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Fünftes Kapitel

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In­sel oder Fest­land? — Ein Aus­flug. — Bri­ant zieht al­lein aus. — Die Am­phi­bi­en. — Scha­ren von Platt­fi­schen. — Früh­stück. — Von der Höhe des Vor­ge­bir­ges. — Die drei Ei­lan­de im of­fe­nen Meer. — Eine blaue Li­nie am Ho­ri­zont. — Rück­kehr zum »Sloug­hi«.

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In­sel oder Fest­land? — Das blieb noch im­mer die wich­ti­ge Fra­ge, mit der sich Bri­ant, Gor­don und Do­ni­phan, ih­rem Cha­rak­ter und ih­rer In­tel­li­genz nach die na­tür­li­chen Häup­ter die­ser klei­nen Welt, un­aus­ge­setzt be­schäf­tig­ten. Bei dem Ge­dan­ken an die Zu­kunft, wäh­rend die Klei­nen nur der Ge­gen­wart leb­ten, spra­chen sie sehr oft über die­sen Ge­gen­stand. Ob die­ses Land aber ei­ner In­sel oder ei­nem Kon­ti­nent an­ge­hör­te, je­den­falls lag es nicht in­ner­halb der Tro­pen­zo­ne; das be­wies sei­ne Pflan­zen­welt, der Be­stand an Ei­chen, Bu­chen, Bir­ken, Wei­den, Fich­ten und Tan­nen ver­schie­de­ner Art, das zeig­te sich an den zahl­rei­chen Myr­ta­ceen oder Stein­brech­ar­ten, wel­che als Bäu­me oder Ge­bü­sche im mitt­le­ren Teil des Stil­len Ozeans nicht vor­kom­men. Es schi­en so­gar, als lie­ge die­ses Ge­biet in et­was hö­he­rer Brei­te, also nä­her dem Süd­pol, als Neu­see­land, wes­halb zu be­fürch­ten war, dass der Win­ter hier mit großer Stren­ge auf­tre­ten wür­de. Schon be­deck­te eine di­cke Lage wel­ker Blät­ter den Bo­den der Ge­höl­ze, die sich am Fuße des Steilufers hin­zo­gen. Nur die Tan­nen und Fich­ten hat­ten ih­ren Na­del­schmuck be­wahrt, der sich von Jahr zu Jahr er­neu­er­te, ohne je­mals ganz ab­zu­fal­len.

»Aus die­sem Grun­de«, be­merk­te Gor­don am nächs­ten Tage nach der Fest­le­gung des »Sloug­hi« auf dem Strand, »er­scheint es mir rat­sam, dass wir uns nicht end­gül­tig auf die­sem Teil der Küs­te an­sie­deln.«

»Das mein ich auch«, ließ Do­ni­phan sich ver­neh­men. »Doch wenn wir die schlech­te Jah­res­zeit her­an­kom­men las­sen, wird es zu spät sein, einen be­wohn­ten Ort auf­zu­su­chen, we­nigs­tens wenn wir Hun­der­te von Mei­len bis da­hin zu­rück­zu­le­gen ha­ben.«

»Ge­duld, Ge­duld!« er­wi­der­te Bri­ant. »Noch sind wir erst in der Mit­te des März!«

»Nun«, ent­geg­ne­te Do­ni­phan, »die gute Wit­te­rung mag bis Ende April dau­ern, und bin­nen sechs Wo­chen ist ein gu­tes Stück Wegs zu über­win­den.«

»Vor­aus­ge­setzt, dass es über­haupt einen Weg gibt«, mein­te Bri­ant.

»Und warum soll­te es kei­nen ge­ben?«

»Na­tür­lich«, fiel Gor­don ein. »Doch wenn es einen gibt, wis­sen wir auch, wo­hin er füh­ren wird?«

»Ich sehe nur das eine«, er­wi­der­te Do­ni­phan, »dass es eine große Tor­heit wäre, vor Ein­tritt der Käl­te und der Re­gen­zeit den Scho­ner nicht ver­las­sen zu ha­ben, und schon aus die­sem Grund darf man nicht bei je­dem Schritt neue Schwie­rig­kei­ten wit­tern.«

»Es ist stets bes­ser, die­se scharf ins Auge zu fas­sen«, ver­setz­te Bri­ant, »als sich gleich Nar­ren in ein Land hin­ein­zu­wa­gen, das man nicht kennt.«

»Und es ist sehr leicht«, er­klär­te Do­ni­phan her­aus­for­dernd, »die­je­ni­gen Nar­ren zu nen­nen, wel­che nicht eu­rer An­sicht sind!«

Vi­el­leicht hät­te die­se Ant­wort Do­ni­phans wie­der schar­fe Ge­gen­re­den sei­nes Ka­me­ra­den her­vor­ge­ru­fen und das Ge­spräch in eine Zän­ke­rei aus­ar­ten las­sen, da trat Gor­don ver­mit­telnd da­zwi­schen.

»Es nützt nichts, mit­ein­an­der zu strei­ten«, sag­te er, »und um sich in schlim­mer Lage zu hel­fen, gilt es zu­erst sich zu ver­stän­di­gen. Do­ni­phan hat da­mit recht, zu sa­gen, dass wir, wenn ein be­wohn­tes Land in un­se­rer Nach­bar­schaft liegt, un­ge­säumt da­hin auf­bre­chen soll­ten. Ist das aber an­zu­neh­men? ant­wor­tet da­ge­gen Bri­ant, und er hat nicht un­recht, so zu ant­wor­ten.«

»Was, zum Teu­fel!« rief Do­ni­phan hit­zi­ger. »Sieh, Gor­don, wenn wir nach Nor­den hin­auf­zie­hen, nach Sü­den hin­un­ter­wan­dern, wenn wir uns nach Os­ten hin­wen­den, so müs­sen wir schließ­lich ans Ziel kom­men …«

»Ja, so­bald wir uns auf ei­nem Fest­land be­fin­den«, un­ter­brach ihn Bri­ant, »nicht aber, wenn wir auf ei­ner In­sel sind und die­se un­be­wohnt ist.«

