Читать книгу Sterne, die begehrt man nicht - Juli van Bohm - Страница 10

Stadtbummel mal anders

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Als Emily die Räume der Redaktion erreichte, fühlte sie sich ungewohnt beschwingt. Rasch ging sie in ihr Büro, um ihre Unterlagen zu holen. Sie wollte in aller Ruhe zu Hause mit der Ausarbeitung des Interviews beginnen. Corinne war offensichtlich noch unterwegs, sodass sie ihr erst später Bericht erstatten konnte. Es war nicht ungewöhnlich, dass Emily ab und zu im Homeoffice arbeitete. Letztendlich war es Corinne egal, Hauptsache, das Ergebnis stimmte.

„Ich bin dann mal weg, Jenny“, rief sie ihrer Kollegin zu, bevor sie eilig zum Parkplatz lief. Nur wenig später stieg Emily in ihren geliebten Käfer ein und drehte das Radio laut. Elvis schmachtete hingebungsvoll „Always on My Mind“ und Emily sang ebenso inbrünstig mit. Immer noch in Hochstimmung parkte sie kurze Zeit später vor ihrem Haus.

Zum Glück waren Jessie und Tobias bei Sophie, sodass sie sich in Ruhe ihrer Arbeit widmen konnte. Sie warf ihre Tasche neben den Schreibtisch und zog den Ordner mit den Informationen über Connor Leary hervor, den Corinne ihr am Tag zuvor gegeben hatte. Zwar hatte sie bereits vor dem Treffen mit ihm viele dieser Berichte gelesen, aber gestern waren es nüchterne Fakten über einen Unbekannten gewesen. Jetzt war alles anders. Ah, da waren die Informationen, nach denen sie gesucht hatte.

Connor Leary war 35 Jahre alt, 1,92 Meter groß, hatte dunkelbraune Haare und braune Augen. Er war geschieden von Hannah Leary, geborene Bellwood, hatte keine Kinder und lebte auf einer Ranch im Umland von Los Angeles. Falls er überhaupt zuhause war, dachte Emily, bevor sie interessiert weiterlas. Seit gut zehn Jahren war Leary erfolgreich im Filmbusiness unterwegs. Für seinen letzten Film ‚Dream Weaver‘ hatte er sogar eine Oscarnominierung erhalten. Das also war sein Leben in Kurzform. Schwarz auf weiß. Aber was sagten diese Informationen über den Menschen Connor Leary aus? Nichts, fand Emily. Sie sagten nichts über seine Gefühle, seine Hoffnungen, seine Wünsche aus. Wieder schweiften ihre Gedanken ab. War das Schauspielerleben wirklich beneidenswert? Wer hatte nicht schon davon geträumt, berühmt zu sein und auf dem roten Teppich umjubelt zu werden? Zum ersten Mal machte sie sich Gedanken darüber, was mit diesem Ruhm alles verbunden war. Ein gestörtes Privatleben, eine Hotelsuite statt eines gemütlichen Zuhauses und hartnäckige Fans, die einen belagerten, wenn man seine Ruhe haben wollte. Sie kuschelte sich in die Ecke ihres Sofas und blätterte weiter durch den Ordner. Irgendwo musste das Foto sein, das ihr so gut gefallen hatte. Ach ja, da war es. Sie zog das Bild heraus und lächelte versonnen. Dann klappte sie den Laptop auf und legte das Foto daneben. Ein bisschen Motivation bei der Arbeit durfte ruhig sein, fand sie. Schließlich sollte der Bericht mit dem Interview einzigartig werden. Sie wollte sich und vor allem Leary nicht enttäuschen.

Zwei Stunden später stapelten sich auf Emilys Arbeitsplatz zahlreiche Interviews, Berichte und Fotos von Leary, die sie ausgedruckt hatte. Genug Material, um damit Bücher zu füllen. Egal – wenn sie etwas fesselte, vergaß Emily ihre Umwelt komplett. Erst das beharrliche Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Gedanken.

„Mist“, murmelte sie ungehalten und griff zum Hörer. Es war Corinne, die darauf brannte, endlich zu erfahren, wie das Interview mit Connor Leary gelaufen war.

„Nun erzähl schon, wie war es?“, drängelte sie erwartungsvoll. Doch Emily zögerte plötzlich. Insgeheim befürchtete sie, Corinne könnte ihre euphorische Stimmung bemerken und ganz eigene Schlüsse daraus ziehen. Jetzt musste Emily auf der Hut sein.

„Och, im Großen und Ganzen lief es erstaunlich gut“, gab sie sich unbefangen. „Er war sehr sympathisch und viel freundlicher als erwartet. Du wirst zufrieden sein, denke ich. Ich wollte gerade mit der Ausarbeitung beginnen.“

Wie erwartet, ließ sich Corinne nicht so schnell abwimmeln.

„Jetzt lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen, Schätzchen. Sag, ist er wirklich so sexy wie im Film oder hat er in Wirklichkeit einen Bauchansatz und fettige Haare? Hat er dir etwas über sein ausschweifendes Liebesleben erzählt? Bei hübschen und sanftmütigen Frauen wie dir werden die Männer doch schwach und fangen an, aus dem Nähkästchen zu plaudern.“ Sie kicherte vergnügt.

Emily spürte einen Anflug von Unmut. Sie beschloss, Corinne vorerst nur das Nötigste mitzuteilen und vor allem über ihre geplante Verabredung mit Leary Stillschweigen zu wahren.

