Читать книгу Sterne, die begehrt man nicht - Juli van Bohm - Страница 7
Ein Engel in Blue Jeans
ОглавлениеDer große Morgen war gekommen. Emily erhob sich mühsam aus dem Bett. War das eine grässliche Nacht gewesen. Sie fühlte sich völlig erschlagen. Langsam schob sie die Gardinen zur Seite. Na ja, wenigstens schien die Sonne. Sie versuchte, es als gutes Omen zu werten. Müde schlurfte sie ins Bad und erschrak über ihr blasses Gesicht. „Ich sehe aus, als hätte ich die Nacht durchgezecht“, stöhnte sie leise auf, ehe sie sich mit einem Schwall kaltem Wasser erfrischte. Rasch putzte sie die Zähne und fühlte sich sogleich besser. Emily zog ihre Jeans aus dem Kleiderstapel, der bedenklich wankte, schlüpfte ungelenk hinein und streifte sich ein leuchtend rotes T-Shirt über.
Leise summte sie vor sich hin, während sie den Kaffee aufsetzte und Kakao für die Kinder kochte. Zügig stellte sie Marmelade, Nutella und Honig auf den Tisch. Jetzt musste sie nur noch das Brot toasten, dann wurde es Zeit, die Kinder zu wecken.
Ein Blick ins Kinderzimmer zeigte ihr, dass das Wecken überflüssig sein würde. Jessica saß bereits in ihrem Bett und spielte, während Tobias gedankenverloren seine Modellautos sortierte.
„Guten Morgen, ihr Süßen.“
Sie drückte beiden einen Kuss auf die Stirn.
„Es ist Zeit, aufzustehen. Die Kita wartet auf euch.“
Obwohl der unangenehme Druck in ihrem Magen sich permanent verstärkte, bemühte sich Emily, Ruhe zu bewahren.
„Ich will erst noch mit Elsa spielen.“
Jessica zerrte an einem blauen Tüllkleid, das sie ihrer Eiskönigin anziehen wollte.
„Jetzt nicht mehr.“ Emily griff nach der Puppe und legte sie beiseite, was zur Folge hatte, dass Jessies Mundwinkel bedenklich zu zucken begannen. Herrje, bloß keine Szene heute Morgen wegen dieser blöden Spielfigur. Sie wusste, wie langwierig die Trotzphasen ihrer Tochter sein konnten. „Du kannst Elsa doch mit in die Kita nehmen. Wir machen dich erst einmal genauso schick wie deine Eiskönigin. Geh dich schon mal waschen, ich lege dir etwas zum Anziehen heraus.“
In Windeseile suchte Emily nach Jessicas Lieblingskleid. Gott sei Dank, da war es. Sie nahm es vom Bügel und legte es vorsichtig auf das Bett ihrer Tochter, die unterdessen fröhlich im Badezimmer planschte. Es klang, als ob der Boden anschließend trockengelegt werden müsste. Emily zwang sich, das Geplätscher zu überhören, und wandte sich Tobias zu.
„Los, marsch, raus aus den Federn!“
„Mami, welches Auto gefällt dir am besten?“
Sie warf einen flüchtigen Blick auf die Fahrzeuge, die nach Farben sortiert auf dem Bettrand standen. „Keine Ahnung, die sind alle schön. Steh jetzt endlich auf.“
„Nun sag schon“, bettelte ihr Sohn. „Ein Modell muss dir doch besonders gefallen.“
„Muss es das?“ Genervt zog sie eine Augenbraue hoch, da sie jetzt absolut keine Lust auf Diskussionen verspürte.
„Na gut, zeig her.“ Emily überlegte kurz. „Dieses hier“, sie tippte auf einen schnittigen Sportwagen.
„Ein Lamborghini Diablo“, Tobi strahlte, aber machte nicht die geringsten Anstalten, sich zu erheben. „Nicht wahr, der ist irre.“ Tobias setzte an, seiner Mutter einen detaillierten Vortrag über die Vorzüge dieses Autos zu halten.
Emily blickte nervös auf die Uhr, sie musste sich wirklich beeilen. Ihr Termin rückte unaufhaltsam näher. Energisch griff sie nach ihrem Sohn, hob ihn aus dem Bett und trug ihn ins feuchte Bad.
