Читать книгу Der Rosental Plan - Jürgen W. Roos - Страница 5
Оглавление1.
Belgrad - Serbien. Die zwei Männer, die sich in einem Zimmer des Hotels Slavija in der Balkanska 1 gegenübersaßen, stammten beide ursprünglich aus Berlin. Doch das war rein zufällig. An dem Tag sahen sie sich zum ersten Mal.
Das einzige Fenster war mit Jalousien abgedunkelt. Hier drinnen war vom Straßenlärm kaum etwas zu hören, doch die ungewöhnlich große Hitze des Septembertages machte sich auch hier bemerkbar.
Aus einem Nebenzimmer drang ab und zu die schrille Stimme einer Frau. Die Antworten der anderen Person waren nicht zu hören. Die zwei Männer achteten nicht weiter darauf. Es war die normale Geräuschkulisse in einem unscheinbaren Hotel, nicht mehr und nicht weniger lästig als die stickige Luft des Zimmers. Die Klimaanlage hatte der größere der beiden Männer beim Eintreten ausgeschaltet. Sie funktionierte nicht richtig, machte dafür viel Lärm. Er war auch der Sprecher. Mit den sorgfältig gekämmten, etwas angegrauten Haaren und der Brille mit Goldumrandung sah er wie ein Geschäftsmann aus. Die hellgraue Jacke seines leichten Anzuges hatte er ausgezogen, akkurat über eine Stuhllehne gehängt und die hellblaue Krawatte gelockert. Die braune Aktenmappe auf dem Tisch zeigte deutlich sichtbare Abnutzungsspuren und passte eigentlich nicht zu seiner Erscheinung.
Sein Gegenüber war das genaue Gegenteil von ihm. Er mochte vielleicht Ende fünfzig sein, war höchstens 160 cm groß, ziemlich beleibt und machte einen ungepflegten Eindruck. Er lag mehr in dem Sessel, als dass er saß. Die schlechte Luft im Zimmer schien ihm zu schaffen zu machen. Dauernd wischte er mit einem Papiertaschentuch die Schweißperlen von seiner Stirn. Mit den abgewetzten Jeans, dem karierten Hemd sowie der großen Fototasche sollte man ihn wohl für einen der, inzwischen wieder zahlreichen, Touristen halten, die sich zurzeit in Belgrad aufhielten.
Der große, gut gekleidete Mann redete betont aufdringlich auf ihn ein. Seine Stimme war kühl und gedämpft.
„Heute Abend fahren sie mit dem Autobus vom Bahnhof hier in Belgrad ab. Passen Sie auf, dass sie in den richtigen Bus einsteigen. An der Grenze zu Kroatien müssen Sie aussteigen, Ihr Bus endet dort. Wie die meisten anderen Passagiere auch, gehen sie zu Fuß über die Grenze. An der Passkontrolle auf serbischer Seite werden die Ausweise nur flüchtig kontrolliert. Bei der Einreise nach Kroatien sind die Kontrollen etwas genauer. In dieser Nacht sind dort zwei Grenzer im Einsatz. Sie stellen sich in die Schlange bei der Grenzbeamtin mit Brille. Sie wird lediglich einen kurzen Blick in Ihren Pass werfen und ansonsten keine Fragen stellen. Nachdem sie die Grenzkontrolle passiert haben, steigen sie in den Omnibus nach Zagreb. Sie finden ihn etwa zweihundert Meter nach der Passkontrolle. Er ist nicht zu übersehen. In Zagreb müssen sie in den Bus nach Zadar umsteigen. Können sie sich das merken?“
Sein Gegenüber nickte gelangweilt. Solche Kurierdienste hatte er schon oft erledigt. Die Auftraggeber waren immer zufrieden gewesen.
„Sie haben die einzelnen Bustickets erhalten? Es gab doch keine Schwierigkeiten?“
Der dicke Mann schüttelte den Kopf. Er sprach zum ersten Mal. Er hatte eine seltsam piepsige, aber trotzdem heisere Stimme.