»Doch eben des­halb gilt es, sich zu über­zeu­gen, wor­an wir sind«, er­wi­der­te Gor­don. »Was aber das Ver­las­sen des ›Sloug­hi‹ be­trifft, ohne uns dar­über ver­ge­wis­sert zu ha­ben, ob auch im Os­ten ein Meer sich be­fin­det …«

»Oh, der wird uns schon selbst ver­las­sen!« rief Do­ni­phan, wie im­mer auf sei­ner ein­mal ge­fass­ten An­sicht be­ste­hend. »Auf die­sem Strand wird er dem An­sturm des Wet­ters in der schlech­ten Jah­res­zeit doch nicht wi­der­ste­hen kön­nen.«

»Das geb’ ich zu«, mein­te Gor­don, »und doch müs­sen wir vor ei­nem Aus­zug nach dem In­nern wis­sen, wo­hin wir ge­hen.«

Gor­d­ons Ein­wür­fe er­schie­nen so be­rech­tigt, dass Do­ni­phan sich ih­nen wohl oder übel fü­gen muss­te.

»Ich bin be­reit, auf Kund­schaft aus­zu­zie­hen«, mel­de­te sich Bri­ant.

»Ich eben­falls«, schloss sich Do­ni­phan an.

»Wir alle sind ge­wiss dazu be­reit«, mein­te Gor­don; »es wäre je­doch sehr un­klug, auch die Klei­nen bei ei­nem sol­chen mög­li­cher­wei­se lan­gen und be­schwer­li­chen Zuge mit­zu­neh­men; zwei bis drei von uns wer­den, denk’ ich, ge­nug sein?«

»Es ist sehr be­dau­er­lich«, äu­ßer­te Bri­ant, »dass sich hier kei­ne be­trächt­li­che­re An­hö­he fin­det, von de­ren Gip­fel aus man Um­schau hal­ten könn­te. Lei­der be­fin­den wir uns auf ziem­lich nied­ri­gem Land, und auch von der See­sei­te her hab’ ich, selbst am Ho­ri­zont, kei­nen Berg ent­de­cken kön­nen. Hier schei­nen an­de­re Hö­hen, als das schroff an­stei­gen­de Ufer im Hin­ter­grund des Stran­des, ganz zu feh­len. Jen­seits des letz­te­ren be­fin­den sich si­cher­lich Wäl­der, Ebe­nen und Sümp­fe, durch wel­che der Rio sich hin­schlän­gelt, des­sen Aus­mün­dung wir be­sich­tigt ha­ben.«

»Und doch wäre es von Nut­zen, die­se Ge­gend ein­mal in Au­gen­schein zu neh­men«, warf Gor­don ein, »ehe wir das Steilufer wei­ter un­ter­su­chen, in dem ich mit Bri­ant ver­geb­lich nach ei­ner Höh­le ge­sucht habe.«

»Nun, warum sol­len wir uns dann nicht nach dem Nor­den der Bai be­ge­ben?« sag­te Bri­ant. »Er­stei­gen wir das dor­ti­ge Vor­ge­bir­ge, so müss­ten wir, wie mir scheint, weit­hin se­hen kön­nen …«

»Eben dar­an dach­te ich auch«, ant­wor­te­te Gor­don. »Ja, je­nes Kap, wel­ches zwei- bis drei­hun­dert Fuß hoch sein mag, muss das Steilufer über­ra­gen.«

»Ich er­bie­te mich, da­hin zu ge­hen …« er­klär­te Bri­ant.

»Wozu aber?« warf Do­ni­phan ein. »Was wäre von da oben zu se­hen?«

»Ich mei­ne, den Ver­such ist es je­den­falls wert«, er­wi­der­te Bri­ant.

In der Tat er­hob sich am Ende der Bai eine An­häu­fung von Fel­sen, eine Art Hü­gel, der auf der einen Sei­te mit schrof­fer Wand ins Meer ab­fiel und auf der an­de­ren in das lan­ge Steilufer über­zu­ge­hen schi­en. Vom »Sloug­hi« aus maß die Ent­fer­nung da­hin längs der Win­dun­gen des Stran­des höchs­tens sie­ben bis acht (eng­li­sche) Mei­len, und nur fünf bis sechs in der Luft­li­nie. Gor­don täusch­te sich auch wohl nicht, wenn er die Höhe des Vor­ge­bir­ges über dem Mee­re auf drei­hun­dert Fuß ab­schätz­te.

Ob die­se Höhe aus­rei­chend war, einen grö­ße­ren Teil des Hin­ter­lan­des zu über­se­hen? Oder wur­de der Aus­blick nach Os­ten hin durch ir­gend­ein Hin­der­nis be­schränkt? Je­den­falls war von dort aus zu er­ken­nen, was jen­seits des Vor­ge­bir­ges lag und ob die Küs­te sich nach Nor­den hin un­be­grenzt fort­setz­te oder ob sich da­hin­ter schon wie­der der Ozean aus­brei­te­te. Es emp­fahl sich also, nach dem Ende der Bai zu ge­hen und die An­hö­he da­selbst zu er­stei­gen. Lag nach Os­ten zu ebe­ne­res Land, so muss­te man es von je­nem Punk­te aus auf meh­re­re Mei­len hin über­bli­cken kön­nen.

Es wur­de also be­schlos­sen, die­sen Plan aus­zu­füh­ren. Woll­te Do­ni­phan auch des­sen Nut­zen nicht an­er­ken­nen — ohne Zwei­fel, weil die An­re­gung dazu von Bri­ant und nicht von ihm her­rühr­te —, so war der­sel­be doch nicht min­der ge­eig­net, ein wert­vol­les Er­geb­nis zu lie­fern.

Gleich­zei­tig wur­de be­stimmt, und nach reif­li­cher Er­wä­gung fest­ge­stellt, den »Sloug­hi« nicht eher zu ver­las­sen, als bis man mit Si­cher­heit wis­se, ob die­ser auf der Küs­te ei­nes Fest­lan­des ge­schei­tert sei oder nicht — und die­ses Fest­land konn­te kein an­de­res als Ame­ri­ka sein.

