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Viertes Kapitel – Das verblüffte Konzert-Quartett

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Um elf Uhr und nach ei­nem so lan­gen Spa­zier­gan­ge ist es ge­stat­tet, Hun­ger zu ha­ben. Un­se­re Künst­ler ma­chen von die­ser Er­laub­nis auch über­reich­lich Ge­brauch. Ihre Mä­gen knur­ren im En­sem­ble und sie selbst har­mo­nie­ren alle dar­in, um je­den Preis früh­stücken zu müs­sen.

Das ist auch die An­sicht Ca­lis­tus Mun­bars, der eben­so wie sei­ne Gäs­te der täg­li­chen Nah­rungs­zu­fuhr be­darf. Da frag­ten sich die Künst­ler, ob sie bis nach dem Ex­zel­si­or-Ho­tel zu­rück­keh­ren soll­ten.

Ja, denn in der Stadt scheint es nicht vie­le Re­stau­rants zu ge­ben, und of­fen­bar zieht es je­der­mann vor, sich auf sein Home zu be­schrän­ken. Der Ver­kehr von Tou­ris­ten aus bei­den Wel­ten ist al­lem An­schei­ne nach auch sehr ge­ring.

Bin­nen we­ni­gen Mi­nu­ten be­för­dert ein Tram­wa­gen die Hun­gern­den nach ih­rem Ho­tel, wo sie an ei­ner vollbe­deck­ten Ta­fel Platz neh­men. Hier zeigt sich ein er­staun­li­cher Ge­gen­satz zu den ge­wöhn­li­chen ame­ri­ka­ni­schen Mahl­zei­ten, bei de­nen die Viel­heit der Ge­rich­te über de­ren man­geln­de Güte hin­weg­täu­schen muss. Das Rind- und Ham­mel­fleisch ist vor­züg­lich; das Ge­flü­gel zart und duf­tend; der Fisch von ver­lo­cken­der Fri­sche. Dazu gibt es, statt des Eis­was­sers in den Re­stau­rants der Uni­on, ver­schie­de­ne treff­li­che Bie­re und Wei­ne, die un­ter den Son­nen­strah­len der Re­ben­hü­gel von Mé­doc und Bur­gund ge­reift wa­ren.

Pin­chi­nat und Fras­co­lin tun die­sem Früh­stück alle Ehre an, min­des­tens eben­so viel wie Sé­bas­ti­en Zorn und Yver­nes. Es ver­steht sich, dass Ca­lis­tus Mun­bar nicht un­ter­ließ, es ih­nen an­zu­bie­ten, und es wäre doch un­höf­lich von ih­nen ge­we­sen, das nicht an­zu­neh­men.

Der Yan­kee, des­sen Müh­le es nie an Was­ser fehlt, ent­wi­ckelt üb­ri­gens einen be­stri­cken­den Hu­mor. Er spricht von al­lem, was die Stadt be­trifft, nur nicht von dem, was sei­ne Gäs­te gern er­fah­ren hät­ten, d.h. wel­che die un­ab­hän­gi­ge Stadt ist, de­ren Na­men er zu nen­nen zö­gert. Et­was Ge­duld, er wird ihn schon ver­ra­ten, wenn die Be­sich­ti­gung des Gan­zen zu Ende ist. Soll­te er gar dar­auf aus­ge­hen, das Quar­tett et­was be­rauscht zu ma­chen, da­mit es den Ab­gang des Zu­ges nach San-Die­go ver­säum­te? Nein, doch nach der tüch­ti­gen Mahl­zeit trin­ken alle wa­cker drauf­los, und eben­so soll­te das Des­sert noch mit ei­ner Tas­se Tee be­gos­sen wer­den, da er­zit­tern die Fens­ter­schei­ben des Ho­tels von ei­ner ge­wal­ti­gen De­to­na­ti­on.

»Was war das?« frag­te Yver­nes em­por­schnel­lend.

»Beun­ru­hi­gen Sie sich nicht, mei­ne Her­ren«, ant­wor­tet Ca­lis­tus Mun­bar, »das war die Ka­no­ne des Ob­ser­va­to­ri­ums.«

»Wenn sie nur die Mit­tags­stun­de be­zeich­nen soll«, er­wi­dert Fras­co­lin nach sei­ner Uhr se­hend, »so be­haup­te ich, dass der Schuss zu spät fiel …«

»Nein, Herr Brat­schist, nein! Die Son­ne geht hier eben­so­we­nig wie an­ders­wo vor oder nach!«

Da­bei um­spielt ein ei­gen­tüm­li­ches Lä­cheln die Lip­pen des Ame­ri­ka­ners, sei­ne Au­gen fun­keln un­ter dem Bi­no­kel, und er reibt sich recht son­der­bar die Hän­de. Man möch­te glau­ben, er be­glück­wünsch­te sich, einen gu­ten Schel­men­streich aus­ge­führt zu ha­ben.

Fras­co­lin, der sich von der treff­li­chen Be­wir­tung we­ni­ger als sei­ne Ka­me­ra­den ge­fan­gen­neh­men lässt, sieht ihn miss­traui­schen Blickes an, ohne sich des­halb mehr klar­zu­wer­den.

»Nun, lie­be Freun­de – Sie ge­stat­ten doch, dass ich mich die­ser ver­trau­li­chen An­re­de be­die­ne –«, setzt er in lie­bens­wür­digs­ter Wei­se hin­zu, »wol­len wir wie­der auf­bre­chen, um noch den an­de­ren Teil der Stadt zu be­su­chen; ich käme in Verzweif­lung, wenn Ih­nen die ge­rings­te Ein­zel­heit ent­gin­ge. Wir ha­ben kei­ne Zeit zu ver­lie­ren …«

»Um wie viel Uhr geht denn der Zug nach San Die­go ab?« fragt Sé­bas­ti­en Zorn, im­mer be­sorgt, sei­ne En­ga­ge­ments nicht durch ver­spä­te­tes Ein­tref­fen zu ver­feh­len.

»Ja, wel­che Zeit?« wie­der­holt Fras­co­lin drin­gen­der.

