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Drittes Kapitel
ОглавлениеDie Pension Chairman in Auckland. — Große und Kleine. — Ferien auf dem Meere. — Der Schoner »Sloughi«. — Die Nacht des 15. Februar. — Verschlagen. — Sturm. — Beratung in Auckland. — Was vom Schoner übrig ist.
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Zurzeit, da unsere Geschichte spielt, war die Pension Chairman eine der angesehendsten in Auckland, der Hauptstadt Neuseelands, jener bedeutenden englischen Kolonie im Stillen Ozean. Dieselbe zählte gegen hundert den besten Familien des Landes angehörige Zöglinge. Die Maoris, die Eingeborenen der Inselgruppe, konnten in derselben ihre Kinder nicht unterbringen, doch waren für letztere andere Unterrichts- und Erziehungsanstalten vorhanden. Die Pension Chairman besuchten nur junge Engländer, Franzosen, Amerikaner und Deutsche, lauter Söhne von Plantagenbesitzern, Rentnern, Kaufleuten oder Beamten des Landes. Sie erhielten hier eine allseitige Erziehung und Ausbildung, vollkommen entsprechend derjenigen, welche die ähnlichen Anstalten des Vereinigten Königreiches gewähren.
Der Archipel von Neuseeland besteht zunächst aus zwei Hauptinseln, nämlich Ika-Na-Mawi oder die Fischinsel im Norden und Tamaï-Ponamu oder Nephrit-Land im Süden. Durch die Cookstraße getrennt, liegen diese zwischen dem 34. und 45. Grad südlicher Breite, was auf der nördlichen Halbkugel etwa der Lage Nordafrikas und Italiens entspricht.
Die in ihrem südlichen Teil stark zerrissene Insel Ika-Na-Mawi bildet eine Art unregelmäßiges Rechteck, das sich nach Norden zu in einem durch das Kap Van Diemen abgeschlossenen Bogen fortsetzt.
Fast am Anfang dieses Bogenstückes und an einer Stelle, wo die Halbinsel nur wenige (englische) Meilen (zu je 1609 Meter) Breite misst, ist Auckland erbaut. Die Stadt liegt also ganz ähnlich wie das griechische Korinth und hat wirklich auch den Namen »das südliche Korinth« erhalten. Im Westen und im Osten besitzt sie je einen offenen Hafen. Da der östliche, der im Hauraki-Golf liegt, nicht tief genug ist, hat man mehrere jener langen »Piers« (nach englischem Vorbilde) erbauen müssen, an denen wenigstens Schiffe von mittlerem Tonnengehalt anlegen können. Unter diesen befindet sich der »Commercial-Pier«, an welchem die Queens-Street, eine der Hauptstraßen der Stadt, ausmündet.
In der Mitte dieser Straße hat man die Pension Chairman zu suchen.
Am Nachmittag des 15. Februar 1860 traten aus genanntem Pensionat gegen hundert Knaben, begleitet von ihren Eltern und mit lustigen Gesichtern und freudiger Lebendigkeit — junge Vögel, deren Käfig man geöffnet hatte.
Es war nämlich der Beginn der Ferien. Zwei Monate Unabhängigkeit, zwei Monate Freiheit! Einer beschränkten Anzahl dieser Zöglinge winkte die verlockende Aussicht einer Seereise, welche schon lange Zeit vorher in der Pension Chairman der Gegenstand lebhafter Gespräche gewesen war. Wir brauchen wohl nicht zu schildern, welche freudige Erwartung diejenigen erregte, denen günstige Umstände gestatteten, sich an Bord der Yacht »Sloughi« einzuschiffen, um mit derselben an einer Umsegelung von ganz Neuseeland teilzunehmen.
