Читать книгу Sterne, die begehrt man nicht - Juli van Bohm - Страница 6
Glück ist relativ
ОглавлениеConnor Leary saß im Flugzeug nach Düsseldorf und warf einen sehnsuchtsvollen Blick aus dem Fenster. Unter ihm waberte eine dicke Wolkendecke, die nur gelegentlich aufriss und die Sicht auf den tiefblauen Ozean freigab. Immer wieder war er beeindruckt von der zauberhaften Welt, die ihn über den Wolken empfing. Doch nicht jeder Passagier schien so zu empfinden. Bestes Beispiel dafür war sein Manager Leonhard Holmes, der seit geraumer Zeit unruhig neben ihm auf seinem Platz herumrutschte. Anstatt die Aussicht zu genießen, redete er ununterbrochen auf Connor ein, um ihm die Unterhaltungsshow, in der er am Samstag auftreten sollte, wortgewandt anzupreisen.
Leary seufzte genervt, denn er verspürte nicht die geringste Lust, in diesem Fernsehformat mitzuwirken und zwanghaft gute Laune zu versprühen. Viel lieber hätte er sich auf seine Ranch zurückgezogen, wo ihn niemand behelligte und er sich entspannen konnte. Doch die einstmals ruhigen Zeiten waren unwiederbringlich vorbei. Sein letzter Film war erneut ein großer Erfolg gewesen. Die Kritiker hatten ihn mit Lob überschüttet und ihn als Superstar gefeiert. Ihm war bewusst, dass das zahlreiche Verpflichtungen mit sich brachte. Verpflichtungen, die ihm zunehmend lästig wurden. Aber er durfte sich nicht komplett aus der Öffentlichkeit zurückziehen und seine Fans enttäuschen, dazu waren sie ihm zu wichtig. Warum nur fühlte er sich in letzter Zeit so ausgepowert, leer und einsam? Er hatte doch Erfolg. Weit mehr, als er sich jemals erträumt hatte. Doch was hatte ihm das letztendlich gebracht? Oberflächliche, anbiedernde Menschen umgaben ihn, die sich erhofften, durch die Nähe zu seiner Person selbst Publicity zu erlangen.
Angewidert verzog er den Mund. Er verabscheute diese Menschen und ihr falsches Gehabe. Warum nur glaubte jeder, sein Ruhm müsse ihn zwangsläufig glücklich machen? Mega-Gagen, herausragende Kritiken, Erfolg bei den Frauen – es schien, als hätte er das erträumte Ideal erreicht. Und doch fühlte er sich nicht glücklich. Besser gesagt, nicht mehr. Denn seit dem Tag, an dem er erfahren musste, dass sich seine Frau und sein bester Freund heftig miteinander vergnügt hatten, während er zu Dreharbeiten in New York weilte, hatte sein Glück einen tiefen Riss bekommen.
Heute war Hannah seine Ex-Frau und lebte nach wie vor gut von seinen Erfolgen. Die Presse hatte sich gierig auf sein privates Unglück gestürzt und es nach allen Regeln der Kunst ausgeschlachtet. Immer mehr intime Details und Fotos waren veröffentlicht worden, da es Hannah offensichtlich gefiel, nun selbst einmal im Rampenlicht zu stehen. Ein zweifelhaftes Vergnügen, wie Connor meinte. Jedenfalls hatte sie hemmungslos aus ihrem Privatleben geplaudert, ohne auch nur ansatzweise auf seine Gefühle Rücksicht zu nehmen. Zuerst hatte er ihr gegenüber nur Hass empfunden. Aber mittlerweile war dieser Hass einer bodenlosen Enttäuschung gewichen. Enttäuschung darüber, dass er von dem einzigen Menschen, dem er bedingungslos vertraut hatte, derart hintergangen worden war. Wütend war er jedoch nach wie vor auf all jene Klatschreporter, die mit ihren bohrenden Fragen nicht eher locker gelassen hatten, bis sie auch das letzte Detail dieser Affäre und der anschließenden Scheidung ans Tageslicht gezerrt hatten. Connor zog die Stirn in Falten und seufzte leise. Und nun stand ihm erneut eine Begegnung mit einer Vertreterin dieser abscheulichen Branche bevor. Seiner Meinung nach war es falsch, dieses Interview zu geben. Er ließ sich nur deshalb darauf ein, weil Leo meinte, Connor müsse sein gestörtes Verhältnis zur Presse allmählich normalisieren und ein Bericht in einem Frauenmagazin wie der Francine sei wie geschaffen dazu. Schließlich waren die meisten seiner Fans weiblich. Connor sträubte sich innerlich gegen dieses Interview. Es lief ohnehin meist nach demselben Schema ab. Stereotype Fragen über sein Privatleben, die er im Voraus zu kennen glaubte und die stets gekrönt waren von indiskreten Erkundigungen nach möglichen Affären oder gar einer neuen Liebe in seinem Leben. Neue Liebe, er lachte verächtlich auf. Nichts lag ihm ferner, als sich zu verlieben. Gab es keine anderen Themen in seinem Leben? Wurde er ausschließlich auf Frauengeschichten reduziert? Glaubte niemand, ihn könnten auch anspruchsvolle Dinge interessieren? Wie es schien, dachte jeder bei seinem Anblick nur an Liebe. Ach was, Liebe, das wäre noch akzeptabel. Bei ihm dachte man offenkundig gleich an Sex.
