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III.

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Ich lehnte mich in meinem Bürosessel zurück, schloss die Augen und dachte an die kulinarischen Spezialitäten, die Curry-Erwin zu meiner Freude immer wieder auftischte. Er war ein Meister darin, neue Gerichte zu erfinden und besonders der ‚Lärpers Spezial‘ Teller, den er seinen eigenen Worten zufolge nach dem berühmten Privatdetektiven benannt hatte, war ihm mit einer einzigartigen Mischung aus Wurst, Pommes, Soße, Mayonnaise und Senf hervorragend gelungen. Mir blieb zwar nicht verborgen, dass ich der Einzige war, der so etwas kaufte, doch irgendwie machte mich allein schon die Bezeichnung dieser leckeren Kreation mächtig stolz.

Bei einer weiteren Erfindung meines Freundes handelte es sich um das Schaschlik ‚Eiffelturm‘, das er nach meiner Rückkehr aus Paris servierte. Problematisch war allerdings noch, dass sich wegen des Schaschlikspießes im Boden der Pappschachtel ein Loch befand, da er den Spieß senkrecht aufstellen musste. Die herausfließende Soße hatte mir schon meine Schuhe versaut, doch Curry-Erwin arbeitete an einer Verbesserung des Essens.

Heute war ich gespannt, was er mir Besonderes servieren würde. Nach dem Fiasko heute Morgen mit dem Obst und den Säften war ich richtig hungrig und vor meiner Fahrt zum Flughafen Düsseldorf würde ich es mir bei Curry-Erwin so richtig schmecken lassen.

Ein lautes Klopfen auf meinen Schreibtisch ließ mich aufschrecken und die Augen öffnen. „Jonathan, sag nicht, dass du geschlafen hast“, bemerkte Christine grinsend. Sie stand mit einem Packen Unterlagen vor mir und hielt mir schließlich eine dünne Mappe hin. „Hier, das soll ich dir von Jennifer geben. Darin findest du alles in Zusammenhang mit Kyle Maangj.“

Ich blätterte die Unterlagen kurz durch und murrte: „Da ist ja gar kein Foto dabei. Wie soll ich den Mann denn erkennen?“

„Tja, das ist so eine Eigenart der Polizei dort: Die Beamten lassen sich nicht gerne fotografieren. Soll wohl dem Selbstschutz dienen. Aber Maangj hat ein Foto von dir bekommen und wird am Flughafen auf dich zukommen. Du musst lediglich in Ankunftshalle auf ihn warten.“

„Na schön, sonst noch was?“

„Lies dir die Unterlagen durch“, riet mir Chrissi. „Du bringst ihn heute Nachmittag direkt zum Hotel. Morgen geht’s dann richtig los.“

Ich nickte. Dieser Austauschmist hatte noch nicht richtig begonnen und ging mir jetzt schon gründlich auf den Wecker! Es wurde Zeit, dass ich es mir bei Curry-Erwin gutgehen ließ.

„Da ist noch etwas, Jonathan“, meinte Chrissi und ihre Stimme klang reumütig. „Ich hatte vorhin den Eindruck, dass du fest damit gerechnet hattest, nach Kapstadt fliegen zu dürfen. Irgendwie fühle ich mich schuldig und da dachte ich ...“

Sie stockte und irgendwie kam sie mir jetzt vor, wie ein kleines Mädchen, das wieder etwas gutzumachen hatte. „Was dachtest du, Chrissi? Sprich es ruhig aus, egal was es ist.“

„Nun, vielleicht kann ich dich zum Essen einladen und damit wieder einen Teil gutmachen.“

Ach die gute Chrissi! Wollte mich zum Essen einladen, um die Fehler von Bernd auszubügeln. Mir kamen fast die Tränen, doch dann schweiften meine Gedanken zum ‚Chez Duedo‘, meinem Lieblingssteakhaus. Christine lud mich ein, da wollte ich mich natürlich nicht lumpen lassen. Ein riesiges Filetsteak, mindestens aber zwei kleine mit einem großen Berg goldgelber Pommes erschienen vor meinem hungrigen Auge. Ich würde in mich hineinstopfen, was immer hineinpasste!