„Es tut mir leid für dich, Corinne, aber du hast in der Tat ein Prachtexemplar von Mann verpasst. Ganz ohne Bauchansatz und fettige Haare, stattdessen mit einem sexy Sixpack und verführerisch nach Shampoo duftend.“ Sie musste unwillkürlich lächeln, als sie an Connors Erscheinungsbild dachte. „Jetzt sei mir nicht böse, aber ich bin gerade in meine Arbeit vertieft und würde gerne weitermachen.“

„Ach was, du musst doch mehr oder weniger nur das Band abtippen und ein bisschen drum herum schreiben. So stressig ist das doch nicht, schließlich willst du nicht den Pulitzerpreis gewinnen. Ich möchte wissen, wie er war und was er erzählt hat.“

Emily seufzte genervt. „Ganz ehrlich, Corinne. Momentan passt es mir gar nicht. Die Unterbrechung bringt mich total aus dem Konzept. Ich erzähle dir morgen alles haarklein. Versprochen.“

Corinne versuchte erst gar nicht, ihren Unmut zu verbergen.

„Na hör mal, Emily. Ich schustere dir den interessantesten Auftrag deiner bisherigen Karriere zu und du mauerst. Gibt es einen Grund für diese plötzliche Schweigsamkeit?“

„Ach was“, Emily bemühte sich, überzeugend zu klingen. „Wie kommst du denn darauf?“

„Nun“, Corinne machte eine vielsagende Pause, „vielleicht, weil er vorhin in der Redaktion angerufen hat, um dich zu sprechen.“

„Mich?“, Emilys Herz überschlug sich. „Vermutlich wollte er mir noch einige Infos nachreichen, die ihm wichtig sind.“ Sie merkte, dass ihre Worte wenig überzeugend klangen. „Hat er etwas ausrichten lassen?“

„Sollte er?“, Corinnes Stimme klang spitz.

„Wohl eher nicht“, mutmaßte Emily verlegen.

„Dann ist ja alles gut“, erwiderte Corinne, ohne weiter auf Learys Anruf einzugehen. „Falls du wieder in Plauderstimmung sein solltest, weißt du ja, wo du mich erreichen kannst. Ansonsten sehe ich dich am Montag in der Redaktion – mit dem fertigen Interview, wenn ich bitten darf.“

„Klar, du kannst dich drauf verlassen.“

Verwirrt legte Emily den Hörer auf. Hoffentlich war Corinne jetzt nicht allzu sauer. Sie hatte recht, es gab nicht den geringsten Grund, sie über den Verlauf des Interviews im Unklaren zu lassen. Emily ärgerte sich über ihre eigene Dummheit. Jetzt würde Corinne erst recht neugierig sein, das war klar. Ihre Gedanken wanderten zu Leary. Warum er wohl in der Redaktion angerufen hatte? Ob er den vereinbarten Termin doch nicht einhalten konnte? Ein Anflug von Enttäuschung machte sich bei dieser Vorstellung breit, verbunden mit der Sorge, dass er ihrer Chefin von der Verabredung am Sonntag erzählt haben könnte. Emily war sich plötzlich gar nicht mehr sicher, dass Corinne Emilys Eigenmächtigkeit befürworten würde.

Gedankenverloren setzte sie sich wieder an ihren Laptop, als das Telefon ein weiteres Mal schellte.

„Verflucht noch mal“, Emily stöhnte gereizt auf. Konnte man denn keinen Augenblick Ruhe haben? Bestimmt war es wieder Corinne, die einen zweiten Versuch starten wollte, sie auszufragen.“ Sie knurrte ein unfreundliches „Simon“ in den Apparat.

„Ich scheine zu stören!“

Emily durchfuhr es siedend heiß. Leary war am Telefon. Seine Stimme hätte sie bereits jetzt unter Tausenden erkannt.

„Oh, Mr. Leary, Verzeihung, ich wollte nicht unhöflich sein.“ Sie brach ab, ihr fehlten wieder einmal die Worte.

„Ich muss mich entschuldigen“, er klang zerknirscht. „Frau Vallée war so freundlich, mir Ihre Nummer zu geben. Ich hoffte, Sie hätten womöglich Lust und Zeit, mir heute Nachmittag Ihre Stadt zu zeigen. Oder müssen Sie dringend an einem wichtigen Interview arbeiten?“ Er lachte leise.

„Das muss ich tatsächlich“, murmelte Emily verhalten.

„Schade“, es klang bedauernd. „Sie haben mich vorhin auf den Geschmack gebracht, mir die Stadt anzuschauen. Alleine habe ich allerdings keine Lust dazu und Leo ist keine erstrebenswerte Alternative. Die Besprechung mit ihm habe ich auf das Nötigste beschränkt, weshalb ich jetzt den Rest des Tages frei habe. Können Sie sich nicht losreißen und mich begleiten? Sehen Sie es als praktischen Input für Ihre Arbeit an.“

Emily zögerte nur einen kurzen Moment, ehe sie zustimmend nickte. Erst dann fiel ihr ein, dass er sie nicht sehen konnte und noch immer auf ihre Antwort wartete.

„Einverstanden“, beeilte sie sich zu erklären. „Ihr letztes Argument ist unschlagbar. Wo wollen wir uns denn treffen?“

Erneut erklang sein fast schon vertrautes Lachen. „Sie wissen ja, dass ich mich in Düsseldorf überhaupt nicht auskenne? Wie gesagt, außer meinem Hotel habe ich noch nichts hier gesehen. Sie müssen also den Ort bestimmen, und ich rufe mir dann ein Taxi, das mich dort hinbringt.“

„Dann ist es einfacher, ich hole ich Sie ab. Wann passt es Ihnen denn?“

„Wenn Sie mich so fragen, je eher, desto besser. Mir fällt gerade ziemlich die Decke auf den Kopf.“

Emily überlegte kurz. „Wahrscheinlich brauche ich eine halbe Stunde, vielleicht etwas länger – je nach Verkehrslage. Ist das in Ordnung?“

„Selbstverständlich.“ Er klang erfreut. „Ich warte gerne auf Sie. See you soon.“

Nachdem er das Gespräch beendet hatte, schaute Emily nachdenklich auf ihr Telefon, das sie noch immer in ihrer Hand hielt. Was hatte dieser Anruf zu bedeuten?