Nichts­de­sto­we­ni­ger konn­te je­ner Aus­flug wäh­rend der fünf fol­gen­den Tage nicht aus­ge­führt wer­den. Das Wet­ter war duns­tig ge­wor­den, und zu­wei­len rie­sel­te ein fei­ner Re­gen her­ab. Zeig­te der Wind kei­ne Nei­gung zum Auf­fri­schen, so muss­ten die den Ho­ri­zont ver­hül­len­den Dunst­mas­sen je­den Aus­blick ver­hin­dern.

Die­se Tage wa­ren des­halb je­doch nicht als ver­lo­ren an­zu­se­hen. Man be­nütz­te sie zu ver­schie­de­nen Ar­bei­ten. Bri­ant be­schäf­tig­te sich mit den klei­nen Kin­dern, wel­che er un­abläs­sig über­wach­te, als wäre es ihm ein na­tür­li­ches Be­dürf­nis, ih­nen eine Art vä­ter­li­cher Lie­be an­ge­dei­hen zu las­sen. Stets hielt er da­bei im Auge, dass die­sel­ben, so gut die Um­stän­de es er­laub­ten, mit al­lem ver­sorgt wur­den. So nö­tig­te er sie, da die Tem­pe­ra­tur zu sin­ken schi­en, wär­me­re Klei­der an­zu­le­gen, wo­bei er ih­nen die­je­ni­gen pas­send zu­recht­mach­te, wel­che sich in den Kis­ten der Ma­tro­sen vor­fan­den. Das war eine Schnei­der­ar­beit, bei der die Sche­re mehr zu tun hat­te als die Na­del, und bei wel­che Moko, der et­was nä­hen konn­te, wie ja ein Schiffs­jun­ge in al­lem be­wan­dert sein muss, sich sehr an­stel­lig er­wies. Man hät­te frei­lich nicht sa­gen kön­nen, dass Co­star, Dole, Jen­kins und Iver­son sich be­son­ders ele­gant aus­nah­men in die­sen für sie zu großen Bein­klei­dern und Woll­ja­cken, von de­nen nur Bei­ne und Är­mel pas­send ge­schnit­ten wa­ren; doch dar­auf kam nicht viel an. Sie muss­ten sich schon da­mit be­hel­fen su­chen und fan­den sich bald in die­se neue Aus­staf­fie­rung hin­ein.

Üb­ri­gens ließ man sie nicht mü­ßig ge­hen. Un­ter Füh­rung Gar­netts oder Bax­ters zo­gen sie öf­ters hin­aus, um Mu­scheln zu sam­meln oder mit Schnü­ren oder Net­zen im Bett des Rios zu fi­schen. Das war für sie ein Ver­gnü­gen und für alle ein Vor­teil. In die­ser Wei­se mit ei­ner Ar­beit be­schäf­tigt, wel­che sie be­lus­tig­te, dach­ten sie gar nicht an ihre Lage, de­ren Ernst über ihr Be­griffs­ver­mö­gen hin­aus­ging. Je­den­falls be­trüb­te sie die Erin­ne­rung an ihre El­tern, eben­so wie die­se den üb­ri­gen schwer auf den Her­zen lag. Der Ge­dan­ke je­doch, dass sie die­se nie­mals wie­der­se­hen wür­den, konn­te ih­nen gar nicht kom­men.

Was Gor­don und Bri­ant an­ging, so ver­lie­ßen die­se kaum je­mals den »Sloug­hi«, des­sen In­stand­hal­tung sie über­nom­men hat­ten. Ser­vice blieb dann manch­mal bei ih­nen und mach­te sich, bei sei­ner gu­ten Lau­ne, im­mer recht nütz­lich. Er lieb­te Bri­ant und schloss sich nie­mals den­je­ni­gen sei­ner Ka­me­ra­den an, wel­che mit Do­ni­phan in ein Horn blie­sen. Auch Bri­ant emp­fand für ihn eine aus­ge­spro­che­ne Zu­nei­gung.

»Seh ei­ner, das macht sich …!« rief Ser­vice gern. »Wahr­haf­tig, un­ser ›Sloug­hi‹ ist sehr zu ge­le­ge­ner Zeit von ei­ner ge­fäl­li­gen Wel­le auf den Strand ge­wor­fen, und nicht ein­mal gar zu sehr be­schä­digt wor­den! — Das ist ein Vor­zug, den we­der Ro­bin­son Cru­soe noch der Schwei­zer Ro­bin­son auf ih­ren er­dich­te­ten In­seln ge­nos­sen ha­ben!«

Und Jac­ques Bri­ant? Nun, wenn Jac­ques zu­wei­len sei­nem Bru­der bei den ver­schie­de­nen Be­schäf­ti­gun­gen an Bord zu Hil­fe kam, so ant­wor­te­te er doch kaum auf die an ihn ge­rich­te­ten Fra­gen und wen­de­te al­le­mal schnell die Au­gen ab, wenn ihm je­mand ins Ge­sicht sah.

Bri­ant emp­fand eine rech­te Be­sorg­nis über die­ses Be­neh­men Jac­ques’. Vier Jah­re äl­ter als je­ner, hat­te er auf ihn stets einen un­be­strit­te­nen Ein­fluss aus­ge­übt. Seit der un­frei­wil­li­gen Ab­fahrt des Scho­ners schi­en es je­doch, wie wir schon er­fah­ren ha­ben, als ob das Kind von Ge­wis­sens­bis­sen ge­quält wür­de. Hat­te er sich wohl ein ernst­li­ches Ver­ge­hen vor­zu­wer­fen — ein Ver­ge­hen, wel­ches er nicht ein­mal sei­nem Bru­der ge­ste­hen moch­te? Ganz si­cher war, dass sei­ne Au­gen durch auf­fal­len­de Röte wie­der­holt ver­rie­ten, dass er ge­weint hat­te.

Bri­ant leg­te sich wohl die Fra­ge vor, ob Jac­ques’ Ge­sund­heit an­ge­grif­fen wäre, denn es hät­te ihm eine schwe­re Sor­ge be­rei­tet, wenn die­ses Kind hier wirk­lich er­krank­te. Er drang des­halb öf­ters in sei­nen Bru­der, ihm mit­zu­tei­len, was ihm feh­le, doch die­ser ant­wor­te­te dar­auf nur:

»Nein, nein, mir fehlt nichts, mir fehlt gar nichts!«

Et­was an­de­res war nicht aus ihm her­aus­zu­brin­gen.

