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Wiege von Zivilisationen Ein jahrtausendealtes Land

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»Ägypten ist das Land, in dem sich Zivilisationen treffen.« Das konnte man Ende 2019 wochenlang auf Plakaten lesen, die im Rahmen einer Kampagne überall im Land hingen. Der Slogan leuchtete auch von den riesigen Werbewänden, die in Kairo zum Beispiel die Ausfallstraße zum Flughafen säumen. Aber auch an anderen Hauptstraßen war die Kampagne unübersehbar. Alle paar Meter hing eines der Motive auf einem kleinen Täfelchen, immer versehen mit dem Spruch: »Where Civilizations meet.« Die Werbeaktion sollte auf ein vom Staat organisiertes Weltjugend forum aufmerksam machen, das in Sharm al-Sheikh stattfand. Dort würden sich Zivilisationen in einem Land treffen, das an sich schon ein zivilisatorischer Schmelztiegel sei. So in etwa lautete die Botschaft der Kampagne. Und damit das klar wurde, waren auf sieben einzelnen Motiven Vertreterinnen und Vertreter dieser ägyptischen Zivilisationen zu sehen: vier Frauen und drei Männer, afrikanisch, mediterran, griechisch-römisch, koptisch, islamisch, arabisch und pharaonisch.

Das seien Ägyptens »sieben Säulen«, auch diese Formulierung wurde im Rahmen der Kampagne verwendet. Auf diesen Säulen unterschiedlichster Kulturen würde das moderne Ägypten ruhen. Und es stimmt, kaum ein anderes Land der Welt war über einen so langen Zeitraum schon so globalisiert. Ägypten hat fremde Kulturen aufgesogen wie ein Schwamm, aber auch eigene geschaffen, deren Spuren heute bis in die fernsten Winkel der Welt reichen. Ägypten besitzt zudem das erste Kalenderblatt der Menschheitsgeschichte, das auch den Namen verdient, weil es tatsächlich ein konkretes Datum nennt. Im Nordosten jener Metropole, die seit gut eintausend Jahren Kairo heißt, fand vor mehr als 6000 Jahren die Gründung einer Siedlung statt. Wie Max Rodenbeck in seinem großartigen Buch »Cairo. The City Victorious« schildert, konnten Wissenschaftler anhand der Sternenkonstellation und im Vergleich mit verschiedenen Kalendern einen genauen Zeitpunkt ermitteln: Am 19. Juli 4241 v. Chr. wurde die Siedlung On gegründet, morgens um 4.58 Uhr, um genau zu sein.

Dörfer, in denen Landwirtschaft betrieben wurde, gab es auf dem Gebiet des heutigen Ägypten seit mindestens 7000 Jahren. Zu den bislang ältesten Belegen dafür gehören die Überreste einer Siedlung, die ägyptische und französische Archäologen 2018 fanden. Im Nildelta entdeckten sie 140 Kilometer nördlich von Kairo Werkzeuge, Knochen und Keramik. Also ziemlich verlässliche Hinweise darauf, dass vor rund 7000 Jahren Menschen an diesem Ort sesshaft waren – 2500 Jahre vor dem Bau der Pyramiden von Giza. Heute kann Ägypten auf mehrere Tausend Jahre kontinuierlicher Landesgeschichte auf einem mehr oder weniger gleichbleibenden Territorium zurückblicken. Im Alten Ägypten hieß das Land Kemet, sein heutiger Name wird zurückgeführt auf das altgriechische Aigýptos, das wiederum auch altägyptische Wurzeln haben soll. Der arabische Name für Ägypten lautet Misr, so wie es heute in der offiziellen Landesbezeichnung verwendet wird: Gumhuriyya Misr al-Arabiyya – Arabische Republik Ägypten.

Unter verschiedenen Namen existierte somit das Land als ein Staatsgebilde, das sich am Nil auf dem Gebiet des heutigen Ägyptens entwickelte. Dazu gehören auch der Sinai, die Oasen in der Westlichen Wüste (manchmal auch Libysche Wüste genannt) und die Küstengebiete am Roten Meer. Zeitweise beherrschte das Land auch Gebiete darüber hinaus. Aber charakteristisch ist diese verblüffende territoriale Kontinuität. Fachleute haben sich nach dem Grund dafür gefragt und fanden zwei: In seiner langen Geschichte war Ägypten – unabhängig davon, wie es gerade hieß – entweder so stark, dass es drohender Fremdherrschaft widerstehen konnte. Oder aber es hat die fremden Mächte und deren Kulturen in die eigene Kultur integriert und ägyptifiziert, was letztlich ebenfalls ein Zeugnis für die kulturelle Stärke Ägyptens ist. Immer wieder gab es Phasen, da war Ägypten die Provinz eines anderen Staates, aber in der Regel mit solch einer Eigenständigkeit, dass die Bezeichnung Provinz oft nicht angemessen war.