Der von den Eltern der Zöglinge gecharterte hübsche Schoner war für eine Reise von sechs Wochen ausgerüstet. Er gehörte dem Vater eines derselben, Mr. William H. Garnett, einem ehemaligen Kapitän der Handelsflotte, zu dem man das beste Vertrauen haben konnte. Eine unter die verschiedenen Familien verteilte Subskription1 sollte die Kosten der Reise decken, die voraussichtlich die denkbar größte Sicherheit und Annehmlichkeit zu bieten versprach. Für die jungen Leute war das natürlich eine große Freude, und schwerlich hätte man die wenigen Wochen Ferien besser verwenden können.
In den englischen Pensionaten unterscheidet sich die Erziehungsmethode sehr wesentlich von der in ähnlichen französischen Anstalten. Man gönnt den Zöglingen daselbst mehr ein gewisses Recht der Selbstbestimmung und damit eine größere Freiheit, welche die Zukunft derselben recht glücklich beeinflusst. Mit einem Wort, die Erziehung hält hier gleichen Schritt mit der vielseitigsten Ausbildung. Daher kommt es, dass die meisten Zöglinge höflich und gewandt, zuvorkommend, sowie achtsam auf ihr Benehmen sind und, was wohl hervorgehoben zu werden verdient, zur Verheimlichung und Lüge kaum je Zuflucht nehmen, selbst wenn es sich darum handelt, einer verdienten Bestrafung zu entgehen. Dabei sei auch bemerkt, dass die Schüler dieser Lehranstalten weit weniger den Regeln gemeinsamen Lebens und den daraus hervorgehenden Vorschriften des Stillschweigens usw. unterworfen sind. Meist bewohnen dieselben besondere Zimmer, wo sie auch gewisse Mahlzeiten einnehmen, und wenn sie sich an die Tafeln eines gemeinsamen Speisesaales setzen, so steht es ihnen frei, nach Belieben zu plaudern.
Je nach dem Alter sind die Schüler in Abteilungen untergebracht, deren das Pensionat Chairman fünf zählt. Wenn in der ersten und zweiten die Kleinen sich gelegentlich noch an den Hals ihrer Eltern hingen, so ersetzten die Größeren schon den kindlichen Kuss durch den männlichen Händedruck. Dabei gab es keinen Lauscher, sie zu überwachen, das Lesen von Erzählungen und Zeitschriften war gestattet, Urlaubstage wurden häufig bewilligt, die Arbeitsstunden blieben möglichst beschränkt, während daneben auf Körperübungen, wie Turnen, Boxen und anregende Spiele in freier Luft, hoher Wert gelegt wurde. Als Dämpfer gegenüber jener Unabhängigkeit, welche die Schüler übrigens nur selten missbrauchten, hatte man jedoch die körperliche Züchtigung, vorzüglich mit der Gerte, beibehalten. Gelegentlich ausgepeitscht zu werden, erschien den jungen Angelsachsen nicht als ehrenrührig, und sie unterwarfen sich widerspruchslos einer solchen Züchtigung, wenn sie dieselbe als verdient erkannten.
Jedermann kennt die bei den Engländern gewöhnliche Achtung vor der Überlieferung im privaten, ebenso wie im öffentlichen Leben, und diesen Überlieferungen, selbst wenn sie an sich unvernünftig erscheinen, trägt man auch Rechnung in den Lehranstalten des weiten Reiches. Wenn es den älteren Schülern obliegt, die jüngeren zu unterstützen, so geschieht das nur unter der Bedingung, dass letztere es den ersteren durch gewisse häusliche Dienstleistungen, denen sie sich auf keine Weise entziehen können, vergelten. Diese Dienste, welche in der Herbeischaffung des Morgenimbisses, der Reinigung der Kleider sowie des Schuhwerkes, der Besorgung von Aufträgen u. dergl. bestehen, sind unter dem Namen »Faggisme« (etwa Fuchspflichten) bekannt, und diejenigen, welche sie zu leisten haben, heißen »Fags« (Füchse).