Wäh­rend der Zeit vom 11. bis 15. März be­schäf­tig­ten sich Do­ni­phan, Wil­cox, Webb und Cross mit der Jagd auf die in den Fel­sen nis­ten­den Vö­gel. Sie gin­gen im­mer mit­ein­an­der, sicht­lich be­strebt, eine be­son­de­re Par­tei zu bil­den. Gor­don be­merk­te das nicht ohne Beun­ru­hi­gung. Wenn sich dazu die Ge­le­gen­heit bot, un­ter­ließ er es auch nie, den einen oder den an­de­ren vor­zu­neh­men und ih­nen klarzu­ma­chen, wie not­wen­dig al­len ein ein­mü­ti­ges Zu­sam­men­hal­ten sei. Do­ni­phan aber ant­wor­te­te auf sei­ne Er­mah­nung stets mit sol­cher ab­wei­sen­den Käl­te, dass er es für klug hielt, nicht all­zu sehr auf ihn zu drin­gen. Den­noch ver­zwei­fel­te er nicht, die­se Kei­me der Zwie­tracht, wel­che al­len so ver­derb­lich wer­den konn­ten, recht­zei­tig zu er­sti­cken, und viel­leicht führ­ten auch die Um­stän­de wie­der eine An­nä­he­rung her­bei, wel­che er mit sei­nen Wor­ten nicht er­zwin­gen konn­te.

Wäh­rend die­ser duns­ti­gen Tage, wel­che den ge­plan­ten Aus­flug nach dem Ende der Bai ver­hin­der­ten, lie­fer­te die Jagd recht er­wünsch­te Beu­te. Do­ni­phan, der je­der Art von Sport mit Vor­lie­be hul­dig­te, er­wies sich sehr ge­schickt in der Hand­ha­bung des Ge­weh­res. Sehr stolz — viel­leicht et­was zu stolz — auf die­se Ei­gen­schaft, zeig­te er eine of­fen­ba­re Ver­ach­tung ge­gen alle üb­ri­gen Jagd­ge­rä­te, wie Fal­len, Sch­lin­gen u. dgl., de­nen Wil­cox den Vor­zug gab. Un­ter den Ver­hält­nis­sen, in wel­chen sei­ne Ge­fähr­ten sich be­fan­den, wur­de es üb­ri­gens wahr­schein­lich, dass die­ser Kna­be ih­nen weit grö­ße­re Diens­te leis­te­te als er. Wil­cox schoss wohl auch recht gut, konn­te sich hier dar­in aber mit Do­ni­phan nicht mes­sen. Dem klei­nen Cross fehl­te es noch an dem »hei­li­gen Feu­er«, und er be­gnüg­te sich da­mit, den Hel­den­ta­ten sei­nes Vet­ters zu­zu­ju­beln. Hier müs­sen wir auch den Jagd­hund Phann er­wäh­nen, der sich bei die­sen Jag­den aus­zeich­ne­te und nie­mals zö­ger­te, sich in die Wel­len zu stür­zen, um das über die Klip­pen hin­aus ins Was­ser ge­fal­le­ne Fe­der­vieh zu ho­len.

Wir müs­sen ge­ste­hen, dass sich un­ter den von den jun­gen Jä­gern er­leg­ten Stücken eine An­zahl See­vö­gel be­fan­den, mit de­nen Moko nicht das ge­rings­te an­fan­gen konn­te, wie Seer­aben, Mö­wen, Meer­schwal­ben, Sil­ber­tau­cher und ähn­li­che. Da­ne­ben lie­fer­ten aber auch die Fel­sen­tau­ben, so­wie Gän­se und En­ten, de­ren Fleisch sehr ge­schätzt war, reich­li­che Beu­te. Die Gän­se ge­hör­ten zu den so­ge­nann­ten Rin­gel­gän­sen (Ber­nic­la), und aus der Rich­tung, bei der sie beim Kra­chen der Schüs­se ent­flo­hen, konn­te man an­neh­men, dass sie ge­wöhn­lich im In­nern des Lan­des wohn­ten.

Do­ni­phan er­leg­te auch ei­ni­ge je­ner Aus­tern­fres­ser, wel­che ge­wöhn­lich von Scha­len­tie­ren le­ben, nach wel­chen sie sehr lüs­tern sind, wie von Schüs­sel-, Ve­nus-, Mies­mu­scheln u. dergl. Mit ei­nem Wort, an Aus­wahl fehl­te es ge­ra­de nicht, nur er­for­der­te die­ses Fe­der­wild eine ge­wis­se Zu­be­rei­tung, um sei­nen tra­ni­gen Ge­schmack zu ver­lie­ren, und trotz sei­nes gu­ten Wil­lens er­wies sich Moko die­ser Schwie­rig­keit nicht im­mer so ge­wach­sen, wie es alle ge­wünscht hät­ten. Üb­ri­gens hat­te hier, wie der vor­sorg­li­che Gor­don be­merk­te, nie­mand das Recht, zu viel zu ver­lan­gen und zu er­war­ten, da es ge­ra­ten schi­en, die Vor­rä­te der Yacht, mit Aus­nah­me des in sehr großen Men­gen vor­han­de­nen Schiffs­zwie­backs, mög­lichst zu scho­nen.

Na­tür­lich fühl­ten alle ein großes Ver­lan­gen, die Be­stei­gung des Vor­ge­bir­ges aus­ge­führt zu se­hen, eine Be­stei­gung, wel­che viel­leicht die wich­ti­ge Fra­ge »ob Fest­land oder In­sel« ent­schei­den konn­te. Von die­ser Ent­schei­dung hing ja die Zu­kunft sehr we­sent­lich ab, we­nigs­tens so weit es sich um eine vor­läu­fi­ge oder eine blei­ben­de An­sied­lung auf die­sem Lan­de han­del­te.