„Los, heute reicht Katzenwäsche.“ Sie drückte ihm einen Waschlappen in die Hand und wischte gleichzeitig eilig den Boden trocken.
Jessica saß mittlerweile in ihrem lilafarbenen Blümchenkleid am Küchentisch und schlabberte mit dem Kakao. Emily ließ sich auf den Stuhl neben ihr sinken. Warum war alles nur so schwierig? Ob es anderen Müttern genauso erging? Inzwischen hatte glücklicherweise auch Tobias ein Marmeladenbrot gegessen. Jetzt musste sie nur noch ein paar Sachen für die Übernachtung bei Sophie zusammenpacken.
Gegen halb neun Uhr war es ihr endlich gelungen, die beiden Bummelanten in der Kita abzugeben. Mittlerweile war sie schweißgebadet und nahezu völlig aufgelöst. Ihre Laune befand sich auf dem absoluten Tiefpunkt. Es würde nicht einfach sein, sich halbwegs passabel herzurichten in der kurzen Zeit, die ihr noch blieb. Doch sie musste es versuchen. Zu Hause angekommen, warf sie ihre Jeans und das T-Shirt aufs Bett und sprang unter die Dusche, während sie in Gedanken den Inhalt ihres Kleiderschrankes durchging. Was sollte sie bloß anziehen? Den roten Hosenanzug vielleicht? Ach nein, der war viel zu auffällig und ließ sie so tussihaft erscheinen. Das graue Kostüm? Es wirkte allerdings schrecklich bieder. Am besten wäre das schicke, smaragdgrüne Kleid, das ihr Tom aus München mitgebracht hatte. Sie musste lächeln, als sie an ihn dachte. Noch immer spürte sie seine Nähe und seine Vertrautheit, und noch immer gaben ihr die Gedanken an ihn Kraft. Er war stets bei ihr, egal welche Situation sie gerade durchstehen musste.
Der Uhrzeiger schritt gnadenlos voran. In spätestens zehn Minuten musste Emily losfahren, sonst würde sie unweigerlich zu spät kommen. Sie schlüpfte in das grüne Kleid und betrachtete sich kritisch im Spiegel. Himmel, was war das? Ein dicker Fleck prangte unübersehbar mitten auf der Brust. Mist! Ein erneuter Blick auf die Uhr ließ sie verzweifeln. Es war inzwischen fast halb zehn und sie stand nach wie vor in Slip und BH vor dem Kleiderschrank, der wahrlich nichts für einen solchen Anlass bereithielt. Sie hätte gestern shoppen gehen sollen, um etwas Passendes zu besorgen. Panik ergriff sie.
„Dreh jetzt nicht durch“, versuchte sie sich zu beruhigen. „Connor Leary ist ein ganz normaler Mann, der mir bestimmt nicht den Kopf abreißen wird, nur weil ihm mein Outfit nicht zusagt.“
Ganz normal – sie musste selbst lachen. Was war an einem Superstar schon normal? Seufzend holte sie ihre sauberen Jeans aus dem Kleiderschrank. Mit der flotten Seidenbluse, die Corinne ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, sah es klasse aus. Schlicht und sportlich, aber gleichzeitig edel mit einem Hauch Eleganz. Eilig föhnte sie ihre langen, kastanienbraunen Haare und legte ein dezentes Make-up auf. Ja, so würde es gehen. Die Zeit drängte. Sie griff nach ihrer Tasche und verließ hastig das Haus. Endlich saß sie in ihrem feuerroten Käfer Cabriolet, einem Relikt aus Studentenzeiten, und steuerte in Richtung LeGrand.
Unterwegs kehrten Emilys Versagensängste zurück. Wie konnte sie nur in Jeans zu einem derart wichtigen Termin fahren? Dazu noch in diesem vornehmen Ambiente! Doch jetzt war es zu spät. Corinne wäre ein derartiger Fauxpas nicht unterlaufen. Sie wusste stets, wie man sich der Situation angemessen verhalten und vor allem kleiden musste. Emily verdrängte ihre negativen Gedanken und suchte nach einem Parkplatz. Manchmal erwies es sich als äußerst vorteilhaft, ein kleines Auto zu fahren. Sie steuerte eine wahre Mini-Parklücke an und setzte schwungvoll hinein. Passt!