»O … erst am Abend«, ant­wor­tet Ca­lis­tus Mun­bar mit dem lin­ken Auge zwin­kernd. »Kom­men Sie, mei­ne Her­ren, kom­men Sie! Sie wer­den es nicht be­reu­en, mich als Füh­rer ge­habt zu ha­ben.«

Wie hät­te man ei­ner so zu­vor­kom­men­den Per­sön­lich­keit nicht fol­gen sol­len? Die vier Künst­ler ver­las­sen den Saal des Ex­zel­si­or-Ho­tels und schlen­dern die Stra­ße hin­auf. Der Wein muss doch in et­was zu vol­lem Stro­me ge­flos­sen sein, denn in den Bei­nen ver­spü­ren sie jetzt eine Art Zit­tern. Der Erd­bo­den scheint eine Nei­gung zu ha­ben, ih­nen un­ter den Fü­ßen zu ent­flie­hen, ob­wohl sie sich nicht auf ei­nem der seit­wärts wei­ter­glei­ten­den Trot­toirs be­fin­den.

»He! He! Hal­te mich ein – biss­chen, Cha­til­lon!« ruft tau­melnd Sei­ne Ho­heit der Brat­schist.

»Ich glau­be, wir ha­ben et­was zu viel ge­trun­ken«, stam­melt Yver­nes, in­dem er sich die Stirn ab­trock­net.

»Las­sen Sie’s gut sein, mei­ne Her­ren Pa­ri­ser, ein­mal ist ja nicht im­mer! … Wir muss­ten doch Ihre An­kunft be­gie­ßen …«

»Und ha­ben da­bei die Gieß­kan­ne bis auf den Grund ent­leert!« fällt Pin­chi­nat ein, der sich da­bei nach Kräf­ten be­tei­ligt hat und noch nie­mals so gu­ter Lau­ne war wie heu­te.

Un­ter Lei­tung Ca­lis­tus Mun­bars ge­lan­gen sie nun nach ei­nem der Quar­tie­re der zwei­ten Städt­hälf­te. Hier herrscht weit mehr Le­ben von min­der pu­ri­ta­ni­schem An­strich, so als wenn man ur­plötz­lich aus den Nord­staa­ten nach den Süd­staa­ten der Uni­on, aus Chi­ca­go nach New Or­leans, aus Il­li­nois nach Loui­sia­na ver­setzt wor­den wäre. Die Lä­den hier sind glän­zen­der aus­ge­stat­tet, die grö­ße­ren Wohn­häu­ser sind ele­gan­ter, die Vil­len kom­for­ta­bler, die Pa­läs­te und Ho­tels eben­so groß­ar­tig wie in dem pro­tes­tan­ti­schen Stadt­tei­le, und dazu noch von be­stri­cken­de­rem Aus­se­hen. Auch die Be­völ­ke­rung un­ter­schei­det sich durch ihre Hal­tung, wie ihr Auf­tre­ten und Be­neh­men. Man möch­te glau­ben, hier in ei­ner Dop­pel­stadt, ähn­lich den be­kann­ten Dop­pels­ter­nen zu sein, bis auf den Un­ter­schied, dass sich die bei­den Hälf­ten nicht um­ein­an­der dre­hen.

So ziem­lich im Her­zen der zwei­ten Hälf­te an­ge­langt, bleibt die Grup­pe etwa in der Mit­te der Fünf­zehn­ten Ave­nue ste­hen, und Yver­nes ruft:

»Mei­ner Treu, das ist ein wirk­li­cher Palast!«

»Das Palais der Fa­mi­lie Co­ver­ley«, ant­wor­tet Ca­lis­tus Mun­bar. »Nat Co­ver­ley, der Ne­ben­buh­ler Jem Tan­ker­d­ons …«

»Und rei­cher als die­ser?« fragt Pin­chi­nat.

»Das nicht, aber eben­so ver­mö­gend«, er­klärt der Ame­ri­ka­ner. »Ein Ex-Ban­kier aus New Or­leans, der mehr Hun­der­te von Mil­lio­nen als Fin­ger an den Hän­den be­sitzt.«

»Ein hüb­sches Paar Hand­schu­he, lie­ber Herr Mun­bar!«

»Wie Sie das neh­men wol­len.«

»Und die bei­den No­ta­beln,1 Jem Tan­ker­don und Nat Co­ver­ley, sind na­tür­lich Fein­de …«

»Min­des­tens Ri­va­len, die bei­de in städ­ti­schen An­ge­le­gen­hei­ten ihr Über­ge­wicht gel­tend zu ma­chen stre­ben und auf­ein­an­der ei­fer­süch­tig sind …«

»Und sich schließ­lich auf­fres­sen wer­den?« fragt Sé­bas­ti­en Zorn.

»Vi­el­leicht, und wenn ei­ner den an­de­ren ver­schlingt …«

»Das wird ei­nem einen or­dent­lich ver­dorb­nen Ma­gen ge­ben!« meint die Brat­sche.

Ca­lis­tus Mun­bar schüt­telt sich vor La­chen über den Scherz.

Die ka­tho­li­sche Kir­che er­hebt sich auf ei­nem großen Plat­ze, der ihre glück­lich ge­trof­fe­nen Ver­hält­nis­se zu be­wun­dern ge­stat­tet. In go­ti­schem Stil er­baut, braucht man nicht zu weit zu­rück­zu­wei­chen, um sie be­trach­ten zu kön­nen, denn die lot­rech­ten Li­ni­en, de­nen je­ner Stil sei­ne Schön­heit ver­dankt, ver­lie­ren von weit­her ge­se­hen ih­ren Cha­rak­ter. Saint-Mary-Church ver­dient Be­wun­de­rung we­gen der Schlank­heit ih­rer Pina­keln, der Leich­tig­keit ih­rer Ro­set­ten, we­gen der Ele­ganz ih­rer ge­ripp­ten Wöl­bun­gen und der Schön­heit ih­rer Fens­ter mit ver­schlun­ge­nem Ran­ken­werk.