Am 15. März schi­en sich die Wit­te­rung güns­ti­ger zu ge­stal­ten, um je­nes Vor­ha­ben durch­zu­füh­ren. Wäh­rend der Nacht hat­te sich der Him­mel von den durch die ru­hi­ge Luft der letz­ten Tage an­ge­sam­mel­ten Düns­ten fast be­freit, und der vom Lan­de kom­men­de Wind feg­te ihn bald völ­lig rein. Glän­zen­de Son­nen­strah­len ver­gol­de­ten den Rand des ho­hen Ufers. Man durf­te hof­fen, dass der Ho­ri­zont im Os­ten, wenn ihn die Nach­mit­tags­son­ne erst schräg be­leuch­te­te, hin­läng­lich klar er­schei­nen wür­de. Er­streck­te sich das Was­ser dann auch längs die­ser Sei­te hin, so bil­de­te die­ses Land eine In­sel, und Hil­fe war nur dann zu er­war­ten, wenn sich ein Schiff in die Nähe der­sel­ben ver­irr­te.

Der Le­ser hat nicht ver­ges­sen, dass der Plan zu die­sem Aus­flug nach dem Nor­den von Bri­ant aus­ge­gan­gen war, und die­ser es auch über­nom­men hat­te, ihn al­lein durch­zu­füh­ren, wenn er eine Beglei­tung Gor­d­ons ge­wiss auch nicht un­gern ge­se­hen hät­te. Es er­schi­en ihm je­doch zu ge­fähr­lich, sei­ne Ka­me­ra­den zu ver­las­sen, ohne dass die­ser bei ih­nen zu­rück­b­lieb.

Am 15. des Abends, als das Baro­me­ter auf schön Wet­ter zeig­te, teil­te Bri­ant Gor­don mit, dass er am nächs­ten Mor­gen mit Ta­ge­s­an­bruch auf­zu­bre­chen ge­den­ke. Eine Ent­fer­nung von zehn bis elf Mei­len — Hin- und Rück­weg ge­rech­net — zu­rück­zu­le­gen, das er­schreck­te den mu­ti­gen Kna­ben nicht, der eine An­stren­gung nicht be­ach­te­te. Ein gan­zer Tag muss­te ihm völ­lig ge­nü­gen, sei­ne Nach­for­schun­gen zu vollen­den, und Gor­don konn­te dar­auf rech­nen, dass er vor Ein­bruch der Nacht zu­rück sein wür­de.

Bri­ant brach also mit dem ers­ten Mor­gen­grau­en auf, ohne dass die an­de­ren et­was da­von wuss­ten. Er führ­te nur einen Stock und einen Re­vol­ver mit sich, für den Fall, dass ihm Raub­tie­re in den Weg ka­men, ob­wohl die Jä­ger wäh­rend ih­rer bis­he­ri­gen Aus­flü­ge nie­mals die Spur ei­nes sol­chen ent­deckt hat­ten.

Die­sen Ver­tei­di­gungs­waf­fen hat­te Bri­ant noch ein In­stru­ment hin­zu­ge­fügt, das ihm sei­ne Auf­ga­be er­leich­tern soll­te, wenn er sich auf dem Gip­fel des Vor­ge­bir­ges be­fand, näm­lich ei­nes der Fern­roh­re vom »Sloug­hi«, das sich ne­ben großer Trag­wei­te durch vor­züg­li­che Klar­heit aus­zeich­ne­te. Gleich­zei­tig trug er in ei­nem am Gür­tel be­fes­tig­ten Sa­cke Schiffs­zwie­back, ein Stück Pö­kel­fleisch, nebst ei­nem Fla­schen­kür­bis voll mit ein we­nig Bran­dy ver­setz­ten Was­sers mit sich, um ein Früh­stück und nö­ti­gen­falls ein Mit­ta­ges­sen ein­neh­men zu kön­nen, wenn ir­gend­ein Zu­fall sei­ne Rück­kehr zum »Sloug­hi« ver­zö­ger­te.

Schnel­len Schrit­tes da­hin­wan­delnd, folg­te Bri­ant an­fäng­lich der Küs­ten­li­nie, wel­che an der in­ne­ren Riff­gren­ze ein lan­ger Strei­fen von der letz­ten Flut her noch feuch­ten Va­recs be­zeich­ne­te. Nach Ver­lauf ei­ner Stun­de ge­lang­te er zu dem äu­ßers­ten, von Do­ni­phan und des­sen Beglei­tern er­reich­ten Punkt, wenn die­se sich zur Jagd auf Fel­sen­tau­ben be­ga­ben. Das Ge­flü­gel hat­te au­gen­blick­lich nichts von ihm zu fürch­ten. Er woll­te sich nicht auf­hal­ten, um so schnell als mög­lich bei dem Kap an­zu­lan­gen. Das Wet­ter war klar und der Him­mel ganz frei von Dunst­mas­sen — das muss­te er be­nut­zen. Häuf­ten sich am Nach­mit­tag nach Os­ten zu wie­der Ne­bel­wol­ken, so war sein gan­zes Un­ter­neh­men ver­fehlt.

Wäh­rend der ers­ten Stun­den hat­te Bri­ant ziem­lich schnell wei­ter schrei­ten und die Hälf­te sei­nes We­ges zu­rück­le­gen kön­nen. Stell­te sich ihm kein Hin­der­nis ent­ge­gen, so konn­te er vor acht Uhr am Vor­ge­bir­ge ein­tref­fen. Je mehr sich das stei­le Ufer aber der Klip­pen­bank nä­her­te, de­sto be­schwer­li­cher wur­de für ihn der Bo­den des Vor­lan­des. Der Sand­strei­fen wur­de umso schma­ler, je mehr die Bran­dung über ihn her­ein­brach. An­stel­le des elas­tisch fes­ten Erd­bo­dens zwi­schen dem Ge­hölz und dem Meer muss­te Bri­ant jetzt über nas­se Fels­blö­cke und schlüpf­ri­ge See-Ei­chen vor­drin­gen, oder ge­le­gent­lich Was­ser­la­chen um­wan­dern, so wie über lo­ses Ge­stein hin­ba­lan­cie­ren, auf dem der Fuß nir­gends fes­ten Stütz­punkt fand. Das mach­te sein Fort­kom­men sehr schwie­rig und — was noch schlim­mer war — ver­ur­sach­te ihm eine Ver­spä­tung von zwei vol­len Stun­den.

