Читать книгу Der Rosental Plan - Jürgen W. Roos - Страница 8

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4.

Beim späten Frühstück am nächsten Tag musste Markus sich eingestehen, dass ihm der überraschende Besuch vom Abend vorher nicht mehr aus dem Kopf ging. Es war schon lange nicht mehr vorgekommen, dass er sich auf Anhieb mit einem vollkommen fremden Menschen so wunderbar verstanden hatte. Die junge Dame hatte ihn beeindruckt. Das machte nicht nur ihre äußere Erscheinung aus. Bei ihr handelte es sich um eines der seltenen weiblichen Geschöpfe, die Intelligenz und gutes Aussehen nicht wie einen Panzer vor sich hertrugen.

Ein wenig beunruhigte ihn ihre Verbindung zum israelischen Geheimdienst. Trotzdem gab er sich insgeheim der Hoffnung hin, die kurze Bekanntschaft vertiefen zu können. Gleichzeitig musste er sich eingestehen, dass die Aussichten auf ein Wiedersehen nicht gerade günstig waren. Eigentlich hatte er vorgehabt, sich beim Abschied mit ihr zu verabreden. Ihr plötzlicher Hinweis auf die Fundsachen hatte ihn völlig durcheinandergebracht. Nun konnte er sich über die verpasste Chance nur noch ärgern.

In Zadar gab es, auch jetzt im Spätsommer, immer noch jede Menge Touristen und während ihrer Unterhaltung hatte sie kein einziges Mal erwähnt, in welchem Hotel oder Pension sie abgestiegen war. Sie konnte auch eine der zahlreichen Ferienwohnungen gemietet haben. Wie sollte er sie finden? Er musste es auf einen Zufall ankommen lassen.

Dazu kam, dass er morgen, zusammen mit den neuen Chartergästen, Zadar für eine Woche verlassen würde. Bis er zurückkehrte, konnte sie längst abgereist sein.

Missmutig darüber, dass er sie nicht nach ihrer Anschrift gefragt hatte, rief er schließlich den Professor an, um einen Termin für das Interview zu vereinbaren. Marek Subkow schien mit dem Anruf gerechnet zu haben. Sie verabredeten, sich in gut einer Woche im Haus des Professors zu treffen. Markus würde sich wenige Stunden vorher nochmals telefonisch bei ihm melden. Subkow wohnte etwas außerhalb von Bibinje, einer kleinen Ortschaft nicht weit von Zadar entfernt.

Seine hübsche Besucherin vom Abend zuvor hätte ihm die angekündigte Person ruhig genauer beschreiben können. Als der Mann am späten Vormittag auftauchte, brachte Markus ihn keinesfalls mit einem Diplomaten in Verbindung.

Der Mann war jung, groß und sehr dünn. Das zerknitterte Hemd sowie die Jeans schlotterten regelrecht um seinen Körper. Er sah eher wie einer jener Rucksacktouristen aus, die mit wenig Geld den Sommer am Mittelmeer verbrachten und im Schlafsack am Strand schliefen. Zuerst hatte Markus ihn nur von hinten gesehen und dabei für eine Frau gehalten. Seine dunklen, ungepflegten Haare reichten fast bis zur Taille. Den langen Vollbart sah er erst, nachdem er sich umdrehte und die „NINA“ sowie Markus abschätzend musterte.

„Kann man den Kutter chartern?“

„In dieser Saison nicht mehr.“

„Schade, ein Freund hat Sie mir empfohlen. Sie werden sich vielleicht an ihn erinnern. Sein Name ist Ben Davidovich.“

Mit drei langen Schritten sprang der Bärtige über die Gangway an Bord. „Hätten Sie mal ein kaltes Bier für mich? Es ist verdammt heiß hier. Mein Name ist übrigens Danny Danon.“

Er zeigte Markus seinen Diplomatenpass und hielt ihn dabei so versteckt, dass kein eventueller Beobachter vom Ufer aus sehen konnte, was er in der Hand hatte. Die würden sich eher über den schmuddeligen Besucher an Bord wundern, der so gar nicht zu der eleganten Jacht passte.