„Chrissi, jetzt weiß ich nicht so recht, was ich sagen soll“, beeilte ich mich zu antworten und gab meiner Stimme einen tiefen, sonoren Klang. „Dass du, also ich ...“

„Heißt das ja?“, strahlte sie plötzlich und ich nickte anhaltend.

„Ja, das heißt natürlich ja!“

Chrissi drehte sich um, winkte mir mit ihrer freien Hand kurz zu und meinte im Hinausgehen: „Gut, dann sei in einer halben Stunde bei mir. Und nach dem Essen kannst du mir beim Packen helfen.“

Sie ließ mich einigermaßen perplex zurück, denn ich konnte mir jetzt nicht vorstellen, wie sie alles zeitlich in Einklang bringen wollte. Nun gut, ich würde sie zu Hause abholen, wir aßen dann im Chez Duedo und danach sollte ich ihr noch beim Packen helfen? Hatte Christine vergessen, dass wir schon um fünfzehn Uhr am Flughafen sein mussten? Ich würde noch einmal mit ihr reden müssen ...

Aber zunächst war Eile geboten, denn der Mercedes stand drüben in einer Tiefgarage unter dem Krav Maga Studio. In den Kellerräumen dort befand sich neben einem kleinen Schwimmbad, einem Schießstand, einem Labor und sogenannten Gästezimmern auch darunter eine Tiefgarage, in der Bernds zahlreiche Fahrzeuge parkten. Der Zugang zu Fuß erfolgte vom Krav Maga Studio und mit dem Auto fuhr man in einer Nebenstraße über eine unscheinbare Garage in die Zufahrt.

„Hallo Jonathan“, begrüßte mich Jennifer, die wie immer hinter dem Empfangstresen im Krav Maga Studio stand. Sie war die gute Fee des Hauses und kümmerte sich um die Belange der Kunden. Und natürlich um unsere.

„Hallo Jenny“, grüßte ich zurück und schob gleich die Frage nach, die mir auf der Seele brannte: „Wieso gab es heute beim Meeting keine Brötchen und keinen Kaffee? Nur dieses schlabbrige Obst und dann sogar Tomatensäfte!“

„Wenn du einmal in den Spiegel oder auf die Waage schaust, dann weißt du warum“, entgegnete sie. „Wir haben beschlossen, alle etwas gesünder zu leben. Obst, Fruchtsäfte, Tee und so weiter. Du wirst sehen, in einigen Wochen fühlst du dich wie ein neuer Mensch.“

„Na, wer’s glaubt“, brummte ich. „Wer ist denn wir? Mich hat niemand gefragt.“

Jennifer lachte und warf die blonden Haare zurück. „Du wärst sowieso überstimmt worden.“ Dann reichte sie mir die Schlüssel für den Mercedes C117. „Ich nehme an, dass du deswegen hier bist.“

„Und natürlich wegen dir“, schmeichelte ich. Leider war es mir noch nicht gelungen, die blonde Schönheit einmal zu einem Date mit mir zu überreden.

Jenny hob drohend den Zeigefinger, lächelte dabei aber. „Du kannst den Wagen so lange fahren, wie Kyle Maangj unser Gast ist. Wir wollen ihm ja nicht zumuten, mit deiner gelben Postkutsche herumfahren zu müssen.“

Der Wagen stand an seinem gewohnten Platz und befand sich in einwandfreien Zustand. Wie alle Fahrzeuge hier. Bernd beschäftigte eigens einen Mechaniker, der sich um nichts anderes als die Autos kümmerte. Allerdings hatte ich den Mann bisher noch nicht zu Gesicht bekommen. Der Motor sprang sofort an und kurze Zeit später parkte ich ihn sorgfältig vor dem Haus, in dem meine Kollegin und ich wohnten. Christine hatte mir damals die Wohnung über der ihren vermittelt und dafür war ich ihr immer noch dankbar.

„Da bist du ja, Jonathan“, grüßte sie und führte mich direkt in die Küche. Auf dem Tisch standen zwei Gedecke und es roch verdächtig nach Essen. „Das ist lieb von dir, dass du mit mir isst. Das Essen ist auch schon fertig. Weißt du, ich hatte für mehrere Tage vorgekocht und durch die plötzliche Reise nach Kapstadt müsste ich das schöne Essen sonst wegwerfen.“

„Kein Chez Duedo?“, entfuhr es mir.