Die Geschichte des Alten Ägypten begann vor etwa 6500 Jahren. Die Phase des sogenannten Alten Reiches setzte etwa 2700 v. Chr. ein, gefolgt vom Mittleren und Neuen Reich, unterbrochen jeweils von sogenannten Zwischenzeiten. Der Ära des Neuen Reiches folgten die Dritte Zwischenzeit sowie die Spätzeit, die 332 v. Chr. ihr Ende fand. Diese knapp 2400 Jahre vom Beginn des Alten Reiches bis zum Ende der sogenannten Spätzeit wurden zumeist von ägyptischen Königen geprägt. Der Begriff Pharao kam erst im Neuen Reich auf, wurde aber nicht konsequent verwendet. Siamun, der 978 v. Chr. die Macht übernahm, war der erste König, der sich auch selbst offiziell den Königstitel Pharao gab. Heute wird die Bezeichnung allerdings oft für alle Könige der gesamten Zeit benutzt. In diesen »pharaonischen« Jahren entstanden viele der faszinierendsten antiken Baudenkmäler Ägyptens, die, wenn sie erhalten geblieben sind, schon Millionen von Touristen aus aller Welt in ihren Bann gezogen haben – darunter erste Monumentalgräber wie die Stufenpyramide von König Djoser bei Kairo und natürlich die drei Pyramiden von Giza, ebenfalls bei Kairo, errichtet im Auftrag der Könige Cheops, Chefren und Mykerinos vor mehr als 4500 Jahren. Welche Blütezeiten Ägypten damals erlebte, macht der Bau der größten der drei deutlich. Die Pyramide von Khufu, besser bekannt unter dem Namen Cheops, hatte ursprünglich eine Höhe von 146,72 Metern – heute sind es rund neun Meter weniger – und eine Seitenlänge von 230 Metern. 2,5 Tonnen wiegt im Durchschnitt jeder der rund 2,3 Millionen verbauten Steinquader. Schätzt man die Bauzeit sehr großzügig auf 30 Jahre, dann würde dies bedeuten, dass über den gesamten Zeitraum hinweg alle sieben Minuten ein Block herangeschafft, hochtransportiert und eingefügt werden musste – eine unglaubliche Leistung. Die meisten Wissenschaftler schätzen die Bauzeit sogar nur auf 20 Jahre. Etwas später entstanden die grandiosen Tempelstätten von Karnak, vermutlich ab etwa 2000 v. Chr., und von Luxor, an denen ab circa 1400 v. Chr. gebaut wurde.

Ägypten gilt vielen als die Wiege der Zivilisation. Seit ein Forscherteam des Deutschen Archäologischen Instituts 1988 in Abydos einen erstaunlichen Hieroglyphenfund machte, gilt dieser Titel mehr denn je als gerechtfertigt. Auf Täfelchen und Scherben entdeckten die Wissenschaftler Schriftzeichen, die vor 5300 Jahren womöglich ohne den Einfluss der Sumerer aus dem mesopotamischen Zweistromland entstanden waren. Mit den Hieroglyphen wurden in erster Linie weder heilige Texte noch Geschichtsepen aufgezeichnet, sondern Inventarlisten, Steuertabellen und Beamtenvermerke. Ägypten ist also auch die Wiege der Bürokratie. Und es ist auch die Wiege des Monotheismus, dessen erste Form etliche Wissenschaftler Echnaton zuschreiben. Der altägyptische König hatte mit dem alleinigen Glauben an den Sonnengott Aton den ersten Monotheismus der Geschichte begründet, über 1300 Jahre vor der Geburt Christi. Der neue Glaube veränderte radikal die Vorstellungswelt der Menschen und schuf vor allem eine neue wirklichkeitsnahe und lebendige Ästhetik, den sogenannten Amarna-Stil. Ein Prunkstück aus der einstigen altägyptischen Hauptstadt Amarna ist die Büste der Königin Nofretete, die sich heute in Berlin befindet.

