Читать книгу Tourismusgeographie - Jürgen Schmude - Страница 21
1.4.1 Zeit-räumliche Ausbreitung von Tourismusströmen
ОглавлениеDie Analyse des Auftretens und der Verbreitung des modernen Tourismus zeigt sowohl auf der nationalen als auch auf der internationalen Ebene seit Mitte des 19. Jahrhunderts einen zeit-räumlichen Veränderungsprozess.
Modell nach Gormsen
GORMSEN (1983, S. 608ff.) weist dies beispielhaft für die Entwicklung des internationalen Küstentourismus anhand von vier Zonen der Tourismusentwicklung nach (vgl. Abb. 1.4).
Zonen der Tourismusentwicklung
Ausgehend von den Reisen der britischen Aristokratie, die ab Mitte des 18. Jahrhunderts an den Küsten von Nord- und Ostsee (Zone I) erste Sommerresidenzen errichtet, wird der Aktionsraum der Touristen kontinuierlich erweitert. Im Zuge der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts partizipiert das Großbürgertum am Tourismus, was sich in der Errichtung von Hotels für einen gehobenen Badetourismus niederschlägt. Anschließend erreicht der |22|internationale Tourismus – begünstigt durch die Erfindung der Eisenbahn – zunächst den europäischen Mittelmeerraum (Zone II). Ursache sind neben den neuen Möglichkeiten der Mobilität insbesondere die steigenden Einkommen und der erstmals gesetzlich geregelte Urlaubsanspruch. Es folgt ein Überspringen des Tourismus auf die nordafrikanische Mittelmeerküste (Zone III) ca. ab den 1960er-Jahren. Kurz darauf werden durch die Entwicklung von Langstreckenflugzeugen und dem zunehmenden Wunsch nach Exotik vermehrt Fernreiseziele (Zone IV) nachgefragt, und die Dritte Welt wird Ziel des internationalen Tourismus.
Bei diesem räumlichen Ausbreitungsprozess ist es stets die Oberschicht, die die Pionierfunktion bei der Erschließung neuer Zonen des Tourismus übernimmt. Mit dem Nachzug weiterer sozialer Schichten (zunächst der Mittelstand, später auch die Unterschicht) geht die Änderung der Beherbergungsinfrastruktur einher. Zu den ursprünglich dominierenden Hotels und Zweitwohnsitzen treten als Quartiere der Mittel- und Unterschicht verstärkt Pensionen, Privatzimmer und Campingplätze auf (vgl. Abb. 1.4). Dieser sich in den verschiedenen räumlichen Zonen wiederholende Prozess zeigt die Diffusion des Phänomens Reisen innerhalb der Gesellschaft (von der Ober- bis zur Unterschicht, vgl. Säule B) und des Raumes (von der britischen Südküste bis zu den Fernreisezielen). Parallel dazu ändert sich auch die |23|Struktur der Partizipation der Akteure an der Tourismusentwicklung (Säule A): in der Initialphase dominieren lokale und regionale Akteure (z.B. Hoteliers), mit der zunehmenden Erschließung der einzelnen Zone treten verstärkt auch externe Akteure auf (z.B. internationale Hotelketten oder Reisekonzerne). Schließlich existiert in Zone IV in den 1980er-Jahren nahezu die gleiche strukturelle Situation wie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Beginn des internationalen Tourismus.
Abb. 1.4: Schema der zeit-räumlichen Entwicklung des internationalen Küstentourismus (Quellgebiet: Großbritannien) (nach GORMSEN 1983, S. 613)
Die von GORMSEN(1983, S. 608ff.) am Beispiel von Großbritannien entwikkelte Analyse des zeit-räumlichen Innovations- und Diffusionsprozesses konzentriert sich auf die Reisenden eines Quellgebiets sowie die Reichweite ihrer touristischen Aktivitäten und ist auch auf andere Quellgebiete übertragbar. Ein vergleichbares allgemeines Modell hat z.B. VORLAUFER (1996, S. 18) vorgelegt. Es ist jedoch auch möglich, die „Austauschbeziehungen“ von Quell- und Zielgebieten im Sinne von Tourismusströmen insgesamt zu untersuchen.