„Chez Duedo? Wie kommst du denn darauf? Ich glaube nicht, dass wir das zeitlich schaffen dürften. Ich muss doch auch noch packen. Reich mir doch mal bitte deinen Teller.“

Kein Chez Duedo und auch kein Curry-Erwin. Wenn Christine jetzt nicht ein riesiges Steak mit Pommes Frites herbeizauberte, dann würde für mich eine Welt zusammenbrechen. „Was gibt es denn?“, fragte ich vorsichtig.

„Reis mit Pilzen. Lässt sich prima in der Mikrowelle aufwärmen.“ Sie schaufelte derweil dampfenden Reis aus einer Schüssel auf meinen Teller.

„Pilze aufwärmen? Meinst du, das wäre gesund?“ Irgendwie schwebte mir vor, dass Pilze nicht mehrere Male erhitzt werden sollten. Ich überlegte, wie ich mich diesem ‚Mahl‘ entziehen könnte. Weder mochte ich Reis, noch Pilze besonders gern. Und aufgewärmte Pilze schon gar nicht.

„Keine Sorge“, beruhigte sie mich. „Die Pilze sind frisch aus der Dose. Nicht aufgewärmt.“

Ich beobachtete, wie sie geschnittene Pilze auf meinen Reis schüttete. Dann füllte Chrissi ihren Teller und stellte alles auf den Tisch. „Guten Appetit“, meinte sie lächelnd und schaufelte sich das Zeug in den Mund.

Ich kostete vorsichtig. Der Reis schmeckte nach nichts. Das ganze Essen war nicht ein bisschen gewürzt. „Die Pilze sind ja kalt“, übte ich vorsichtig Kritik. Worauf hatte ich mich da eingelassen? Zunächst keine leckeren Brötchen beim Meeting, dann weder Curry-Erwin, noch das Chez Duedo und nun dieser pappige Reis mit kalten Pilzen. Plötzlich sehnte ich mich nach einer doppelten Currywurst mit Pommes Frites und ordentlich Mayonnaise darauf.

„Natürlich sind die Pilze kalt“, hörte ich Chrissi mit vollem Mund sagen, „sie kommen ja auch direkt aus der Dose. Ich finde, so ist ihr Geschmack noch intensiver, als wenn man sie aufwärmt. Schmeckt’s?“

„Hervorragend“, log ich und stopfte mir eine Gabel Reis mit kalten Pilzen in den Mund. Es kostete mich ein wenig Überwindung das Zeug zu kauen, ohne dabei würgen zu müssen. Am liebsten hätte ich alles wieder auf den Teller zurückgespuckt.

Inzwischen hatte Christine aufgegessen und stellte ihren Teller in die Spüle. Sie warf einen Blick auf mich und meinte: „Du solltest nicht so trödeln beim Essen. Die Zeit wird knapp. Ich gehe jetzt meine Sachen packen. Kannst du kurz abspülen, wenn du fertig bist?“

Ich nickte nur, denn mit vollem Mund soll man ja nicht sprechen. Kaum war sie aus dem Raum, spuckte ich die Pampe zurück auf den Teller. Dann sah ich mich suchend um. In den kleinen Küchenmülleimer konnte ich den Reis mit den Pilzen nicht geben, das würde sie merken. Leise öffnete ich das Küchenfenster und schüttete das Essen hinaus.

Als Christine zurück in die Küche kam, trocknete ich gerade den letzten Teller ab. „Du hast ja doch alles aufgegessen“, stellte sie fest. „Das war wirklich lecker, nicht wahr? Und hat kaum Kalorien. Wenn du möchtest, kann ich dir einige meiner Diätrezepte geben. Du wirst dich wundern, wie lecker das alles schmeckt.“

„Ja gerne“, gab ich vor mich zu freuen. Nach ihrem Aufenthalt in Kapstadt hätte sie dieses Angebot ohnehin wieder vergessen. Und wenn nicht, dann würden ihre ‚Rezepte‘ halt die Altpapiersammlung bereichern.

Nach einem letzten Rundgang durch die Räume nickte Christine zufrieden. „Alles in Ordnung. Kannst du während meiner Abwesenheit hin und wieder einen Blick in die Wohnung werfen und meine Post reinholen?“

„Selbstverständlich.“ Sie bräuchte sich auch keine Sorgen zu machen, dass ich mich an ihrem Reis bedienen würde. Aber das sagte ich ihr natürlich nicht.