Zügig lenkte sie zum zweiten Mal an diesem Tag ihren Käfer zum LeGrand. Sie hatte das Verdeck ihres Cabrios heruntergeklappt und genoss die ersten warmen Sonnenstrahlen dieses Frühsommers. Was für ein verrückter Tag war das heute. Sie reckte sich ein wenig und stellte fest, dass sie sich freute. Ein Gefühl, das sie in letzter Zeit nicht allzu häufig verspürt hatte. Meistens bestimmten Stress und Hektik ihr Leben.

Ein Grund mehr, diesen Nachmittag in vollen Zügen zu genießen. Frohgelaunt stieg sie aus und betrat zum zweiten Mal an diesem Tag die prunkvolle Hotelhalle. Suchend irrte ihr Blick umher. Hier konnte sie Connor Leary nirgendwo entdecken. Offensichtlich wartete er oben auf sie. Erneut wandte sie sich an den freundlichen Portier, der ihr bereits am Morgen weitergeholfen hatte. Er lächelte, als er sie erkannte und wies zum Lift. „Fahren Sie nur hinauf, Frau Simon. Herr Leary erwartet Sie bereits.“

„Vielen Dank“, Emily nickte ihm erleichtert zu und betrat den Fahrstuhl. Sie spürte, wie eine innere Unruhe sie befiel, während ihr Blick sich an den leuchtend roten Zahlen festhielt, die ihr anzeigten, in welcher Etage sie sich befand. Endlich hatte sie das oberste Stockwerk erreicht und konnte aussteigen. Sie atmete tief durch und betrat den leeren Korridor, der totenstill vor ihr lag. Langsam näherte sie sich der Suite des Schauspielers und verharrte unentschlossen vor der Tür. Doch scheinbar hatte er sie bereits bemerkt, denn Leary öffnete ihr, noch ehe sie sich dazu hatte durchringen können, anzuklopfen. Er schenkte ihr ein warmes Lächeln, das ihr schlagartig alle Ängste nahm.

„Schön, dass Sie gekommen sind, Emily. Ich hoffe, Sie bereuen Ihren Entschluss noch nicht?“

„Nein, wenn ich ehrlich bin, freue ich mich sogar sehr.“ Emily spürte, dass ihr erneut eine verräterische Röte ins Gesicht kroch.

„Perfekt“, sein Lächeln wurde noch breiter. „Dann haben wir etwas gemeinsam. Warten Sie bitte einen Moment, ich hole eben meine Jacke, dann können wir uns auf den Weg machen.“

Er eilte in den angrenzenden Raum, aus dem sie ihn leise fluchen hörte.

„Sorry“, rief er ihr zu. „Aber ich kann meine Sonnenbrille einfach nicht finden.“

„Kein Problem, lassen Sie sich Zeit.“ Emily ließ ihren Blick unterdessen durch sein Zimmer schweifen. Immerhin war inzwischen der Hauch einer persönlichen Note zu erkennen. Auf dem Couchtisch lagen eine aufgeblätterte Zeitschrift und ein Stift, ein benutztes Glas samt Wasserflasche stand auf der Anrichte, und das T-Shirt, das er morgens gegen den schwarzen Pulli getauscht hatte, lag noch immer auf dem Sofa. Minimale Anzeichen dafür, dass hier jemand wohnte. Ein leises Geräusch ließ sie aufschrecken. Connor lehnte im Türrahmen und schaute zu ihr hinüber. Merkwürdigerweise fühlte sie sich von ihm ertappt und schämte sich für ihre Neugierde. Er grinste.

„Ich wäre soweit. Wir können gehen.“

„Haben Sie Ihre Brille gefunden?“, Emily bemühte sich, ihrer Stimme einen unverfänglichen Klang zu geben.

„Hab ich. Hier ist das gute Stück.“ Er holte die Sonnenbrille hervor und setzte sie auf.

„Übrigens“, Emily konnte sich diese Bemerkung nicht verkneifen. „Auch wenn das Wetter gut ist, so sonnig ist es hier gerade nicht.“

Er nickte. „Das mag schon sein, aber es ist der Versuch einer Tarnung. Damit wir unbehelligt unseren gemeinsamen Nachmittag verbringen können.“

„Wenn Sie meinen, dass es hilft“, Emily zuckte mit den Schultern.

„Das will ich doch hoffen“, Connor steckte die Sonnenbrille wieder ein und bot ihr galant seinen Arm an. „Darf ich bitten?“, lachte er und führte sie zu den Aufzügen. Doch bereits als sich die Türen des Fahrstuhls im Erdgeschoss öffneten, erkannte Emily, dass seine Befürchtungen nicht unbegründet gewesen waren. Sie erspähten einige beharrliche Fans, die von seinem Aufenthalt erfahren haben mussten und nun auf eine Begegnung mit ihrem Idol hofften.

„Mm“, unauffällig zog er Emily in eine andere Richtung und entfernte sich mit ihr vom Eingang.

„Wir versuchen etwas anderes.“ Connor winkte den Portier zu sich. „Gibt es eine Möglichkeit, das Hotel unbemerkt zu verlassen?“

„Selbstverständlich, Herr Leary. Wenn Sie mir bitte folgen würden. Wir sind auf solche Situationen bestens vorbereitet.“

Hilfsbereit führte der Portier Connor und Emily durch eine Vielzahl von Fluren zu einem kleinen Nebeneingang, den er lächelnd aufschloss, bevor er ihm den Schlüssel reichte.

„Für den Rückweg, falls nötig.“

„Perfekt“, Connor ließ den Schlüssel in die Tasche seiner Jeans gleiten und gab dem Portier ein üppiges Trinkgeld. Von hier war es leicht, sich unbemerkt zu verdrücken, sodass sie bereits nach wenigen Minuten ohne Zwischenfälle Emilys Käfer erreicht hatten.