Schweigend musterte Markus den seltsamen Gast, bevor er schließlich aufstand, zwei Bier aus dem Kühlschrank holte und sie öffnete. Der Mann sprach gut deutsch. Nur ganz leicht war ein französischer Akzent zu hören. Zuerst fiel seine volle Unterlippe auf, die nicht recht zu den kleinen, eng zusammenstehenden grünen Augen mit den starken Augenbrauen passte. Auch die winzige, spitze Nase schien einem anderen Gesicht entnommen worden zu sein. Markus schätzte den Besucher als schnell aufbrausend und jähzornig ein. Sein überheblicher Ton machte ihn auch nicht sympathischer.

„Kann ich die Fundsachen mal in Augenschein nehmen?“

„Wovon sprechen Sie?“

Der Besucher neigte fast unmerklich den Kopf. Das ärgerliche Lächeln passte zu dessen nächsten Worten.

„Was soll das? Mein Kommen ist Ihnen angekündigt worden. Ich bin doch nicht umsonst von Zagreb hergefahren, um …“

Er brach seinen Satz ab, als Markus Handy sich bemerkbar machte.

„Hallo Markus, lange nichts von dir gehört. Wie geht es so?“

Die Stimme von Zeev Zakin erkannte er sofort.

„Hallo Zeev, gut, dass du dich meldest. Ich habe auf deinen Anruf gewartet.“

„Ist Danny bei dir?“

„Kannst du ihn mir beschreiben?“

Markus hörte, wie Zeev Zakin leise lachte und dann den Besucher genau beschrieb.

„Wieso bist du so misstrauisch? Gib ihn mir mal kurz, bitte.“

Der Bärtige und Zeev Zakin wechselten nur wenige Worte. Es schien der richtige Danny zu sein.

„Es ist unser Mann. Du kannst ihm die Sachen beruhigt anvertrauen. Noch mal zu meiner Frage von vorhin. Warum bist du so misstrauisch? Ist was passiert?“

„Im Hafen treibt sich ein Mann herum, der sich ebenfalls dafür interessiert. Ich wollte nur sichergehen.“

„Gib Danny eine Beschreibung des anderen Interessenten. Eventuell kennt er ihn oder findet ihn später in der Kartei der Botschaft.“

Nachdem das Gespräch mit Zakin beendet war, ging Markus durch den Salon in seine private Kajüte. Die Plastiktasche mit den Pässen und dem Geld lag in einem Safe. Er war neben dem Bett so gekonnt in den Boden eingelassen, dass man die Konturen der Öffnung unter der Holzverkleidung nur bemerkte, wenn man sehr genau hinschaute.

Der Langhaarige folgte ihm in den Salon, wo er die Plastiktasche öffnete. Hier konnten sie von niemanden gesehen werden. Ruhig breitete er die blauen, israelischen Pässe mit der siebenarmigen Menora auf der Vorderseite und das Geld auf dem Tisch aus. Routiniert und vorsichtig ging der Mann vor. Nur langsam fasste Markus etwas Vertrauen zu seinem Besucher; sympathischer wurde er ihm trotzdem nicht.

Ganz sachlich nahm der sich einen Pass nach dem anderen vor und kontrollierte sie sehr genau auf ihre Echtheit. Zwei der Dokumente schienen es ihm besonders angetan zu haben. Er nahm sie mehrmals in die Hand und betrachtete immer wieder die Bilder. Irgendetwas daran beunruhigte ihn. Nachdem auch die Geldscheine einzeln auf ihre Echtheit kontrolliert waren, wandte er sich an Markus.

„Haben Sie sich die Pässe genauer angesehen?“

„Warum sollte ich es tun?“

„Weil Sie als Journalist von Berufs wegen neugierig sind. Ich möchte lediglich wissen, ob Sie einen der Männer in den Pässen erkannt haben?“

„Einer der Männer, genauer gesagt die Augenpartie auf einem der Bilder kommt mir bekannt vor“, gab Markus zu.

„Vielleicht von dem da?“ Danny legte einen der Pässe vor ihm hin.

Markus nickte.

