Читать книгу Austausch - Programm - Jürgen Ruhr - Страница 7
IV.
ОглавлениеKurz nach acht Uhr morgens fuhr ich vor dem Hotel vor. Maangj wartete schon neben dem Eingang auf mich. Diesmal trug er einen dunkelblauen Anzug, wieder mit passender Krawatte. Seine schwarzen Haare waren sehr kurz geschnitten und ein wenig erinnerte er mich an Barack Obama, allerdings in einer dunkleren Version.
„Guten Morgen, Jonathan“, grüßte er und glitt auf den Beifahrersitz. „Sie haben ein sehr gutes Hotel ausgesucht mit einem hervorragenden Restaurant. Ich liebe gutes Essen.“
„Das war Jennifer. Sie werden sie später noch kennenlernen. Aber ihnen auch einen guten Morgen.“ Während ich den Wagen in das Gewerbegebiet Güdderath lenkte, kam mir eine hervorragende Idee. Wenn Maangj so sehr gutes Essen liebte, dann könnte ich ihn doch zu Curry-Erwin einladen. Wie sehr würde mein Freund staunen, wenn ich seinen Imbiss mit einem Schwarzen betrat. Das wäre doch sicherlich eine Sensation! Und so ganz nebenbei könnte der Südafrikaner einmal die hervorragende Mönchengladbacher Küche kennenlernen. Und vielleicht den ‚Lärpers Spezial‘ Teller.
Ich parkte den Wagen direkt vor dem Eingang der Detektei. „Das hier ist das Gebäude, in dem sich unsere Detektei Argus befindet“, erklärte ich in bester Fremdenführermanier. „Hier haben Christine Weru, Birgit Zickler und ich unsere Büros. Sie werden später noch Birgit Zickler kennenlernen. Christine befindet sich jetzt allerdings in Kapstadt.“
„Ah, ich verstehe. Sie ist Teil des Austauschprogramms. Das ist sehr interessant, Jonathan.“
‚Ja‘, dachte ich, ‚eigentlich hätte mir ja die Reise zugestanden‘.
Ich führte Maangj in mein Büro. „Das hier ist mein Reich. Einfach und funktionell. So wie wir Männer es lieben.“ Ich erwähnte nicht, dass Bernd mir damals lediglich den einfachen Schreibtisch genehmigt hatte und nicht das Designerstück, das ich mir eigentlich aussuchte. Aber letztlich hätte ich es selbst bezahlen müssen, was ich dann auch wieder nicht einsah.
Zwei Minuten später betrat Birgit den Raum. Wie immer vergaß sie auch diesmal anzuklopfen, doch ich konnte sie nicht zurechtweisen und musste mich mit einem bösen Gesicht begnügen. Maangj erhob sich prompt von dem Besucherstuhl und wandte sich ihr zu. Der Neger mochte gut und gerne mehr als zwei Köpfe größer sein als Birgit und beugte sich jetzt lächelnd zu ihr herunter. „Miss Zickler“, gab er von sich, ergriff ihre Hand und deutete einen Handkuss an. Birgit kicherte wie ein Backfisch.
„Herr Maangj aus Kapstadt?“ Als Kyle nickte, fuhr sie fort. „Ich freue mich, sie kennenzulernen. Schön, eine solche Persönlichkeit aus einem so fernen Land bei uns zu Gast zu haben.“
Im Geiste schlug ich die Hände über dem Kopf zusammen. Was sülzte die ‚Bergzicke‘ denn jetzt so herum? Wenn sie wollte, würde ich ihr die Betreuung des Mannes gerne überlassen. Ob Bernd damit einverstanden wäre?
„Sie können mich Kyle nennen, das ist mein Vorname“, bot Maangj an und lächelte immer noch. Wieso hatte der Kerl so weiße Zähne und ich nicht? Ich rauchte nicht und putzte sie mir regelmäßig und sehr intensiv, doch so weiß wurden sie nie.
Birgit blickte mir in mein missmutig verzogenes Gesicht und lächelte. „Jonathan, träumst du? Bernd lässt dir mitteilen, dass du so schnell wie möglich mit unserem Gast ins Studio kommen sollst. Er hat einen kleinen Empfang im Atrium vorbereitet. Und leg deinen Telefonhörer richtig auf, dass er dich auch erreichen kann! Ich habe noch einen Moment hier zu tun, dann folge ich euch.“ Sie blickte Maangj an: „Es gibt doch bestimmt viel zu erzählen und ich bin gespannt, wie die Polizeiarbeit in Kapstadt so aussieht.“
„Ich war sowieso schon fast auf dem Weg“, murrte ich. „Also, Kyle, dann wollen wir mal ...“ Der Hörer lag wirklich nicht richtig auf der Gabel, doch das war nie und nimmer mein Fehler gewesen. Vielleicht hatte Birgit daran manipuliert.