Leo Holmes war derweil verstummt. Connor bemerkte, dass er ihn verstohlen aus den Augenwinkeln musterte. Ihm war klar, dass sein Manager erwartete, endlich wieder normal mit ihm umgehen zu können. Vermutlich war seine Grübelei wirklich unerträglich. Er schloss die Augen, um sich auf dem restlichen Flug zumindest ein wenig zu entspannen. Doch vergeblich, denn Leo setzte zu einem jener Monologe an, die Connor schon in- und auswendig kannte. Obwohl er versuchte, die eindringliche Stimme seines Sitznachbarn zu ignorieren, gelang es ihm nicht, denn gerade kam Leo mächtig in Fahrt.
„Du musst endlich aufhören, dich selbst zu quälen, Connor. Es bringt nichts, sich gekränkt zurückzuziehen, nur weil deine Frau dich betrogen hat. Zieh einen Schlussstrich unter diese unerfreuliche Phase deines Lebens und denk daran, dass deine Fans dich lieben.“ Er tätschelte aufmunternd Connors Arm. „Also genieß das Leben und befreie dich von der Vergangenheit. Um es kurz zu sagen: Vergiss Hannah. Sie ist es nicht wert, dass du ihr nur eine Träne nachweinst. Oder ist es eher gekränkte Eitelkeit als Liebeskummer?“
Widerwillig öffnete Connor die Augen. Er wusste, Leo meinte es gut mit ihm. Vermutlich hatte er sogar recht damit, dass er endlich mit diesem Kapitel seines Lebens abschließen musste. Doch wie sollte ihm das gelingen, wenn er ständig durch die Presse mit diesem unliebsamen Thema konfrontiert wurde? Selbst Holmes tat es unbeabsichtigt, indem er ihn wie einen liebeskranken Idioten behandelte.
Dabei war es keineswegs Liebeskummer, der ihm zu schaffen machte. Ihn ärgerte vielmehr, dass sein Privatleben derart durch den Schmutz gezogen worden war. Er hatte sich hilflos der massiven Berichterstattung ausgeliefert gefühlt. Ein Zustand, der ihm zuvor fremd gewesen war. Er hatte die Kontrolle verloren, war zum Statisten degradiert worden, ohne eine Möglichkeit, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Seine Stimme war gar nicht mehr wahrgenommen worden. Nur wer das erlebt hatte, konnte seine Gefühle verstehen, seine Wut nachvollziehen. Wie sollte Leo das gelingen? Er stand stets in der zweiten Reihe und zog die Fäden im Hintergrund, ohne Gefahr zu laufen, selbst ins zeitweilig unliebsame Scheinwerferlicht zu geraten.
„Bist du endlich fertig mit deinen Weisheiten?“, warf er schroffer als beabsichtigt ein. „Wenn ja, würde ich gerne in Ruhe den Flug genießen.“
Holmes schwieg augenblicklich, jedoch nicht, ohne ihm einen resignierten Blick zuzuwerfen. Connor wusste, dass er ungerecht war, aber er wollte jetzt eben ungerecht sein. Dabei verstanden sie sich hervorragend – normalerweise jedenfalls. Bereits seit Jahren kümmerte sich sein Manager äußerst erfolgreich um ihn und seine Karriere. Im Grunde fühlte sich Connor ihm freundschaftlich verbunden, aber in letzter Zeit hatte er so viel mit sich selbst zu tun gehabt, dass ihm andere Menschen zunehmend lästig gewesen waren. Ihm war bewusst, dass er sich nicht so gehen lassen sollte. Schließlich konnte er nicht nur die Vorteile seines Ruhms genießen, sondern musste auch mit der Kehrseite der Medaille leben. Connor beschloss, sich fortan zusammenzureißen und seine schlechte Laune nicht an Holmes auszulassen.
Wenige Stunden später befand sich die Maschine im Landeanflug auf Düsseldorf. Während die Flugbegleiterin routiniert Connors Gurt kontrollierte, schenkte sie ihm ein charmantes Lächeln, das seine miese Laune leider nicht wesentlich besserte. Glücklicherweise konnten Holmes und er vor allen anderen Passagieren den Flieger verlassen. Das Personal der Fluggesellschaft hatte seine Ankunft bis ins letzte Detail nach den Anweisungen seines Managers organisiert, sodass ihm das Empfangskomitee aus Fans und Presse zumindest am Flughafen erspart bleiben würde. Connor seufzte. Er liebte das Bad in der Menge zurzeit eben nicht. Während es ihm anfangs noch großen Spaß gemacht hatte, die Nähe seiner Fans zu spüren und den Erfolg zu genießen, bereitete es ihm zunehmend Beklemmungen. Er fühlte sich vereinnahmt, wie ein öffentliches Schauobjekt ausgestellt. Nicht jeder Schauspieler war extrovertiert, auch wenn es den Anschein haben mochte.