„Au Backe“, Connor bemühte sich, seine langen Beine in dem Cabrio unterzubringen. Ein schwieriges Unterfangen, das Emily dazu brachte, laut aufzulachen. Leicht verstimmt sah er zu ihr hinüber.

„Sie wissen schon, dass dieses Auto für jeden normal gewachsenen Menschen eine Zumutung ist?“

„Finden Sie? Ich habe bislang keine Probleme damit gehabt. Sie sind der erste Beifahrer, der sich beschwert.“

„Ich bemühe mich, Ihnen zu glauben, obwohl es mir zugegebenermaßen schwerfällt. Wohin fahren wir zuerst?“

Endlich saß er halbwegs bequem und schloss die Autotür. Emily überlegte nur kurz.

„Was halten Sie von einem Bummel über die Königsallee mit anschließendem Abstecher in die Altstadt und zum Rheinufer? Dann können Sie ein bisschen shoppen, falls Sie Lust dazu haben. Auf der Königsallee gibt es viele exklusive Geschäfte.“

Er nickte zustimmend. „Das klingt gut. Here weg go!“

Zügig kurvte Emily durch den Verkehr, sodass sie bereits eine Viertelstunde später das Parkhaus verließen und in Richtung Kö schlenderten.

„Ich freue mich, dass Sie sich entschlossen haben, mir Ihre Stadt zu zeigen. Ich freue mich wirklich.“ Connor streckte sich wohlig. Er wirkte erleichtert, dem engen Auto entstiegen zu sein.

„Warum gerade ich?“, fragend blickte Emily ihn an. „Sie hätten sicher kein Problem gehabt, jemand anderen zu finden, oder?“

„Mag sein, aber ich wollte Sie als Begleitung“, Connor brachte mit seinem Lächeln einen ganzen Schmetterlingsschwarm in ihrem Bauch in Aufruhr. Eine Reaktion, die sie zutiefst verwirrte. Schließlich kannte sie diesen Mann kaum und war sich darüber im Klaren, dass ihr Treffen für ihn kaum mehr als ein belangloses Intermezzo sein musste. Er zwinkerte ihr belustigt zu. „Mal abgesehen davon, dass Sie sich hier bestens auskennen, hatte ich den Eindruck, ein bisschen Spaß und Abwechslung könnten auch Ihnen guttun.“

Emily schnappte überrascht nach Luft.

„Wie kommen Sie auf diese Idee? Sie kennen mich doch gar nicht. Mir geht es blendend.“

Connor, dem ihre widerborstige Haltung nicht entgangen war, lenkte ein.

„Ach, egal, es war nur ein vages Gefühl. Sollte ich mit dieser Vermutung falschliegen, entschuldigen Sie bitte. Mögen Sie ein Eis?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, steuerte er bereits auf einen freien Tisch im nächsten Straßencafé zu. Dankbar ließ Emily sich auf einen Stuhl unter einem riesigen Sonnenschirm fallen. Die unruhige letzte Nacht machte sich bemerkbar. Sie war froh, sich ein wenig ausruhen zu können. Leary nahm neben ihr Platz und reichte ihr die Karte.

„Nun, was halten Sie von einem großen Eis mit Früchten und Sahne?“

„Wenn ich ehrlich bin, hätte ich lieber einen starken Kaffee.“

Emily hatte den Eindruck, nur eine kräftige Dosis Koffein könne die Müdigkeit, die sie plötzlich befallen hatte, vertreiben.

Aufmerksam schaute Connor sie an. „Sie sehen erschöpft aus. Ist bei Ihnen alles in Ordnung?“

„Sicher, ich bin nur ein bisschen müde. Kein Problem. Nach dem Kaffee ist alles wieder bestens.“

„Wenn Sie meinen.“ Connor schien nicht wirklich überzeugt von ihrer Antwort zu sein, beließ es aber dabei. Er winkte die Kellnerin herbei, um die Bestellung aufzugeben. Genüsslich lehnte er sich dann zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss für einen kurzen Moment die Augen.

„Besonders fit sehen Sie, ehrlich gesagt, auch nicht aus“, Emily konnte sich diese Bemerkung nicht verkneifen.

Er lachte kurz auf. „Stimmt. Und genau deshalb bin ich jetzt hier und nicht mit meinem Manager im Hotel, um weitere Einzelheiten für die Unterhaltungsshow morgen durchzugehen. Für ihn ist es völlig unverständlich, dass ich eine private Verabredung dieser Besprechung vorziehe. Aber ich brauche ein bisschen Erholung. Zumindest diesen einen Nachmittag. Die Zeitverschiebung macht mir zu schaffen, ich gebe es unumwunden zu. Stellen Sie sich vor, ich sitze morgen vor den Fernsehkameras und nicke ein. Das wäre wohl kaum die positive Publicity, von der Holmes immer spricht.“ Er grinste schief.

„Wäre es in diesem Fall nicht besser gewesen, ein bisschen zu schlafen?“ Emily runzelte besorgt die Stirn. Sie wollte auf keinen Fall der Grund dafür sein, dass Connor wichtige Termine versäumte.

Doch er wehrte entschieden ab. „Man verschläft so viele Stunden seines Lebens. Nein. Ich bin nur einmal hier, also möchte ich diese Stadt auch erleben. In Ihrer Begleitung.“

Connor wirkte zufrieden, als er sich ihr zuwandte, wobei er eine widerspenstige Haarsträhne zurückstrich. Erneut war Emily fasziniert von seiner Ausstrahlung. Trotz aller Gegenwehr fing ihr Herz heftig an zu klopfen. Sie war nahezu erleichtert, als die gestresste Kellnerin den Kaffee servierte und umgehend ihre Geldbörse zückte, um abzukassieren. Emily griff nach ihrer Handtasche, in der sich ihr Portemonnaie befand, doch Connor nahm ihre Hand.

„Sie sind selbstverständlich von mir eingeladen. Oder wollen Sie mich beleidigen?“ Er zog einen Geldschein aus seiner Hosentasche, den er der Kellnerin überreichte.