Im Krav Maga Studio kam Jennifer uns schon an der Tür entgegen. „Herr Maangj, wir freuen uns, sie hier begrüßen zu dürfen. Kommen sie, ich führe sie ins Atrium. Dort wartet unser Chef, Bernd Heisters, schon auf sie.“
„Dir auch einen schönen guten Morgen, Jennifer“, knurrte ich. Was die für ein Theater um diesen Neger machten! Als wäre es ein besonderer Verdienst, auf Kosten unserer Staatsanwaltschaft von Südafrika hierhin zu reisen. Wurde Christine momentan dort auch mit solch einem Pomp empfangen? Wieder einmal ärgerte ich mich, hier den Babysitter spielen zu müssen, obwohl es mir doch zugestanden hätte, die Gruppe Heisters im hintersten Afrika zu repräsentieren. Für solch eine Aufgabe wäre ich vielleicht sogar bereit gewesen, Suaheli oder was immer die da sprachen, zu lernen. Vielleicht. Ich überlegte: Was hatte Bernd beim Meeting gesagt, das man dort sprach? Englisch. Na, das wäre nun gar kein Problem gewesen. Ich hatte extra einen Englischkurs bei der Volkshochschule mitgemacht und das Diplom schmückte jetzt eine Wand in meinem Büro.
Das Atrium war so eine Art Garten mitten in dem Gebäude. Bei schönem Wetter ließ sich hier herrlich relaxen und nach einem erfolgreichen Einsatz hatten wir schon so manche Grillparty gefeiert. Jetzt befand sich an einer Seite ein langer Tisch mit belegten Brötchen, verschiedenen Kuchenstücken, einer Schale mit gemischtem Obst, Säften und Kaffee. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Besonders, als ich die Hälften mit Mett und gekochtem Schinken entdeckte. Ich musste zusehen, möglichst schnell in die Nähe des Buffets zu gelangen.
Bernd und Maangj unterhielten sich angeregt, Birgit war noch nicht eingetroffen und auch die anderen Kollegen fehlten noch. Dozer befand sich mit Sicherheit in einem Lehrgang und könnte erst zur Pause kommen und ob Monika momentan auf Reisen war oder an dem ‚Empfang‘ noch teilnehmen würde, konnte ich nicht sagen. Die Gelegenheit war also günstig, zwei oder drei Mettbrötchen zu ergattern. Als ich kurz davor war, mein Ziel zu erreichen, legte sich eine Hand auf meine Schulter.
„Jonathan, kommst du mal eben mit nach vorne?“ Jennifer lächelte mich an. Aha, nahm die Kleine mich nun doch noch wahr und nicht nur den schwarzen Mann. „Da sind noch einige Unterlagen wegen der Aufträge von Christine. Außerdem muss ich wieder zurück, der Empfang kann ja nicht unbesetzt bleiben.
„Natürlich“, antwortete ich und unterdrückte ein Seufzen. Doch ich wollte mir vor Jenny keine Blöße geben und warf lediglich einen letzten sehnsuchtsvollen Blick auf die Brötchen. Aber in wenigen Minuten wäre ich ja wieder hier.
Es dauerte dann doch noch etwas länger, bis Jennifer mir die Unterlagen aushändigen konnte, da sie vorher einer älteren Frau, die ihr Kind zu einem Judokursus bei Dozer anmelden wollte, die Formulare aushändigen und auch noch Erklärungen dazu abgeben musste.
Mit mehreren Mappen versehen, kehrte ich ins Atrium zurück. Schon der erste Blick zeigte mir, dass die Mettbrötchen, sowie die mit Schinken, vom Buffet verschwunden waren. Bernd und Maangj standen mit je einem Teller in der Hand neben dem Tisch und ließen sich meine Brötchen schmecken. Birgit wuselte auf der Suche nach Leckereien um das Buffet herum und legte sich gerade die beiden letzten Hälften mit Fleischwurst auf den Teller.