„Ich habe mich genau an die Anweisungen gehalten. Gestern Abend, direkt nach meiner Ankunft am Bahnhof in Belgrad, bin ich 30 Minuten kreuz und quer durch die Stadt gelaufen. Niemand interessierte sich für mich. Danach bin ich, so wie es mir vorher gesagt wurde, in das Café gegenüber vom „Dom des Heiligen Sava“ gegangen. Dort habe ich zwei Tassen Kaffee getrunken. Nach exakt 30 Minuten habe ich bezahlt. Bei dieser Gelegenheit hat mir die Bedienung einen Umschlag mit den verschiedenen Bustickets ausgehändigt.“
„Ihnen ist niemand zu Ihrem Hotel gefolgt?“
„Mir sind keine Personen aufgefallen, die sich irgendwie auffällig verhalten haben.“
Die Stimme des großen Mannes wurde etwas schrill: „Sie haben nicht einmal die ältere Frau mit der roten Einkaufstasche bemerkt? Sie ist ihnen die ganze Zeit über gefolgt.“
Bei diesen Worten schien der Dicke noch mehr ins Schwitzen zu kommen.
Der große Mann beruhigte sich etwas.
„Sie ist Ihnen in großem Abstand hinterhergegangen. Wir wissen jetzt, dass sie von niemandem beobachtet wurden.“
Der Dicke lächelte zufrieden, tupfte sich noch mal die Stirn und spürte die Erleichterung im gesamten Körper. Sie mussten ihn die ganze Zeit, seitdem er sich in Belgrad aufhielt, beobachtet haben. Vermutlich waren sie ihm dann auch gestern Abend in den Park hinter dem Bahnhof gefolgt, wo er sich eine recht hübsche, sehr junge Nutte ausgesucht hatte. Ob ihm dabei auch die ältere Frau mit der roten Tasche nachgegangen war? Die Hure hatte ihn zu einer unbeleuchteten Stelle am Flussufer geführt. Dort, im Dunklen, hatte er sich von ihr mit dem Mund befriedigen lassen.
Er überlegte, wo sich die Aufpasserin wohl während dieser Zeit aufgehalten haben könnte. Ob sie ihnen, hinter einem Gebüsch lauernd, dabei zugeschaut hatte? Der Gedanke heiterte ihn auf. Gerade noch rechtzeitig unterdrückte er sein Grinsen.
„Das hier nehmen Sie nach Zadar mit“, sagte der Mann mit dem grauen Anzug. Er hatte die Aktenmappe geöffnet und einen dicken Briefumschlag herausgezogen. Es handelte sich um ein einfaches, undurchsichtiges braunes Kuvert, ganz ohne Beschriftung.
„Der Inhalt ist sehr wichtig. Er hat uns mehrere Monate Arbeit gekostet. Er darf auf keinen Fall abhandenkommen oder von Unbefugten entdeckt werden. Deshalb schicken wir ihn mit einem Kurier.“
Der Dicke nahm den Umschlag in Empfang und runzelte die Stirn. Schließlich öffnete er die Fototasche und schob das Kuvert unter die Digitalkamera und das zusätzliche Objektiv.
Der schlanke große Mann machte mit seinen Instruktionen weiter. Man sah ihm an, dass er sich in Gegenwart des ungepflegten Dicken unwohl fühlte. Er selber wäre niemals auf die Idee gekommen, diesem Mann solch eine wichtige Aufgabe anzuvertrauen. Die Entscheidung hatten andere getroffen.
„In Zadar ist im Hotel Venera ein Zimmer für Sie reserviert worden. Es ist zentral in der Innenstadt gelegen und wird überwiegend von Touristen gebucht, die sich nur für wenige Tage in der Stadt aufhalten. Dort fallen Sie nicht auf.“
Der Dicke benutzte abermals das Taschentuch. Auf seinem Hemd zeichneten sich Schweißflecken ab.