Chrissi drückte mir ihren Koffer in die Hand, nahm selbst eine Reisetasche und meinte: „Na dann los. Wo hast du geparkt?“

„Vor dem Haus, ein Stück weiter unten.“ Ob ich heute Abend Gelegenheit hätte, mich nach den Strapazen des Tages im Chez Duedo zu belohnen?

In dem Moment als wir auf den Gehweg traten und zum Wagen gehen wollten, sprach uns eine alte Frau an. Mit ihrem Krückstock zeigte sie auf das Blumenbeet vor dem Haus und krähte: „Jetzt schauen sie sich das einmal an. Da hat doch irgend so ein Schwein mitten in die Blumen gekotzt. Mein Gott, mein Gott, die Zeiten werden immer schlimmer.“

Ich zog Christine rasch weiter, bevor sie mit ihrem Blick dem Krückstock folgen konnte. Das Blumenbeet lag direkt unter ihrem Küchenfenster.

In Düsseldorf fuhr ich den Wagen souverän in das Parkhaus am Flughafen. „Hast du alles dabei?“, fragte ich Christine.

„Das hättest du mich in Mönchengladbach fragen sollen“, entgegnete sie und lächelte. „Aber keine Sorge, Jennifer hat alle Unterlagen für mich zusammengestellt und einen gültigen Reisepass habe ich ebenfalls.“

Den hatten wir alle, denn Bernd legte Wert darauf, dass wir ständig einen gültigen Reisepass besaßen. Immerhin war nie vorherzusehen, wann wir einmal ins Ausland reisen mussten. So wie jetzt Christine - und nicht ich.

Wir stiegen aus dem Auto und ich holte ihr Gepäck aus dem Kofferraum. „Dann bleibt mir nur noch, dir einen guten Flug zu wünschen. Melde dich, wenn du angekommen bist.“

Chrissi nickte: „Das sowieso. Bernd möchte, dass ich ihm täglich Bericht erstatte. Wenigstens gibt es zwischen Südafrika und Europa keine Zeitunterschiede, so kann ich ihn abends nach Dienstschluss problemlos anrufen.“

Mittlerweile überquerten wir die Straße zum Terminal und ich reichte Christine ihren Rollkoffer, den ich bis jetzt hinter mir hergezogen hatte. „Hier trennen sich unsere Wege“, seufzte ich bei dem Gedanken daran, dass doch lieber ich es wäre, der jetzt zur Ebene eins, der Abflugebene, gehen würde. Mir allerdings blieb die Ebene null vorbehalten.

„Ein wenig Wehmut, Jonathan?“, interpretierte Chrissi mein Seufzen falsch. „In ein paar Wochen bin ich doch wieder bei dir.“ Sie lachte: „So lange wirst du es doch ohne mich aushalten können ...“

Christine nahm mich zum Abschied kurz in den Arm, dann war sie auch schon verschwunden. Ich blickte auf meine Uhr und stellte fest, dass mir noch etwas Zeit blieb, bis die Maschine mit dem Afrikaner landen würde. Ein kurzer Blick auf das Infoblatt, das Jennifer zusammengestellt hatte, zeigte mir, dass der Polizist mit KLM von Amsterdam aus einschweben würde. Nun gut, es dürfte ihm keine Schwierigkeiten bereiten, mich zu finden, wenn ich mich nur günstig positionierte. Man hätte mir wenigstens ein Bild von ihm geben können. Vielleicht sollte ich ein Schild anfertigen mit seinem Namen, dann würde er mich ganz bestimmt finden.

Da mir noch genügend Zeit blieb und es nun weit nach vierzehn Uhr war, beschloss ich den Autohändler anzurufen und für morgen einen neuen Termin zu machen. Die Rufnummer hatte ich - sorgfältig und gewissenhaft wie ich war - in mein Handy eingespeichert.

„Internationales Autozentrum Wolpensky.“ Diesmal wurde der Satz von einem kontinuierlichen Husten begleitet und ich wusste sofort, dass ich nicht mit dem Anrufbeantworter verbunden war.