Beseelt von einem kurzen Gefühl der Euphorie schwang sie sich aus dem Wagen und eilte auf den Eingang des riesigen Hotelkomplexes zu. Ihr Mund war ganz trocken vor lauter Aufregung. Am liebsten hätte sie die Beine in die Hand genommen und sich aus dem Staub gemacht, solange es noch ging. Heute war nicht ihr Glückstag, das hatte sie bereits deutlich zu spüren bekommen. Mit klopfendem Herzen betrat sie die nobel wirkende Hotelhalle, in der kristallene Kronleuchter unter der meterhohen Decke für funkelnden Glanz sorgten. Mächtige Sitzgruppen boten den Hotelgästen die Möglichkeit, sich bei Bedarf auszuruhen und das extravagante Flair des prachtvollen Gebäudes zu genießen. Zügig lief sie über den perfekt polierten Marmorboden auf die Rezeption zu. Bloß nicht zu viel nachdenken! Sie hatte den Eindruck, alle Anwesenden sähen ihr auf den ersten Blick an, wie unbehaglich sie sich fühlte. Was wäre, wenn man sie nun doch nicht zu Connor Leary ließe? Wie ein Blitz durchfuhr sie dieser Gedanke. Womöglich hatte er es sich inzwischen anders überlegt. Verzagt wandte sich Emily an den Portier, der in seiner Uniform deutlich vornehmer wirkte als sie.
„Entschuldigen Sie bitte“, sie räusperte sich leise. „Mein Name ist Emily Simon. Ich komme vom Journal Francine und habe einen Interviewtermin mit Herrn Leary, Connor Leary. Könnten Sie bitte Bescheid sagen, dass ich eingetroffen bin?“
Der Portier musterte sie prüfend.
„Sie können sich sicher ausweisen?“, fragte er höflich, aber bestimmt.
„Selbstverständlich“, stammelte Emily und ärgerte sich über ihre eigene Unbeholfenheit. Sie fingerte nach ihrem Presseausweis, den sie gemeinsam mit der Bestätigungsmail von Learys Management über die Rezeption schob.
Augenblicklich lächelte ihr Gegenüber. „Sie müssen entschuldigen, Frau Simon, aber wir sind verpflichtet, jeden Besucher genau zu kontrollieren. Sie glauben gar nicht, auf welche Ideen Fans kommen können. Aber bei Ihnen ist alles in bester Ordnung. Ihr Besuch ist uns bereits avisiert worden.“ Er reichte ihren Ausweis zurück, griff zum Hörer und wählte eine Nummer.
„Herr Holmes? Guten Morgen, hier ist Alfred, der Chefportier. Frau Simon, die Dame vom Journal Francine, ist soeben eingetroffen.“
Der freundliche Portier lächelte ihr aufmunternd zu, als er den Hörer auflegte.
„Herr Leary erwartet Sie in seiner Suite. Ein Page wird Sie hinaufbegleiten.“ Er gab einem jungen Mann in Hoteluniform ein fast unmerkliches Zeichen. „Bringen Sie die junge Dame bitte zur Suite von Herrn Leary“, wies er an.
Emily fiel ein ganzes Gebirge vom Herzen. Es ging alles leichter als erwartet. Ihre Bedenken begannen, sich zu verflüchtigen. Sie nickte dem Portier dankend zu, bevor sie dem Pagen zum Lift folgte. Verstohlen musterte sie die Menschen, die sich in der eleganten Hotelhalle aufhielten. Sie fühlte sich unweigerlich an eine Filmszene aus der Kult-Serie „Hotel“ erinnert. Es fehlte nur noch, dass Connie Selecca die prachtvolle Treppe herabschwebte. Sie schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken zu vertreiben. Niemals zuvor war sie in einem derart vornehmen Hotel gewesen. Tom und sie hatten ihren Urlaub mit den Kindern immer auf einem Bauernhof in den Bergen verbracht. Tom liebte lange Wanderungen über einsame Pfade inmitten der herrlichen, urwüchsigen Natur. Doch seit seinem Tod konnten sie und die Kinder sich keinen Urlaub mehr leisten. Vorerst jedenfalls nicht.