Stumm ließ Emily die Szene auf sich wirken, während eine merkwürdige Melancholie sie befiel. „Ich bin nur einmal hier …!“, hallten seine Worte in ihr nach und riefen in Erinnerung, was sie zu verdrängen versucht hatte. Ihr Treffen war ein einmaliges Ereignis. Mehr nicht. Wie dumm von ihr, auch nur einen Moment zu hoffen, aus ihrer Begegnung könnte Freundschaft werden. Vielleicht wäre es das Beste, nach Hause zu fahren und Connor Leary schnell aus ihrem Gedächtnis zu streichen. Sie spürte, dass dieser Mann ihrem Gefühlsleben gefährlich werden könnte. Sie sollte schnellstmöglich die Reißleine ziehen, anstatt sich unrealistischen Schwärmereien hinzugeben. Aber sie hatte ihm einen Altstadtbummel versprochen, und es würde unglaubhaft wirken, wenn sie jetzt dringende Termine vorschöbe. Ganz abgesehen davon, dass sie jede Sekunde seiner Gesellschaft genoss. Während Emily ihren Gedanken nachhing, nippte Connor zufrieden an seinem Kaffee.

„Es ist fast wie Urlaub, nicht wahr?“ Er lächelte sie entspannt an. „Was ist los? Warum sind Sie so schweigsam? Schalten Sie einfach mal ab und genießen den Moment. Sie denken doch hoffentlich nicht an Ihre Arbeit?“

„Nein, nein“, abwehrend hob Emily die Hände.

„Was ist es dann?“, hakte er nach, „ich sehe doch, dass Ihre gute Laune sich verflüchtigt hat.“

„Das täuscht“, Emily schüttelte heftig den Kopf. Schließlich konnte sie ihm ihre abstrusen Überlegungen nicht mitteilen. Stattdessen versuchte sie ein ungezwungenes Lächeln. „Wollen wir weitergehen?“

„Na schön. Wie es scheint, sind Sie zu weiteren Schandtaten bereit. Also, was machen wir jetzt?“, er nahm ihre Hand und zog sie hoch. Emily zuckte zusammen, denn seine Berührung elektrisierte sie förmlich. Hoffentlich merkte Connor nichts von ihrer Verwirrung.

„Vielleicht wollen Sie noch etwas einkaufen?“, schlug sie rasch vor. „Hier gibt es sämtliche Luxuslabel, die man sich vorstellen kann. Nirgendwo in Düsseldorf können Sie so edel und teuer einkaufen wie auf der Königsallee.“

Nachdenklich rieb er sein Kinn. „Edel klingt zwar gut, aber flippig wäre mir lieber. Kann man hier irgendwo kreativ einkaufen?“

„Hm“, Emily musste überlegen. „In der Nähe des Carlsplatzes gibt es einen kleinen Laden, der allerhand verrücktes Zeug anbietet. Ich habe dort zwar noch nichts gekauft, aber Corinne, also meine Chefin, ist dort Stammkundin. Zuletzt hat sie den winzigen Teil einer Sternschnuppe erstanden. Sandkorngroß, dafür aber mit aufwendigem Zertifikat und dementsprechendem Preis. Schwebt Ihnen so etwas vor?“

Amüsiert betrachtete Connor Emily. „Genau, so etwas schwebt mir vor. Lassen sie uns diesen außergewöhnlichen Laden aufsuchen und nach den Sternen greifen.“

„Schön“, Emily setzte sich in Bewegung, passierte den Kö-Graben und eilte weiter in Richtung Carlsplatz. Sie bemerkte kaum, dass ihre Schritte immer ausladender wurden.

„Hey, wollen Sie einen Geschwindigkeitsrekord aufstellen?“, Connor fasste nach ihrem Arm und hielt sie zurück. „Ich dachte, wir machen einen gemütlichen Bummel.“

Kratzbürstig schüttelte sie ihn ab und entgegnete unwirscher als beabsichtigt. „Dann muss ich mich wohl bemühen, mich Ihrem Schneckentempo anzupassen.“

Sichtlich irritiert über ihre ungehaltenen Worte blieb Connor stehen.

„Was ist los? Sind Sie sauer auf mich?“

Er wirkte so entgeistert, dass sie unfreiwillig lächeln musste.

„Unsinn, ich wollte nur schnell zu dem Laden gelangen, das ist alles.“

Das fordernde Klingeln seines iPhones rettete sie aus dieser Situation.

„Sorry“, entschuldigte er sich mit einem Blick auf die Nummer des Anrufers. „Ich will nicht unhöflich erscheinen, aber ich muss dieses Gespräch kurz annehmen.“

Emily wandte sich ab und begutachtete die Schaufensterauslagen der Boutique, vor der sie stehengeblieben waren, während er telefonierte. Sie wollte keineswegs neugierig erscheinen. Ohnehin hatte sie Mühe, etwas von dem Telefonat zu verstehen, denn Connor sprach schnell in undeutlichem Englisch. Seinem Gesichtsausdruck zufolge handelte es sich wohl nicht um eine erfreuliche Unterhaltung. Vielmehr zog er die Stirn in Falten und beendete das Gespräch schließlich abrupt.

„Ärger?“, Emily sah ihn fragend an.

„Nicht der Rede wert“, entgegnete er. „Das übliche nervige Business. Lassen Sie uns weitergehen.“

Emily lächelte zweifelnd. „Das klang aber gar nicht so. Möchten Sie darüber sprechen?“

Er sah sie derart skeptisch an, dass Emily sich augenblicklich missverstanden fühlte.

„Entschuldigung, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten“, verteidigte sie sich.

„Ach?“, Connor wirkte plötzlich belustigt. Dann zog er sie spontan dicht zu sich heran. Wieder bemerkte sie die goldenen Pünktchen in seinen Augen, spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht und nahm seinen herben, männlichen Geruch wahr. Einen kurzen Moment lang glaubte Emily, er würde sie jetzt küssen. Stattdessen ließ er sie unvermittelt los und zuckte bedauernd mit den Schultern.