„Ich liebe Mettbrötchen“, hörte ich den schwarzen Mann gerade sagen. Während meines Studiums in Hamburg habe ich jeden zweiten Tag solche Brötchen gegessen. Was war das für eine herrliche Zeit!“
„Ah, da ist ja Jonathan wieder“, ließ sich Bernd vernehmen und winkte mich zu sich. „Kyle liebt das deutsche Essen. Du solltest einmal einen Tisch im Chez Duedo reservieren. Oder nein, ich lasse Jennifer das machen. Sie soll alles so organisieren, dass wir alle teilhaben können.“
Ich nickte und schielte zu den restlichen Brötchen hinüber. Neben einer glibberigen Sülze, die ich auf keinen Fall essen würde, befanden sich dort nur noch einige mit einem undefinierbaren Käse.
„Jonathan, bedien dich. Das Buffet ist eröffnet“, sprach mich Bernd an. „Zur Feier des Tages solltest du dich nicht zurückhalten.“
Ich nickte. Bei dem Anblick der Reste war mir der Appetit vergangen und auch der Kuchen reizte mich jetzt am frühen Morgen nicht. Mit letzter Verzweiflung griff ich mir einen Apfel und biss hinein.
Fast hätte ich den Bissen wieder ausgespuckt, denn das Obst war so sauer, dass sich mir der Mund schlagartig zusammenzog. Tapfer kaute ich weiter und suchte eine Möglichkeit, den Apfel unauffällig zu entsorgen.
„Was macht der Auftrag mit dem Autohaus?“, wollte Bernd wissen, während Maangj sich gleich zwei Brötchen mit der ekligen Sülzwurst griff.
„Ich liebe Sülze“, erklärte der Schwarze und ich fragte mich, was der Mann eigentlich nicht liebte.
„Ich habe heute um vierzehn Uhr den Termin mit dem Chef dort“, brachte ich Bernd auf den neuesten Stand. „Nachher wollte ich die Gelegenheit nutzen und Kyle in den Fall einarbeiten. Wir haben ja noch etwas Zeit.“
Bernd nickte: „Gut. Du nimmst unseren Gast natürlich mit zu dem Autohaus. Aber zunächst führe ich Kyle durch das Gebäude hier, danach schicke ich ihn wieder zu dir ins Büro. Was ist mit den anderen Fällen? Wie ich sehe, hat Jennifer dir noch Unterlagen gegeben.“
„Die schaue ich mir gleich an. Momentan muss ich Prioritäten setzen. Alle gleichzeitig kann ich ja schlecht bearbeiten.“
Eine halbe Stunde später saß ich wieder in meinem Büro und blätterte in den Unterlagen. Mein Magen knurrte. Besonders, da mir meine Mettbrötchen vor der Nase weggeschnappt worden waren. Vielleicht ließ es sich ja einrichten, ein wenig früher mit der Mittagspause zu beginnen und bei Curry-Erwin etwas Ordentliches zu essen. Ich wollte Maangj ja meinem Freund noch vorstellen.
Der Afrikaner kam sehr spät aus dem Krav Maga Studio zurück, war dafür aber bestens gelaunt. „Phantastisch“, schwärmte er, „was Bernd sich da aufgebaut hat. Wir haben direkt seinen Schießstand ausprobiert und er hat ungelogen nur ganz knapp gewonnen!“
„Das ist ja wunderbar“, erwiderte ich und hoffte, dass Maangj nicht die Ironie in meiner Stimme auffallen würde. Die Zeit wurde knapp, wenn ich ihm noch alles über den Autohaus - Fall erklären musste und wir noch zu Curry-Erwin wollten.
„Also, die Sache mit dem Autohaus verhält sich folgendermaßen ...“ Ich fasste die bisherigen Erkenntnisse im Telegrammstil zusammen und erklärte ihm kurz, wie ich weiter vorgehen wollte. Maangj hörte mir aufmerksam zu und nickte hin und wieder. Dann schlug ich ein anderes Thema an: „Wie wäre es mit einem kulinarischen Highlight heute Mittag? Die deutsche Küche in ihrer besten und reinsten Form.“ Ich wollte ihm nicht direkt mitteilen, wohin ich plante zu gehen, es sollte schließlich eine Überraschung sein, doch das Essen würde ein voller Erfolg werden. Das spürte ich.
Kyle schüttelte den Kopf und in seinen Augen sah ich echtes Bedauern: „Das tut mir leid, Jonathan. Aber ich bin heute Mittag schon mit Jennifer zum Essen verabredet. Vielleicht geht es ja morgen.“
„Ja, vielleicht“, bemerkte ich. Wie schaffte der Kerl es, kaum dass er hier war, Jennifer schon zu einem gemeinsamen Essen zu überreden? Mich hatte sie bisher immer abblitzen lassen. „Und wer besetzt so lange die Rezeption?“, fragte ich. Mir gegenüber hatte die Blonde immer das Argument benutzt, dort nicht abkömmlich zu sein. Doch Kyle kam nicht mehr dazu, mir zu antworten, denn in diesem Moment klingelte mein Telefon. Er saß lächelnd da, präsentierte seine weißen Zähne und beobachtete mich.