»Ein schö­nes Bei­spiel an­gel­säch­si­scher Go­tik!« lässt sich Yver­nes ver­neh­men, der ein be­geis­ter­ter Lieb­ha­ber der Archi­tek­to­nik ist. »Sie hat­ten recht, Herr Mun­bar, die bei­den Stadt­hälf­ten glei­chen ein­an­der eben­so­we­nig, wie der Tem­pel der einen der Ka­the­dra­le der an­de­ren!«

»Und doch, Herr Yver­nes, sind die bei­den Hälf­ten von ein­und­der­sel­ben Mut­ter ge­bo­ren …«

»So?… Aber nicht von dem­sel­ben Va­ter?« be­merkt Pin­chi­nat da­zwi­schen.

»Ge­wiss … auch von dem­sel­ben Va­ter, mei­ne vor­treff­li­chen Freun­de! Sie sind nur in ver­schie­de­ner Wei­se her­ge­stellt, in­dem sie den Be­dürf­nis­sen und Wün­schen de­rer an­ge­passt wur­den, die hier ein ru­hi­ges, glück­li­ches, sor­gen­lo­ses Le­ben such­ten – ein Le­ben, wie es kei­ne an­de­re Stadt, we­der in der Al­ten, noch in der Neu­en Welt zu bie­ten ver­mag.«

»Beim großen Apoll, Herr Mun­bar«, ant­wor­tet Yver­nes, »hü­ten Sie sich, un­se­re Neu­gier all­zu sehr zu rei­zen! Es er­scheint, als ob Sie eine mu­si­ka­li­sche Phra­se sän­gen, die die To­ni­ca zu lan­ge ver­mis­sen lässt …«

»Und da­mit schließ­lich das Ohr er­mü­det«, setzt Sé­bas­ti­en Zorn hin­zu. »Ich däch­te, der Zeit­punkt wäre ge­kom­men, wo Sie sich ent­schlie­ßen, uns den Na­men die­ser au­ßer­ge­wöhn­li­chen Stadt nicht län­ger zu ver­schwei­gen.«

»Noch nicht, wer­te Her­ren«, er­wi­der­te der Ame­ri­ka­ner, wäh­rend er das Bi­no­kel auf dem Na­sen­rücken zu­recht­schiebt. »Ge­dul­den Sie sich bis zum Ende un­se­res Spa­zier­gangs und las­sen Sie uns jetzt wei­ter­ge­hen …«

»Ehe wir das tun«, mel­det sich Fras­co­lin, des­sen Ge­füh­len von Neu­gier sich eine un­be­stimm­te Un­ru­he bei­mischt, »hät­te ich einen Vor­schlag …«

»Und der wäre?…«

»Wa­rum soll­ten wir nicht den Turm der Saint-Mary-Church er­stei­gen? Von da aus hät­ten wir einen vol­len Über­blick …«

»Nein, das nicht!« wehrt Ca­lis­tus Mun­bar ab und schüt­telt dazu das bu­schi­ge Haupt, »jetzt nicht … spä­ter ein­mal …«

»Doch wann?« fragt der Vio­lon­cel­list, der ob die­ser ge­heim­nis­vol­len Aus­flüch­te lang­sam in die Wol­le kommt.

»Nach Been­di­gung un­se­res klei­nen Aus­flugs, Herr Zorn.«

»Wir keh­ren dem­nach zu die­ser Kir­che zu­rück?«

»Nein, lie­be Freun­de. Wir be­schlie­ßen un­se­ren Spa­zier­gang durch einen Be­such des Ob­ser­va­to­ri­ums, des­sen Turm den der Saint-Mary-Church um ein Drit­tel an Höhe über­ragt.«

»Ich sehe aber nicht ein«, fährt Fras­co­lin drin­gen­der fort, »warum wir die sich hier bie­ten­de Ge­le­gen­heit nicht be­nüt­zen soll­ten …«

»Weil … weil mir da­mit der Schluss­ef­fekt ver­dor­ben wür­de.«

Eine an­de­re Ant­wort ist dem rät­sel­haf­ten Mann nicht zu ent­lo­cken.

Da es das bes­te er­scheint, sich ins Un­ver­meid­li­che zu fü­gen, wer­den die ver­schie­de­nen Ave­nues der zwei­ten Hälf­te ge­wis­sen­haft durch­wan­dert. Dem folgt ein Be­such der Han­dels­vier­tel, der der Schnei­der, Schuh­ma­cher, Hut­ma­cher, Flei­scher, Ge­würz­krä­mer, Bä­cker, Frucht­händ­ler usw. Ca­lis­tus Mun­bar, der von den meis­ten ihm be­geg­nen­den Per­so­nen ge­grüßt wird, er­wi­dert die­se Grü­ße mit eit­ler Selbst­ge­fäl­lig­keit. Er er­mü­det nicht in sei­nen Standre­den, zeigt auf al­les Be­mer­kens­wer­te hin, und sei­ne Zun­ge schwingt im Mun­de eben­so eif­rig, wie der Klöp­pel ei­ner Kir­chen­glo­cke am Fei­er­ta­ge.

Ge­gen zwei Uhr ist das Quar­tett an die­ser Sei­te zur Gren­ze der Stadt ge­langt, die von ei­nem herr­li­chen, mit Blu­men und Sch­ling­pflan­zen ver­zier­ten Git­ter ge­bil­det wird. Wei­ter drau­ßen liegt of­fe­nes Land, des­sen Kreis­li­nie mit dem Ho­ri­zon­te zu­sam­men­fällt.

Weiter draußen liegt offenes Land.

Hier macht Fras­co­lin für sich eine Beo­b­ach­tung, die er sei­nen Ge­nos­sen noch nicht mit­tei­len zu sol­len glaubt. Al­les wird sich ja auf der Höhe des Tur­mes vom Ob­ser­va­to­ri­um er­klä­ren. Die­se Beo­b­ach­tung geht da­hin, dass die Son­ne, statt sich in Süd­west zu be­fin­den, wo sie doch nach zwei Uhr nach­mit­tags sein soll­te, jetzt mehr im Süd­os­ten steht.