„Eigentlich schade“, murmelte er scheinbar enttäuscht.

Emily war verdutzt. „Was ist schade?“

„Dass Sie mir nicht zu nahetreten wollen.“ Er strich ihr behutsam eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„So war das nicht gemeint“, Emily glühte dort, wo sie zuvor seine Finger sanft berührt hatten.

„Wie war es denn gemeint?“, Connor schien sichtlich Spaß an ihrer Verlegenheit zu haben. Störrisch versuchte Emily, sich zu rechtfertigen. „Ich wollte nicht aufdringlich erscheinen. Ihre Probleme gehen mich schließlich nichts an.“ Sie geriet immer mehr in Bedrängnis. Jetzt blickte er sie nachdenklich an, wobei sie den Eindruck hatte, dass das Lächeln aus seinen Augen gewichen war.

„Wer sagt, dass ich Probleme habe? Aber Sie scheinen zu vergessen, dass ich bei einer Journalistin achtgeben muss, was ich von mir preisgebe. Ich möchte schließlich nicht, dass der Inhalt meines Telefonats morgen detailliert in der Zeitung zu lesen ist.“

„Das ist absurd!“, sie funkelte ihn wütend an. Glaubte er wirklich, sie würde mit jeder Kleinigkeit, die sie über ihn erfuhr, in die Öffentlichkeit treten? „Warum wollten Sie den Nachmittag mit mir verbringen, wenn Sie so über mich denken?“

Connor hielt ihrem Blick stand, lenkte dann aber ein. „Sie haben recht. Ich entschuldige mich für mein unbegründetes Misstrauen. Lassen Sie uns dieses Telefonat schnell vergessen. Es war rein geschäftlich und wirklich nicht wichtig. Genießen wir lieber den schönen Nachmittag.“

Nun gut, wenn er nicht darüber reden wollte, dann eben nicht. Emily musste allerdings zugeben, dass seine Verschlossenheit sie kränkte.

„Dort drüben ist das Geschäft, von dem ich sprach.“ Sie bemühte sich um einen unverkrampften Ton. Wollen wir hineingehen?“

„Gerne“, Connor nickte zustimmend. Beim Betreten des kleinen Ladens pfiff er erfreut durch die Zähne. Emily hatte nicht übertrieben, hier gab es wirklich ausgefallen schöne Dinge.

„Sie möchten sich umsehen?“

Der Besitzer des Ladens hatte sich an Connor gewandt. Emily schien er kaum zu bemerken.

„Wenn wir dürfen“, Connor schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.

„Selbstverständlich.“ Der Händler machte eine ausladende Bewegung. „Ich bin sicher, Sie werden begeistert sein. Wenn Sie Fragen haben, helfe ich Ihnen gerne weiter.“

Der kleine Laden war wirklich einzigartig und faszinierte nicht nur mit seiner Atmosphäre, sondern auch mit einem bemerkenswerten Sammelsurium an Kuriositäten. Neben ungewöhnlichem Mobiliar, das märchenhafte und futuristische Stilrichtungen miteinander zu vermischen schien, fanden sich überall verrückte Utensilien, die förmlich zur näheren Betrachtung einluden.

„Schauen Sie sich diese fabelhafte Tischdekoration an“, hauchte Emily entzückt. „Eine flippige Mischung aus Kitsch und Kunst. Fantastisch!“

Eine Girlande aus zahlreichen bunten Glaslampen, die Früchten nachempfunden waren, schimmerte in einem bezaubernden Licht und verzierte einen alten Eichentisch, der direkt neben der Eingangstür des Ladens stand.

„Wirklich ungewöhnlich“, Connor nickte zustimmend, während er seinen Blick forschend durch den Laden schweifen ließ. „Aber wenn ich ehrlich bin, reizt mich diese Lampe besonders.“ Er deutete auf eine silberne Blume, die Emily auf den ersten Blick gar nicht als Lampe erkannt hatte. „Können Sie uns dieses Objekt einmal zeigen?“, wandte sich Connor an den Verkäufer.

„Nicht wahr, dieses Design ist überwältigend“, huldvoll lächelnd eilte er herbei und nahm die Leuchte so vorsichtig in seine Hände, als halte er ein rohes Ei. Sie war wie eine Tulpe gestaltet, die ihren Blütenkelch geschlossen hatte. „Passen Sie auf.“ Er betätigte den Schalter, woraufhin sich die Tulpe zu strecken und zu dehnen begann. Schließlich öffnete sie langsam ihren silbernen Kelch, um ein strahlendes Licht zu spenden.

„It’s amazing!“, Connor freute sich wie ein Kind, wobei seine Augen begeistert glänzten.

„Wir haben nur dieses eine Exemplar“, versuchte der Händler, ihn geschickt zu ködern. Doch das war gar nicht mehr nötig. Connor hatte längst Feuer gefangen.

„Wäre es ein Problem für Sie, die Lampe nach Los Angeles zu liefern?“

„Selbstverständlich nicht!“, fast schien der Verkäufer beleidigt zu sein, als er zu Papier und Stift griff, um die Adresse zu notieren, die Connor ihm nannte.