Es sind die Kleinsten, die Mitglieder der ersten Abteilungen, welche den Zöglingen der höheren Klassen als »Füchse« dienen, und wenn sie sich dessen weigerten, würde ihnen das Leben gewiss recht sauer gemacht werden. Daran denkt jedoch keiner, und das gewöhnt sie, sich einer Disziplin zu fügen, von der man z. B. bei den Zöglingen der französischen Lyzeen keine Spur findet. Die Überlieferung verlangt es hier einmal, und wenn es ein Land gibt, welches diese beachtet, so ist es das Vereinigte Königreich, wo sie den einfachsten Londoner Straßenjungen ebenso beherrscht wie die Peers des Oberhauses.
Die Zöglinge, welche an der Spazierfahrt des »Sloughi« teilnehmen sollten, gehörten verschiedenen Abteilungen der Pension Chairman an. Wie der Leser schon weiß, befanden sich an Bord des Schoners solche von acht bis zu vierzehn Jahren. Und diese fünfzehn Knaben, mit Einrechnung des Schiffsjungen, sollten weit weg verschlagen werden und die schlimmsten Abenteuer zu bestehen haben.
Wir führen nun nicht nur ihre Namen auf, sondern auch ihr Alter, Gewohnheiten, Charakter, Familienverhältnisse neben den Beziehungen, welche zwischen ihnen bestanden, als sie zur gewöhnlichen Zeit der beginnenden Spätsommerferien die Anstalt verließen.
Mit Ausnahme zweier Franzosen, der Brüder Briant, und Gordons, eines Amerikaners, sind alle englischer Abkunft.
Doniphan und Cross stammen aus der Familie reicher Landeigentümer, welche in der neuseeländischen Gesellschaft den ersten Rang einnehmen. Dreizehn Jahre und einige Monate alt, sind sie Vettern und zurzeit Mitglieder der fünften Abteilung. Der elegante und auf seine äußere Erscheinung streng haltende Doniphan ist unstreitig der hervorragendste Zögling. Geistig geweckt und eifrig, bewahrt er ehrgeizig sein Ansehen, teils aus Neigung sich auszubilden und zu lernen, teils infolge des Wunsches, seinen Kameraden immer voranzustehen. Ein gewisser aristokratischer Stolz hat ihm den Spitznamen »Lord Doniphan« erworben, und sein selbstwilliger Charakter verleitet ihn dazu, überall herrschen zu wollen. Dem entstammt zwischen Briant und ihm jene Rivalität, welche schon mehrere Jahre andauert, die aber nur noch zugenommen hat, seitdem die Umstände Briants Einfluss auf seine Kameraden erweiterten. Cross ist ein gewöhnlicher Durchschnittszögling, jedoch durchdrungen von der Bewunderung für alles, was sein Vetter Doniphan denkt, spricht oder tut.
Der derselben Abteilung zugehörige dreizehn Jahre alte Baxter, ein verschlossener, überlegender, fleißiger Knabe, der sich durch Erfindungsgabe und besondere Handfertigkeit auszeichnet, ist der Sohn eines Kaufmannes in verhältnismäßig bescheidenen Vermögensumständen.
Webb und Wilcox, beide zwölfeinhalb Jahre alt, sind Zöglinge der vierten Abteilung. Von mittlerer Veranlagung, ziemlich eigenwillig und streitsüchtig, haben sie sich stets sehr streng bezüglich Beachtung der Regeln des Fuchswesens gezeigt. Ihre Familien sind reich und stehen unter dem Beamtenstande des Landes auf hoher Stufe.
Garnett, wie sein Genosse Service der dritten Abteilung zugehörig und beide zwölf Jahre alt, sind der eine der Sohn eines pensionierten Flottenkapitäns, der andere der eines wohlgeborgenen Farmers, und ihre Familien wohnen am North-Shore, d.h. am nördlichen Ufer des Hafens von Waitemala. Dieselben halten gute Nachbarschaft, und ihr vertrauter Umgang ist auch die Ursache, dass Garnett und Service voneinander ganz unzertrennlich geworden sind. Sie sind gutmütiger Art, aber etwas träge. Garnett hat außerdem eine beklagenswerte Leidenschaft für das auf der englischen Flotte so allgemein beliebte Akkordeon. Als Sohn eines Seemanns spielt er in jeder freien Minute sein Lieblingsinstrument und hat dasselbe natürlich auch an Bord des »Sloughi« mitgenommen. Was Service betrifft, so ist dieser der ausgelassenste der ganzen Gesellschaft, der richtige Bruder Lustig der Pension Chairman, der nur von Reiseabenteuern träumt und Robinson Crusoe sowie den Schweizer Robinson, die er mit Vorliebe immer wieder liest, schon auswendig weiß.
