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Kapitel 6

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Mit Einbruch der Dunkelheit hatte heftiger Regen eingesetzt, der die Fackeln und Lagerfeuer qualmen und flackern ließ. Feuchte Kälte kroch unter die luftigen Festtagsgewänder der Gäste, doch das schlechte Wetter tat der ausgelassenen Stimmung keinen Abbruch. Es musste schon auf Mitternacht zugehen, doch noch immer brutzelte über den Feuern das Fleisch und verbreitete köstlichen Geruch. Die Menschen saßen eng zusammengedrängt unter den schützenden Planen, die man eilig aufgestellt hatte und tranken bei Gelächter und fröhlicher Musik Krug um Krug des kostenlosen Biers, das die Kaufmannsgilde für diesen Anlass gestiftet hatte.

Albin stand unter einem alten Baum, dessen dichtes Geäst ihn sowohl vor dem Regen, als auch vor den meisten neugierigen Blicken schützte. Er verspürte nicht den Wunsch, sich den Feiernden anzuschließen, konnte sich aber auch nicht aufraffen, den Park zu verlassen und nach Hause zu gehen. Den ganzen Abend schon beobachtete er das Zelt, in dem Amileehna mit ihren Gästen saß. Von außen, denn der Zutritt blieb ihm heute verwehrt. Man hatte ihn nun endlich auf seinen Platz verwiesen und der war hier, im Regen, bei den betrunkenen Städtern und nicht dort drinnen an Amileehnas Seite. Doch dieser Umstand störte ihn im Grunde nicht. Auch als er noch ein Edelmann gewesen war, hatte er sich niemals zugehörig gefühlt und niemand hatte ihm je auch nur eine Spur Ehrerbietung entgegengebracht. Nur zu gerne hätte er aber beobachtet und belauscht, was drinnen gesprochen wurde. Die Stadtwache schirmte die Königsfamilie jedoch völlig ab und bewachte alle Zelteingänge, damit keine unwillkommenen Störenfriede eindringen konnten. Irgendwann würde man Amileehna vermutlich herausschmuggeln, damit sie unbehelligt in die Eisenfaust zurückreiten und ein wenig schlafen konnte. Aber darauf zu warten erschien Albin - trotz aller Sehnsucht - nicht besonders verlockend. Er schlang die Arme um den Körper und versuchte, nicht an die Kälte zu denken, doch er trug nur ein dünnes Hemd und ein Wams, aber keine Jacke. Seit Stunden strich er wie ein hungriger Wolf um das Zelt herum und wartete darauf, dass er irgendetwas Interessantes beobachten konnte. Immer wieder kamen Gäste heraus um sich die Beine zu vertreten, unbeobachtet zu flirten oder sich ein wenig unter das einfache Volk zu mischen. Albin vermutete, dass so manche hübsche Hure in dieser Nacht ein kleines Vermögen verdiente. Es gab Würfeltische und Tanz und sicher so manch andere Unterhaltung für die jungen Männer von Stand, die nicht die ganze Nacht dort drinnen sitzen wollten. Über Politik schien niemand sprechen zu wollen, Albin hatte noch keine einzige bedeutungsvolle Unterhaltung belauscht. Er hatte reichlich Fleisch und Kuchen gegessen und auch Bier getrunken und es machte keinen Sinn, noch länger zu bleiben. Doch Amileehnas Anwesenheit in dem Zelt zog ihn an, wie das Licht eine Motte. Er konnte sie förmlich spüren und bildete sich ein, durch die undurchsichtige Zeltwand ihre Gestalt sehen zu können. Während er sich auf diesen Gedanken konzentrierte, spürte er das nunmehr wohlbekannte Kribbeln an seiner Wirbelsäule. Amileehna leuchtete wie ein bunter Schmetterling inmitten ihrer farblosen Gäste. Albins Augen, die nicht länger seine alten Augen zu sein schienen, sahen ihre zarten Bewegungen und er erahnte sogar das gleichmäßige Schlagen ihres Herzens durch all den Lärm hindurch. Dies war das erste Mal, dass er seine Sinne absichtlich ausschickte, um die Welt zu erkunden. Doch er spürte genau, dass er weit davon entfernt war, diese Fähigkeit zu kontrollieren. Hin und wieder erfüllte ihn sogar ein wenig Panik und er fürchtete, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Wenn er sich so sehr in unsichtbare Bilder vertiefte, lösten sich Dinge in seinem Kopf aus ihren Verankerungen und sein Körper geriet aus dem Gleichgewicht. Einmal war er versehentlich gegen einen vorbeigehenden Mann gestolpert und der Stoß hatte ihn beinahe umgeworfen, so wenig hatte er sich selbst noch unter Kontrolle. Daher zog er es vor, im sicheren Schatten seines Baumes zu bleiben, wo er nicht gesehen wurde und sich mit einem raschen Griff Halt an dem rauen, uralten Stamm suchen konnte. Nun seufzte er. Langsam breiteten sich Kopfschmerzen aus, scharfe Blitze, die sich von seiner Nasenwurzel aus den Weg durch seinen Schädel bahnten. Ein Zeichen dafür, dass das, was er da tat, seinen Körper über die Maßen anstrengte. Doch noch ein letztes Mal wollte er es versuchen. Er konnte einfach nicht gehen, ohne wenigstens ganz kurz ihre Stimme gehört zu haben. Also bemühte er sich, sich gegen die oberflächlichen Eindrücke abzuschirmen, die auf ihn einstürmten: das Murmeln und Plätschern des Regens im dichten Laub des Baumes, das Geschrei, Gelächter und den Gesang der Menschen um ihn herum, den Geruch der Feuer und der feuchten Erde. Doch hier endete bereits seine ganze Konzentration, denn sobald er sich von diesen greifbaren Dingen löste, geriet sein Geist ins Stolpern und er stürzte haltlos in eine Welt aus Farben und geflüsterten Klängen, in der er keine Orientierung hatte. Nur Amileehna leuchtete in diesem Chaos wie eine Kerzenflamme in der Dunkelheit. Nach einigen anstrengenden Minuten konnte er sie schließlich so klar und deutlich erkennen, als stünde sie direkt neben ihm. Sein Herz zog sich zusammen. In ein goldenes, lebendiges Schimmern getaucht sah sie noch schöner aus. Sie redete und lächelte, aber ihr Gesicht wirkte müde und leer. Es war ein sehr anstrengender Tag für sie gewesen.

