Читать книгу Austausch - Programm - Jürgen Ruhr - Страница 8
V.
ОглавлениеPünktlich am Montagmorgen wartete ich vor dem Hotel auf Kyle Maangj. Heute würden wir den Autohaus - Auftrag und unser weiteres Vorgehen im Büro besprechen und zur Mittagszeit könnte ich den Schwarzen zum Essen zu Curry-Erwin einladen. Dann dürfte sich auch die Spreu vom Weizen trennen: War Maangj ebenfalls ein Freund der gehobenen Mönchengladbacher Imbissküche? Wäre er auch so begeistert vom Lärpers Spezial Teller wie ich?
Zehn Minuten später sah ich ihn dann endlich gemütlich auf mich zu schlendern. „Guten Morgen, Jonathan“, grüßte er und ich nickte ihm kurz zu.
„Sie sind spät dran, Kyle. Wie war das Wochenende?“
„Absolute Spitze. Sie können sich glücklich schätzen, solche tollen Kolleginnen zu haben. Und wussten sie, dass es möglich ist, in einem Kloster zu übernachten? Ein ruhiges Hotel in einem historischen Kloster mit hervorragenden Zimmern hatte Jenny für uns ausgesucht. Ich werde das Wochenende bestimmt nicht mehr vergessen. Und wie war es bei ihnen, Jonathan? Haben sie sich von der vielen Arbeit gut erholt?“
„Sehr gut“, knurrte ich und ließ es dabei bewenden. Maangj musste nicht erfahren, dass ich mich, nachdem ich ihn am Hotel abgesetzt hatte, in einem Diskounter mit Konserven eindeckte. Ravioli und Nudelgerichte. Die Lust auf ein Abendessen bei Curry-Erwin oder im Chez-Duedo war mir irgendwie vergangen. Und ebenso wenig musste er erfahren, dass ich das ganze Wochenende Filme im Fernsehen und auf Video angeschaut hatte.
„Gehen wir den Fall noch einmal durch.“ Maangj saß vor meinem Schreibtisch auf dem Besucherstuhl. Ich hatte uns beiden Kaffee gekocht und fragte mich, wo Birgit eigentlich blieb. War sie vom Wochenende noch so geschafft, dass sie später zur Arbeit kam? Oder vielleicht gar nicht?
„Die Sache erscheint mir nicht ganz koscher, weswegen ich Wolpensky auch nicht mitgeteilt habe, wie wir weiter vorgehen werden.“
„Sie verdächtigen den Besitzer des Autohauses, Jonathan?“, fragte Maangj und ich schüttelte zögerlich den Kopf.
„Ich weiß nicht. Es ist eher so ein Bauchgefühl, doch wenn ich mir den Laden anschaue, dann passt dort einiges nicht zusammen. Und dem müssen wir auf den Grund gehen. Zunächst sollten wir versuchen, alles über diesen Wolpensky herauszufinden. Wie steht’s mit ihnen, Kyle? Sind sie in der Lage, im Internet zu recherchieren?“
Maangj nickte: „Geben sie mir einen Computer und ich finde heraus, was es herauszufinden gibt.“
„Prima.“ Ich überlegte, dass ich ihn an Christines Arbeitsplatz setzen könnte. Allerdings kannte ich das Passwort für ihren PC nicht, doch ein Laptop würde sich für Maangj noch auftreiben lassen. Ich könnte das Gerät ja selbst bei Jennifer abholen und bekäme so auch die Gelegenheit, ein paar Worte mit der blonden Maus zu wechseln. Vielleicht ließ sie sich ja von mir zum Essen einladen oder wir könnten nächstes Wochenende zusammen wegfahren. Es musste ja nicht unbedingt ein Kloster sein ...