667 v. Chr. wurde Ägypten für wenige Jahre eine Provinz des Assyrischen Reiches. 142 Jahre später eroberten die Perser das Land und machten Ägypten über einen längeren Zeitraum zur Provinz eines ausländischen Reiches, und zwar mit Ausnahme einer kurzen Unterbrechung von wenigen Jahren für insgesamt 130 Jahre. Die Provinz verwaltete sich allerdings selbst und genoss einige Freiheiten, wie etwa die der Religionsausübung. Die Ägypter setzten sich gegen die Perser streckenweise erbittert zur Wehr und begrüßten Alexander den Großen deshalb wohlgesonnen, als er 332 v. Chr. den Norden Ägyptens nahezu kampflos einnahm und zum Teil des Königreiches Makedonien machte. Ein Jahr später gründete er die Mittelmeerstadt Alexandria. Zu jener Zeit begann die griechisch-römische Phase Ägyptens. Alexander der Große wollte das Land praktisch als Ägypter und nicht als Besatzer regieren, deshalb ließ er sich zum Pharao krönen – und übernahm den Rest des Landes. Nach seinem Tod wurde mit Ptolemaios I. einer seiner Generäle Statthalter der Provinz Ägypten und begründete die Dynastie der Ptolemäer, die Ägypten fast 300 Jahre lang regierte. Im Jahre 30 v. Chr. wurde Ägypten nach dem Tod von Kleopatra, der letzten Ptolemäer-Königin, römische Provinz.

In der griechisch-römischen Phase erlebte Ägypten nicht nur eine Blütezeit, es wurde auch zu einem multikulturellen Schmelztiegel und sollte dies über viele Jahrhunderte auch bleiben. Die hellenistischen Ptolemäer übernahmen Elemente der ägyptischen Traditionen. Die verschiedensten religiösen und künstlerischen Einflüsse verschmolzen zu neuen Ideen. Alexandria wurde zu einem Zentrum von Wissenschaft und Philosophie. Der später zerstörte Leuchtturm der Stadt gehörte zu den Sieben Weltwundern, Alexandrias Bibliothek war die wichtigste der Antike. Daneben wirkten römische, jüdische und später christliche Einflüsse. Während der römischen Phase wurde Alexandria zum ersten Ort der Welt mit Straßenbeleuchtung. Die Laternenmasten wurden hier hergestellt, man kennt nicht nur die Namen der Fabrikanten, sondern weiß auch, dass die Laternen vier Stunden pro Nacht brannten.

Selbst in der entlegenen Halboase Fayyum, rund 100 Kilometer südwestlich von Kairo, trafen Ägypter auf zugezogene Makedonier, Griechen und Römer. Die koptisch-orthodoxe Kirche Ägyptens soll bereits wenige Jahrzehnte nach dem Tod von Jesus gegründet worden sein und gehört damit zu den ältesten christlichen Gemeinden. Schließlich eroberten muslimische Araber um 640 das Niltal. In den folgenden Jahrhunderten war Ägypten oft ein Zentrum der islamischen Welt. Neben den arabischen gab es starke türkische Einflüsse, die von der Jahrhunderte währenden osmanischen Herrschaft herrührten. Das kann man heute noch in der Alltagssprache der Ägypter hören. Das Wort Basha für Pascha kommt aus dem Türkischen, ebenso Gazma für Schuhe oder Agzakhana für Apotheke. Die Baltagiyya, von denen in den vergangenen Jahren in Ägypten so oft die Rede war, also die Schlägertrupps aus den Armenvierteln, die für wenig Geld Regimegegner verprügeln, selbst ihre Bezeichnung geht auf das Türkische zurück: Aus Balta, türkisch für Axt, wurde im Ägyptisch-Arabischen das Wort Baltagi als Bezeichnung für den mit einer Axt Bewaffneten.

Als Napoleon während des Ägyptenfeldzuges in der Nähe der Pyramiden eintraf, soll er angeblich seinen Soldaten ergriffen zugerufen haben: »Vergesst nicht, dass von diesen Monumenten 40 Jahrhunderte auf euch herabblicken!« Das ist höchstwahrscheinlich nur Legende. Zu jenem Zeitpunkt konnte Napoleon die Pyramiden noch gar nicht gesehen haben, er hielt die Ansprache irgendwo nördlich des Dorfes Imbaba, wo das ägyptische Heer wartete. Zudem fand Napoleons »Schlacht an den Pyramiden« ebenfalls kilometerweit von den Pyramiden entfernt statt. Nach ihrer Rückkehr nach Frankreich lösten die in Napoleons Heer mitreisenden Wissenschaftler und Künstler mit den Ergebnissen ihrer Expedition eine wahre Ägyptomanie in Europa aus. Das Interesse für Ägypten wurde immer größer. Bohemiens und Künstler begannen im 19. Jahrhundert damit, vor dem europäischen Winter nach Oberägypten zu fliehen. Vor 200 Jahren schrieb Ali Bey al-Abbassi über Europäer in Ägypten: »Sie halten an der Tracht und an den Gebräuchen ihrer Länder fest, und wenn sie sich einmal auf der Straße zeigen, zieht ihre Eigenart die öffentliche Neugier auf sie. Dadurch aus der Fassung gebracht, gleichen sie dann in ihrem exaltierten Dahinschreiten Wahnsinnigen.«