„Diese Augen habe ich schon einmal gesehen, aber mir will nicht einfallen, wo das gewesen sein könnte.“

Abrupt wechselte der Mann aus Zagreb das Thema. „Müssen Sie mit Ihrem Kahn hier in Zadar liegen bleiben oder können Sie eine Zeit lang aus der Stadt verschwinden?“

„Bis morgen muss ich auf jeden Fall hierbleiben. Dann kommen meine neuen Gäste. Wir werden eine Woche lang durch die Kornaten kreuzen und danach setze ich sie wieder in Zadar ab.“

„Es wäre besser, wenn Sie sofort losfahren könnten?“

„Unmöglich, das kann ich mir nicht erlauben. Unzuverlässigkeit spricht sich in der Branche schnell herum. Meine Gäste haben bereits vor etlichen Monaten die Tour gebucht. Den Termin kann ich nicht absagen. Die Leute haben viel Geld bezahlt. Dafür erwarten sie eine entsprechende Gegenleistung. Warum will der israelische Geheimdienst mich aus Zadar weghaben?“

„Wie kommen Sie auf den Geheimdienst. Sehe ich so aus?“

„Einen Diplomaten stelle ich mir auch anders vor. Trotzdem reisen Sie mit dem entsprechenden Pass.“

Danon neigte den Kopf fast unmerklich, gab aber keine direkte Antwort.

„Ihr Fund dürfte für bestimmte Leute sehr wichtig sein. Hier in der Marina sind Sie leicht zu finden. Die könnten auf die Idee kommen, sie intensiver zu befragen.“

„Ein Mann hat das schon versucht. Ich habe ihn zur Polizei geschickt.“

„Beschreiben Sie mir den Mann und was genau wollte er wissen?“

Markus schilderte das Treffen mit dem älteren Mann und brach plötzlich in seiner Erzählung ab. Ihm war eingefallen, woher er die Augen in dem Pass kannte.

„Kann ich diesen einen Pass noch mal sehen?“

Danon reichte ihm den Pass.

„Ist Ihnen in den Sinn gekommen, wo Sie den Mann schon einmal gesehen haben?“

Nachdenklich schaute Markus das Bild an.

„Das könnten die Augen von Zeev Zakin sein. Ich würde es aber sicherlich nicht beschwören. Das Gesicht ist irgendwie anders. Hier auf dem Bild sind die Wangen voller, die Nase breiter und Zakin habe ich auch nie mit Bart gesehen.“

Danny Danon nickte.

„Wahrscheinlich ist er es wirklich. Ich werde ihn vorsorglich genauer über den Fund unterrichten. Ich glaube nicht, dass er begeistert sein wird.“

„Um was könnte es da gehen?“

„Weiß ich auch nicht.“

Markus ließ nicht locker.

„Wissen Sie es nicht oder wollen Sie es mir nicht sagen?“

„Ich kann Ihnen wirklich nicht mehr sagen. Ich nehme die Pässe und das Geld mit. Damit sollte die Angelegenheit für Sie erledigt sein.“

„Diese Antwort gefällt mir gar nicht. Ein bisschen könnten Sie meine Neugier schon befriedigen. Schließlich haben Sie durch mich die Pässe bekommen.“

Danny Danon schüttelte den Kopf.

„Lassen Sie es gut sein. Zu viel Wissen kann für sie verdammt gefährlich werden. Wie schon gesagt, wäre es mir sogar sehr lieb, wenn Sie sofort aus Zadar verschwinden könnten. Der Mann im weißen Anzug wird wiederkommen.“

„Dieser alte Mann kann mir nicht gefährlich werden.“

Danon sah Markus Hagen prüfend an.