Maangj tippte mir auf die Schulter: „Jonathan? Sind sie eingeschlafen?“
„Nein, nein, ich habe gerade nur nachgedacht. Sie können zunächst meinen Computer für die Recherchen nutzen, ich besorge ihnen derweil einen Laptop. Da Christine ja momentan in Kapstadt ist, können sie ihr Büro benutzen.“ Ich stellte alles so ein, dass er im Internet suchen konnte. „Kommen sie, Kyle. Nehmen sie auf meinem Chefsessel Platz. Ich fahre derweil kurz in das Krav Maga Studio und besorge ihnen einen Computer.“ Während ich mein Büro verließ, zeigte mir ein Blick über die Schulter, dass Maangj gut beschäftigt war.
Jennifer blickte mir lächelnd entgegen, als ich das Krav Maga Studio betrat. „Guten Morgen, Jonathan. Was führt dich zu mir?“
„Morgen Jenny. Ich brauche einen Laptop für Maangj. Wir wollen ein paar Dinge im Internet recherchieren und Christines Rechner können wir ja nicht nutzen, da ich kein Passwort dazu habe.“
„Kein Problem“, erwiderte die Blonde. „Wir haben da noch einige ausrangierte Geräte. Wenn du eine Sekunde hierbleibst, hole ich dir den Computer.“
Zwei Minuten später kam sie mit einem Laptop zurück und drückte ihn mir in die Hand. „Der ist zwar schon etwas älter, funktioniert aber noch einwandfrei.“
Ich setzte mein gewinnendstes Lächeln auf. „Jenny, wie wär’s wenn ich dich heute Mittag zum Essen einlade? Wir könnten bei Curr...“
Jennifer unterbrach mich: „Das ist sehr lieb von dir, Jonathan. Aber du weißt doch, dass ich in diese Schmuddelbude nicht mehr gehe. Von dem Essen dort bekomme ich Ausschlag und Magenkrämpfe. Vielleicht ein andermal, woanders hin, aber nicht zu Schmuddel-Erwin.“
„Curry-Erwin“, stellte ich richtig. Jennifer war aber auch viel zu empfindlich. Nun, bestimmt würde Kyle mit mir zum Mittagessen dorthin gehen. Wir könnten so ein richtiges Männeressen veranstalten.
„Hier Kyle, ihr Laptop.“ Ich stellte das Gerät auf meinen Schreibtisch. „Das ist zwar nicht der Neueste, doch er soll einwandfrei funktionieren. Und für Recherchen im Internet wird er allemal noch genügen. Sie können sich damit in Christines Büro zurückziehen.“
Maangj lächelte mich an: „Danke, Jonathan. Ich weiß ihre Freundlichkeit zu schätzen. Sie arbeiten hier in Deutschland sehr gut Hand in Hand.“
„Ja, so ist das halt“, bemerkte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. „Wie sieht es denn mit unserem Freund vom Autohaus aus? Haben sie schon irgendwelche Ergebnisse?“
Der Schwarze schüttelte den Kopf: „Momentan kann ich nichts Genaues sagen. Aber es scheint so, als würde Herr Wolpensky eng mit dem Besitzer des Schrottplatzes zusammenarbeiten. Doch noch kann ich mir keinen Reim darauf machen.“
Ich nickte: „Wir werden schon dahinterkommen. Ein Jonathan Lärpers hat bis jetzt jeden Fall aufgeklärt. Und sei er auch noch so kompliziert gewesen. Machen sie weiter so, Kyle!“
„Ja Chef“, grinste Maangj. „Die Arbeit macht Spaß. Das ist hier so ... ganz anders, als in Kapstadt. Viel mehr Ermittlungs- und Detektivarbeit. Ich fühle mich richtig in die Zeit meines Studiums zurückversetzt.“
„Das ist ja schön für sie, Kyle“, freute ich mich für ihn, auch wenn mein Gefühl ein wenig anders lag. Aber was nach außen drang, war ja schließlich wichtig. „Christines Büro ist offen, gehen sie einfach hinein.“
Nachdem Maangj gegangen war, lehnte ich mich in meinem Chefsessel bequem zurück und ließ die letzten Tage noch einmal revuepassieren. Seit dem Meeting am vergangenen Donnerstag war aber auch alles schief gegangen. Es fing schon mit dem dämlichen Obstkorb an, den Bernd uns anstelle der leckeren Brötchen anbot. Dann das versäumte Mittagessen bei Curry-Erwin und lediglich dieses ekelhafte Reisgericht bei Chrissi. Ein Tiefschlag folgte dem nächsten. Und die Krönung war das vergangene Wochenende, das ich mit glitschigen Ravioli und Nudeln in Tomatensoße aus der Dose verbracht hatte. ‚Jonathan‘, sagte ich mir, ‚so kann das nicht weitergehen‘. Heute würde ich zu Curry-Erwin gehen, komme, was da wolle! Ich brauchte endlich einmal wieder etwas Anständiges zwischen die Zähne.