Die klassische Nilreise wurde populär, Gustave Flaubert, Agatha Christie, Thomas Mann, Ingeborg Bachmann und viele andere kamen. Für Fürst von Pückler-Muskau war die Tempelinsel Philae bei Assuan »eins der lieblichsten Wunder im Land der Pharaonen«. Den Tempel gibt es noch, obwohl die Insel selbst gar nicht mehr existiert, denn sie ist untergegangen. 1977, nach dem Bau des Assuan-Staudammes, hatte man die Tempelanlage inklusive des berühmten Isis-Heiligtums in fast 50 000 Einzelteile zerlegt und ein paar Hundert Meter weiter auf der Insel Agilka neu errichtet. Da steht sie heute immer noch, als sei nichts gewesen. Auch der berühmte ptolemäische Kalabsha-Tempel ein paar Kilometer südwestlich befindet sich an einem neuen Ort, auf einer Insel mitten im Stausee, den es zu Flauberts Zeiten noch gar nicht gab. Die Kulturlandschaft Nubien ist versunken, und selbst die berühmte Tempelanlage von Abu Simbel ging auf Wanderschaft. Nichts ist mehr, wie es einmal war – und trotzdem irgendwie noch genauso.

Auch die britische Herrschaft über Ägypten hinterließ Spuren im Land. Sie dauerte 40 Jahre und endete 1922 mit der Unabhängigkeit. Ägypten wurde wieder ein Königreich, das allerdings nur kurze Zeit Bestand hatte. Nachdem die sogenannten Freien Offiziere unter Führung von Gamal Abdel Nasser 1952 einen Staatsstreich verübt hatten, wurde König Faruq ins Exil gejagt. Es begann die bis heute andauernde Phase der »Offiziersrepublik«. Mit Ausnahme der Jahre 2011 bis 2013 hatten seit 1953 immer Ex-Militärs das Präsidentenamt inne. Einschließlich Feldmarschall a. D. Abdel Fattah al-Sisi waren dies insgesamt fünf.

Ägypten, das in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder eine Schlüsselrolle in der arabischen Welt spielte, hat sich seit dem Militärputsch von 2013 nicht komplett, aber weitgehend auf sich selbst konzentriert. Außenpolitisch wird nur das gemacht, was das Land vor dem Zusammenbruch bewahren soll.