Ein so über­le­gen­der Geist wie Fras­co­lin muss­te dar­über not­wen­di­ger­wei­se er­stau­nen, und er fing schon an, sich »das Ge­hirn zu zer­mar­tern«, wie Ra­be­lais2 sagt, als Ca­lis­tus Mun­bar sei­nen Ge­dan­ken eine an­de­re Rich­tung gab, in­dem er plötz­lich aus­rief:

»Mei­ne Her­ren, die Tram­bahn wird in we­ni­gen Mi­nu­ten ab­ge­hen. Wir wol­len nach dem Ha­fen auf­bre­chen …«

»Nach dem Ha­fen?« wie­der­holt Sé­bas­ti­en Zorn er­staunt.

»Ja, es han­delt sich nur um eine Fahrt von höchs­tens ei­ner Mei­le (1609 Me­ter), wo­bei Sie auch Ge­le­gen­heit fin­den, un­se­ren Park zu be­wun­dern.«

Wenn es hier einen Ha­fen gibt, so muss er et­was ober- oder un­ter­halb der Stadt, an der Küs­te Nie­der-Ka­li­for­ni­ens lie­gen. Wo soll­te man ihn sonst su­chen, wenn nicht an ir­gend­ei­nem Punk­te die­ses Küs­ten­strichs?

Ein we­nig be­trof­fen neh­men die Künst­ler auf den Bän­ken ei­nes ele­gan­ten Tram­wa­gens Platz, in dem schon meh­re­re an­de­re Fahr­gäs­te sit­zen.

Die­se drücken Ca­lis­tus Mun­bar die Hand – der Sap­per­ment ist doch al­ler Welt be­kannt – und die Dy­na­mos des Wa­gens ar­bei­ten mit ge­wohn­tem Ei­fer.

Ca­lis­tus Mun­bar hat­te recht, die nächs­te Um­ge­bung der Stadt als »Park« zu be­zeich­nen. Hier zei­gen sich un­end­lich lan­ge Al­leen, saf­tig grü­ner Ra­sen, far­bi­ge, gra­de oder zick­zack­för­mi­ge Um­schlie­ßun­gen, Fences ge­nannt; rund um die ab­ge­grenz­ten Flä­chen ste­hen Baum­grup­pen mit Ei­chen, Ahorn, Bu­chen, Kas­ta­ni­en- und Zir­bel­bäu­men, Ul­men und Ze­dern, alle noch jung und von den ver­schie­dens­ten Vö­geln be­lebt. Das Gan­ze ist eine rich­ti­ge eng­li­sche An­la­ge mit plät­schern­den Spring­brun­nen und Blu­men­ar­ran­ge­ments, die jetzt in fri­sche­s­ter Früh­ling­s­pracht pran­gen, mit Strauch­werk der ver­schie­dens­ten Ar­ten, wie rie­si­ge, de­nen in Mon­te Car­lo glei­chen­den Gera­ni­en, mit Oran­gen-, Zitro­nen- und Oli­ven­ge­büsch, mit Lor­beer­ro­sen, Mas­tix, Aloes, Ka­me­lie, Dah­li­en, wei­ßen Alex­an­drin­er­ro­sen, Hor­ten­si­en, wei­ßen und ro­sen­ro­ten Lo­tos­blu­men, mit süd­ame­ri­ka­ni­schen Pas­si­ons­blu­men, rei­chen Samm­lun­gen von Fuch­si­en, Sal­bei, Be­go­ni­en, Hya­zin­then, Tul­pen, Kro­kus, Nar­zis­sen, per­si­schen Ra­nun­keln, bär­ti­ger Iris, Zy­kla­mens, Orchi­de­en, Pan­tof­fel­blu­men, baumar­ti­gem Farn, und fer­ner mit Ver­tre­tern der Tro­pen­zo­ne, wie in­di­schem Blu­men­rohr, Pal­men, Dat­teln, Fei­gen, Eu­ka­lyp­ten, Mi­mo­sen, Bana­nen, Goya­ven (in­di­schen Bir­nen), Fla­schen­kür­bis­sen, Ko­kos­bäu­men – kurz, mit al­lem, was der Pflan­zen­freund in den reichs­ten bo­ta­ni­schen Gär­ten nur su­chen kann.

Bei sei­ner Vor­lie­be für die alte Poe­sie muss sich Yver­nes in die bu­ko­li­schen Ge­fil­de aus der Ge­schich­te der Asträa ver­setzt wäh­nen. Wenn frei­lich auch die Läm­mer den fri­schen Gras­flä­chen nicht feh­len, röt­li­che Kühe zwi­schen den Um­gren­zun­gen wei­den und Dam­wild, Hirsch­kü­he und an­de­re gra­zi­öse Vier­füß­ler zwi­schen den Bäu­men sich tum­meln, so wird er doch die Schä­fer D’Ur­fés und des­sen rei­zen­de Schä­fe­rin­nen ver­mis­sen. Was den Li­gnon an­geht, so wird die­ser durch einen ge­schlän­gel­ten Fluss­lauf er­setzt, des­sen mur­meln­des Was­ser durch die leicht­hü­ge­li­ge Land­schaft hin­glei­tet.

Das Ganze erscheint nur wie künstlich geschaffen.

Das Gan­ze er­scheint nur wie künst­lich ge­schaf­fen.

Der iro­ni­sche Pin­chi­nat sieht sich des­halb zu der Be­mer­kung ver­an­lasst:

»Ah, das ist wohl al­les, was Sie an Flüs­sen an­ge­legt ha­ben?«

»An Flüs­sen?… Wozu soll­ten sie die­nen?« ant­wor­tet Ca­lis­tus Mun­bar.

»Nun, selbst­ver­ständ­lich, um Was­ser zu ha­ben.«

»Was­ser … das heißt, eine im All­ge­mei­nen un­ge­sun­de, mi­kro­bi­sche und den Ty­phus ge­bä­ren­de Flüs­sig­keit?«

»Mag sein, man kann sie aber doch rei­ni­gen …«

»Wozu sich erst da­mit be­mü­hen, wenn man im­stan­de ist, ein hy­gie­ni­sches, von je­der Ve­run­rei­ni­gung frei­es, auf Wunsch auch mous­sie­ren­des oder ei­sen­hal­ti­ges Was­ser zu er­zeu­gen?«

»Sie fa­bri­zie­ren also Ihr Was­ser?« er­kun­digt sich Fras­co­lin.

