde er jetzt ernten können ...
„Jetzt reicht es aber“, verkündete ich drohend und hieb mit der Faust auf die Theke. „Ich bin hier der Chef und ich hole den Koffer ab. Jetzt geben sie endlich das Ding heraus, sonst komm ich zu ihnen rüber und dann wären sie froh, mich nie kennengelernt zu haben!“
So, das saß. All meine aufgestaute Wut verpuffte und ich lächelte zufrieden.
Ich lächelte auch noch, als zwei Sicherheitsbeamte mich zwischen sich nahmen und aus dem Flughafengebäude herausbegleiteten. Damit ich auch ja nicht wieder zu dem Schalter zurückkehrte, postierten sie sich drohend vor der Eingangstür.
Keine fünf Minuten später schritt Gisbert mit einem Aluminiumkoffer in der rechten Hand gut gelaunt an den Männern vorbei und kam auf mich zu. „Ging alles problemlos“, meinte er leichthin. „Ich habe mich für dich entschuldigt und gesagt, du hättest gerade eine Scheidung hinter dir und wärst deswegen ein wenig aufgeregt. Das hat er mir sogar geglaubt. Mundus vult decipi.“
„Ja klar, ist ja echt mundus vult Kult, so eine Scheidung“, knurrte ich und griff nach dem Koffer. Dann zog ich rasch meine Hand zurück. Gisbert war mein Gehilfe und ein Chef trug niemals den Alukoffer selbst.
„Die Welt will betrogen sein“, erklärte der junge Praktikant unaufgefordert. Ich seufzte einmal mehr gequält auf.
„Wir fahren jetzt zu Weser und schließen diesen Auftrag damit ab“, bestimmte ich, fühlte aber keine Erleichterung bei dem Gedanken, da ich Gisbert ja doch nicht loswerden würde. Vielleicht konnte ich den Jungen bei dem nächsten Job meiner Kollegin Birgit unterjubeln. Bernd brauchte davon ja nicht unbedingt etwas zu erfahren.
Endlich wieder zurück in Rheydt wollte ich die Begegnung mit Weser schnellstmöglich hinter mich bringen. Während der Zugfahrt kam mir die glorreiche Idee, Weser über unser Kommen zu informieren und Gisbert übernahm die Aufgabe mit Freude.
Jetzt standen wir erneut vor dem kleinen heruntergekommenen Haus und ich ließ den Praktikanten die Klingel betätigen. Es dauerte keine drei Sekunden, dann stand uns der dicke Alte auf der anderen Seite des Tores gegenüber und schloss auf.
„Herr Orbach, welche eine Freude. Salve amicum. Ah, und der Herr Lyschers. Dann kommen sie doch herein. Wie ich sehe, trägt mein junger Freund ja meinen Koffer bei sich!“
„Salve nobilis dominus. In der Tat, wir freuen uns, ihnen ihr gutes Stück unbeschadet überreichen zu können.“ Gisbert war übertrieben charmant wie immer.
„Salve domina“, knurrte ich, denn mit dem Begriff konnte ich etwas anfangen.
Diesmal führte Weser uns in seine Küche und bedeutete Gisbert den Koffer auf den Tisch dort zu legen. Ich blickte mich um. Auch hier hatte sich in den letzten Jahren nichts verändert. Eine in die Jahre gekommene Einbauküche Marke ‚Eiche rustikal‘ dominierte den Raum. Auf der Anrichte stand die mir bekannte Kapselkaffeemaschine, auf die Weser so stolz war. Ich blickte auf die Uhr. Wenn wir uns jetzt ein wenig beeilen würden, könnte ich meine Mittagspause bei Curry - Erwin verbringen. Ich musste dem Inhaber des kleinen Imbisses und meinem treuen Freund unbedingt von meinem Urlaub erzählen.
„Nun machen sie das Ding schon auf, Herr Weser“, ermunterte ich den Alten. Ich war neugierig, was sich in dem Gepäckstück befinden würde.
„Langsam, langsam, Herr Lieggers. Irgendetwas kommt mir komisch vor.“ Er besah sich den Alukoffer von allen Seiten, dann fummelte er an einem der beiden Zahlenschlösser. „Also, ich weiß nicht ...“, murmelte er schließlich. „Bitte drehen sie sich um, ich muss die Geheimzahl eingeben“, wandte er sich an uns und wir taten wie geheißen. So sah der Mann auch nicht, wie ich genervt die Augen verdrehte.