„Ich will es Ihnen offen sagen. Er wird dann sicherlich nicht alleine kommen. Bis jetzt wissen wir nur noch von der rothaarigen Frau und dem Mann, der die Tasche verloren hat. Was ist, wenn er weitere Gehilfen für die Schmutzarbeit hat?“

„Etwas unangenehm für mich“, musste Markus feststellen. Er gab sich großzügig und kompromissbereit. „In der kommenden Nacht werde ich sehr gut auf mich aufpassen und ab morgen bin ich sowieso eine Woche nicht hier. Bis dahin wird sich die ganze Aufregung hoffentlich gelegt haben. Falls es für mich dann immer noch gefährlich sein sollte, kann ich die paar Nächte bis zu meiner nächsten Fahrt in Bibinje verbringen.“

„Wieso kommen Sie ausgerechnet auf Bibinje?“

„Dort habe ich eine Verabredung zu einem Interview. Eigentlich wollte ich mich von einem Taxi hinbringen lassen, aber genauso gut kann ich mit der „NINA“ hinfahren.“

Markus kannte den kleinen Hafen in Bibinje recht gut. Er hatte dort schon öfter zwischen den stinkenden Fischerbooten gelegen. Meist dann, wenn in der Hochsaison die Marina in Zadar überfüllt war.

Sein Besucher schien nicht zu glauben, dass das Problem nach einer Woche gelöst sein würde.

„Die werden bis zu Ihrer Rückkehr warten. Da bin ich fast sicher. Und Bibinje ist auch nur ein Steinwurf von hier entfernt.“

Danon wirkte weiterhin unzufrieden. „Wen wollen Sie denn ausgerechnet in Bibinje interviewen?“

„Das geht Sie zwar nichts an, aber es ist ein ehemaliger Professor für politische Geschichte der Universität in Jerusalem. Der Mann heißt Marek Subkow, hat Israel nach seinem Rauswurf verlassen, eine Kroatin geheiratet und sich in Bibinje zur Ruhe gesetzt.“

„Rauswurf?“

„Er hat sich in der nationalen sowie internationalen Presse ziemlich heftig gegen die Siedlungspolitik Ihrer Regierung geäußert und wohl auch an einigen Demonstrationen teilgenommen. Er ist ein paar Mal verwarnt worden. Nachdem das keine Wirkung zeigte, hat ihm die Universität den Stuhl vor die Tür gestellt.“ „Ach so einer ist das. Habe aber nie von ihm gehört.“ Der Langhaarige machte eine abfällige Bewegung. „Auf alle Fälle dürfte es für Sie in Bibinje etwas sicherer sein als hier. Sehen Sie aber zu, dass Sie dort einen Liegeplatz bekommen, wo Sie nicht schon von weitem gesehen werden. Hier an der Promenade liegen Sie ja wie in einem Schaufenster.“

Der Mann aus Zagreb schaute Markus an. „Was gibt es noch? Sie wirken unzufrieden.“

„Ich muss mir für den Hafenmeister eine Ausrede einfallen lassen, wenn ich nach der Rückkehr sofort wieder von hier verschwinde. Er kennt meine Termine und wird fragen, wo ich hin will.“

Danon klopfte ihm auf die Schulter: „Das werden Sie schon hinkriegen. Aber sagen Sie auf keinen Fall, wo Sie wirklich sind. Erzählen Sie ihm von mir aus die Geschichte über eine wunderschöne Frau auf einer dieser Inseln da draußen. Kroaten sind Romantiker. Er wird Ihnen die Story abnehmen und Sie insgeheim beneiden.“

„Eine Frau, die dazu passen würde, haben Sie mir gestern vorbeigeschickt. Können Sie mir sagen, wie ich sie finde? Wenn Sie ihr Quartier auf einer der Inseln aufgeschlagen hat, wäre das geradezu ideal und ich müsste noch nicht einmal lügen.“

Die Augen des Israelis funkelten ärgerlich, fast wütend.

„Diese Frau passt auf keinen Fall zu ihrer Geschichte. Sie hat damit nichts zu tun. Am besten machen sie einen weiten Bogen um sie. Ich hoffe, wir haben uns verstanden.“

Ganz schön eifersüchtig, dachte sich Markus. Trotzdem hatte er nicht vor, sich Vorschriften diktieren zu lassen.

„Um was oder wen ich einen Bogen mache, können Sie ruhig mir überlassen. Das haben Sie hoffentlich verstanden.“

Wütend nahm der langhaarige Israeli den Plastikbeutel mit den Pässen und dem Geld. Unschlüssig blieb er einen Moment stehen, so als suche er nach den richtigen Worten für seinen Abgang. Schließlich drehte er sich um und verschwand wortlos über die Gangway.

Der Rosental Plan

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