Wir haben nun die Knaben von neun Jahren anzuführen. Da ist Jenkins, der Sohn des Vorsitzenden der Gesellschaft der Wissenschaften, der »New-Seeland-Royal-Society«; ferner Iverson, der Sohn des Pfarrers an der Metropolitankirche zu St. Paul. Zwar noch in der dritten, respektive der zweiten Abteilung, gelten sie doch als vorzügliche Schüler des Pensionats.
Es folgen hierauf zwei Kinder, Dole, achteinhalb, und Costar, acht Jahre alt, beide Söhne von Offizieren der englisch-seeländischen Armee, welche in der kleinen Stadt Ouchunga, sechs Meilen von Auckland und am Ufer des Hafens von Manukau, wohnen. Sie gehören zu den »Kleinen«, von denen man nichts zu sagen hat, außer dass Dole ein rechter Starrkopf und Costar ein kleines Leckermaul ist. Wenn sie noch in der ersten Abteilung glänzen, so halten sie sich doch für nicht wenig fortgeschritten, da sie bereits lesen und schreiben können — und etwas anderem kann man sich in diesem Alter ja nicht wohl zu rühmen haben.
Es erübrigt nun noch von den drei anderen auf dem Schoner eingeschifften Knaben zu sprechen, von dem Amerikaner und den beiden Franzosen.
Der Amerikaner ist der vierzehnjährige Gordon. Erscheinung und Haltung desselben zeigen schon entschiedene Spuren der rohen Urwüchsigkeit des »Yankee«. Obwohl etwas linkisch und schwerfällig, ist er doch sozusagen der gesetzteste aller Schüler der fünften Abteilung. Ihm fehlt das äußerlich Glänzende seines Kameraden Doniphan, dafür besitzt er ein scharfes Urteil und gesunden Menschenverstand, von dem er zu wiederholten Malen Proben abgelegt hat. Den Blick auf ernstere Dinge gerichtet, ist er ein guter Beobachter von kaltem Temperament. Methodisch bis zur Kleinlichkeit, ordnet er die Gedanken im Gehirn wie die Gegenstände im Schreibtisch, wo alles klassifiziert, etikettiert und in einem besonderen Büchlein verzeichnet ist. Seine Kameraden schätzen ihn, versagen seinen guten Eigenschaften nicht die gebührende Anerkennung und nehmen ihn, obwohl Nichtengländer von Geburt, stets freundlich in ihrem Kreise auf. — Gordon ist aus Boston gebürtig; vater- und mutterlos, hat er keine anderen Angehörigen als seinen Vormund, einen ehemaligen Konsularagenten, der sich nach Ansammlung eines hübschen Vermögens in Neuseeland niedergelassen hat und eine jener reizenden Villen bewohnt, welche auf den Anhöhen rund um das Dorf Mount-Saint-John verstreut liegen.