Ein Räuspern schreckte mich aus den Gedanken und als ich die Augen langsam öffnete, blickte ich in ein grinsendes, schwarzes Gesicht.
„Jonathan, bist du eingeschlafen?“, fragte Maangj.
„Nein, ich habe nur nachgedacht.“ Das war ja noch nicht einmal gelogen.
„Das ist sehr gut, Jonathan“, lobte mich der südafrikanische Polizist. „Ich wollte auch nur noch die Ergebnisse mit ihnen kurz durchgehen, bevor wir Mittagspause machen.“
Ich warf einen Blick auf die Uhr und erschrak. Wie die Zeit doch verflog, wenn man so seinen Gedanken nachhing. „Darf ich sie zu einem Mönchengladbacher kulinarischen Erlebnis einladen, Kyle?“, fragte ich unvermittelt und war mir sicher, dass er absagen würde. Vielleicht hatte ihn Birgit heute schon eigeladen. Obwohl die Kleine mit den bunten Haaren bisher noch nicht aufgetaucht war. Ich ärgerte mich, vorhin bei Jenny nicht daran gedacht zu haben, denn sie konnte mir bestimmt Auskunft über den Verbleib meiner Kollegin geben.
„Danke, Jonathan. Das ist sehr nett von ihnen.“
„Heißt das ‚Ja‘?“
„Ja.“
Ich lächelte. Curry-Erwin sollte schon einmal das Frittierfett anheizen, denn dieser Baum von einem Mann würde sich bestimmt beim Essen nicht lumpen lassen. Wir könnten mehrere Gerichte durchprobieren und so eine kleine kulinarische Reise durch Mönchengladbach unternehmen.
„Können wir dann jetzt noch einmal über den Fall sprechen?“, fragte Maangj und ich nickte großzügig.
Maangj zog einen Zettel mit handschriftlichen Notizen hervor. Er saß mittlerweile wieder auf dem Besucherstuhl. „Ich habe mir einige Stichpunkte notiert, bin aber zu noch keinem abschließenden Ergebnis gekommen. Doch es gibt einige Tatsachen, die überdacht werden müssen.“
„Ja“, bestätigte ich. „Dafür bin ich ja hier. Aber fahren sie doch fort, Kyle.“
„Wie ich vorhin schon erwähnte, unterhält das Autohaus eine ziemlich innige Beziehung zu dem Schrottplatz. Außerdem ist mir aufgefallen, dass regelmäßige Fahrzeuglieferung vom Internationalen Autozentrum Wolpensky nach Polen erfolgen. Und die finden immer einige Tage nach den Bränden der Autos auf dem Hof statt.“
Ich war erstaunt, wie viele Informationen Maangj im Internet gefunden hatte. „Und das haben sie alles aus dem Internet, Kyle?“
„Nein, nein“, lachte der schwarze Polizist. „Ich habe ein paar Anrufe getätigt und unter anderem auch mit dem Mann bei der Versicherung gesprochen, der uns beauftragt hat, in dem Fall zu ermitteln. Es gibt da erstaunliche Zusammenhänge, vor allem, wenn man den Gesamtablauf betrachtet.“
„Sehr gut, Kyle“, lobte ich ihn. Es wurde allerdings Zeit, jetzt zum Schluss zu kommen, denn wir befanden uns kurz vor der Mittagspause. Mein Magen knurrte vernehmlich und vor meinen Augen entstand das Bild von Curry-Erwins Leckereien. Bei ‚Gesamtablauf‘ dachte ich jetzt eher an den Ablauf der Speisenfolge. „Also, was haben sie noch herausgefunden?“
„Der Gesamtablauf gestaltet sich folgendermaßen: Wolpensky bekommt die Luxusautos geliefert. Die brennen dann eines Nachts ab. Die Versicherung schickte einen Gutachter, der sich die Wracks ansieht. Danach werden die Autos auf dem Schrottplatz nebenan entsorgt und Wolpensky erhält eine Entschädigung.“ Maangj lehnte sich lächelnd zurück.