„Und wie geht es dann weiter?“
„Sie sind einer der vielen Touristen aus Deutschland. Denken Sie immer daran. Bei Ihrer Ankunft buchen Sie an der Rezeption des Hotels einen Schiffsausflug zu den Kornaten gleich für den nächsten Tag. Über Nacht lassen Sie das Kuvert im Hotelsafe. Die Anlegestelle ist nur wenige Gehminuten von Ihrer Unterkunft entfernt. Dort wird man ihnen den Weg genau beschreiben. Bevor Sie auf das Schiff gehen, übergeben Sie den Briefumschlag an unseren Kontaktmann.“
„Woran erkenne ich ihn?“
„Eigentlich ist es eine Frau. Man hat mir berichtet, dass Sie vor gut sechs Monaten einen Koffer nach Berlin gebracht haben. Sie wurden von ihr am Flugplatz erwartet. Werden sie die Frau wiedererkennen?“
Der Dicke nickte. Und ob er diese eingebildete Ziege wiedererkennen würde. Am Flughafen in Berlin war sie ihm bei seiner Ankunft gleich um den Hals gefallen. Sie hatte ihn so herzlich begrüßt, als wäre er ihr Ehemann oder Geliebter, der nach einer wochenlangen Geschäftsreise nachhause kam. Nicht nur ihre Titten konnte er spüren, als sie sich an ihn drückte. Da war ihm gleich richtig heiß geworden.
Auf der Fahrt vom Flughafen ins Hotel war es mit ihrer Herzlichkeit vorbei gewesen. Während sie sich beim Autofahren auf den Verkehr konzentrierte, hatte er versucht, eine Hand unter ihren engen und sehr kurzen Rock zu schieben. Ohne das Auto abzubremsen, hatte die Schlampe mit ihrer rechten Hand ausgeholt. Der Schlag traf ihn genau auf der Nase. Er erinnerte sich nur zu gut an das viele Blut auf seinem Hemd.
„Behalten Sie diesmal Ihre Hände bei sich.“
Der Dicke überhörte den spöttischen Ton. Sein Gegenüber schien wirklich alle Einzelheiten von damals zu kennen. Er nickte aber zustimmend, stand auf und schaute auf die Uhr. Er wollte raus aus diesem stickigen Zimmer, weg von seinem unsympathischen Gegenüber. Vorher musste er dringend auf die Toilette.
Der Mann mit dem grauen Anzug hielt ihn zurück.
„Ich gehe zuerst und allein. Sie bleiben mindestens noch fünf Minuten, bevor Sie das Hotel durch den Seitenausgang verlassen. Falls Sie möchten, können Sie auch bis zur Abfahrt Ihres Busses hier warten. Den Zimmerschlüssel lassen Sie einfach stecken. Das Zimmer wurde im Voraus bis morgen bezahlt.“
Die vorgegebenen fünf Minuten waren verstrichen. Die Zwischenzeit hatte er genutzt, um seine Blase zu entleeren und dabei kurz erwogen, die Zeit bis zur Abfahrt des Busses in dem Hotelzimmer zu verbringen. Bei einer funktionierenden Klimaanlage wäre er sicher geblieben. Der Portier in diesem Hotel besaß sicherlich entsprechende Kontakte, um ihn mit einer Nutte zu versorgen. Er hätte die verbleibende Zeit für ein paar vergnügliche Stunden nutzen können. In Belgrad wimmelte es ja geradezu von Frauen aus Bulgarien und Rumänien, die hier das Geld für ihre Familien in der Heimat verdienen mussten. Es wäre auf alle Fälle amüsanter gewesen, als stundenlang in der miefigen Stadt die Zeit totzuschlagen.
Doch im Zimmer war es ihm eindeutig zu heiß. Missmutig hängte sich der Dicke schließlich die Fototasche über die Schulter und ging zum Lift.
Während er auf den Aufzug wartete, saß der Mann mit dem grauen Anzug bereits in einem Taxi. Auf dem Weg zu seinem eigenen Hotel würde er es noch zweimal wechseln.
Wie befohlen, verließ der Kurier das Hotel durch den Seitenausgang. Draußen blieb er einen Moment stehen, so als ob er sich orientieren müsste. Langsam marschierte er schließlich die Straße entlang. Immer wieder machte er vor einem Schaufenster halt und musterte dabei genau die Menschen, die ihm eventuell folgten. Sollte es einen Beobachter geben, musste der sich sehr geschickt verhalten. Er konnte niemanden entdecken, der für eine Verfolgung infrage käme.
Kurz vor einem Lastwagen, der wütend hupte, überquerte er die Straße und verschwand zwischen anderen Passanten in einer Nebenstraße. Diesmal war ihm mit Sicherheit niemand gefolgt.