Die beiden jungen Franzosen endlich sind die Söhne eines geschätzten Ingenieurs, der vor zweiundeinhalb Jahren hierherkam, um die umfänglichen Arbeiten der Trockenlegung der Sümpfe im Innern Ika-Na-Mawis zu leiten. Der Ältere zählt dreizehn Jahre. Nicht besonders arbeitsam trotz sehr guter Anlagen, begegnet es ihm häufiger, der letzte in der fünften Abteilung zu sein. Wenn er aber den Willen dazu hat, gelingt es ihm, bei seinem leichten Auffassungsvermögen und erstaunlichen Gedächtnis, sich auf den ersten Platz emporzuschwingen, worüber Doniphan erklärlicherweise nicht wenig eifersüchtig wird. Zwischen Briant und ihm hat im Pensionat Chairman von jeher kein rechtes Einvernehmen geherrscht, und die Folgen der Disharmonie traten ja schon an Bord des »Sloughi« zutage. Übrigens ist Briant kühn, unternehmend, in allen körperlichen Übungen geschickt, nicht mundfaul und gleich mit einer Gegenrede bei der Hand, sonst aber ein hilfsbereiter guter Junge, ohne den Stolz Doniphans, ja bezüglich der äußeren Erscheinung sogar etwas nachlässig — kurz, er ist vom Scheitel bis zur Zehe Franzose und unterscheidet sich schon deshalb wesentlich von seinen englischen Kameraden. Die Schwächsten hat er oft geschützt gegen den Missbrauch ihrer Kraft seitens der Großen, und sich, was seine Person anging, den Fuchsregeln niemals unterwerfen wollen. Dadurch entstanden manche Zänkereien und Schlägereien, aus welchen er, dank seiner überlegenen Körperkraft und seinem Mut, meist als Sieger hervorging. Das hinderte jedoch nicht seine allgemeine Beliebtheit, und als es sich um Übernahme der Führung des »Sloughi« handelte, weigerten sich seine Kameraden, mit ganz wenig Ausnahmen, keinen Augenblick, ihm zu gehorchen, zumal er, wie wir wissen, sich gelegentlich seiner Überfahrt von Europa nach Neuseeland einige seemännische Kenntnisse angeeignet hatte.
Sein jüngeres Brüderchen, Jacques, war bisher stets als der Schalk und Spaßvogel der dritten Abteilung — wenn nicht der ganzen Pension Chairman, Service inbegriffen — angesehen worden, da er immer neue Possen erfand und seinen Kameraden lose Streiche spielte, für die er gleichmütig so manche Bestrafung hinnahm. Wie man bald sehen wird, hatte sich sein Charakter jedoch, ohne dass jemand die Ursache enträtseln konnte, seit der Abfahrt der Yacht höchst auffallend verändert. —
Das war die Kindergesellschaft, welche der rasende Sturm auf eines der Ländergebiete des Stillen Ozeans verschlagen hatte.
Während seiner mehrwöchentlichen Lustfahrt ringsum die Gestade Neuseelands, sollte der »Sloughi« von seinem Eigentümer, dem Vater Garnetts, befehligt werden, der als kühner Yachtenführer in den Gewässern Ozeaniens rühmlichst bekannt war. Wie oft war sein Schoner bereits an den Küsten Neukaledoniens, Neuhollands, von der Meerenge von Torres bis zur südlichsten Spitze Tasmaniens und bis hinauf in den selbst für größere Schiffe oft verderblichen Meeren der Molukken, der Philippinen und von Celebes sichtbar gewesen. Es war aber auch eine äußerst solide gebaute, schnell segelnde Yacht, welche ihre Seetüchtigkeit selbst beim schwersten Wetter glänzend bewährte.
Die Besatzung derselben bestand aus einem Obersteuermann, sechs Matrosen, einem Koch und einem Schiffsjungen — Moko, einem Neger von zwölf Jahren, dessen Familie bei einem Ansiedler von Neuseeland schon lange Zeit in Diensten stand. Wir dürfen auch nicht vergessen, einen schönen Jagdhund von amerikanischer Rasse, Phann, zu erwähnen, der Gordon angehörte und seinen Herrn niemals verließ.
Als Abfahrtstag war der 15. Februar bestimmt worden. Inzwischen lag der »Sloughi«, von seinen Sorrtauen2 am Hinterteil gehalten, am äußersten Ende des Commercial-Pier und folglich ganz nahe der Seeseite des Hafens.