Seine Gedanken wanderten in die Zukunft. Er hatte nun eine Weile Drehpause. Nur diese eine Woche musste er noch hinter sich bringen, dann konnte er heimfahren. Er ging seine anstehenden Termine durch. Das Interview mit der Francine, die Samstagabendshow, ein Fotoshooting und eine Autogrammstunde. Connor schloss die Augen und sehnte sich nach seiner Ranch in Kalifornien. Ein positiver Aspekt, den sein Erfolg mit sich brachte, war zweifelsohne seine privilegierte finanzielle Situation. Er hatte genug Geld, sich die Dinge leisten zu können, die er haben wollte, auch wenn seine Ex-Frau eine satte Abfindung erhalten hatte. Nur privates Glück ließ sich eben nicht kaufen und war zudem nicht sehr verträglich mit seinem Beruf, wie ihm schien. Denn er konnte nicht leugnen, dass er sich trotz seiner Popularität einsam fühlte.
„Du träumst schon wieder“, unterbrach Holmes seine Gedanken. „Wir sind inzwischen gelandet und sollten uns beeilen, damit die anderen Passagiere nicht zu lange warten müssen.“
Connor erhob sich umständlich. Er war ganz verspannt vom langen Sitzen und versuchte, sich ein wenig zu strecken. Die freundliche Flugbegleiterin, die ihnen den Flug so angenehm wie möglich gemacht hatte, schenkte ihm erneut ein bezauberndes Lächeln.
„Auf Wiedersehen, Mr. Leary. Ich hoffe, Sie waren zufrieden und fliegen bald wieder mit unserer Airline.“
Abwesend nickte er ihr zu, bevor er zum Rollfeld hinabstieg, wo bereits die bestellte Limousine auf Holmes und ihn wartete.
„Kommst du endlich? Oder willst du dort Wurzeln schlagen?“, Holmes konnte seine Ungeduld nicht verbergen. Erschöpft ließ Connor sich auf die Rücksitze des Wagens fallen. Jetzt würde er die letzte Etappe der langen Reise auch noch überstehen.
Tatsächlich gelang es, ohne Aufsehen die Hotelsuite des LeGrand zu erreichen. Unterwegs hatte er nur schemenhaft die Umrisse der Stadt wahrgenommen, die in der nächsten Woche sein Zuhause sein würde. Wieder kreisten seine Überlegungen um das bevorstehende Interview, das erschreckend nahe gerückt war. Er spürte seinen Widerwillen wachsen, dabei waren negative Gedanken genau das, was er vermeiden sollte.
Warum stellte er sich diese Reporterin nur als aufdringliche Emanze vor, die aus ihm die letzten Geheimnisse seines Lebens herausquetschen wollte? Wahrscheinlich hatte sie ohnehin eine Antipathie gegen Männer, die Erfolg bei den Frauen hatten. Oder aber sie würde top gestylt erscheinen und versuchen, ihre weiblichen Vorzüge bei ihm in Szene zu setzen.
Connor musste über sich selbst lachen. Vielleicht war sie ja ganz nett. Er neigte zweifelsohne zu Übertreibungen. Er schenkte sich großzügig einen Whisky aus der Minibar ein. Es war bereits der dritte. Nachdenklich betrachtete er das golden schimmernde Getränk. Er wusste, er trank in letzter Zeit zu viel. Hier konnte die Lösung seines Problems nicht liegen – Alkohol hatte noch niemandem geholfen. Er stellte das Glas auf die Anrichte. Vielleicht würde es ihn etwas aufmuntern, wenn er ausgiebig duschte.
Er schlenderte ins Bad, das ein extravaganter Traum in Blau und Gold war. Weiche Vorleger umschmeichelten seine nackten Füße. Schnell zog er sich aus. Das Prickeln der Wassertropfen auf seiner Haut tat unendlich gut. Das warme Wasser spülte nicht nur den Schweiß, sondern gleichermaßen seine Sorgen mit fort. Vorübergehend wenigstens. Minutenlang genoss er die Entspannung, bevor er nach einem Handtuch griff und es sich um die Hüften schlang. Er warf einen Blick in den Spiegel. Was war nur aus ihm geworden? Wo war der lebenslustige und unbekümmerte junge Mann, der er einmal gewesen war, geblieben? Warum vagabundierte er durch Hotelzimmer von Set zu Set und bewegte sich in dieser künstlichen, kalten Welt?
Er wandte sich ab und warf sich auf das gigantische Bett seiner Suite. Irgendwo musste es ein halbwegs vernünftiges Fernsehprogramm geben. Er griff nach der Fernbedienung. Die Einsamkeit stieg bereits wieder in ihm hoch, wie fast immer in letzter Zeit. Gleichgültig, ob sich Menschen um ihn herum befanden oder nicht. Das Gefühl, allein zu sein, ließ sich kaum noch unterdrücken. Er sah ein, dass auch das Fernsehprogramm daran nichts änderte. Auf dem Bildschirm wurde getalkt und geliebt, getanzt und gemordet. Schließlich tat das Fernsehen seine Wirkung und Connor schlief erschöpft vor dem Apparat ein.