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Europas Blick auf den Nil

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Dabei ist der Nil doch eigentlich ein Mythos und kein Konfliktherd. »Bei Sonnenuntergang sieht es so aus«, schrieb Gustave Flaubert 1850, »als seien die Bäume mit Kohlestift gezeichnet, und die Sandhügel erscheinen wie aus Goldstaub.« Der französische Schriftsteller war nur einer von vielen prominenten Europäern, die in den letzten Jahrhunderten die klassische Ägyptenreise auf dem Nil zu den pharaonischen Tempeln und Gräbern an seinen Ufern unternahmen. Flauberts Interesse scheint dabei mehr dem lyrischen Landschaftserlebnis als dem prosaischen Geschichtsinteresse gegolten zu haben. Im selben Jahr notierte Reisegefährte Maxime Du Camp: »Wenn Flaubert gekonnt hätte, so wäre er am liebsten auf einem Sofa liegend gereist, ohne sich zu rühren, hätte die Landschaften, die Ruinen und die Städte an sich vorüberziehen sehen wie die Leinwand eines Panoramas.«

Lange war für die europäischen Aristokraten und Bohemiens die Dahabiyya das bevorzugte Transportmittel auf dem Nil. Der Name der Segelboote ist vom arabischen Wort für Gold abgeleitet, denn das Holz vom Schiffsrumpf und von seinen Aufbauten schimmerte in der Abendsonne nicht selten goldgelb. Die langsamen Frachtsegler boten wenig Komfort, aber so viel Entschleunigung, dass man die Landschaft gebührend auf sich wirken lassen konnte. Wer auf dem Nil segelt, so lautet eine ägyptische Redensart, sollte Segel besitzen, die aus Geduld gewebt sind.

Die Dahabiyya, auf der ich einst eine solche Reise unternahm, war ein liebevoll rekonstruierter Segler aus dem Jahre 1840 für 18 Gäste und zehn Mann Besatzung. Unter Deck war das Boot überall mit nostalgischem Interieur ausgestattet, mit historischen Leuchtern und Tischen, Messingbeschlägen an Türen und Wänden und mit orientalischen Diwan-Stoffen im Salon. Eine Nilkreuzfahrt auf einer Dahabiyya hat den Vorteil, dass man anlegen und eine Pause machen kann, wo man möchte. Zum Beispiel auf einer Wiese am Ufer zum Abendessen, das dann nicht auf dem Deck unter einem Sonnenschirm, sondern an Land serviert wird. Manchmal fuhren wir dicht am Ufer entlang. Wenn dann der Motor des Schleppschiffes verstummte, weil der Wind für die Segel an den zwei Masten reichte, dann war es so still, dass man Oberägypten hören konnte. Die frische Brise rauschte in den Palmen, Vögel zwitscherten, auf einem Feldweg spielten Kinder. Einmal ritt ein Bauer auf einem Esel auf dem Uferweg entlang und sang zufrieden vor sich hin. Es war, als wären wir jetzt im 19. Jahrhundert angekommen.

Die Dahabiyya verlor ihre Bedeutung für die Nil-Reisenden mit der Einführung des Dampfschiffes. Viele, die heutzutage eine Pauschalreise nach Mallorca oder in die Türkei buchen, wissen gar nicht, dass sie diese Art zu reisen im Grunde dem Nil verdanken. Ägypten gilt nicht nur als Wiege der Zivilisation, sondern auch als Wiege der Pauschalreise, und Thomas Cook ist ihr Erfinder. 1869 erlebte der Brite in Oberägypten mit eigenen Augen, dass ein pharaonischer Tempel dem anderen folgt wie Perlen auf einer Gebetskette, aufgefädelt am Nil. Fortan verfrachtete er seine Reisegruppen auf Flussdampfer mit Vollpension. Zu den berühmtesten unter den Kreuzfahrtschiffen auf dem Nil gehört die MS Sudan, erbaut Ende des 19. Jahrhunderts. Von einer Tour auf dem Schaufelraddampfer ließ sich Agatha Christie zu ihrem Buch »Der Tod auf dem Nil« inspirieren.

Damals auf dem Nil muss auch das begonnen haben, was heute eine ganz übliche Attitüde ist, nämlich die Verachtung, mit der manche Individualreisende auf Pauschaltouristen blicken. Amelia Edwards, die Grande Dame der historischen Nilreisenden aus Europa, schrieb vor anderthalb Jahrhunderten: »Die Leute auf den Dahabiyyas verachten die Cook'schen Touristen.« Sie würden dem organisierten Tourismus mit arrogantem Mitleid begegnen. Reiseprofi Thomas Cook konterte damals: »Meine Gäste wollen Geschwindigkeit statt der schweren Prüfung durch langatmige Geduld.«

Die Nilreise auf großen motorisierten Kreuzfahrtschiffen ist auch heute noch ein Klassiker unter den Urlaubsangeboten für Ägypten, allerdings hat die Zahl der Touristen, die solch eine Reise buchen, seit 2011 stark nachgelassen. Das Geschäft erholt sich nur langsam. Das ist schade, denn was könnte es Schöneres geben, als liegend auf einem Sofa zu reisen, ohne sich zu rühren, idyllische Landschaften und pharaonische Tempel an sich vorbeiziehen zu lassen und so die Wiege von Zivilisationen zu besuchen.

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