Na, da hatte er ja wirklich ganze Arbeit geleistet. Ich unterdrückte mühsam ein Grinsen. Allerdings handelte es sich um den Standardablauf bei solchen Fällen und das alles hätte ich ihm auch erzählen können. „Gute Arbeit, Kyle“, lobte ich trotzdem. Mir war unser weiteres Vorgehen schon klar und da spielten auch solche Erkenntnisse keine Rolle. „Das haben sie wirklich gut gemacht. Wir werden ab heute das Autohaus im Auge behalten und sobald eine Lieferung von Luxuswagen erfolgt, observieren wir nachts den Platz. Es wäre doch gelacht, wenn wir den Feuerteufel nicht schnappen würden!“
Ein einfacher Fall, den jeder Detektivlehrling lösen konnte.
„Und jetzt machen wir erst einmal Mittagspause. Sie werden überrascht sein, Kyle, was Mönchengladbach an feinem Essen so zu bieten hat.“
Ich musste in Rheydt eine Weile nach einem Parkplatz suchen, doch endlich stand der Mercedes sicher auf einem Parkstreifen. Ich erinnerte mich daran, wie ich einmal meinen postgelben Kia Venga stolz vor Curry-Erwins Frittenbude parkte, um ihm den neuen Wagen zu präsentieren. Eine Minute war ich unachtsam gewesen und schon wurde das Fahrzeug abgeschleppt. Mit Bernds Wagen wollte ich so etwas gar nicht erst riskieren.
Wir wanderten quer durch Rheydt und Maangj besah sich interessiert die vielen leerstehenden Geschäfte. „So schlimm ist es bei uns in Kapstadt noch nicht“, erklärte er und zeigte auf ein heruntergekommenes Gebäude, in dem einst ein Porzellangeschäft gewesen war. „Was ist hier geschehen? Ich sehe nur noch Billigläden und alles scheint mir ziemlich heruntergekommen zu sein.“
Ich zuckte mit den Schultern. Was ging mich das an, wie es hier in Rheydt aussah? Die einzigen Adressen, die mich interessierten, waren Curry-Erwin und das Chez-Duedo. Und beide Lokalitäten befanden sich schließlich in einem einwandfreien Zustand. Bestens gepflegt. „Keine Ahnung“, erwiderte ich deswegen auch. „Ich nehme an, verfehlte Stadtplanung. Zu viele Billigläden und zu viele Billigkunden.“
Kurze Zeit später standen wir vor der Eingangstüre zu Curry-Erwins Imbiss. „Tatatata“, machte ich und hob theatralisch beide Arme. „Wir haben unser Ziel erreicht.“
„Ein Imbiss?“, fragte Maangj entgeistert und machte sich bei mir mit dieser Negativfrage schon wieder ein weniger unbeliebter.
„Nicht irgendein Imbiss“, erklärte ich. „Das ist der Imbiss in Rheydt schlechthin. Hier kann man richtig schlemmen, sich allen kulinarischen Leidenschaften hingeben und die hungrige Seele mit Speis und Trank sättigen. Ein Tempel der Köstlichkeiten sozusagen.“
„Ein Imbiss!“, nickte der Schwarze, aber es klang jetzt nicht mehr ganz so negativ. Ich war mir sicher, dass er in Kürze von der Qualität und Quantität des Essens überzeugt sein würde.