Die Beziehungen zu Israel sind von Pragmatismus geprägt und vergleichsweise eng. In Tel Aviv ist man froh, dass Ägypten unter al-Sisi ein berechenbarer Partner ist. Unter dem islamistischen Präsidenten Mursi, der ab Juni 2012 ein Jahr lang im Amt war, war das Verhältnis der beiden Staaten angespannter. Mursi hatte sich zwar zum Friedensvertrag mit Israel bekannt, der 1978 im US-amerikanischen Camp David unterzeichnet wurde, er wusste, dass er sich andernfalls die Unterstützung aus dem Ausland verscherzt. Aber andere ranghohe Führer der Muslimbruderschaft erklärten, dass der Friedensvertrag alles andere als unantastbar sei. Allerdings gelangten im Januar 2013 antisemitische Äußerungen von Mursi an die Öffentlichkeit, unter anderem hatte die New York Times auf sie aufmerksam gemacht. Sie stammten aus dem Jahr 2010. Darin sprach Mursi zwar nicht von Juden, sondern von Zionisten, aber er verwendete eindeutig antisemitische Stereotype. Bei einer Recherche entdeckte ich kurz darauf Audioaufnahmen, in denen sich Mursi noch drastischer antisemitisch äußerte. In einer Rede vor Mitgliedern der Ärztekammer der ägyptischen Provinz Al-Sharqiyya erklärte er Anfang 2010: »Meine Brüder, wir dürfen nicht vergessen, unseren Kindern und Enkelkindern den Hass auf die Juden beizubringen. Mit diesem Hass müssen wir sie füttern, er muss erhalten bleiben.« Palästina werde nicht ohne Widerstandskampf befreit werden können. Die Zionisten müssten bekämpft werden, wo immer sie sich aufhielten. Von al-Sisi wird man solche Äußerungen nicht hören. Mit Israel verbinden ihn eine Reihe gemeinsamer Interessen. Ab 2020 bekommt Ägypten aus dem jüdischen Nachbarstaat Erdgas geliefert, auf der Grundlage eines Vertrages, der eine Laufzeit von 15 Jahren hat. Mindestens ebenso wichtig ist aber die Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit. Wie die New York Times zuerst berichtete, flogen israelische Kampfflugzeuge, Militärhubschrauber sowie Drohnen seit dem Herbst 2015 mehr als 100 Luftangriffe auf Ziele im Norden des Sinai. Die Angriffe richten sich gegen Stellungen von Terroristen des sogenannten Islamischen Staats auf ägyptischem Gebiet. Das geschieht mit dem Einverständnis von al-Sisi. Die IS-Terroristen sind ein gemeinsamer Feind von Ägypten und Israel. In den Jahrzehnten vor Abschluss des Friedensvertrages von Camp David standen sich die beiden Länder noch in vier Kriegen gegenüber. Auf die beiden ersten in den Jahren 1948/49 sowie 1956 folgten 1967 der Sechs-Tage-Krieg sowie 1973 der Jom-Kippur-Krieg, der in Ägypten Oktoberkrieg genannt wird, weil er am 6. Oktober begann.

Besonders enge Beziehungen pflegt Ägypten zu Saudi-Arabien, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die drei Golfmonarchien sind froh, dass Ägyptens Militär den gesellschaftlichen Umbruch im bevölkerungsreichsten arabischen Land abgewürgt hat, und helfen mit Milliardensummen aus. Das Regime von al-Sisi unterstützt den aufständischen General Haftar in Libyen militärisch, in der Hoffnung, er könne das Nachbarland mit eiserner Faust stabilisieren. Al-Sisi sucht die Nähe zu den autokratischen Regimen in Russland und China, kann sich aber schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht vom Westen entfernen. Da passte es gut, dass US-Präsident Donald Trump Präsident al-Sisi als seinen »Lieblingsdiktator« bezeichnete. 2019 war Ägypten weltweit der drittbeste Kunde der deutschen Rüstungsindustrie.

Bezugspunkte für die Selbstwahrnehmung der nationalen Größe findet das Land in der Vergangenheit. Dass Ägypten auf diese einzigartig lange und einflussreiche Geschichte zurückblicken kann, tut dem Nationalstolz so gut, wie es dem Tourismusgeschäft hilft. Derzeit wird auch deshalb viel zur Bewahrung der Kulturgüter des Landes unternommen. Etliche neue Museen wurden eingeweiht, andere sind im Bau oder werden gerade saniert. So wurde zum Beispiel das Museum von Mallawi in der oberägyptischen Provinz Al-Minya drei Jahre nach einer Plünderung wiedereröffnet. 950 der einst 1089 Ausstellungsstücke pharaonischen, griechisch-römischen, koptischen und islamischen Ursprungs sind wieder zu sehen. Der Rest verschwand 2013 während des Angriffes durch die plündernden Banden. In Alexandria wurde Anfang 2020 die Eliyahu-Hanavi-Synagoge nach der Sanierung in altem Glanz wiedereröffnet. Umgerechnet 5,5 Millionen Euro wurden aus der Staatskasse für die Renovierung bereitgestellt. Zum ersten Schabbat-Gebet nach der Wiedereröffnung reisten 180 ägyptische Juden aus dem Ausland an.

In die Museumslandschaft Ägyptens ist Bewegung gekommen. Lange soll es auch nicht mehr dauern, bis endlich das Echnaton-Museum in Al-Minya, 250 Kilometer südlich von Kairo, eingeweiht wird. Die Außenhülle des pyramidenförmigen Gebäudes ist strahlenförmig gebrochen und soll damit an den Sonnengott Aton erinnern. Es ist das drittgrößte Museum des Landes, sein Innenausbau wird von der Museumsagentur der deutschen Bundesregierung unterstützt. Lange kann es eigentlich nicht mehr dauern, bis auch das zweitgrößte Museum Ägyptens eröffnet wird. Das Haus mit dem Namen National Museum of Egyptian Civilization möchte dann 5000 Jahre Landesgeschichte präsentieren.