Die Besatzung befand sich nicht an Bord, als die jungen Passagiere sich am Abend des 14. Februar einschifften. Kapitän Garnett sollte erst eintreffen, wenn das Schiff die Fahrt antrat. Nur der Obersteuermann und der Schiffsjunge empfingen Gordon und seine Kameraden, da die übrige Mannschaft noch an Land bei einem letzten Glas Whisky saß. Nachdem alle untergebracht und ihnen die Lagerstätten angewiesen waren, suchte auch der Obersteuermann die übrigen Leute noch einmal in der Schänke am Hafen auf, wo er sich der unverzeihlichen Nachlässigkeit schuldig machte, bis zur späten Nachtstunde zu verweilen. Der Schiffsjunge hatte sich bereits im Volkslogis zum Schlafen niedergelegt.
Was nun inzwischen vorging, das wird wohl niemals aufgeklärt werden. Sicher ist nur das, dass die Sorrtaue sich entweder zufällig lösten oder freventlich von dritter Hand gelöst wurden, ohne dass an Bord jemand etwas davon bemerkte.
Tiefdunkle Nacht verhüllte den Hafen und den Golf Hauraki. Vom Land her wehte ein ziemlich starker Wind, und der Schoner, den gleichzeitig die rückströmende Ebbe mit fortzog, wurde nach der offenen See hinausgetrieben.
Als der Schiffsjunge erwachte, schaukelte der Schoner, als werde er von hohlem Seegange umhergeworfen, eine Bewegung, welche mit der durch die gewöhnliche Brandung veranlassten gar nicht zu verwechseln war. Moko sprang eiligst nach dem Deck hinauf … Die Yacht war im Abtreiben …
Auf den lauten Ruf des Schiffsjungen verließen Gordon, Briant, Doniphan nebst einigen anderen ihre Lagerstätten und stürmten die Treppe hinauf. Vergeblich riefen sie um Hilfe! Sie erblickten nicht einmal mehr ein einziges Licht von der Stadt oder dem Hafen. Der Schoner befand sich schon in der Mitte des Golfes, gegen drei Meilen vom Ufer.
Anfänglich versuchten die Knaben, auf den auch vom Schiffsjungen gebilligten Rat Briants hin, ein Segel beizusetzen, um durch Kreuzen nach dem Hafen zurückzugelangen; zu schwer aber, um von ihnen in die passende Lage gebracht zu werden, hatte dieses Segel keine andere Wirkung, als dass es sie durch den Westwind, den es abfing, noch weiter hinaustrieb. Der »Sloughi« umschiffte dabei das Kap Golville, glitt durch die Meerenge, welche dieses von der Insel der großen Barre trennt, und befand sich bald mehrere Meilen von Neuseeland.
Der Ernst dieser Lage ist gewiss leicht zu durchschauen. Briant und seine Gefährten konnten auf Hilfe vom Lande her nicht mehr rechnen. Wenn selbst ein Schiff vom Hafen auslief, sie aufzuspüren, so mussten im günstigsten Fall mehrere Stunden vergehen, ehe es sie einholte — angenommen, dass es überhaupt möglich war, den Schoner bei der tiefen Finsternis zu entdecken. Graute erst wieder der Tag, wie hätte jemand ein so kleines, im offenen Meere verirrtes Fahrzeug wahrnehmen können? Und wie sollte es diesen Kindern gelingen, sich mit eigener Anstrengung aus dieser schlimmen Lage zu befreien? Schlug der Wind nicht bald um, so mussten sie darauf verzichten, das Land wieder erreichen zu können.
Freilich blieb auch die Möglichkeit übrig, einem Schiff auf dem Wege nach einem der Häfen Neuseelands zu begegnen. Trotz der Unwahrscheinlichkeit eines so glücklichen Zufalles beeilte sich Moko doch, eine angezündete Signallaterne am Top des Fockmastes zu befestigen. Jetzt aber hatten sie nichts anderes zu tun, als den Anbruch des Tages abzuwarten.
Die Kleinen, welche von dem Lärmen nicht aufgewacht waren, ließen sie lieber weiterschlafen. Ihr Schrecken hätte an Bord nur Unordnung verursacht.