»Ge­wiss, und wir lie­fern es kalt oder warm in die Woh­nun­gen, eben­so wie wir Licht, Töne, Zeit, Wär­me, Käl­te, mo­to­ri­sche Kraft, An­ti­sep­ti­ka und Elek­tri­zi­tät durch Selbst­lei­tung ver­tei­len …«

»Dann darf man wohl auch an­neh­men«, spöt­telt Yver­nes, »dass Sie sich den nö­ti­gen Re­gen er­zeu­gen, um Ihre Ra­sen­flä­chen und Blu­men zu er­fri­schen?«

»Wie Sie sa­gen, Herr ers­ter Gei­ger«, ver­si­chert der Ame­ri­ka­ner, wäh­rend er mit den von Ju­we­len glit­zern­den Fin­gern durch den dich­ten Bart streicht.

»Also Re­gen auf Be­fehl!« ruft Sé­bas­ti­en Zorn.

»Ja­wohl, lie­be Freun­de, Re­gen, den ein im Erd­bo­den lie­gen­des Röh­ren­netz in re­gel­mä­ßig ge­ord­ne­ter, vor­teil­haf­ter und prak­ti­scher Wei­se zu spen­den und zu ver­tei­len ge­stat­tet. Ist das nicht weit bes­ser als zu war­ten, bis es der Na­tur zu reg­nen be­liebt, sich den Lau­nen der Kli­ma­te zu un­ter­wer­fen, auf un­pas­sen­de Wit­te­rung zu schimp­fen, die ein­mal eine zu lan­ge an­dau­ern­de Näs­se und dann wie­der eine ver­zeh­ren­de Dür­re bie­tet, ohne Ab­hil­fe schaf­fen zu kön­nen?«

»Halt, hier muss ich Sie fest­na­geln, Herr Mun­bar!« fällt Fras­co­lin ein. »Zu­ge­ge­ben, dass Sie sich Re­gen zu ver­schaf­fen ver­mö­gen, so wer­den Sie doch nicht im­stan­de sein, ihn zu ver­hin­dern, vom Him­mel zu fal­len.«

»Vom Him­mel? Was hat denn der da­mit zu schaf­fen?«

»Nun, der Him­mel oder, wenn Sie das lie­ber wol­len, die Wol­ken, die sich ent­lee­ren, die at­mo­sphä­ri­schen Strö­mun­gen mit ih­rem Ge­fol­ge von Zy­klo­nen, Tor­na­dos, Wind­stö­ßen, Stür­men, Or­ka­nen … Wenn z.B. die schlech­te Jah­res­zeit kommt …«

»Die schlech­te Jah­res­zeit …?« wie­der­holt Ca­lis­tus Mun­bar.

»Ja, der Win­ter …«

»Der Win­ter?… Was ist denn das?«

»Ich sag­te: der Win­ter mit Frost, Schnee und Eis!« ruft Sé­bas­ti­en Zorn, den die iro­ni­schen Ant­wor­ten des Yan­kee in Wut brin­gen.

»Ken­nen wir nicht!« ver­si­chert Ca­lis­tus Mun­bar sehr ge­las­sen.

Die vier Pa­ri­ser se­hen ein­an­der an. Ha­ben sie hier einen Nar­ren oder einen Men­schen vor sich, der sie nur fop­pen will? Im ers­ten Fal­le müss­te er ein­ge­sperrt, im zwei­ten durch eine Tracht Prü­gel ku­riert wer­den.

In­zwi­schen rol­len die Tram­wa­gen mit mä­ßi­ger Schnel­lig­keit durch die be­zau­bern­den An­la­gen da­hin. Sé­bas­ti­en Zorn und sei­ne Ge­nos­sen glau­ben zu be­mer­ken, dass jen­seits der Gren­zen die­ses großen Parks re­gel­recht an­ge­bau­te Land­stücke lie­gen, die mit ih­ren ver­schie­de­nen Far­ben den Stoff­mus­tern äh­neln, wie man sol­che zu­wei­len an Schnei­der­lä­den aus­ge­stellt fin­det. Je­den­falls sind das Fel­der mit Ge­mü­sen, Kar­tof­feln, Kohl, Mohr­rü­ben, Lauch, kurz mit al­lem, was zur ge­wöhn­li­chen Kü­che ge­hört.

Gern wä­ren sie schon drau­ßen im frei­en Lan­de ge­we­sen, um zu se­hen, was die­ses ei­gen­ar­ti­ge Ge­biet an Korn, Wei­zen, Ha­fer, Mais, Gers­te, Buch­wei­zen und an­de­ren Kör­ner­früch­ten her­vor­brach­te.

Da­ge­gen zeigt sich eine große Werks­an­la­ge, de­ren ei­ser­ne Schorn­stei­ne die nied­ri­gen, mit mat­tem Glas ein­ge­deck­ten Dä­cher da­ne­ben über­ra­gen. Die von ei­ser­nen Stan­gen ge­hal­te­nen Schorn­stei­ne glei­chen de­nen ei­nes Damp­fers, ei­nes »Gre­at Eas­tern«, des­sen mäch­ti­ge Schrau­ben von hun­dert­tau­send Pfer­de­kräf­ten be­wegt wer­den, nur mit dem Un­ter­schie­de, dass ih­nen statt des schwar­zen Rau­ches nur dün­ne Wölk­chen ent­stei­gen, die die Luft nicht im min­des­ten ver­un­rei­ni­gen.

Die­se An­la­ge be­deckt eine Flä­che von zehn­tau­send Qua­dra­tyards, also fast einen Hek­tar. Es ist das ers­te in­dus­tri­el­le Eta­blis­se­ment, das dem Quar­tett, seit­dem es un­ter Füh­rung des Ame­ri­ka­ners sei­ne »Aus­flü­ge macht«, hier vor Au­gen ge­kom­men ist.