„Jonathan Lärpers, Privatdetektiv und Personenschützer“, meldete ich mich und warf einen unauffälligen Blick auf Kyle. Beeindruckte ihn, wie professionell ich mich am Telefon meldete?
„Hallo Jonathan. Jennifer hier. Schön, dass du zu erreichen bist, sonst ist ja meistens besetzt bei dir.“
„Hallo Jennifer“, entgegnete ich lächelnd. Ich ahnte, was sie von mir wollte. Schließlich waren ja Maangj und ich so eine Art Partner und sie würde mich jetzt bestimmt dazu einladen, mit ihnen zusammen essen zu gehen. Wohin wollte sie uns einladen? Ich war mir fast sicher, dass Jennifer Maangj eingeladen hatte, da das Essen ja auf Spesen ging. Oberstaatsanwalt Eberson zahlte mit Sicherheit alles, was diesen Südafrikaner betraf. In Gedanken ging ich die verschiedenen Restaurants in der Nähe durch. Allzu weit konnten wir allerdings nicht fahren, da ja noch der Termin um vierzehn Uhr auf ...
„Jonathan, bist du noch dran?“, riss mich Jennifers Stimme aus den Gedanken. „Du bist doch nicht etwa eingeschlafen? Also, was sagst du?“
Ich wollte mir keine Blöße geben, schon gar nicht, da Maangj mich immer noch lächelnd beobachtete. Ein wenig kam ich mir vor wie das Kaninchen, das von der Schlange fixiert wird. „Ja sage ich, natürlich ‚Ja‘.“ Ich hatte zwar nicht mitbekommen, was sie mich zuvor fragte, doch es konnte sich ja nur darum handeln, ob ich mit zum Essen käme.
„Fein, danke Jonathan. Du bist ein echter Kumpel.“ Jennifers Worte gingen mir herunter wie Öl. „Sonst hätte ich hier ja nicht weggekonnt. Aber ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann und du hier die Stellung hältst, während ich mit Kyle beim Essen bin. Kommt ihr dann gleich herüber?“
Ich spürte, wie ich blass wurde. Entgeistert legte ich den Hörer auf die Gabel. Jennifer wollte mich nicht einladen, sondern lediglich, dass ich sie in der Mittagspause an der Rezeption vertrat, während sie mit diesem Grinsemann irgendwo piekfein zu Mittag aß.
„Sie sind wirklich ein guter Kollege, Jonathan“, grinste Maangj immer noch und mir kam zum ersten Mal der Gedanke, ihm die weißen Zähne aus dem Mund zu schlagen. Ich seufzte leise. Das ging natürlich nicht, da wir dann richtig Ärger mit dem Oberstaatsanwalt bekommen hätten.
Zwanzig Minuten nach zwei Uhr parkte ich den Mercedes auf dem kleinen Platz vor dem Autohaus. Jennifer und Maangj hatten sich zuvor verspätet, waren aber bester Laune. Selbst als ich den Neger mit finsterem Gesicht drängte, dass wir endlich zum Autohaus fahren mussten, um unseren Termin einzuhalten, lachten die beiden sich noch an.
„Wir sind spät dran“, murrte ich und deutete symbolisch auf meine Armbanduhr. „Das macht keinen guten Eindruck!“
Maangj lachte nur und zeigte seine Zähne. „In Südafrika gehen die Uhren langsamer. Da spielt es keine Rolle, ob du eine Stunde oder zwei später bei einem Termin erscheinst. Ihr Deutschen seid da einfach nicht locker genug. Du wirst sehen, dass dir niemand die paar Minuten krumm nehmen wird.“
Trotz seiner beschwichtigenden Worte beeilte ich mich, in das Verkaufsgebäude zu gelangen. Das Haus war schon älteren Datums und hatte die besten Zeiten hinter sich. Die Fassade zeigte tiefe Risse und der Putz bröckelte teilweise ab. Ein neuer Anstrich und einige Reparaturen konnten dem Gebäude nicht schaden. Die großen Glasfenster waren schmutzig und ließen kaum einen Blick in das Innere zu. Wir traten durch eine Tür, die noch aus den fünfziger Jahren stammen musste. Direkt gegenüber der Tür, vor einer Wand, befand sich eine Art Verkaufstresen, der aus einer Holzplatte und einfachen Hohlblocksteinen als Stützen bestand. Hinter dem Tresen stand eine mehr als füllige Frau, die uns neugierig anblickte. Ich hatte den Eindruck, als würde sie nicht jeden Tag Menschen sehen, die das Geschäft betraten. Langsam führte sie eine Zigarette zum Mund, nahm einen tiefen Zug und stieß den Rauch durch Nase und Mund aus. Für mich ähnelte der Anblick ein wenig einem feuerspeienden Drachen.