Unauffällig tastete Emily in ihrer Tasche nach der Kamera. Leary hatte zwar abgelehnt, einen Fotografen zu empfangen, aber Corinne war auch hier ungebremst optimistisch gewesen. Sie hatte keine Zweifel daran gelassen, dass es Emily gelingen musste, den Schauspieler zu einem Foto zu überreden. Leider teilte Emily diese Zuversicht keineswegs und hätte seinen Wunsch lieber ohne Einschränkung respektiert. Vermutlich würde Leary ohnehin verärgert auf dieses Ansinnen reagieren und sie unwirsch abweisen. Emily grauste es bei dieser Vorstellung.
Mit einem sanften Ruck blieb der Aufzug stehen und riss sie aus ihren Gedanken.
„Bitte hier entlang“, der Page führte sie zielstrebig zu einer massiven Tür am Ende des Ganges. Der dicke Teppichboden schien ihre Schritte förmlich zu schlucken. Emily zitterte, sie fühlte sich kraftlos wie schon lange nicht mehr. Wie sollte sie bloß dieses Interview mit Leary auf Englisch führen? Ihr Kopf war wie leergefegt, sie würde sich mit ihren unzureichenden Sprachkenntnissen definitiv blamieren. Doch es half alles nichts, jetzt musste sie durchhalten. Der Page klopfte an. Emily atmete noch einmal tief durch. Das Abenteuer „Interview“ konnte beginnen.
Es dauerte nur einen kurzen Augenblick, ehe die Tür sich öffnete und Connor Leary höchstpersönlich vor ihr stand. Groß, schlank und trotz seiner legeren Erscheinung genauso attraktiv wie auf dem Foto, das ihr so gut gefiel. Emily war wie erstarrt. Aus irgendeinem Grund hatte sie damit gerechnet, dass Leonhard Holmes sie empfangen würde. Doch offensichtlich hatte sie sich geirrt.
Leary lächelte verbindlich und trat einen Schritt zurück, um sie mit einer einladenden Geste hineinzubitten. Emily zögerte fast unmerklich, doch der Schauspieler schien es bereits bemerkt zu haben. Er musterte sie interessiert, als er auf eine überdimensionierte, cremefarbene Sitzgruppe in der Mitte des Raumes wies.
„Sie müssen Frau Simon sein. Nehmen Sie doch bitte Platz.“
Emily warf ihm einen irritierten Blick zu.
„Sie sprechen Deutsch?”
„Warum nicht?“, Leary nickte. „Erstaunt Sie das?“
„Wenn ich ehrlich bin, ja“, gestand Emily verlegen und ärgerte sich über ihre unbedachte Bemerkung.
„Weshalb?“, seine Mundwinkel zuckten vergnügt. Offensichtlich machte es ihm Spaß, sie in Verlegenheit zu bringen.
Emily hob entschuldigend die Arme.
„Keine Ahnung“, entfuhr es ihr schnippischer als beabsichtigt. „Vermutlich, weil ich keinen Amerikaner kenne, der eine andere Sprache als seine eigene beherrscht.“
„Das ist bedauerlich.“ Er schaute sie auf eine Weise an, die Emily komplett verunsicherte. Jetzt war ihre erste Bemerkung schon unpassend gewesen. Das war nicht gerade der Einstieg, den sie sich für das Interview erhofft hatte.
„Möchten Sie sich nicht setzen?“, Connor Leary wies erneut auf die beeindruckende Sitzgruppe, vor der Emily unschlüssig stehen geblieben war.
„Natürlich“, stammelte sie betreten und ließ sich vorsichtig auf dem Rand des edlen Sitzmöbels nieder. Keine fünf Minuten hätte diese Couch bei ihnen zu Hause überstanden. Sie dachte an Jessies Angewohnheit, Schokolade in ihren Fingern schmelzen zu lassen und an Tobias‘ Geschick, volle Gläser umzuwerfen. Ihr Blick fiel auf Learys Frühstück, das offensichtlich unberührt auf einem Servierwagen stand.