»Ich muss das Kap vor Wie­de­r­ein­tritt des Hoch­was­sers er­rei­chen!« sag­te sich Bri­ant. »Die­ser Teil des Lan­des ist bei der letz­ten Flut über­schwemmt ge­we­sen, und das wird bei der nächs­ten bis zum Fuße des ho­hen Ufers wie­der der Fall sein. Bin ich ge­zwun­gen, ent­we­der zu­rück­zu­wei­chen oder mich auf ein Fels­stück zu flüch­ten, so kom­m’ ich zu spät an. Ich muss also um je­den Preis hin­durch, ehe die Flut das Vor­land be­deckt!«

Ohne auf die An­stren­gung zu ach­ten, die ihm fast die Glie­der lähm­te, such­te der mu­ti­ge Kna­be den kür­zes­ten Weg ein­zu­schla­gen. Zu­wei­len muss­te er Stie­fel und St­rümp­fe aus­zie­hen, um bis zum hal­b­en Bein ver­sin­kend durch Was­ser­an­samm­lun­gen zu wa­ten. Be­fand er sich dann wie­der auf den Klip­pen, so setz­te er sich man­chem ge­fähr­li­chen Sturz aus, den er nur durch sei­ne Ge­wandt­heit glück­lich ver­mied.

Wie er sich hier über­zeug­te, tum­mel­te sich ge­ra­de an die­ser Stel­le der Bai das See­ge­flü­gel in größ­ter Men­ge; ja, man konn­te sa­gen, dass es hier von Tau­ben, Aus­tern­fres­sern und En­ten wim­mel­te. Fer­ner spiel­ten hier zwei oder drei Paar Pelz­rob­ben am Ran­de der Klip­pen, wel­che nicht die ge­rings­te Furcht zeig­ten und gar nicht ins Was­ser zu ent­flie­hen such­ten. Daraus war der Schluss zu zie­hen, dass die­se Am­phi­bi­en dem Men­schen nicht miss­trau­ten, weil sie von ihm nichts zu fürch­ten zu ha­ben glaub­ten, und dass min­des­tens seit lan­gen Jah­ren kei­ne Fi­scher hier­her ge­kom­men wa­ren, um auf sie Jagd zu ma­chen.

Pelzrobben

Bei nä­he­rer Über­le­gung er­kann­te Bri­ant aus die­ser An­we­sen­heit von Rob­ben, dass die­se Küs­te in noch hö­he­rer Brei­te lie­gen muss­te, als er vor­her an­ge­nom­men, und je­den­falls süd­li­cher als Neu­see­land. Der Scho­ner muss­te also bei der Fahrt über den Stil­len Ozean nicht un­be­trächt­lich nach Süd­os­ten ab­ge­wi­chen sein.

Die­se Wahr­neh­mung wur­de noch wei­ter be­stä­tigt, als Bri­ant, nach­dem er den Fuß des Vor­ge­bir­ges er­reicht, gan­ze Scha­ren von Platt­fi­schen, wel­che die ant­ark­ti­schen Ge­gen­den be­woh­nen, sich um­her­tum­meln sah. Die­se glit­ten zu Hun­der­ten durch­ein­an­der un­ter un­ge­schick­ter Be­we­gung ih­rer großen Flos­sen, wel­che ih­nen na­tür­lich mehr zum Schwim­men als zum Flie­gen die­nen. Üb­ri­gens ist mit de­ren ran­zi­gem und öli­gem Flei­sche nichts an­zu­fan­gen.

Es war jetzt zehn Uhr mor­gens, ein Be­weis, wie viel Zeit Bri­ant zur Zu­rück­le­gung der letz­ten Mei­len ge­braucht hat­te.

Er­schöpft und aus­ge­hun­gert, hielt er es für das Klügs­te, sich erst et­was zu stär­ken, ehe er die Be­stei­gung des Vor­ge­bir­ges un­ter­nahm, des­sen Kamm sich bis drei­hun­dert Fuß über die Mee­res­flä­che er­hob.

Bri­ant setz­te sich also, ge­schützt ge­gen die an­stei­gen­de Flut, wel­che schon über den Klip­pen­gür­tel hin­weg­schäum­te, auf einen Fel­sen nie­der. Si­cher­lich hät­te er nach ei­ner Stun­de zwi­schen der Bran­dung und am Fuß des stei­len Ufers nicht mehr hin­durch­kom­men kön­nen, ohne von der Flut­wel­le um­spült zu wer­den. Das be­un­ru­hig­te ihn nun nicht wei­ter, und am Nach­mit­tag, wenn das Was­ser sich bei der Ebbe wie­der ins Meer zu­rück­ge­zo­gen hat­te, hoff­te er auch an die­ser Stel­le einen gang­ba­ren Weg zu fin­den.

Ein tüch­ti­ges Stück Fleisch und ei­ni­ge herz­haf­te Schlu­cke aus der Kür­bis­fla­sche, mehr be­durf­te es nicht, um Hun­ger und Durst zu stil­len, wäh­rend der Auf­ent­halt sei­ne Glie­der neu stärk­te. Gleich­zei­tig gab er sich aber auch den ihn be­stür­men­den Ge­dan­ken hin. Al­lein und fer­ne von sei­nen Ka­me­ra­den such­te er sich sei­ne Lage völ­lig klarzu­ma­chen, fest ent­schlos­sen, sich dem Wohl­sein und der Ret­tung al­ler bis zum Ende mit al­len Kräf­ten zu wid­men. Wenn das Auf­tre­ten Do­ni­phans und ei­ni­ger an­de­rer ihm man­che Sor­ge ein­flö­ßte, so war das nur des­halb, weil er eine Tren­nung für höchst ver­derb­lich hielt. Er nahm sich je­doch be­stimmt vor, sich je­der Hand­lung, die ihm sei­ne Ka­me­ra­den zu ge­fähr­den schi­en, un­be­dingt zu wi­der­set­zen. Dann dach­te er an sei­nen Bru­der Jac­ques, des­sen Be­neh­men ihm rech­te Sor­ge mach­te. Es schi­en ihm, als ob das Kind ir­gend­ei­nen, wahr­schein­lich vor der Ab­fahrt be­gan­ge­nen Feh­ler ver­heim­li­che, und er ge­lob­te sich, so­lan­ge in Jac­ques zu drin­gen, bis die­ser sich her­beiließ, ihm zu ant­wor­ten.