Unterdessen bewunderte Emily abermals die zauberhafte, pastellfarbene Tischdekoration. Wahrscheinlich würde sie ein Vermögen kosten. Sie hatte nicht den Mut, danach zu fragen. Hier standen nirgendwo Preise an den Ausstellungsstücken. Die Menschen, die in diesem Lädchen kauften, hatten offensichtlich keine Geldprobleme. Connor verhandelte immer noch mit dem Verkäufer und blätterte in seinem Adressbuch. Verstohlen strich sie mit ihren Fingerspitzen über das filigrane, farbige Glas. Herrje, wie lange dauerte das noch. Er würde doch wohl seine Anschrift kennen. Ungeduldig trat sie von einem Bein auf das andere und war erleichtert, als Connor sich endlich zu ihr gesellte. Fragend blickte er sie an. „Haben Sie auch etwas gefunden, das Sie kaufen möchten? Oder darf ich Ihnen vielleicht einen Wunsch erfüllen?“

Emily schüttelte entschieden den Kopf und trennte sich wehmütig von der unerschwinglichen Lichterdekoration. „Nein, meinetwegen können wir gehen.“

„Na dann“, er hakte sich bei ihr ein, als seien sie alte Freunde. „Und was machen wir jetzt?“

„Ihr Tatendrang scheint ja unvermindert stark zu sein“, sie warf einen Blick auf die Uhr.

„Eigentlich dachte ich daran, nach Hause zu fahren. Ich muss schließlich noch arbeiten, wie Sie wissen.“

„Ach nein“, er machte ein enttäuschtes Gesicht. „Es ist doch erst sechs Uhr. Der Abend hat noch gar nicht richtig angefangen. Lassen Sie uns den versprochenen Bummel zur Rheinpromenade machen und anschließend eine Kleinigkeit essen. Was halten Sie davon?“

Emily gab sich geschlagen. „Also schön, einverstanden.“ Sie überlegte kurz. „Sagen Sie, haben Sie schon ein richtiges Düsseldorfer Alt getrunken?“

Connor schüttelte den Kopf.

„Dann gehen wir zum Uerige.“

„Zum Uerige?“, sein fragender Blick sprach Bände. „Was ist denn das?“

„Ein typisches Düsseldorfer Brauhaus. Lassen Sie sich überraschen. Es wird Ihnen ganz bestimmt gefallen. Und danach gibt es noch einen Killepitsch im „Et Kabüffke“. Der darf bei keinem Altstadtbummel fehlen.“

„Uerige, Killepitsch, Kabüffke“, Connor lachte, „ich dachte, ich würde die deutsche Sprache ganz gut beherrschen, aber das habe ich noch nie gehört.“

„Es ist nie zu spät, die wichtigen Dinge des Lebens kennenzulernen“, grinste Emily.

Zehn Minuten später standen sie an den Stehtischen vor einem Brauhaus in der Nähe des Rheinufers und tranken ein kühles Altbier. Um sie herum drängelten sich viele Leute, die das schöne Wetter genossen und angeregt miteinander plauderten.

„Hm, das schmeckt ungewöhnlich, aber sehr lecker.“ Connor, der mittlerweile seine Sonnenbrille aufgesetzt hatte, leckte sich den Schaum von den Lippen. „Schade, dass es bei uns so etwas nicht gibt. Ich könnte mich daran gewöhnen.“

„Das glaube ich gerne!“, Emily lachte. „Mögen Sie noch eins? Auf einem Bein kann man bekanntlich nicht stehen.“

Connor griff beherzt nach einem zweiten Glas, das ihm der Köbes schwungvoll auf den Bierdeckel gestellt hatte.

„Anschließend sollte ich aber lieber eine Kleinigkeit essen. Das Frühstück habe ich ausfallen lassen, heute Mittag hatte ich nur einen Snack und allmählich meldet sich mein Magen.“

„Erst der Killepitsch“, warf Emily ein und zog ihn sanft in die Flinger Straße zu einem Klappfenster, hinter dem sich eine urige, kleine Kneipe offenbarte, deren Spirituosensortiment Connor einen anerkennenden Pfiff entlockte.

„Zwei Killepitsch“, bestellte sie und erhielt zwei Gläschen, die mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt waren. Connor beäugte sie skeptisch.

„Kein Altstadtbesuch ohne Killepitsch, dat es en äschte Düsseldorfer Spezijalität“, Emily konnte sich das Lachen kaum verkneifen, während Connor irritiert die Augenbrauen hochzog und am bittersüßen Kräuterlikör nippte.

„Schmeckt interessant“, gab er zu, bevor er einen größeren Schluck nahm. „Düsseldorf hat offenbar einiges zu bieten.“

„Definitiv“, Emily nickte. „Was halten Sie davon, wenn wir uns eine Pizza holen und uns auf die Rheintreppe am Burgplatz setzen. Ich liebe es, den Schiffen auf dem Rhein zuzusehen.“

„Einverstanden, Sie sind die Fremdenführerin“, stimmte er zu. „Machen wir uns auf den Weg, ich bin zu allem bereit.“

Kurz darauf saßen sie gemeinsam auf der Rheintreppe und aßen ihre Pizzen. Wie lange war sie nicht mehr hier gewesen und hatte den Trubel in der Altstadt genossen? Es schien Ewigkeiten her zu sein. Auch Connor schwieg und blickte versonnen auf den großen Strom. Emily fragte sich, woran er wohl denken mochte.

„Einen Penny für Ihre Gedanken.“ Sie hätte gerne seine Hand ergriffen, doch dazu fehlte ihr der Mut. Auf eine unbestimmte Weise wirkte er verloren. Emily konnte sich nicht erklären, warum, aber sie empfand es so.

Connor steckte die Sonnenbrille in seine Jackentasche und warf ihr einen Blick zu.

„Wenn Sie es genau wissen wollen – ich habe gerade an die Sendung morgen Abend gedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass es erheblich angenehmer wäre, mit Ihnen auszugehen.“

Emily spürte, wie sich ein warmes Gefühl in ihr ausbreitete. „Macht es Sie nervös, dass Sie auftreten müssen?“, lenkte sie ab.

„Würde es Sie nervös machen?“, er sah ihr tief in die Augen.

„In der Tat, das würde es – sehr sogar!“, Emily nickte heftig.

Er lachte. „Dann kennen Sie ja die Antwort.“

„Ich dachte, einem Medienprofi wie Ihnen würden solche Auftritte nichts mehr ausmachen?“, fragte sie überrascht.