„Ich hoffe, ich habe Sie nicht gestört? Das wäre mir sehr unangenehm.“
Er folgte ihrem Blick und schüttelte den Kopf.
„Keine Sorge, ich habe keinen Hunger. Aber Sie dürfen sich gerne bedienen, wenn Sie möchten. Oder darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“, er wies lässig zur Bar hinüber, auf der zahlreiche Flaschen zur Auswahl standen. „Vielleicht ein Glas Champagner?“
Emily schüttelte den Kopf. „Danke, Orangensaft wäre mir lieber.“
„Ganz wie Sie wünschen.“ Leary wandte sich ab, um ihr den Saft einzuschenken.
Endlich traute sich Emily, den Filmstar eingehender zu betrachten. Das war er also, der Traum unzähliger Frauenherzen. Er war deutlich größer, als sie erwartet hatte. Seine Figur war zwar schlank, aber erstaunlich athletisch, wie das beeindruckende Muskelspiel seiner Oberarme zeigte. Dennoch wirkte er abgespannt, was vermutlich an den dunkel schimmernden Rändern unter seinen Augen lag, die auch die Sonnenbräune Kaliforniens nicht verbergen konnte.
Emily musste sich eingestehen, das hatte sie nicht erwartet, denn wie ein strahlender Filmheld wirkte er so nicht unbedingt. Wieder einmal zeigte sich, dass Film und Realität nicht zwingend übereinstimmen mussten. Diese Erkenntnis beruhigte sie, sodass ihre Anspannung ein wenig nachließ. Vielleicht hatte seine in der Öffentlichkeit ausgefochtene Scheidung Spuren hinterlassen, vielleicht hatte er aber auch einfach nur schlecht geschlafen.
Emily hing ihren Gedanken nach, als sie bemerkte, dass er direkt vor ihr stand und sie seinerseits interessiert musterte. Augenblicklich fühlte sie sich ertappt und errötete.
„Ihr Saft“, Leary reichte ihr das Glas, bevor er ihr gegenüber Platz nahm und sich leise räusperte. „Also gut, fangen wir an. Dann sind wir beide nicht mehr so nervös, nicht wahr?“
Perplex schaute Emily ihn an.
„Sie sind nervös?“
„Na klar“, er nickte bestätigend. „Ich weiß schließlich nicht, was sie mich fragen oder später gar schreiben werden. So wie Sie keinen Amerikaner kennen, der Deutsch spricht, kenne ich keinen Reporter, der bei der Wahrheit bleibt.“
„Das ist gemein“, Emily biss sich auf die Lippe, um ihre erneut aufkeimende Verunsicherung zu verbergen. Leary war eindeutig auf der Hut. Unter diesen Voraussetzungen würde es nicht einfach werden, etwas Privates von ihm zu erfahren. In Gedanken spielte sie die Fragen, die sie sich zurechtgelegt hatte, noch einmal durch. Es würde unvermeidbar sein, seine persönliche Situation anzusprechen. Gerade sein aktuelles Liebesleben war für ihre Leserinnen von Belang, das hatte Corinne ihr mehrfach nachdrücklich eingeschärft. Zwar durften der neue Film und künftige Projekte nicht fehlen, aber das Spannendste war die private Seite dieses Mannes.
Emily war klar, dass sie sich diesem Thema behutsam nähern musste. Deshalb wollte sie Learys gescheiterte Ehe vorerst nicht thematisieren. Das wäre viel zu riskant. Ganz abgesehen davon, dass es wehtat, an den Verlust eines geliebten Menschen erinnert zu werden. Und wehtun wollte sie ihm keinesfalls. Flüchtig erschien Toms Bild vor ihr, wobei sie erneut den Schmerz verspürte, den sie bei seinem Tod empfunden hatte. Learys Frau war zwar nicht gestorben, aber sie hatte ihn betrogen und verlassen, was vermutlich noch verletzender sein konnte. Nein – sie hatte kein Recht, diesen wunden Punkt zu berühren. Sie würde taktvoll sein, egal, was Corinne von ihr erwartete. Emily war sich sicher, dass diese Entscheidung die einzig richtige war.