Bri­ant dehn­te sei­nen Auf­ent­halt bis auf eine Stun­de aus, um wie­der ganz zu Kräf­ten zu kom­men, dann schnür­te er den Sack wie­der zu, warf ihn auf den Rücken und be­gann die ers­ten Felss­pros­sen em­por­zu­klim­men.

Ganz am Ende der Bai ge­le­gen, zeig­te das in eine ganz schar­fe Spit­ze aus­lau­fen­de Vor­ge­bir­ge eine sehr merk­wür­di­ge geo­lo­gi­sche Bil­dung. Man hät­te es als eine durch Feu­er er­zeug­te Kris­tal­li­sa­ti­on an­se­hen kön­nen, wel­che un­ter dem Ein­fluss plu­to­ni­scher Kräf­te ent­stan­den war.

Die­ser Hü­gel stand üb­ri­gens mit dem stei­len Ufer nicht, wie es aus der Fer­ne den An­schein hat­te, in un­mit­tel­ba­rer Ver­bin­dung. Sei­ner Na­tur nach un­ter­schied er sich ja auch we­sent­lich von je­nem, da er aus Gra­nit­fel­sen auf­ge­baut war, statt der Kalk­schich­ten, wie sol­che den eng­li­schen Kanal in Eu­ro­pa um­rah­men.

Die­ses Ver­hal­ten fiel Bri­ant so­fort ins Auge; er be­merk­te eben­so, dass eine enge Schlucht das Vor­ge­bir­ge von dem Steilufer trenn­te. Auf der an­de­ren Sei­te er­streck­te sich das Vor­land über Seh­wei­te nach Nor­den hin­aus. Da der Hü­gel die ihn um­ge­ben­den Hö­he­punk­te je­doch gut um hun­dert Fuß über­rag­te, muss­te der Blick von des­sen Gip­fel eine ziem­lich um­fas­sen­de Fern­sicht ge­wäh­ren, und dar­auf kam es ihm ja vor­züg­lich an.

Die Er­stei­gung war ziem­lich be­schwer­lich; er muss­te da­bei von ei­nem Fels­stück zum an­de­ren em­porklim­men, und die­se wa­ren nicht sel­ten so groß, dass Bri­ant nur mit größ­ter Mühe ihre obe­ren Kan­ten er­lan­gen konn­te. Da er je­doch zu der­je­ni­gen Klas­se von Kna­ben ge­hör­te, wel­che man mit Recht »Klet­ter­tie­re« nen­nen könn­te, da er von Ju­gend auf eine be­son­de­re Vor­lie­be für sol­che Wag­stücke ge­habt und sich da­durch eine un­ge­wöhn­li­che Kühn­heit, Ge­schmei­dig­keit und Ge­wandt­heit er­wor­ben hat­te, so setz­te er schließ­lich den Fuß auf den Gip­fel, nach­dem er wie­der­holt manch recht ver­derb­li­chen Sturz glück­lich ver­mie­den hat­te.

Das Fern­rohr vor den Au­gen, lug­te Bri­ant nun zu­erst in der Rich­tung nach Os­ten hin­aus.

Die­se Ge­gend er­schi­en, so­weit er se­hen konn­te, völ­lig flach. Das stei­le Ufer bil­de­te ihre größ­te Er­he­bung, und des­sen Ho­chebe­ne senk­te sich ganz all­mäh­lich nach dem In­ne­ren zu hin­ab. Wei­ter hin­aus un­ter­bra­chen noch ei­ni­ge sehr mä­ßi­ge Er­hö­hun­gen die­se Flä­che, ohne das Bild des Lan­des be­son­ders zu ver­än­dern. Nach der­sel­ben Rich­tung hin be­deck­ten es große Wald­mas­sen, wel­che un­ter ih­rem jetzt mehr gelb­li­chen Blät­ter­da­che die Was­ser­läu­fe ber­gen moch­ten, die dem Ufer­lan­de zu­eil­ten. Das Gan­ze er­schi­en also bis zum Ho­ri­zont hin­aus als große Ebe­ne, de­ren Durch­mes­ser etwa zehn Mei­len be­tra­gen konn­te. Es hat­te dem­nach nicht den An­schein, als ob das Meer an die­ser Sei­te das Land be­grenz­te, und um fest­zu­stel­len, ob das­sel­be ei­ner In­sel oder ei­nem Fest­land an­ge­hör­te, be­durf­te es ei­nes wei­ter aus­ge­dehn­ten Aus­flu­ges in der Rich­tung nach Os­ten.

Nach Nor­den hin er­kann­te Bri­ant kein Ende des Vor­lan­des, das sich in je­ner Li­nie wohl sie­ben bis acht Mei­len weit aus­dehn­te. Jen­seits ei­nes wei­ter drau­ßen lie­gen­den, sehr ver­län­ger­ten Vor­ber­ges bil­de­te die­ses viel­mehr eine große san­di­ge Flä­che, wel­che man fast hät­te als eine Wüs­te be­zeich­nen kön­nen.

Nach Sü­den zu und hin­ter dem an­de­ren Vor­ge­bir­ge, das sich dort am Ende der Bai er­hob, ver­lief die Küs­te von Nord­os­ten nach Süd­wes­ten und be­grenz­te da einen aus­ge­dehn­ten Sumpf, der mit dem öden Vor­land im Nor­den auf­fal­lend kon­tras­tier­te.

Bri­ant hat­te das Ob­jek­tiv sei­nes Fern­rohrs auf­merk­sam über alle Tei­le die­ses wei­ten Krei­ses hin­weg­ge­führt. Be­fand er sich auf ei­ner In­sel? War er auf ei­nem Fest­land?

… Er hät­te es nicht sa­gen kön­nen. Wenn es eine In­sel war — so hat­te die­se we­nigs­tens einen ziem­lich be­deu­ten­den Um­fang — mehr konn­te er vor­läu­fig nicht fest­stel­len.

Er wand­te sich jetzt der West­sei­te zu. Das Meer er­glänz­te un­ter den schrä­gen Strah­len der Son­ne, wel­che all­mäh­lich zum Ho­ri­zont hin­ab­sank.