Immerhin wurden noch mehrere Versuche unternommen, dem »Sloughi« eine günstigere Richtung zu geben. Dieser widerstand aber jeder derartigen Bemühung und trieb mit großer Schnelligkeit immer weiter nach Osten hinaus.
Plötzlich tauchte, etwa zwei bis drei Meilen entfernt, ein Lichtschein auf. Es war ein weißes Licht oben am Maste, das unterscheidende Zeichen eines in Fahrt begriffenen Dampfers. Bald erschienen auch seine beiden Positionslichter, das rote wie das grüne, und da beide gleichzeitig sichtbar blieben, bewies das, dass der Dampfer in gerader Richtung auf den Schoner zusteuerte.
Vergeblich ließen die Knaben laute Hilferufe ertönen. Das Klatschen und Schlagen der Wellen, das Zischen des Dampfes, der durch die Abflussrohre des Steamers ausströmte und der noch weiter aufgefrischte Wind — alles traf zusammen, ihre Stimme ungehört verhallen zu lassen.
Laute Hilferufe
Doch wenn sie die Rufe nicht hörten, mussten die wachhabenden Matrosen des anderen Schiffes nicht wenigstens das Signallicht des »Sloughi« erkennen? Das war die letzte Hoffnung.
Unglücklicherweise war durch eine heftige Schlingerbewegung die Leine desselben zerrissen, die Laterne dabei ins Meer gefallen und nichts verriet jetzt mehr die Gegenwart der »Sloughi«, auf den der Dampfer mit einer Schnelligkeit von zwölf Knoten in der Stunde zujagte.
Nach wenigen Sekunden wurde die Yacht angerannt und wäre ohne Zweifel versenkt worden, wenn der Stoß sie rechtwinkelig traf. So betraf die Kollision aber nur den Achter derselben und zerstörte die Planke3 mit dem Namen, ohne den Schiffsrumpf zu beschädigen.
Der Stoß war überhaupt ein so schwacher gewesen, dass der Dampfer den »Sloughi« einfach, trotz drohenden Sturmes, sich selbst überließ und seine Fahrt ruhig fortsetzte.
Sehr häufig bekümmerten sich die See-Kapitäne nicht im Geringsten um die Schiffe, welche sie angerammt haben. Von solchem verbrecherischen Benehmen gibt es gar zu viele Beispiele. Im vorliegenden Fall war freilich anzunehmen, dass man an Bord des Dampfers von der Kollision mit der leichten Yacht, die in der Dunkelheit auch niemand gesehen, überhaupt nichts verspürt hatte.
Vom Winde weiter hinausgejagt, mussten die Knaben sich für so gut wie verloren halten. Als der Tag graute, sahen sie nur eine öde Wasserwüste vor sich. Auf diesem weniger belebten Teil des Stillen Ozeans folgen die Schiffe, welche von Ozeanien nach Amerika oder umgekehrt segeln, einem entweder weit nördlicheren oder mehr südlicheren Wege. In Sicht der Yacht kam kein einziges vorüber. Wieder brach die Nacht herein, welche noch schlimmer zu werden drohte, und wenn der eigentliche Sturm sich auch zeitweilig beruhigte, so wehte doch der Wind immer recht steif von Westen her.
Wie lange diese Fahrt andauern sollte, davon hatten natürlich weder Briant noch seine Kameraden eine Ahnung. Vergeblich suchten sie in der Weise zu manövrieren, um den Schoner nach den neuseeländischen Gewässern zurückzuleiten; es fehlte ihnen jedoch an Kenntnissen, seine Richtung bestimmt zu beeinflussen, und überdies an Kraft, die schweren Segel beizusetzen.
