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1.1.2 Tourismus im Spannungsfeld verschiedener Disziplinen
ОглавлениеIn der einschlägigen Literatur besteht weitgehend Konsens darüber, dass nicht von einer eigenständigen, theoretisch fundierten Tourismuswissenschaft gesprochen werden kann. Vielmehr gibt es unterschiedliche Disziplinen und Wissenschaftsbereiche, die sich mit dem Tourismus auseinandersetzen und die Interdisziplinarität von Tourismus als Forschungsgegenstand belegen.
Interdisziplinarität der Tourismusforschung
Beteiligt sind insbesondere:
• die Wirtschaftswissenschaften (z.B. Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre), die sich unter anderem mit der Analyse der touristischen Märkte befassen,
• die Sozialwissenschaften (z.B. Soziologie, Psychologie), die sich unter anderem mit der Untersuchung des schichtspezifischen bzw. individuellen Reisebedürfnisses bzw. Reiseverhaltens (vgl. Kap. 2.3) auseinandersetzen,
• die Politikwissenschaften, die beispielsweise die Instrumente politischer bzw. staatlicher Einflussnahme auf den Tourismus behandeln,
• die Rechtswissenschaften, die sich mit juristischen Fragen des Tourismus wie beispielsweise der Rechtssicherheit bei Pauschalreisen befassen, und nicht zuletzt
• die Umwelt- und Geowissenschaften (mit ihren Teildisziplinen wie Klimatologie, Geomorphologie, Ökologie, Geographie, darin vor allem die Wirtschaftsgeographie bzw. Tourismusgeographie, vgl. Kap. 1.1.3), die insbesondere die raumprägenden und wechselseitigen Beziehungen zwischen den touristischen Akteuren und ihren Aktivitäten sowie den natürlichen Gegebenheiten und Veränderungen der Umwelt untersuchen.
Innerhalb einzelner beteiligter Disziplinen haben sich verschiedene Richtungen (z.B. Klimafolgenforschung) herausgebildet. Diese Disziplinvielfalt ist nicht nur typisch für die Auseinandersetzung der Wissenschaft mit dem Tourismus im deutschsprachigen Raum, sondern trifft auch für den angelsächsischen Raum zu (vgl. FLETCHER et al. 2013, S. 5).
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Abb. 1.2: Komponenten der interdisziplinären Tourismusforschung (eigene Darstellung)
Schwerpunkte tourismuswissenschaftlicher Forschung
Vor dem Hintergrund räumlicher und zeitlicher Prozesse und dem Zusammenspiel von touristischer Angebots- und Nachfrageseite ergeben sich verschiedene Schwerpunktsetzungen (vgl. Abb. 1.2). Je nach beteiligter Disziplin und dem Untersuchungsziel kann unterschieden werden, ob primär die Reisenden – etwa hinsichtlich ihrer persönlichen Merkmale und Motivationen – oder die touristischen Leistungsträger und ihre Produkte – z.B. hinsichtlich der Reiseorganisationsform – im Mittelpunkt des Interesses stehen. In beiden Fällen erfolgt dann in der Regel mindestens eine weitere Schwerpunktsetzung. Eine erste Möglichkeit ist die temporal ausgerichtete Betrachtungsweise, d.h. die Analysen erfolgen unter besonderer Berücksichtigung gesellschaftlicher (z.B. Veränderung des Images von Reisen) und/oder ökonomischer Prozesse (z.B. Erschließung neuer Marktsegmente oder Entwicklung neuer Vertriebswege). Die zweite Möglichkeit berücksichtigt dagegen stärker raumspezifische Aspekte. Auch hierbei kann zum einen eine überwiegend nachfrageorientierte Position eingenommen werden (z.B. soziodemographische Struktur der Reisenden), zum anderen ist auch eine stärker angebotsorientierte Ausrichtung denkbar (z.B. Berücksichtigung des ursprünglichen Angebots einer Destination). Selbstverständlich ist auch die Kombination mehrerer Aspekte innerhalb einer Untersuchung möglich. Je nach beteiligten Disziplinen erfahren die Aspekte eine unterschiedliche Gewichtung. Dabei ist zu beobachten, dass die Grenzen zwischen den an der Tourismusforschung beteiligten Disziplinen zunehmend verwischen, doch werden gerade an den Schnittstellen der interdisziplinären Forschung neue Ergebnisse erzielt. Der Raumbezug als übergeordnete Fragestellung macht die Tourismusgeographie mit ihrer speziellen Raum- und Methodenkompetenz zu einer zentralen Disziplin im interdisziplinären Austausch.