Und damit die Touristen und die Ägypter auf den Geschmack kommen, hat man vier Sphingen aus dem Karnak-Tempel bei Luxor und einen 17 Meter hohen und 90 Tonnen schweren Obelisken aus dem Nildelta in die Hauptstadt geschafft. Die fünf Stücke wurden auf den Tahrir-Platz im Zentrum Kairos gestellt. Das hat etwas Aufregung verursacht, weil antike Monumente und neuzeitliche Abgaswolken sich nicht wirklich vertragen. Vielleicht ist es ja so, dass mancher vom Regime darauf hofft, dass die paar Jahre Polizeistaat, die Ägypten gerade durchlebt, angesichts von Tausenden von Jahren glorreicher Historie ganz und gar nebensächlich werden.

Vor allem aber fiebert man derzeit der feierlichen Einweihung eines großen Teils vom Grand Egyptian Museum entgegen, die im Herbst 2020 erfolgen soll. Es ist ein Bau der Superlative. Die Hauptfassade aus Glas und Alabaster, entworfen vom irischen Architekturbüro Heneghan Peng, ist fast einen Kilometer lang. Das Gebäude befindet sich in der Nähe der Pyramiden von Giza und soll mit seiner Gestalt eine Art künstliches Felsplateau bilden. Als ich den Museumsdirektor und Archäologen Tarek Tawfik auf der Baustelle besuchte, wusste er gar nicht, wovon er zuerst schwärmen sollte, von der Piazza vor dem Haupteingang mit einem der größten altägyptischen Obelisken oder vom Atrium, in dem die Kolossalstatue von Ramses II. die Besucher begrüßen wird, oder von der majestätischen Treppe, die nach oben zum Licht führt und auf der 87 der wichtigsten Exponate stehen werden. Am Ende der Treppe, gewissermaßen als Belohnung für den Aufstieg, sieht der Besucher durch ein 27 Meter hohes Panoramafenster die Pyramiden von Giza – in nur 2000 Metern Entfernung. Oben angekommen hätte der Besucher dann die Wahl, sagt der Direktor: »Entweder man geht nach rechts zu den Galerien von Tutanchamun. Oder nach links in die chronologischen Galerien mit mehr als 45 000 Artefakten aus dem Alten Ägypten. Der Star des Museums wird natürlich König Tutanchamun sein. Auf 7000 Quadratmetern zeigt Ägypten zum ersten Mal die mehr als 5000 Artefakte komplett, die in dem Grab gefunden wurden, einschließlich der berühmten Totenmaske aus Gold.« Die Tutanchamun-Galerie wurde von der Firma Atelier Brückner aus Stuttgart gestaltet. »Das war natürlich der totale Wahnsinn«, erinnert sich Shirin Brückner. »Das hätte ich im Traum nicht gedacht, dass wir mal das größte Museum der Welt mitgestalten werden.«

Museumsdirektor Tarek Tawfik freut sich ganz besonders auf den Moment, wenn die Königin Hetepheres gewissermaßen nach Hause zurückkehrt. Die Grabbeigaben der Mutter von König Cheops wurden einst ganz in der Nähe des neuen Museums gefunden. »Jetzt werden die Artefakte direkt vor der großen Glasfassade platziert, von wo aus man zu ihrem Entdeckungsort schauen kann. Was für eine innige Beziehung – so sollte ein Museum sein!«

Kurz nachdem Tarek Tawfik mir das alles mit einer Begeisterung erzählte, die nur ein Vollblutarchäologe empfinden kann, wurde er übrigens seines Amtes als Museumsdirektor enthoben. Stattdessen ist jetzt ein Armeegeneral der Projektleiter und damit das Gesicht des neuen Museums in der Öffentlichkeit. Offiziell begründet wurde dies nicht. Wenn man Ägypter fragt, erhält man möglicherweise folgende Antwort: Naja, vielleicht musste ein hochrangiger Militäroffizier für seine loyalen Dienste belohnt werden. Das ist Alltag in einem Land mit jahrtausendealter Kulturgeschichte, das heute von einem Militärregime beherrscht wird. Die Beziehung des ägyptischen Volkes zu seinen Herrschern war niemals leicht und selten harmonisch. Im Februar 2011 führte ein wahrer Volksaufstand sogar zum Sturz des Machthabers Mubarak. Doch heute herrscht wieder das Militär. Warum ist es bisher immer so gekommen?

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