Ich setzte mein gewinnendstes Lächeln auf und trat an den Tresen. „Guten Tag“, grüßte ich freundlich, doch die dicke Frau hatte nur Augen für Maangj. „Guten Tag“, wiederholte ich und hoffte, ihre Aufmerksamkeit auf mich lenken zu können.
„Ein Neger“, ließ sie sich vernehmen. „Ja mei, ein Neger!“
„Maximalpigmentierter“, korrigierte ich. „Wir haben einen Termin bei ihrem Chef.“
Maangj lächelte die Frau an und zeigte wieder einmal seine Zähne. „Guten Tag“, grüßte nun auch er und als sei der Bann gebrochen, blickte die Frau plötzlich mich an.
„Wollen sie ein Auto kaufen?“, fragte sie mich, warf aber hin und wieder einen Seitenblick auf den Schwarzen.
„Nein, wir haben einen Termin bei ihrem Chef. Jonathan Lärpers von der Detektei Argus.“ Ich kramte eine Visitenkarte hervor und hielt sie ihr unter die Nase.
„Das ist aber schlecht, der Chef ist gerade in einer Besprechung. Ein Herr aus der Innenstadt, der hat den Termin für vierzehn Uhr gemacht. Also kurz nach vierzehn Uhr. Unsere Geschäftszeiten sind montags bis freitags von zehn bis zwölf Uhr und von vierzehn bis achtzehn Uhr, sowie samstags von zehn bis zwölf Uhr. Wenn sie wollen, kann ich für sie ja einen Termin bei Herrn Wolpensky machen. Weswegen wollen sie ihn denn sprechen?“ Während sie sprach, steckte sie sich an dem glühenden Zigarettenstummel eine neue Zigarette an.
„Der Vierzehnuhrtermin, das sind wir“, erklärte ich geduldig. „Wir wollen mit Herrn Wolpensky über die öfter in der Nacht brennenden Autos sprechen. Ihre Versicherung hat uns beauftragt. Und wir kommen nicht aus der Innenstadt, der Kollege kommt aus Kapstadt. Würden sie uns also bitte zu ihrem Chef führen?“
„Das weiß ich jetzt nicht, der Herr aus der Innenstadt ...“ Sie blickte uns verwirrt an und zog wie wild an ihrer Zigarette. Dann schien sie der Geistesblitz zu treffen und sie meinte: „Wissen sie was? Ich gehe jetzt einfach einmal den Chef fragen. Vielleicht hat er ja später Zeit für sie, wenn der Herr aus der Innenstadt gegangen ist. Sie können sich ja inzwischen die Wagen ansehen, vielleicht kaufen sie ja doch noch einen.“ Sie beugte sich ein wenig zu mir vor und ich roch ihren Tabakatem. „Sagen sie, die Neger, da in diesem ... diesem ...“
„Kapstadt“, half ich ihr aus.
„Ja genau“, sie flüsterte jetzt und schielte zu Maangj, „ob die auch Autos haben?“
Ich flüsterte jetzt ebenfalls: „Ich glaube nicht. Die haben da Nilpferde, auf denen sie reiten.“
„Ach so, ja dann. Neger, ja mei, die Neger!“ Sie verschwand durch eine kleine Tür, nicht ohne uns noch einen unsicheren Blick zuzuwerfen. Hatte die Frau Angst, wir würden in der Zeit, die sie ihren Chef befragte, den Laden leerräumen und die Autos stehlen?
Keine zwei Minuten später kam sie zurück und warf zunächst einen prüfenden Blick durch den Verkaufsraum. „Das ist jetzt merkwürdig“, erklärte sie keuchend und hustete erst einmal ausgiebig. „Der Mann aus der Innenstadt ist nicht gekommen und da meinte der Chef: ‚Ein Mann mit einem Neger? Sollen reinkommen‘. Also folgen sie mir bitte.“
Sie ging mit schlurfenden Schritten voraus und wir hatten keine Mühe ihr zu folgen. Die Rauchwolken aus ihrer Zigarette wiesen uns den Weg.