Die Minuten vergingen und hin und wieder war das leise Klacken der Zahnräder zu vernehmen. Nach mehr als fünf Minuten drehte ich mich schließlich um: „Was ist denn nun, Herr Weser? Ist das Ding noch nicht offen?“
„Da stimmt etwas nicht. Ich habe doch den richtigen Zahlencode eingegeben, aber der Koffer lässt sich nicht öffnen. Ob jemand daran herummanipuliert hat?“
„Das glaube ich nicht“, knurrte ich. „Sie werden den Code einfach vergessen haben.“
„Nein, nein“, widersprach Weser und hielt mir einen Zettel hin. „Schauen sie hier, ich habe mir die Zahlen doch aufgeschrieben. So kann ich sie nicht vergessen.“
Ich blickte auf den Zettel und musste grinsen. ‚zwei-zwei-zwei‘ stand dort. „Nein, die Kombination ist ja wirklich schwer zu merken, gut dass sie sie aufgeschrieben haben“, bemerkte ich und stellte selbst die drei Zahlen an den beiden Schlössern links und rechts ein. Dann wollte ich den Deckel entriegeln, erreichte aber nichts.
„Soweit war ich auch schon“, triumphierte Weser. „Und alle anderen möglichen Kombinationen habe ich auch schon ausprobiert.“
„Welche Kombinationen?“
„Nach ‚null-null-null‘, ‚eins-eins-eins‘, ‚zwei-zwei-zwei‘, ‚drei-dr...“
„Ja gut, ich kann’s mir denken“, unterbrach ich den Dicken, bevor er alle Zahlen herunterleiern konnte.
„Und was nun?“ Wesers Stimme klang ein wenig weinerlich und schwach stieg etwas Schadenfreude in mir auf.
„Wir müssen den Koffer aufbrechen“, mischte sich der Praktikant ein und erinnerte mich damit schmerzlich an seine Anwesenheit. Fast hatte ich ihn schon vergessen. „Haben sie einen kräftigen Schraubendreher?“
Weser nickte und wirklich traten einige Tränen in seine Augen. „Mein schöner Koffer. Aber wenn es keine andere Möglichkeit gibt ... Warten sie, hier.“ Er öffnete eine Schublade in seinem Eiche - rustikal Schrank und holte einen Schraubendreher hervor, den er Gisbert reichte. Meine Hand, die ich ihm verlangend hingehalten hatte, übersah er geflissentlich.
Mein Gehilfe zögerte auch nicht lange, setzte das Werkzeug an und hebelte innerhalb von Sekunden beide Schlösser auf. Bei jedem Knacken der Verschlüsse seufzte Weser theatralisch.
„Voilà“, gab der Praktikant von sich und reichte mir den Schraubendreher. Was sollte ich jetzt mit dem Ding? Nach getaner Arbeit? Rasch verstaute ich das Werkzeug in der Schublade.
„Jetzt ist er hin“, jammerte der dicke Alte. Dann öffnete er mit beiden Händen den Deckel.
Wir drei starrten entgeistert auf einen fast leeren Koffer. Lediglich ein kleiner Schlüssel war mittels Klebeband am Boden befestigt.
„Ich bin beraubt worden!“, schrie Weser und tastete mit beiden Händen in dem leeren Koffer herum. „Alles weg, alles weg!“
Gisbert legte ihm die Hand auf die Schulter. „Herr Weser“, meinte er und wiederholte sich, als der Alte nicht reagierte: „Herr Weser! Ich glaube, es handelt sich nicht um ihren Koffer. Vermutlich wurden sie am Flughafen vertauscht. Wer sollte denn auch den Inhalt an sich nehmen und dafür einen Schlüssel zurücklassen? Nein, der ursprüngliche Besitzer dieses Koffers wird ihn mit dem ihren vertauscht haben ...“
„Aber, aber was jetzt?“, stammelte Weser und plötzlich tat er mir doch ein wenig leid.
„Wir kümmern uns darum“, erklärte ich. „Wir nehmen diesen Koffer mit und ich werde die Sache weiterverfolgen. Ich fand, dies war eine weise Entscheidung, denn besonders in Hinsicht auf meine Mittagspause wurde es Zeit, jetzt hier ein Ende zu finden.
Weser nickte nur und diesmal nahm ich den Koffer an mich. So ein wichtiges Beweisstück konnte ich unmöglich meinem Praktikanten überlassen!