„Jonathan, mein Freund“, rief Curry-Erwin erfreut aus, als wir durch die Tür in den Raum traten. Sogleich schlug uns der Duft von Pommes Frites und Bratwürstchen entgegen. Aber da war auch noch eine weitere Note, die ich nicht identifizieren konnte. Allerdings brachte Maangj es dann auf den Punkt.
„Hier riecht es angebrannt“, bemerkte er mit angewidertem Gesichtsausdruck. „Außerdem stinkt es hier nach Schweiß.“
Der Schweißgeruch kam von einer Gruppe Bauarbeiter, die sich um einen der runden Stehtische gruppierten und uns jetzt aus großen Augen ansahen. Normalerweise ignorierte ich solche Gerüche, doch jetzt, da Maangj es erwähnte, fiel es mir auch auf.
Curry-Erwin kam mittlerweile, so wie er es bei meinem Anblick immer tat, um seinen Verkaufstresen herum, wischte sich die fettigen Finger an seiner noch fettigeren Schürze ab und nahm mich in den Arm. „Jonathan Lärpers, Spezialagent seiner Majestät“, scherzte er und drückte mich an seine Brust. „Wie schön, dich wieder einmal in meiner bescheidenen, aber freundlichen Gaststätte empfangen zu dürfen. Und wen hast du mir da mitgebracht? Warst du etwa wieder auf Reisen? Im Kongo vielleicht?“ Er hielt Maangj die Hand hin, an der ich noch Spuren von Mayonnaise bemerkte. Auch auf meiner Jacke in Bauch- und Brusthöhe konnte ich weiße, aber auch rote Flecken ausmachen.
„Darf ich vorstellen?“, machte ich mich wieder bemerkbar. „Kyle Maangj aus Kapstadt. Und das ist mein guter Freund Curry-Erwin. Der Erfinder zahlreicher raffinierter Gerichte. Der Herr über Pommes und Mayo, der ...“
„Ach Jonathan“, winkte mein Freund bescheiden ab. „Du sollst doch nicht immer so übertreiben. Was darf ich euch heute Gutes tun? Halt wartet, ich habe da soeben zufällig ein neues Menü kreiert. Stellt euch einfach dort an den Tisch und lasst euch überraschen. Was darf ich euch zu trinken bringen? Bier?“
Mittlerweile hatte Maangj die Hand meines Freundes vorsichtig ergriffen und suchte jetzt nach einer Serviette oder Gelegenheit, sich die Mayonnaise wieder von den Fingern zu wischen. Ich reichte ihm unauffällig ein Papiertaschentuch, das er dankbar annahm. „Für mich Cola, ich muss noch fahren.“ Der Schwarze nickte nur und säuberte mit undefinierbarem Gesichtsausdruck seine Hand. „Also zwei Cola, Erwin“, orderte ich souverän.
„Ist das nicht herrlich hier?“, fragte ich Maangj, als wir an unserem Tisch standen. Die Bauarbeiter beobachteten uns, beziehungsweise Maangj, ganz genau und tuschelten dabei leise. „Das ist Gladbacher Kultur in seiner reinsten Form. Und sie werden sich wundern, was für großartige Essenskreationen sie in diesem unscheinbaren Lokal serviert bekommen, Kyle. Lassen wir uns überraschen.“
Der Neger nickte nur und schaute sich interessiert in dem Imbiss um. Ich wusste, dass es ihm hier gefiel, denn sein ausdrucksloses Gesicht zeigte keinerlei Abscheu.