Unter diesen Verhältnissen gewann Briant, der eine seinem Alter überlegene Tatkraft entwickelte, allmählich ein Übergewicht über seine Gefährten, dem sich auch Doniphan nicht entziehen konnte. Gelang es ihm auch, trotz Mokos Unterstützung, nicht, die Yacht wieder nach Westen zurückzusteuern, so benutzte er doch seine geringen Kenntnisse, um diese unter möglichst guten Bedingungen forttreiben zu lassen. Er schonte sich keinen Augenblick, wachte Tag und Nacht und lugte immer nach dem Horizont hinaus, um eine Aussicht auf Rettung zu entdecken. Gleichzeitig ließ er auch mehrere Flaschen mit einem Bericht über den Verbleib des »Sloughi« ins Meer werfen, und wenn das auch ein sehr unzuverlässiges Hilfsmittel war, wollte er es doch nicht vernachlässigen.
Inzwischen trieb der Westwind die Yacht immer weiter über den Stillen Ozean hinaus, ohne dass es möglich war, deren Lauf zu hemmen oder nur ihre Geschwindigkeit zu vermindern.
Wir wissen schon, was sich weiter zutrug. Wenige Tage, nachdem der Schoner durch die Wasserstraßen des Golfes Hauraki hingerissen worden war, brach ein Sturm los, der zwei volle Wochen lang mit außergewöhnlicher Heftigkeit wütete. Von ungeheuren Wellen auf und ab geschleudert, hundertmal nahe daran, durch andonnernde Wassermassen zertrümmert zu werden, was ohne seine besonders feste Bauart und seine vortrefflichen nautischen Eigenschaften gar nicht hätte ausbleiben können, war der »Sloughi« schließlich auf ein unbekanntes Stück Erde im Stillen Ozean geworfen worden.
Welches Los erwartete nun dieses Pensionat von Schiffbrüchigen, welche wohl achtzehnhundert Meilen weit von Neuseeland verschlagen waren? Von welcher Seite würde ihnen die Hilfe kommen, die sie in sich selbst nicht finden konnten …?
Jedenfalls hatten ihre Familien gar zu viel Ursache, sie mit dem Schoner untergegangen zu glauben.
Diese Ursache war nämlich folgende:
Als in Auckland das Verschwinden des »Sloughi« in der Nacht vom 14. zum 15. Februar bemerkt worden war, benachrichtigte man davon den Kapitän Garnett und die Familien der unglücklichen Kinder. Wir brauchen wohl die Wirkung dieses traurigen Vorfalles, der in der Stadt allgemeine Bestürzung erregte, nicht eingehender zu schildern.
Wenn seine Sorrtaue aus irgendeinem Grund nachgegeben hatten, so war der Schoner doch vielleicht nicht über den Golf selbst hinausgetrieben. So durfte man hoffen, ihn noch wiederzufinden, obwohl der steife Westwind eine recht schmerzliche Beunruhigung erweckte.
Ohne eine Minute Zeit zu verlieren, traf der Hafenkapitän Anstalt, der Yacht zu Hilfe zu kommen. Zwei kleine Dampfer sollten den ganzen Golf Hauraki durchsuchen. Die ganze Nacht über kreuzten sie umher, während der Seegang immer schwerer wurde, und als sie mit Tagesanbruch zurückkehrten, raubten ihre Meldungen den von dieser schrecklichen Katastrophe betroffenen Familien den letzten Schimmer von Hoffnung.
Wenn diese Dampfer zwar den »Sloughi« nicht aufgespürt hatten, so hatten sie doch einzelne Stücke aufgefischt. Diese letzteren bestanden aus den ins Meer gefallenen Trümmern des Backbords nach der Kollision mit dem peruanischen Dampfer »Quito«, eine Kollision, von der letzterer nicht einmal Kenntnis hatte.
Auf diesen Bruchstücken waren noch drei bis vier Buchstaben des Namens »Sloughi« deutlich zu erkennen. Es schien also unzweifelhaft, dass die Yacht verunglückt und vielleicht ein Dutzend Meilen von der Küste Neuseelands mit Mann und Maus untergegangen war.
1 (hier) schriftliche Verpflichtung, eine Anzahl emittierter Wertpapiere zu kaufen <<<
2 dünne Stricke, womit größere Taue angezogen werden <<<
3 langes, dickes Brett; Bauholz für den Schiffsbau <<<