„Guten Tag. Jonathan Lärpers hier“, meldete ich mich und unterdrückte grinsend den Wunsch, ihr Husten nachzuahmen.

„Ja bitte, was kann ich für sie tun?“

„Es geht um den Termin mit Herrn Wolpensky“, erklärte ich, wurde aber sofort unterbrochen.

„Herr Wolpensky hat jetzt keine Zeit. Er nimmt seit vierzehn Uhr einen Termin wahr und ist beschäftigt. Das geht jetzt gar nicht. Ein Herr Lämpers von der Versicherungsgesellschaft ist bei ihm, der hat nämlich heute Morgen wegen der brennenden Autos angerufen.“

Ich stöhnte leise, erklärte dann aber mit ruhiger Stimme: „Der Termin bei Herrn Wolpensky sollte eigentlich mit mir stattfinden. Lärpers, Jonathan Lärpers.“ Ich buchstabierte meinen Namen langsam: „L ä r p e r s“ und fügte dann hinzu: „Und ich bin von der Detektei Argus, nicht von der Versicherung.“

„Ja“, hörte ich lediglich, dann war es still.

„Kann ich für morgen vierzehn Uhr einen neuen Termin bekommen?“

Wieder blieb es eine Weile still und ich dachte, die Frau hätte den Hörer einfach liegengelassen und wäre fortgegangen. Doch ein röchelndes Husten überzeugte mich, dass sie immer noch da war.

„Der Termin“, erinnerte ich. „Morgen um vierzehn Uhr, geht das?“

„Das weiß ich nicht, das muss ich erst Herrn Wolpensky fragen. Ich schaue einmal, ob ich ihn stören darf. Wissen sie, er ist in einem wichtigen Gespräch mit diesem Herrn von der Versicherung.“

Ich nickte. „Gut, aber machen sie schnell, ich bin am Flughafen und gleich landet die Maschine aus Kapstadt.“ Wieder vernahm ich, wie der Hörer polternd auf den Tisch fiel und ich fragte mich, ob das Teil noch in Ordnung oder an allen Ecken und Enden beschädigt und gesplittert war. Es dauerte diesmal eine ganze Weile, doch dann hörte ich die Frau heranschnaufen.

„Der Chef sagt: ‚Meinetwegen, soll er doch kommen‘. Allerdings war er ziemlich sauer, weil der Mann von der Versicherung wohl doch nicht da ist. Ich habe Herrn Wolpensky aber gesagt, dass sie aus Kapstadt kommen und da fragte er ‚welche Stadt‘ und vielleicht ist ja auch die Innenstadt gemeint.“

Erneut musste ich kurz aufstöhnen, hatte aber nicht mehr die Zeit, noch irgendwelche Erklärungen abzugeben. Unser Gast musste jede Minute landen. „Gut, dann bin ich morgen um vierzehn Uhr bei ihnen.“

„Nach vierzehn Uhr. Unsere Geschäftszeiten sind montags bis freitags von zehn bis zwölf Uhr und von vierzehn bis achtzehn Uhr, sowie samstags von zehn bis zwölf Uhr. Also von vierzehn Uhr und nicht um vierzehn Uhr. Herr Wolpensky lässt noch fragen, worum es denn überhaupt geht. Warum wollen sie mit Herrn Wolpensky sprechen?“

„Wegen der Autos. Die in einigen Nächten abgebrannten Wagen. Ich bin von der Detektei Argu...“

„Am besten sie sagen ihm das morgen selber“, unterbrach sie mich und hustete lautstark. „Ich denke, es reicht, wenn ich ‚wegen der brennenden Autos‘ sage. Merkwürdig“, fügte sie dann hinzu, „dass sich so viele Leute dafür interessieren.“

Ich unterbrach das Gespräch und hastete in die Ankunftshalle. Mittlerweile musste der Flieger gelandet sein und zahlreiche Menschen strömten dem Ausgang entgegen. Hoffentlich erkannte Herr Maangj mich auch. Oder sollte ich ihn direkt ausrufen lassen? Ich schaute mir die Menschen an, die mir entgegenkamen, doch keiner von denen ähnelte einem Polizisten aus Kapstadt oder trug eine Uniform.