„Ich finde es so ... authentisch“, schwärmte ich. Jetzt, da ich wusste, dass er meiner Meinung war, brauchte ich meine Begeisterung nicht zu verstecken. „Das ist Mönchengladbacher Flair. Schauen sie nur dort oben die Preistafel. Wieviel Mühe Curry-Erwin sich bei der Gestaltung gegeben hat.“ Ich versuchte Maangjs Aufmerksamkeit auf das handgeschriebene ‚Lärpers-Spezial Teller‘ zu lenken, doch er beachtete die Buchstaben gar nicht. „Oh“, versuchte ich es schließlich mit einem Wink mit dem Zaunpfahl, „Erwin hat ja immer noch den nach mir benannten Lärpers-Spezial Teller im Angebot. Kyle, die Kreation aus Wurst, Soße, Mayonnaise und Senf ist eine Wucht. Das müssen sie unbedingt probieren.“
Maangj nickte wieder nur, doch als einer der Bauarbeiter einen grandiosen Rülpser von sich gab, bemerkte er: „Sie haben wirklich einen besonderen Geschmack, Jonathan. Sie sollten einmal nach Kapstadt kommen, da ist auch alles so ... so ... authentisch. Der Geruch auf den Straßen, die vorherrschende Sauberkeit und vor allem die Menschen, die in der mittäglichen Hitze dem Ganzen ein besonderes Flair geben. Sie wären begeistert, Jonathan.“
Ich spürte, wie aus dem Mann die Begeisterung für seine Stadt sprach und wünschte, mir könnte es mit Mönchengladbach und insbesondere Rheydt ähnlich gehen. Doch hier stanken die Straßen nach Urin und die Menschen nach Schweiß. Und an allen Ecken und Enden fanden sich Ansammlungen von Müll. Warum warf eigentlich niemand seinen Dreck in die überall herumstehenden Mülleimer?
Curry-Erwin servierte uns die Getränke direkt mit dem Essen zusammen und ich musste mich wieder einmal wundern, wie schnell und effektiv er arbeitete. Wie bei vielen seiner Überraschungsessen deckte eine dicke Schicht Mayonnaise das Menü ab. Kleine, bunte Frittengabeln steckten bis auf eine winzige Ecke darin und verlangten einiges an Geschicklichkeit, sie herauszufischen. Mir gelang es nicht und bald klebte meine halbe Hand von dem fettigen Zeug. Aber das gehörte schließlich dazu. Wenn nur Curry-Erwin nicht immer die Servietten vergessen würde. Ich wischte mir am Rand des Pappschälchens die Finger so gut es ging ab und begab mich dann auf die Suche nach den kulinarischen Besonderheiten, die unter der weiß-gelben Schicht steckten.
Wie ich wusste, mussten jetzt die Pommes Frites folgen, denn irgendwie ordnete Erwin alle seine Gerichte nach dieser Reihenfolge. Wurst, Pommes und dann ordentlich Mayonnaise, das war immer ein erfolgreiches Konzept. Doch diesmal schien er etwas geändert zu haben. Ich stieß auf einen harten Gegenstand und hackte mit dem Gäbelchen feste nach. Mayonnaise spritzte über den Tisch und ich musste grinsen, als Maangj nur um Millimeter verfehlt wurde. Bestimmt würde er seinen Enkeln noch von diesem Abenteuer erzählen.
An meiner Gabel hing, fast wie ein Fisch an der Angel, ein dicker runder Klotz. Mit einem Finger der linken Hand strich ich die Mayonnaise fort und es kam eine schwarze Frikadelle zum Vorschein. Dieses Stück Fleisch musste auch der Grund für den anhaltenden Brandgeruch hier sein. Vorsichtig schnupperte ich daran, dann versuchte ich hineinzubeißen. Doch das Ding war steinhart und nur mit Mühe gelang es mir, ein Stückchen abzuknabbern. Der Geschmack war ungewöhnlich, ich würde sogar sagen: außergewöhnlich. Aber im Grunde nicht schlecht, wenn man dem Neuen gegenüber aufgeschlossen war.