„Guten Tag“, begrüßte ich den Mann, der hinter einem Schreibtisch saß und seiner Angestellten in Punkto Körpermasse kein Gramm nachstand. Freundlich hielt ich ihm die Hand hin, die er ignorierte. „Mein Name ist Jonathan Lärpers und ich bin von der Detektei Argus. Ihre Versicherung hat uns beauftragt, die Sache mit den brennenden Autos zu klären. Anscheinend hat die Polizei bei ihren Ermittlungen erhebliche Probleme.“
Der Dicke nickte und zeigte auf Maangj: „Und der da?“
Bevor ich noch antworten konnte, zauberte Maangj erneut sein Lächeln hervor und meinte: „Ich persönliche Sklave von Massa Lärpers.“
Jetzt schaute der Dicke schon etwas interessierter. „Gibt es das wieder, Sklaven?“
Ich nickte mit ernstem Gesicht und fragte mich, wo ich hier hineingeraten war. „Seit einer Woche dürfen sie wieder gehalten werden“, erklärte ich dann. Aus den Augenwinkeln erkannte ich, wie Kyle sich ein Lachen verkniff. Der Knabe gefiel mir, vielleicht würden wir ja doch noch gute Freunde werden. Wenn er jetzt noch mit mir darin übereinstimmte, dass das Essen von Curry-Erwin einmalig war und er die Finger von Jennifer ließ ... Wir mussten unbedingt einmal meinen Freund in seinem Imbiss besuchen. „Momentan sind noch Sonderangebotswochen“, fügte ich hinzu. „Wegen der Wiedereinführung der Sklaverei.“
„Ob sie mir vielleicht auch so einen besorgen können?“
Ich schüttelte den Kopf: „Nein, das ist leider verboten. Da müssen sie sich schon selber bemühen. Es wäre mir aber ganz lieb, wenn wir jetzt ein paar Fragen an sie stellen könnten.“ Es wurde allmählich Zeit, zum Thema zu kommen.
„Ja fragen sie ruhig. Worum geht es denn?“
Ich stöhnte leise und sah, wie Maangj die Augen verdrehte. „Nachts soll es schon öfter zu Bränden von Autos auf ihrem Hof kommen. Können sie uns dazu etwas sagen?“
Der dicke Autohausbesitzer nickte: „Die Autos brennen immer nachts. Ich muss das dann der Versicherung melden, damit die den Schaden bezahlen. Und die Autos entsorgen. Zum Glück haben wir gleich nebenan einen Schrottplatz.“
„Aha“, gab ich verstehend von mir. Was Wolpensky da erzählte, waren allerdings keine Neuigkeiten. „Haben sie denn jemanden in Verdacht? Sind das bestimmte Fahrzeuge, die da brennen?“
„Nein. Ja.“ Wolpensky sah Maangj lauernd an. „Würden sie mir ihren Neger verkaufen?“
Wieder schüttelte ich den Kopf: „Unverkäuflich. Und was heißt ‚Nein‘ und ‚Ja‘?“
„Schade. Ich würde ihnen auch einen guten Preis machen.“
„Nein, ich sagte doch: unverkäuflich. Also, was meinten sie mit ‚Nein‘ und ‚Ja‘?“
Der Dicke überlegte einen Augenblick. „Ich glaube mit ‚Nein‘ meinte ich, dass ich niemanden in Verdacht habe und mit ‚Ja‘, dass es immer neue und hochwertige Wagen sind, die brennen.“
Ich dachte an den Verkaufsraum zurück und die drei veralteten Autos, die dort vergeblich auf Käufer warteten. „Sie haben auch hochwertige Fahrzeuge?“
Wolpensky nickte: „Mehrere Male im Monat bekomme ich eine Lieferung von zwei, drei Wagen. Porsche, Mercedes und sogar einmal einen Ferrari. Was sich halt so ergibt. Aber, kaum dass die Wagen auf dem Hof stehen“, er schnippte mit den dicken Wurstfingern, „schwupp brennen sie auch schon.“
„Haben sie eine Videoüberwachung? Können wir uns die Aufnahmen ansehen?“ Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Wolpensky keine Maßnahmen ergriffen hatte, um dem Täter oder den Tätern auf die Spur zu kommen.
„Nein, leider nicht. Es gibt keine Überwachung. Das hat mich die Polizei doch alles auch schon gefragt.“ Er seufzte vernehmlich und stöhnte dann: „Ach, es ist doch immer das Gleiche. Die schönen Autos. Und dann sind sie verbrannt und der Lack ist hin. Da zerreißt es einem doch die Seele oder etwa nicht?“
„Und warum haben sie noch keine Videoüberwachung installiert?“ War es nicht selbstverständlich, dass er den Hof überwachte, insbesondere, wenn so hochwertige Autos dort standen?