Dann endlich entdeckte ich einen Mann in Uniform. Das musste Maangj sein, denn sein Gang erinnerte mich ein wenig an die Polizisten in amerikanischen Spielfilmen. Ich lächelte: Die Uniform sah gelinde gesagt merkwürdig aus. Aber was erwartet man auch von Afrikanern? Jedenfalls sah der Mann in seiner Kleidung eher aus wie ein Pilot, als ein Polizist. Aber andere Länder, andere Sitten. Ich stürmte auf den Uniformierten zu und schob einen großen Neger im dunklen Anzug mit Krawatte, der sich mir plötzlich in den Weg stellte, zur Seite. Fast wäre ich über seinen Rollkoffer gestolpert und wütend versetzte ich dem Ding einen Tritt. Dass die Leute aber auch nicht aufpassten, wohin sie gingen ...

Maangj bewegte sich in die völlig falsche Richtung und wenn ich mich nicht beeilte, dann würde er im Bereich einer Airline verschwinden. Ich konnte mir vorstellen, dass es für einen Afrikaner nicht leicht war, sich in einem europäischen Flughafen zurechtzufinden. Endlich kam ich nahe genug an ihn heran und legte dem Polizisten aus Kapstadt die Hand auf die Schulter. „Moment, Herr Polizist“, sprach ich ihn freundlich an und hoffte, er würde mich verstehen. Um die Kommunikation zu vereinfachen, drückte ich mich jetzt verständlicher aus: „Du Polizei? Südamerika? Kapstadt? Hier gut in Deutschland?“

Der Polizist Maangj drehte sich zu mir um und blickte mir ins Gesicht. Er sah ein wenig besorgt aus und trat einen Schritt zurück. Ich war mir sicher, dass er mich nicht verstanden hatte. „Entschuldigen sie“, sprach er dann in einem einwandfreien Deutsch. Obwohl ich vermeinte, einen leichten holländischen Akzent zu vernehmen. „Ich bin weder Polizist, noch komme ich aus Kapstadt. Ich bin Flugkapitän der KLM und wir sind gerade aus Amsterdam hier angekommen. Brauchen sie Hilfe, soll ich den Sicherheitsdienst rufen?“

Ich schüttelte den Kopf. Wenn das wirklich Maangj war, dann spielte er eine verdammt gute Rolle. Als der Mann sich umdrehte und durch eine Tür schritt, auf der ‚KLM Services‘ stand, war ich allerdings geneigt, ihm zu glauben, dass er eher Pilot als Polizist sei.

Also zurück zur Ankunftshalle! Hoffentlich befand sich Maangj noch dort. Wieder musste ich den Neger im Anzug zur Seite schieben, der sich vor mir aufbaute. Was lief der Kerl eigentlich hinter mir her? Ich kontrollierte kurz meine Taschen, doch alles befand sich an seinem Platz. Achselzuckend eilte ich in die Ankunftshalle zurück und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass der Schwarze mich schon wieder verfolgte. Sollte der Kerl zu aufdringlich werden, so würde er meine Krav Maga Kenntnisse zu spüren bekommen.

„Herr Lärpers“, hörte ich eine tiefe Stimme hinter mir. „Nun laufen sie doch nicht immer weg!“

Ich blieb stehen und sah mich um. Der Neger stand vor mir, stellte seinen Rollkoffer ab, der einen deutlichen Schuhabdruck trug und streckte mir die Hand hin. Ich sah ihn verständnislos an. Woher kannte der Kerl meinen Namen?

„Sie sind doch Herr Lärpers?“

Ich nickte.

„Kyle Maangj. Wir sollten uns hier treffen.“

„Sie sind der Polizist aus Kapstadt?“, fragte ich entgeistert und ergriff die Hand, die er mir immer noch hinhielt. Bernd hätte mich ja vorwarnen können, dass es sich bei Maangj um einen Schwarzen handelte. Oder Maximalpigmentierten, wie es so schön neudeutsch hieß. Und ich sollte mich jetzt drei Wochen mit einem Neger herumquälen?