Plötz­lich nahm Bri­ant das Fern­rohr sehr has­tig wie­der vor das Auge und rich­te­te es nach der äu­ßers­ten Li­nie der of­fe­nen See.

»Schif­fe!« rief er für sich. »Vor­über­se­geln­de Schif­fe!«

In der Tat zeig­ten sich drei schwar­ze Punk­te am Ran­de der glit­zern­den Ge­wäs­ser und in ei­ner Ent­fer­nung, wel­che min­des­tens fünf­zehn Mei­len be­tra­gen moch­te.

Wie fühl­te sich Bri­ant selt­sam er­regt! War er das Op­fer ei­ner Au­gen­täu­schung! Sah er dort wirk­lich Fahr­zeu­ge vor sich?

Bri­ant senk­te das Fern­rohr wie­der, rei­nig­te das von sei­nem Atem an­ge­lau­fe­ne Oku­lar und blick­te wie­der hin­aus …

In der Tat schie­nen die drei schwar­zen Punk­te Schif­fe an­zu­ge­hö­ren, von de­nen man nur den Rumpf se­hen konn­te. Von ei­ner Be­mas­tung zeig­te sich frei­lich nichts, und je­den­falls deu­te­te kei­ne Rauch­säu­le dar­auf hin, dass es Damp­fer in Fahrt wä­ren.

So­fort kam Bri­ant der Ge­dan­ke, dass die­se Schif­fe, wenn es sol­che wa­ren, sich in viel zu großer Ent­fer­nung be­fan­den, als dass sie Si­gna­le von ihm hät­ten wahr­neh­men kön­nen. Da er auch an­neh­men muss­te, dass sei­ne Ka­me­ra­den die­se Fahr­zeu­ge nicht be­merkt hät­ten, er­schi­en es ihm als das Bes­te, schnellst­mög­lich nach dem »Sloug­hi« zu­rück­zu­keh­ren, um auf dem Strand ein großes Feu­er an­zu­zün­den und dann … wenn die Son­ne ver­sun­ken war …

Wäh­rend die­ser Ge­dan­ken be­hielt Bri­ant die drei schwar­zen Punk­te un­aus­ge­setzt im Auge. Wie groß war aber sei­ne Ent­täu­schung, als er sich über­zeug­te, dass die­se sich nicht von der Stel­le be­weg­ten.

Von Neu­em rich­te­te er das Fern­rohr auf die­sel­ben und be­hielt sie ei­ni­ge Mi­nu­ten in des­sen Ge­sichts­feld … Da wur­de es ihm bald klar, dass er nur drei klei­ne Ei­lan­de vor sich hat­te, die im Wes­ten vor der Küs­te la­gen und an de­nen der Scho­ner ge­wiss vor­über­ge­kom­men war, als der Sturm ihn hier­her ver­schlug, die aber bei der Dun­kel­heit nicht be­merkt wor­den wa­ren.

Die Ent­täu­schung war eine recht schmerz­li­che.

Jetzt war es um zwei Uhr. Das Meer be­gann wie­der sich zu­rück­zu­zie­hen und ließ den Klip­pen­gür­tel zur Sei­te des stei­len Ufers tro­cken lie­gen. Bri­ant hielt es an der Zeit, nach dem »Sloug­hi« heim­zu­keh­ren, und be­rei­te­te sich vor, nach dem Fuße des Hü­gels hin­ab­zu­stei­gen.

In­des­sen woll­te er noch ein­mal den öst­li­chen Ho­ri­zont be­sich­ti­gen. Vi­el­leicht er­kann­te er bei dem jetzt tiefe­ren Stand der Son­ne noch einen an­de­ren Punkt des Lan­des, der ihm bis­her ent­gan­gen war.

Er schritt also noch­mals zu ei­ner um­fäng­li­chen auf­merk­sa­men Beo­b­ach­tung in die­ser Rich­tung, und wahr­lich, er soll­te die­se Mühe nicht zu be­reu­en ha­ben.

In der Tat un­ter­schied er am äu­ßers­ten Ge­sichts­krei­se und jen­seits der Wäl­der sehr deut­lich eine bläu­li­che Li­nie, die sich auf die Ent­fer­nung von ei­ni­gen Mei­len von Nor­den nach Sü­den hin fort­setz­te, eine Li­nie, de­ren bei­de En­den sich hin­ter der ver­streu­ten Mas­se von Bäu­men ver­bar­gen.

»Was ist das?« frag­te er sich.

Noch ein­mal blick­te er mög­lichst scharf hin­aus.

»Das Meer …! Ja … das ist das Meer!«

Fast wäre das Fern­rohr sei­nen Hän­den ent­fal­len.

Da sich das Meer auch im Os­ten aus­dehn­te, un­ter­lag es kei­nem Zwei­fel mehr, dass es kein Fest­land war, auf dem der »Sloug­hi« schei­ter­te, son­dern eine In­sel, eine in der gren­zen­lo­sen Wei­te des Stil­len Ozeans ver­lo­re­ne In­sel, von der sie un­mög­lich wie­der fort­kom­men konn­ten!

Alle die­se Ge­fah­ren zo­gen wie eine flüch­ti­ge Vi­si­on vor den Ge­dan­ken des jun­gen Kna­ben vor­über. Sein Herz krampf­te sich zu­sam­men, dass er es kaum noch klop­fen fühl­te; doch er ent­riss sich mit Ge­walt die­ser An­wand­lung von Schwä­che, wohl be­grei­fend, dass er sich, so be­un­ru­hi­gend die Zu­kunft auch er­schi­en, nicht nie­der­drücken las­sen durf­te.

Eine Vier­tel­stun­de spä­ter war Bri­ant wie­der nach dem Strand hin­ab­ge­stie­gen und ge­lang­te auf dem­sel­ben Wege, den er am frü­hen Mor­gen ein­ge­schla­gen hat­te, ge­gen fünf Uhr nach dem »Sloug­hi«, wo sei­ne Ka­me­ra­den sei­ne Heim­kehr mit großer Un­ge­duld er­war­te­ten.

Zwei Jahre Ferien

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