Wolpensky nickte: „Das ist eine gute Frage. Ich denke aber, das ist nicht alles so einfach ...“
Ich glaubte dem Mann kein Wort. Irgendwie beschlich mich das Gefühl, dass etwas faul an der Sache war. Ich beschloss mit Informationen, was unser weiteres Vorgehen betraf, ihm gegenüber sehr vorsichtig umzugehen. „Die Wagen, die sie sonst so verkaufen“, bohrte ich weiter, „was sind das denn für welche?“
„Keine“, antwortete der Dicke und blickte mich treuherzig an. „Der Verkauf geht sehr schleppend und ich habe schon seit einiger Zeit keinen Wagen mehr verkauft.“
Ich schüttelte den Kopf: „Was ich sagen wollte, ist: Was für Fahrzeuge bieten sie denn sonst so an? Sind davon auch schon einmal welche in Mitleidenschaft gezogen worden?“
Wolpensky überlegte eine Weile, dann nickte er: „Schauen sie sich die Autos doch selbst an. Ich führe sie gerne herum.“
Er erhob sich mühsam, doch ich winkte ab. Zunächst gab es noch mehr Fragen zu klären. „Gleich, Herr Wolpensky. Das ist sehr nett von ihnen, doch zunächst habe ich noch weitere Fragen.“
Der Dicke stöhnte auf: „Na, wenn es sein muss. Sie sind ja schlimmer als diese Frau von der Polizei. Kriminalhauptkommissarin Ur... Kommissarin Unr...“ Er suchte nach dem Namen, gab es aber schließlich auf. „Naja, die Frau eben.“
Ich winkte ab: „Das ist jetzt nicht wichtig. Wovon leben sie eigentlich, wenn sie schon lange keine Wagen mehr verkauft haben?“
Wolpensky sah mich lauernd an: „Wozu wollen sie das wissen? Sie arbeiten doch nicht auch noch für das Finanzamt? Ich habe gewisse Rücklagen ... Ja genau, Rücklagen ...“
„Schon gut, schon gut“, beruhigte ich ihn. „Das sind alles Routinefragen, die ich stellen muss. Erwarten sie eigentlich in nächster Zeit wieder eine Lieferung Fahrzeuge?“
Der Mann nickte und die Erleichterung, dass ich mich nicht weiter nach seinen Einkünften erkundigte, war ihm anzusehen. „Irgendwann nächste Woche. Bei den teuren Wagen arbeite ich auf Vorbestellung und ich habe drei Interessenten. Ein Porsche und zwei Mercedes SUV. Wenn nicht immer alle Wagen abbrennen würden, könnte mein Geschäft richtig gut gehen.“
Ich stellte ihm noch die eine oder andere Frage, doch das war alles eher belanglos. Schließlich führte Wolpensky uns auf den Hof seines Autohauses. Auch hier gammelten drei Wagen älteren Baujahrs vor sich hin, so dass momentan insgesamt wohl nur sechs Fahrzeuge von ihm angeboten wurden. „Das ist alles?“, fragte ich erstaunt. „Diese drei Wagen hier und die drei im Verkaufsraum? Sind das denn Neuwagen?“
Wolpensky strich über den Lack eines der Fahrzeuge und betrachtete anschließend seine dreckige Hand. „Im Moment ja. Alles hervorragende Gebrauchtfahrzeuge in bestem Zustand.“
Ich betrachtete den Hof. Das Gelände war von einem Maschendrahtzaun umgeben, der sich problemlos überklettern ließ. Ein schmaler Weg führte hinter dem Grundstück vorbei und auf der anderen Seite des Weges befand sich eine durchgehende Steinmauer, von bestimmt zweieinhalb Metern Höhe. „Was ist dort?“, wollte ich wissen und zeigte auf die Mauer.
Wolpensky blickte angestrengt in die Richtung und meinte dann: „Der Schrottplatz.“
In einer Ecke des Hofes entdeckte ich eine Stellfläche, an der der Boden schwarz verrußt war. Wolpensky bemerkte meinen Blick und erklärte: „Der Stellplatz für die Sportwagen. Wir bringen sie durch das Tor da hinten herein und parken sie hier, bis die Käufer sie abholen.“ Er druckste ein wenig herum und ergänzte dann: „Also im Moment, bis der Abschleppwagen vom Schrottplatz drüben sie abholt ...“
Ich betrachtete den verkohlten Boden genauer, doch mehr als verbrannten Lehm konnte ich nicht entdecken. Der Platz befand sich ein Stück von dem Maschendrahtzaun, den Gebrauchtwagen und dem Gebäude des Autohauses entfernt. Jedenfalls stellte ich fest, dass die Wagen nicht von dem Weg her angezündet worden sein konnten, denn dafür war die Entfernung zu groß. Man musste zunächst also das Gelände des Autohauses betreten und nahe genug an die Fahrzeuge herankommen.