»Ah, was für eine An­la­ge ist das?« fragt Pin­chi­nat.

»Eine Fa­brik mit Pe­tro­le­um-Ver­damp­fungs­ap­pa­ra­ten«, ant­wor­tet Ca­lis­tus Mun­bar, des­sen spit­zi­ger Blick die Glä­ser sei­nes Bi­no­kels zu durch­boh­ren droht.

»Und was er­zeugt man in die­ser Fa­brik?«

»Elek­tri­sche Ener­gie für den Park, das Feld und über­haupt für die gan­ze Stadt, wo sie in Kraft um­ge­setzt wird. Die­se Werk­stät­ten lie­fern auch den Strom für un­se­re Te­le­gra­fen, Tel­au­to­gra­fen, Te­le­fo­ne, Te­le­fo­te, für die Klin­geln und Kü­chen­ö­fen, die Ar­beits­ma­schi­nen, Bo­gen- und Glühlam­pen, für un­se­re Alu­mi­ni­um­mon­de und un­ter­see­i­schen Ka­bel …«

»Ihre un­ter­see­i­schen Ka­bel?« fällt Fras­co­lin leb­haft ein.

»Ge­wiss, für die, die die Stadt mit ver­schie­de­nen Stel­len der ame­ri­ka­ni­schen Küs­te ver­bin­den …«

»Und dazu war es nö­tig, ein so un­ge­heu­res Werk zu er­rich­ten?«

»Das will ich mei­nen, bei un­se­rem großen Ver­brauch an elek­tri­scher … und auch an mo­ra­li­scher Ener­gie!« er­wi­dert Ca­lis­tus Mun­bar. »Glau­ben Sie mir, mei­ne Her­ren, es hat ei­ner un­be­re­chen­ba­ren Do­sis von letz­te­rer be­durft, um die­se un­ver­gleich­li­che, in der Welt ohne Ri­va­lin da­ste­hen­de Stadt zu grün­den!«

Weit­hin in der Um­ge­bung hört man das dump­fe Ge­tö­se aus dem rie­si­gen Wer­ke, das mäch­ti­ge Ab­bla­sen des Damp­fes, das Sto­ßen der Ma­schi­nen, und fühlt man ein Zit­tern des Erd­bo­dens als Be­weis für die un­ge­heu­re Kraft, die al­les über­trifft, was in der mo­der­nen In­dus­trie bis­her ge­leis­tet wor­den ist. Wer hät­te ah­nen kön­nen, dass eine sol­che Kraft zur Be­we­gung der Dy­na­mos und zur La­dung der Ak­ku­mu­la­to­ren nö­tig ge­we­sen wäre?

Der Wa­gen rollt wei­ter und hält nach etwa ei­ner Vier­tel­mei­le We­ges an der Sta­ti­on beim Ha­fen. Alle stei­gen aus, und ihr Füh­rer, der wie im­mer von Lob­prei­sun­gen über­fließt, ge­lei­tet sie nach den Kais, an de­nen Nie­der­la­gen und Docks er­rich­tet sind. Der Ha­fen bil­det ein Oval, ge­räu­mig ge­nug, um etwa ein Dut­zend See­schif­fe auf­zu­neh­men. Es ist mehr ein Bas­sin als ein Ha­fen, das durch zwei auf Ei­sen­ge­rüs­ten ru­hen­den Piers ge­bil­det und an je­der Sei­te mit ei­nem klei­nen Leucht­turm aus­ge­stat­tet ist, um das Ein­lau­fen von Schif­fen zu je­der Zeit zu er­mög­li­chen.

Heu­te lie­gen in dem Bas­sin nur ein hal­b­es Dut­zend Damp­fer, wo­von die einen Pe­tro­le­um zu­füh­ren, die an­de­ren Vor­rä­te für den täg­li­chen Be­darf ge­bracht ha­ben, und au­ßer­dem ei­ni­ge mit elek­tri­schen Ap­pa­ra­ten ver­se­he­ne grö­ße­re Boo­te, die zum Fisch­fang auf ho­her See ver­wen­det wer­den.

Fras­co­lin be­ob­ach­tet, dass der Ein­gang zum Ha­fen nach Nor­den zu liegt, und schließt dar­aus, dass er das nörd­li­che Ende ei­ner je­ner Land­spit­zen ein­neh­men muss, die sich von der Küs­te Nie­der-Ka­li­for­ni­ens in den Stil­len Ozean hin­aus er­stre­cken. Er be­merkt auch, dass die Mee­res­s­trö­mung mit ziem­li­cher In­ten­si­tät nach Os­ten hin ver­läuft, weil sie am Un­ter­bau der Piers wie die an die Plan­ken ei­nes se­geln­den Fahr­zeu­ges an­klat­schen­den Wel­len an­schlägt – of­fen­bar eine Wir­kung der stei­gen­den Flut, ob­wohl die Ge­zei­ten an den West­küs­ten Ame­ri­kas nicht eben stark auf­tre­ten.

Frascolin beobachtet.

»Wo ist denn nun der Fluss, über den wir ges­tern mit dem Fähr­schif­fe ge­kom­men sind?« fragt Fras­co­lin.

»Dem wen­den wir jetzt den Rücken zu«, be­gnügt sich der Yan­kee zu ant­wor­ten.

Nun gilt es aber, mit der Zeit zu gei­zen, wenn die Ge­sell­schaft noch zur Stadt zu­rück­keh­ren will, um den Zug nach San Die­go zu be­nüt­zen.

Sé­bas­ti­en Zorn er­in­nert Ca­lis­tus Mun­bar dar­an, und die­ser er­wi­dert:

»Fürch­ten Sie nichts, lie­be Freun­de, wir ha­ben Zeit ge­nug. Die Tram­bahn be­för­dert uns, nach­dem wir am Ufer ent­lang­ge­gan­gen sind, zur Stadt zu­rück. Sie hat­ten den Wunsch aus­ge­drückt, einen Über­blick über die­se Ge­gend zu ha­ben, und vor Ablauf ei­ner Stun­de wer­den Sie den vom Tur­me des Ob­ser­va­to­ri­ums aus ge­nie­ßen kön­nen.«

»Sie ste­hen also da­für ein …«, be­gann der Vio­lon­cel­list noch ein­mal.