„Doch, manchmal schon“, gestand er, „wenn ich nicht weiß, was mich erwartet, habe ich durchaus gelegentlich Lampenfieber.“ Er schaute sie aufmerksam an. „Kann es sein, dass Sie frieren?“

„Ein bisschen“, gab Emily zu. Connor zog seine Jacke aus und legte sie behutsam über ihre Schultern.

„Ich möchte auf keinen Fall, dass Sie sich meinetwegen erkälten.“

Dankbar zog sie die Jacke fester um sich. Sie roch angenehm nach Leder und seinem Aftershave. Es war ein Duft, der sie immer an ihn erinnern würde, dessen war sie sich sicher.

„Ich wünschte, der Abend würde nie enden.“

Noch ehe sie die Worte ausgesprochen hatte, wurde Emily bewusst, wie missverständlich und abgedroschen das klang. „Verstehen Sie mich bitte nicht falsch“, verlegen versuchte sie, sich zu rechtfertigen. Aber Connor legte ihr seinen Finger sanft auf den Mund.

„Pst, Sie brauchen nichts zu erklären. Ich empfinde es ebenso, also belassen wir es dabei.“ Er legte seinen Arm um sie und zog sie näher zu sich heran. Emily spürte seinen warmen, muskulösen Körper, kuschelte sich an seine Schulter und fühlte erneut diese ungewohnte Vertrautheit. Sie hatte das beängstigende Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Warum nur hatte sie den Eindruck, diesen Mann bereits seit Ewigkeiten zu kennen? Erst spät machten sie sich auf den Heimweg, nachdem sie lange nebeneinander gesessen und still ihre Nähe genossen hatten. Auch während der anschließenden Fahrt zum Hotel sprach Connor kein Wort. Allmählich beunruhigte Emily sein anhaltendes Schweigen, doch sie hatte Angst, durch eine unbedachte Äußerung den Zauber des Abends zu zerstören. Nervös parkte sie ihren Käfer in der Nähe des Hotels.

„Ich hoffe, Ihre aufdringlichen Fans sind inzwischen verschwunden.“

Zaghaft lächelte sie ihn an. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Es klang alles banal.

„Vermutlich haben sie es längst aufgegeben, den Eingang zu belagern. Ansonsten kenne ich ja jetzt eine Alternative“, er unterdrückte mühsam ein Gähnen. „Entschuldigung. Nicht dass Sie denken, ich hätte mich gelangweilt. Ich bin einfach hundemüde.“ Ihre Blicke trafen sich für Sekunden. „Es war ein wunderschöner Tag. Ich danke Ihnen dafür“, vorsichtig berührten seine Finger ihre Wange. „Ich freue mich schon auf Sonntag. Haben Sie Lust, mit mir essen zu gehen, bevor wir uns mit dem Interview befassen? Es gibt bestimmt ein gemütliches Restaurant in der Nähe Ihrer Wohnung.“

Emily bemühte sich, ihre Anspannung zu verbergen. Ihre Gedanken überschlugen sich förmlich. Es war völlig ausgeschlossen, in ein Restaurant zu gehen. Sie müssten Tobias und Jessie mitnehmen – und das wäre nun wirklich eine Katastrophe. Sophie hatte für Sonntagabend Karten für ein Rockkonzert, sie fiel also definitiv als Kinderbetreuung aus. Vielleicht könnte sie ihre Mutter bitten? Aber dann müsste sie wieder eine endlose Litanei an Vorhaltungen über sich ergehen lassen. Ihre Mutter wollte nicht begreifen, dass Emily ein anderes Leben führte als sie selbst. Sie seufzte unbewusst.

„Es muss nicht sein, wenn es Ihnen Schwierigkeiten bereitet“, erst als Connors Worte sie aus ihren Überlegungen rissen, wurde ihr klar, wie lange sie geschwiegen hatte.

„Nein, nein“, Emily versuchte, die Situation zu retten. „Mir kam nur gerade die Idee, dass ich für uns kochen könnte. Das wäre vielleicht netter.“

„Gerne“, er schien sich über ihren spontanen Einfall zu freuen. „Also dann, bis Sonntag.“ Er hauchte ihr einen zarten Kuss auf die Wange, stieg aus dem Wagen und winkte ihr noch einmal zu. Kurz darauf war er in der Dunkelheit verschwunden, und Emily war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob sie alles nur geträumt hatte.

⋆⋆⋆

Zufrieden lächelnd betrat Connor seine Hotelsuite. Er warf seine Jacke über den Sessel und summte leise vor sich hin. Es war ein schöner Abend gewesen, der schönste seit langer Zeit. Emily war ihm so vertraut erschienen. Und das, obwohl er nicht das Geringste über sie wusste, denn sie hatte wenig von sich erzählt. Dennoch ging sie ihm nicht aus dem Kopf. Ihre grünen Augen, die niedliche Nase, der schelmische, leicht verlegene Blick und das wunderschöne, kastanienbraune Haar. Außerdem hatte sie eine ungezwungene Art, sich zu bewegen. Sie war ohne Zweifel eine tolle Frau. Dabei war es nicht nur ihr Aussehen, das ihm gefiel. Sie strahlte Wärme und Herzlichkeit aus. Er freute sich wirklich, sie bald wiederzusehen. Connor musste sich zwingen, Emilys Bild zu verdrängen, um sich gedanklich mit der morgigen Sendung auseinanderzusetzen. Es war eine Gameshow, kombiniert mit Talk- und Musikeinlagen. Soweit ihn Holmes informiert hatte, war diese Show ein absolutes Highlight der deutschen Unterhaltungsbranche. Die Gäste waren elitär und nutzten jede Gelegenheit, ihre aktuellen Projekte dort vorzustellen. Es würde also ein bunter Tummelplatz der Eitelkeiten sein, davon war auszugehen.

Sterne, die begehrt man nicht

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