„Entspreche ich nicht ihrem Bild, das sie von einem Südafrikaner haben? Es tut mir leid, wenn wir ihnen kein Foto schicken konnten, doch die meisten Daten wurden mit den Kollegen in Düsseldorf ausgetauscht. Und dann mussten wir plötzlich umdisponieren, wie uns der Oberstaatsanwalt Eberson mitteilte.“

Ich nickte. Der Mann sprach ja wirklich unsere Sprache. „Sie sprechen deutsch?“

Maangj lächelte und in dem dunklen Gesicht blitzten seine Zähne weiß wie Elfenbein. „Warum nicht? Ich habe in Hamburg studiert und spreche vier Sprachen. Deutsch ist nicht so schwer, wie viele meinen.“

„Ja wenn das so ist, Herr Maangj.“ Mehr fiel mir dazu nicht ein.

„Nennen sie mich Kyle“, lächelte er. Inzwischen strömten wieder Menschen an uns vorbei, die wohl gerade ihrem Flugzeug entstiegen waren. Die landeten hier ja im Minutentakt.

„Kyle, ja. Ich heiße Jonathan.“

„Ich weiß. Ein schöner Vorname. Wussten sie, dass es einen Film mit dem Titel ‚Die Möwe Jonathan‘ gibt? Oder wie es im Original heißt: Jonathan Livingston Seagull.“

Ich stöhnte. Dies war das allerletzte Thema über das ich sprechen wollte. Warum musste ausgerechnet ein schwarzer Neger aus Kapstadt, Südafrika, am Flughafen Düsseldorf in der Ankunftshalle darauf herumkauen? „Gehen wir zu...“ Zum Wagen, wollte ich sagen, doch Maangj unterbrach mich, indem er tief einatmete und mit lauter Tenorstimme sang:

„Skybird - Make your sail - And every heart will know - Of the tale. Songbird - Make you tune - For none may sing it - Just as you do. Look at the way I glide - Caught on the win...“

„Wunderbar“, unterbrach ich seine Gesangsdarbietung. Um uns herum hatte sie eine kleine Menschentraube gebildet und einige Leute applaudierten. Die ganze Sache war oberpeinlich. Da stand Jonathan Lärpers, der Personenschützer und Privatdetektiv mit einem Neger, der - zugegebenermaßen mit guter Gesangsstimme - irgend so ein dämliches Lied zum Besten gab.

„Aber wir sollten jetzt endlich zum Wagen gehen. Es liegt ja auch noch die Fahrt nach Mönchengladbach vor uns.“

Der Schwarze nahm seinen Rollkoffer und unter dem Applaus der gaffenden Menschen strebten wir dem Ausgang zu.

„Ich liebe den Film“, ritt Kyle Maangj weiter auf dem Thema herum. „Das war übrigens das Stück ‚Sky Bird‘ aus dem Film. Wissen sie, wer das gesungen hat, beziehungsweise die Musik schrieb?“

Ich schüttelte den Kopf. In mir keimte Panik auf, wenn ich daran dachte, die nächsten drei Wochen mit diesem singenden Polizisten durch Mönchengladbach ziehen zu müssen. Gab es denn nicht irgendeine Möglichkeit, den Auftrag auf Birgit abzuwälzen? Ich könnte vielleicht krank werden oder ...“

„Neil Diamond“, hörte ich ihn sagen. „Ich liebe seine Musik.“

„Da sind wir ja schon zu zweit“, gab ich besseren Wissens von mir. Ich hatte keine Ahnung, bei wem es sich um diesen Neil Diamond handelte, nahm mir aber vor, im Internet einmal nach dem Namen zu suchen.

„Das kann ich verstehen“, nickte der Neger. „Bei dem Vornamen sind sie ja auch dazu prädestiniert. Vielleicht können wir uns den Film einmal gemeinsam anschauen.“

Ich stellte mir vor, wie es wäre, mit ihm nach Feierabend bei mir in der Wohnung auf dem Sofa zu sitzen, Chips zu knabbern und ‚Die Möwe Jonathan‘ ansehen zu müssen. Eine Gänsehaut lief mir den Rücken herunter und ich war sicher, mich morgen bei Bernd krank zu melden. Zum Glück waren wir inzwischen bei dem Mercedes angekommen.

„Einen schönen Wagen haben sie“, bemerkte er mit Kennerblick auf den Hundertsiebzehner.