»Ich ste­he da­für ein, dass Sie mor­gen bei Son­nen­auf­gang nicht mehr da sein wer­den, wo Sie au­gen­blick­lich sind!«

Mit die­ser et­was er­küns­tel­ten Ant­wort muss­ten sie sich wohl oder übel be­gnü­gen. Üb­ri­gens quält Fras­co­lin die Neu­gier viel­leicht noch mehr als die an­de­ren. Es ver­langt ihn, auf je­nem Turm zu ste­hen, von wo aus der Blick nach Aus­sa­ge des Ame­ri­ka­ners sich über einen Ho­ri­zont von we­nigs­tens hun­dert Mei­len Um­fang er­streckt. Er­lang­te man da­durch kei­ne Klar­heit über die geo­gra­phi­sche Lage die­ser merk­wür­di­gen Stadt, so muss­te man wohl für im­mer dar­auf ver­zich­ten.

Am hin­tern Tei­le des Ha­fen­bass­ins mün­det eine an­de­re Tram­bahn, die längs des Mee­res hin ver­läuft. Der ab­ge­hen­de Zug be­steht aus sechs Wa­gen, in de­nen schon vie­le Fahr­gäs­te sit­zen. Die­se Wa­gen wer­den von ei­ner elek­tri­schen Lo­ko­mo­ti­ve ge­zo­gen, de­ren Ak­ku­mu­la­to­ren eine Ka­pa­zi­tät von zwei­hun­dert Volt-Am­pe­re ha­ben, und ihre Ge­schwin­dig­keit er­reicht acht­zehn Ki­lo­me­ter in der Stun­de.

Ca­lis­tus Mun­bar nö­tigt das Quar­tett ein­zu­stei­gen, und un­se­re Pa­ri­ser konn­ten glau­ben, dass der Tram­bahn­zug nur auf sie ge­war­tet hät­te.

Was sie von der Land­schaft zu se­hen be­kom­men, un­ter­schei­det sich we­nig von dem Par­ke, der sich zwi­schen Stadt und Ha­fen aus­dehnt. Der­sel­be ebe­ne und sorg­fäl­tig un­ter­hal­te­ne Erd­bo­den. Grü­ne Wie­sen und Fel­der statt der Ra­sen­flä­chen, das ist al­les; Ge­mü­se­pflan­zun­gen, doch kei­ne Ge­trei­de­äcker. Eben jetzt er­gießt sich, aus den un­ter­ir­di­schen Röh­ren her­vor­sprin­gend, ein wohl­tä­ti­ger, reich­li­cher Re­gen auf die lan­gen, nach Win­kel und Richt­scheit an­ge­leg­ten Recht­e­cke.

Der Him­mel hät­te ihn gar nicht so ge­nau be­rech­net und zweck­ent­spre­chend ver­tei­len kön­nen.

Die Glei­se fol­gen dem Ufer, so­dass sie das Meer auf der einen, das Land auf der an­de­ren Sei­te ha­ben. So rol­len die Wa­gen fast vier Mei­len – ge­gen sechs Ki­lo­me­ter – da­hin. Dann hal­ten sie vor ei­ner Bat­te­rie von zwölf großen Ge­schüt­zen, zu de­nen der Ein­gang die Auf­schrift: »Ramm­sporn-Bat­te­rie« trägt.

»Hin­ter­la­de­ka­no­nen, die sich nie­mals nach der falschen Sei­te ent­la­den, wie das bei den Ge­schüt­zen des al­ten Eu­ro­pa so häu­fig vor­kommt!« be­merkt Ca­lis­tus Mun­bar dazu.

An die­ser Stel­le zeigt die Küs­te einen sehr schar­fen Rand und bil­det einen spitz aus­lau­fen­den Vor­sprung, der dem Vor­der­tei­le ei­nes Schiffs­rump­fes oder gar dem Sporn ei­nes Pan­zer­schif­fes gleicht, an dem sich die Wel­len zer­tei­len, in­dem sie ihn mit ih­rem wei­ßen Schaum be­net­zen. Of­fen­bar ist das eine Wir­kung der Strö­mung, denn drau­ßen be­wegt sich das Was­ser nur in lan­ger, fla­cher Dü­nung,3 die mit dem Nie­der­gan­ge der Son­ne noch wei­ter ab­zu­neh­men ver­spricht.

Von die­sem Punk­te geht eine zwei­te Tram­bahn­li­nie nach dem Mit­tel­punk­te der Stadt aus, wäh­rend die ers­te­re der Ufer­krüm­mung wei­ter folgt.

Ca­lis­tus Mun­bar steigt hier mit sei­nen Gäs­ten um und mel­det ih­nen, dass sie nun ge­ra­de­wegs nach der Stadt zu­rück­keh­ren wer­den.

Die Pro­me­na­de ist auch lang ge­nug ge­we­sen. Ca­lis­tus Mun­bar zieht sei­ne Uhr her­vor, ein Meis­ter­stück von Si­van in Genf … eine spre­chen­de, pho­no­gra­phi­sche Uhr. Er drückt dar­an auf einen Knopf und man hört sie deut­lich sa­gen: »Vier Uhr drei­zehn Mi­nu­ten.«

»Sie ver­ges­sen doch nicht, dass wir den Turm des Ob­ser­va­to­ri­ums be­stei­gen wol­len?« mel­det sich Fras­co­lin.