Schließlich sah ich mir die drei Wagen noch genauer an, die auf dem Platz standen und dankte Wolpensky dafür, dass er uns so bereitwillig Auskunft gegeben hatte. Maangj und ich verließen schließlich das Gebäude wieder durch die altertümliche Eingangstüre. Die dicke Frau blickte uns durch das trübe Glas hinterher und führte dabei ihre Zigarette mit schnellen Bewegungen zum Mund. Ihr Kopf war in eine Rauchwolke gehüllt und diesmal kam sie mir vor, wie ein feuerspeiender Vulkan. Ich wartete darauf, dass aus ihrem Schädel plötzlich eine Magmafontäne hervorschießen würde, doch schließlich fuhr ich achselzuckend davon.
„Woran denken sie, Jonathan? Sie sehen so konzentriert aus, so angespannt.“ Es waren die ersten Worte, die Maangj von sich gab, seitdem wir Wolpensky gegenübergestanden hatten.
„Der Fall gibt mir doch sehr zu denken“, log ich, denn es war mir ja schlecht möglich, ihm von meinen Gedanken an einen Drachen oder diesen Vulkan zu erzählen. Außerdem dachte ich angestrengt darüber nach, ob ich nachher nicht noch zu Curry-Erwin fahren oder mich vielleicht selbst ins Chez-Duedo einladen sollte. Andererseits: Würde ich Maangj mitnehmen, dann könnte ich alles als Spesen abrechnen. Die Frage war nur, ob Bernd so etwas genehmigen würde, da es ja nach Feierabend stattfand ...
„Es sind viele Faktoren, die es zu überlegen gilt“, gab ich geheimnisvoll von mir. Vielleicht sollte ich doch lieber nachher allein zu Curry-Erwin gehen. Ich hatte ja den ganzen Tag kaum etwas gegessen und wenn ich den Schwarzen heute Abend mit dorthin nahm, könnte es passieren, dass ich auf den Kosten sitzen blieb.
„Wir reden Montag über den Fall. Im Büro. Dann planen wir auch unser weiteres Vorgehen. Ich muss jetzt erst einmal einen klaren Kopf bekommen.“ ‚Und etwas in den Magen‘, ergänzte ich in Gedanken. „Ich bringe sie jetzt direkt zum Hotel zurück und hole sie dann am Montag um acht Uhr wieder ab.“ Bernd hatte nichts davon gesagt, dass ich mich auch am Wochenende um unseren ‚Gast‘ kümmern müsste. Er könnte ja im Hotel bleiben und das Fernsehprogramm oder Videofilme anschauen. Irgendetwas würde ihm doch bestimmt einfallen. „Natürlich nur, wenn sie einverstanden sind, Kyle“, fügte ich hinzu, um mich auch bestens abzusichern.
Maangj lächelte mich an: „Natürlich, Jonathan. Sie haben sich ein ruhiges Wochenende verdient.“ Er seufzte gespielt und bemerkte: „Was mir weniger vergönnt sein wird, für mich wird es ein volles Programm geben.“
Ich lächelte nun ebenfalls. Gut, dass ich den Mann nicht auch noch in meiner Freizeit am Hals hatte. Ich nickte ihm verstehend zu: „Die Arbeit. Wir Detektive und Polizisten können nie richtig Feierabend machen.“
„Nein, das ist es weniger.“ Maangj lächelte jetzt noch intensiver und ich spürte, dass er sich im Grunde auf die kommenden Tage freute. „Jennifer und Birgit haben mich zu einem Ausflug über das Wochenende eingeladen. Sie wollen mir die Sehenswürdigkeiten der Eifel zeigen und Jennifer hat auch schon Zimmer gebucht.“
„Na, dann sehen wir uns ja am Montag wieder“, gab ich missmutig von mir und bremste mit quietschenden Reifen vor seinem Hotel. Ich glaubte nicht, dass wir unter solchen Umständen gute Freunde werden könnten, doch die Frage, ob er - ebenso wie ich - Curry-Erwins Essen lieben würde, war ja noch offen.
Wieso luden Jennifer und Birgit den Neger ein, doch mit mir waren sie noch nie in die Eifel gefahren?