„Das ist nicht meiner, der gehört dem Unternehmen Heisters.“ Ich wollte Maangj jetzt nicht erklären, dass ich einen postgelben Kia Venga fuhr. Rasch verstaute ich seinen Koffer im Wagen und ließ ihn auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. „Ich bringe sie jetzt direkt zum Hotel“, erklärte ich. „Nach über fünfzehn Stunden Flug sind sie doch bestimmt froh, sich ausruhen zu können.“ Auch die Flugdauer war eine der Informationen, die Jennifer auf dem Blatt erfasst hatte.

Maangj winkte ab: „Kein Problem. Ich habe im Flugzeug geschlafen und fühle mich topfit. Fahren sie mich, wohin immer sie wollen, Jonathan.“

„Jon“, bemerkte ich. „Meine Freunde nennen mich Jon.“ Leider nannte mich niemand wirklich so und ständig musste ich mir dieses dämliche ‚Jonathan‘ anhören. Vielleicht hatte der Schwarze ein Einsehen.

„Alles klar, Jonathan“, gab er von sich und ich wusste, dass auch er mich nicht ‚Jon‘ rufen würde.

Während der Fahrt quetschte Maangj mich über Mönchengladbach, Bernd Heisters und die Arbeit der Polizei aus. Ganz nebenbei erzählte er mir von seinem Studium der Kriminologie in Hamburg, wo er auch seinen Master of Arts gemacht hatte und einst Internationale Kriminologie studierte. Direkt nach dem Studium war er dann ein paar Jahre in den Vereinigten Staaten gewesen, bevor es ihn nach Kapstadt zurück und zur dortigen Polizei gezogen hatte. Maangj erzählte mir stolz, dass er vor kurzem zum Major des South African Police Service befördert worden war. Für das Austauschprogramm hatte man ihn ausgewählt, da er sehr gut deutsch sprechen konnte.

„Ja“, nickte ich. „Ich habe auch studiert. In Regensburg.“

„Das ist doch wunderbar“, freute sich der Schwarze. „Auch Kriminologie? Aber zur Polizei sind sie nicht gegangen?“

„Ich habe Philosophie studiert.“ Als er mich von der Seite ansah, fügte ich schnell hinzu: „Aber ich fühlte mich immer schon zu der Kriminologie hingezogen. Das ist meine Berufung.“ Er würde ihm aber jetzt nicht davon erzählen, dass mich mein Vater quasi in die Selbständigkeit als Privatdetektiv gezwungen und ich mit meinem kleinen Unternehmen eine furiose Bruchlandung hingelegt hatte. Nur Bernd war es damals zu verdanken gewesen, dass ich aus der ganzen Sache doch noch heil herauskam.

Schließlich hielt ich vor dem Hotel in der Nähe des Schlosses Wickrath. Jennifer hatte wie immer alles perfekt organisiert. Die Kosten trug die Staatsanwaltschaft und von Bernd ausgelegte Beträge würden später erstattet. Ich reichte Maangj seinen Koffer. „Soll ich noch mit hineinkommen?“

Der Neger lachte und wieder blitzten seine Zähne auf. „Danke, aber das werde ich schon alleine schaffen. Wie geht es dann weiter?“

Ich fragte mich, was er meinte. „Sie gehen die Treppe zu ihrem Zimmer hoch?“, versuchte ich zu erklären. „Oder sie nehmen den Aufzug, wenn es einen gibt.“

Wieder lachte er: „Nein, das meine ich nicht. Wie geht es morgen weiter? Soll ich zu ihrem Büro kommen oder wie haben sie das geplant?“

Ich hatte nichts geplant und meinetwegen konnte er den ganzen Tag auf seinem Hotelzimmer verbringen, doch eine entsprechende Bemerkung verkniff ich mir. Ein Blick auf das Infoblatt bestätigte meine Befürchtungen. „Ich hole sie morgen früh um acht Uhr hier ab. Wir fahren dann zum Büro und zum Krav Maga Studio und ich werde ihnen erst einmal alles zeigen. Am Nachmittag habe ich einen Termin, den wir gemeinsam wahrnehmen können. Wir sprechen morgen über den Fall, es geht dabei darum, dass auf dem Hof eines Autohauses des Öfteren nachts Autos in Brand gesteckt werden. Aber wie gesagt: Die näheren Details erfahren sie morgen.“

„Das hört sich interessant an“, strahlte Maangj. „Dann bis morgen früh, ich werde pünktlich sein.“

Austausch - Programm

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