»Ver­ges­sen, mei­ne lie­ben und schon al­ten Freun­de! … Eher wür­de ich mei­nen ei­ge­nen Na­men ver­ges­sen, der sich üb­ri­gens ei­ni­ger Berühmt­heit er­freut. Noch vier Mei­len, und wir wer­den vor dem präch­ti­gen Ge­bäu­de ste­hen, das am Ende der Ers­ten Ave­nue er­rich­tet ist und die bei­de Hälf­ten un­se­rer Stadt schei­det.«

Der Wa­gen ist ab­ge­gan­gen. Jen­seits der Fel­der, auf die noch im­mer »der Nach­mit­tags­re­gen« – so sag­te der Ame­ri­ka­ner – nie­der­rie­selt, zeigt sich wie­der der mit Bar­rie­ren um­schlos­se­ne Park mit sei­nen Baum­grup­pen, Ra­sen­flä­chen und Blu­men­kör­ben.

Da schlägt es halb fünf Uhr. Zwei Wei­ser zei­gen die Stun­de auf ei­nem rie­si­gen Zif­fer­blat­te, das, an ei­nem vier­e­cki­gen Tur­me an­ge­bracht, etwa dem des Lon­do­ner Par­la­ments­hau­ses äh­nelt.

Am Fuße des Tur­mes lie­gen die für die ver­schie­de­nen Dienstzwei­ge des Ob­ser­va­to­ri­ums be­stimm­ten Ge­bäu­de. Ei­ni­ge der­sel­ben, die mit me­tal­le­nen Kup­peln und ver­glas­ten Spal­ten in letz­te­ren ver­se­hen sind, ge­stat­ten den Astro­no­men, den Lauf der Gestir­ne zu be­ob­ach­ten. Sie um­schlie­ßen einen ge­räu­mi­gen Hof, in des­sen Mit­te sich der hun­dert­fünf­zig Fuß hohe Turm er­hebt. Von sei­ner obe­ren Ga­le­rie reicht der Blick auf fünf­und­zwan­zig Ki­lo­me­ter weit hin­aus, da der Ho­ri­zont von kei­nem Hü­gel, kei­nem Berg ver­deckt wird.

Sei­nen Gäs­ten vor­aus­ge­hend, schrei­tet Ca­lis­tus Mun­bar durch eine Tür, die ihm ein Die­ner in rei­cher Li­vrée ge­öff­net hat. Im Hin­ter­grun­de des Haus­flurs be­fin­det sich der mit­tels Elek­tri­zi­tät be­trie­be­ne Auf­zug. Das Quar­tett nimmt mit sei­nem Füh­rer in dem Fahr­stuh­le Platz. Die­ser steigt so­fort sanft und gleich­mä­ßig in die Höhe. Nach fünf­und­vier­zig Se­kun­den hält er an der Platt­form des Tur­mes an.

Auf die­ser Platt­form er­hebt sich eine rie­si­ge Flag­gen­stan­ge, an der das Flag­gen­tuch im schwa­chen Nord­win­de flat­tert.

Wel­che Na­tio­na­li­tät die­se Flag­ge be­zeich­net, ver­mö­gen un­se­re Pa­ri­ser nicht zu er­grün­den. Auf den ers­ten Blick scheint es die ame­ri­ka­ni­sche Flag­ge mit den waag­rech­ten rot­wei­ßen Strei­fen zu sein; die obe­re in­ne­re Ecke ent­hält aber statt der sie­ben­und­sech­zig Ster­ne, die zu je­ner Zeit am Fir­ma­ment des Staa­ten­bun­des fun­keln, nur einen ein­zi­gen: einen Stern oder viel­mehr eine gol­de­ne Son­ne, die von dem Him­mel­blau der Flag­gen­e­cke schim­mert und mit dem Strah­lenglanze des Ta­ges­ge­stirns ri­va­li­sie­ren zu kön­nen scheint.

»Un­se­re Flag­ge, mei­ne Her­ren«, sagt Ca­lis­tus Mun­bar, der ehr­er­bie­tig das Haupt ent­blö­ßt.

Sé­bas­ti­en Zorn und sei­ne Ka­me­ra­den kön­nen nicht um­hin, es ihm nach­zu­tun. Dann tre­ten sie an die Brust­wehr der Platt­form her­an, beu­gen sich hin­aus …

Da ent­ringt sich ih­rer Brust ein lau­ter Auf­schrei – erst der Über­ra­schung und dann des hel­len Zorns.

Vor ih­ren Bli­cken liegt das gan­ze Land, und die­ses Land zeigt die Form ei­nes re­gel­mä­ßi­gen Ovals, das von ei­nem Mee­res­ho­ri­zon­te ein­ge­fasst ist. So­weit der Blick schwei­fen kann, nir­gends ist Land in Sicht.

Und doch sind Sé­bas­ti­en Zorn, Fras­co­lin, Yver­nes und Pin­chi­nat ges­tern in der Nacht, nach­dem sie das Dorf Fre­schal im Wa­gen des Ame­ri­ka­ners ver­las­sen hat­ten, zwei Mei­len weit stets dem Wege über Land ge­folgt. Da­rauf ha­ben sie, gleich im Wa­gen ver­blei­bend, mit­tels der Fäh­re nur einen Was­ser­lauf über­schrit­ten und sind dann wie­der auf fes­tes Land ge­kom­men. Hät­ten sie die Küs­te Ka­li­for­ni­ens auf ei­nem Schif­fe ver­las­sen, so müss­ten sie das doch be­merkt ha­ben …

Fras­co­lin wen­det sich vol­ler Er­re­gung an Ca­lis­tus Mun­bar.

»Wir sind doch auf ei­ner In­sel?« fragt er.

»Wie Sie sa­gen«, be­stä­tig­te der Yan­kee, des­sen Mund sich zum ver­bind­lichs­ten Lä­cheln ver­zieht.

»Und wel­che In­sel ist das?«

»Stan­dard Is­land.«

»Und die­se Stadt heißt …?«

»Mil­li­ard City.«

Standard Island

1 An­ge­hö­ri­gen der so­zia­len Ober­schicht <<<

2 nach François Ra­be­lais, fran­zö­si­scher Schrift­stel­ler der Re­naissance (1494–1553) <<<

3 durch den Wind her­vor­ge­ru­fe­ner See­gang mit gleich­mä­ßi­gen, lang ge­zo­ge­nen Wel­len <<<

Die Propeller-Insel

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