Plötzlich stand Curry-Erwin wieder neben uns. „Na, Jonathan, was sagst du? Ist das nicht wirklich etwas Besonderes? Ich nenne die Kreation ‚Schwarzer Frikaner‘.“ Er lachte und schlug mir auf die Schulter, so dass ich für einen Moment die Gewalt über mein Gäbelchen verlor. Der Schwarze Frikaner rollte über den Tisch und fiel polternd zu Boden. Curry-Erwin bückte sich blitzschnell, hob das verkohlte Stück Fleisch wieder auf und putzte es an seiner Schürze ab. Dann legte er die verbrannte Frikadelle wieder in mein Schälchen und meinte tadelnd: „Jonathan, Jonathan. Du musst aber schon besser auf dein Essen aufpassen!“ Und lächelnd fügte er hinzu: „Dann lass es dir noch schmecken!“
Kyle sah auf seine Armbanduhr. „Ich glaube, es wird Zeit, dass wir ins Büro zurückkehren“, bemerkte er und ich hörte aus seiner Stimme ein gewisses Bedauern. „Es wäre mir peinlich, zu spät aus der Mittagspause zurückzukommen.“
Das konnte ich verstehen, doch sein Essen stand noch unberührt auf dem Tisch. „Sie haben ja noch gar nichts gegessen, Kyle“, wies ich ihn auf die volle Pappschale hin.
„Sie ja auch nicht, Jonathan“, erwiderte er und ich musste ihm Recht geben. Irgendwie war die Zeit wie im Flug vergangen.
„Eine Sekunde“, bat ich ihn zu warten und suchte jetzt aus Zeitmangel mit den bloßen Fingern nach den Pommes Frites. Eine Kleinigkeit wollte ich wenigstens noch zu mir nehmen. Die Pommes lagen, leider durch die verbrannte Frikadelle plattgedrückt, in einer Lache aus Currysoße, die von weißen Mayonnaiseschlieren durchzogen wurde. Triumphierend steckte ich mir eine Handvoll des Breis in den Mund. Bei Curry-Erwin ging niemand hungrig nach Hause!
„Und, Kyle?“, fragte ich, als wir auf dem Weg zurück zum Wagen waren. Curry-Erwin hatte mir zwei Papierservietten mitgegeben, damit ich mir die Finger abputzen konnte. „Jonathan“, bemerkte er, als er die Servietten über die Theke schob, „es tut mir leid, aber ich muss die beiden extra berechnen.“ Was er dann auch tat, aber so ist das Geschäftsleben halt.
„Und, Kyle? Wie hat es ihnen gefallen? Sie müssen doch zugeben, dass das wirklich etwas Besonderes war.“ Auch wenn er es abgelehnt hatte, schnell noch mit den Fingern zu essen, so war ich mir doch sicher, dass ihm Curry-Erwins neueste Kreation geschmeckt hätte. Auf mich machte der Südafrikaner jedenfalls einen zufriedenen Eindruck.
„Nun, es war etwas Besonderes, das ist wahr“, stimmte er mir zu und ich spürte ein warmes Gefühl der Freundschaft in mir. Der Mann war ja doch nicht so übel, wie ich anfänglich gedacht hatte. „Außergewöhnlich. Und sie gehen da wirklich öfter hin, Jonathan?“
Ich fühlte mich geschmeichelt. Kyle Maangj war ein Mensch, der das gute Essen liebte. Mit ihm und mir fanden sich zwei gleichgesinnte Seelen.
Ich nickte: „Curry-Erwin bietet ja nicht nur eine ausgezeichnete Küche, sondern auch ein sehr gutes Preis-Leistungsverhältnis.“ Ich hatte für beide Essen und die Getränke nicht einmal sechzig Euro bezahlt. Und natürlich für die zwei zusätzlichen Servietten. Als ich über den günstigen Preis bei Erwin nachdachte, fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, ihn um eine Quittung zu bitten. Doch jetzt war es leider zu spät, noch einmal umzukehren.
„Das müssen wir unbedingt einmal wiederholen“, schlug ich Maangj vor, „und dann probieren sie den Lärpers-Spezial Teller.“
Maangj nickte und ich sah aus den Augenwinkeln, wie er zufrieden und vor Wonne mit den Augen rollte.