Plötzlich traf ihn etwas völlig unvorbereitet wie ein Faustschlag und riss ihn aus seinen Betrachtungen. Jemand ganz in der Nähe hatte seinen Namen ausgesprochen. Ohne aus seinem entrückten Zustand zu erwachen, wandte Albin seine Aufmerksamkeit dem Sprechenden zu und erkannte drei junge Männer, die soeben aus dem Zelt getreten waren. Er kannte ihre Namen nicht, nur irgendwelche Gäste aus einem anderen Teil des Landes, die hergekommen waren um sich zu amüsieren. Sie schienen ordentlich getrunken zu haben, denn ihr Gelächter klang zu laut und sie stützten sich gegenseitig.

Wo ist er nun, der Köter?“ fragte einer von ihnen und schaute sich suchend um. Instinktiv wich Albin zurück in die Dunkelheit. Aber die drei waren viel zu weit entfernt und betrunken. Sie würden ihn sicher nicht entdecken. Er jedoch konnte sie nicht nur genau sehen sondern auch jedes einzelne Wort verstehen.

Hat sich wohl verzogen“, antwortete ein anderer und schnaubte abfällig. „Was für ein armer Wicht. Streicht hierherum wie ein Hund und wartet auf Essensreste von der Hohen Tafel.“

Ich glaube nicht, dass der König die Prinzessin für ihn fallen lässt.“ Gelächter. Albin ballte die Hände zu Fäusten.

Ist mir ein Rätsel warum man ihn hier duldet. Immerhin lastet eine schwere Schande auf seinem Namen. Sein Vater ist ein Hochverräter!“

Man sagt, er ist ein Krieger mit einer großen Zukunft…“, wandte einer ein.

Sein Gegenüber wischte den Einwand beiseite. „Mag sein, dass er gekämpft hat, als es darauf ankam. Wer würde das nicht? Jeder Straßenhund verteidigt sich, wenn er in Gefahr ist. Ich verstehe ehrlich nicht, wie der König ihn in seiner Nähe ertragen kann. Und in der Nähe der Prinzessin! Es ist eine Beleidigung für die Sitten und Gesetze dieses Landes! Er gehört in die Verbannung!“

Der junge Mann, der da so schimpfte, redete sich immer mehr in Rage und schon waren ein paar Umstehende aufmerksam geworden. Seine Freunde versuchten, ihn zu beschwichtigen.

Wir sprechen immer noch von einem halbwüchsigen Jungen. Er ist nicht mehr als ein Knabe. Ich denke nicht, dass er in Zukunft irgendeine Bedeutung haben wird. Die Prinzessin hat einen Narren an ihm gefressen, deshalb behält der König ihn hier. Mehr ist nicht dabei, glaube ich.“

Ja, sie ist wahrhaft ein süßer Fratz“, meldete sich wieder der erste Mann zu Wort. Seine Empörung schien verflogen, stattdessen hatte sich jetzt ein anzügliches Grinsen auf seinem Gesicht ausgebreitet. Albin hörte den dumpfen Rhythmus seines wütenden Herzens in den Ohren. Wie eine zähflüssige Masse breitete sich Zorn in seinen Adern aus.

Ich würde ihr auch jeden Wunsch von den Augen ablesen.“

Wenn ihr noch ein anständiger Busen wächst in den nächsten Jahren…“

Albin bemerkte, wie sein Sichtfeld an den Rändern zu zittern begann. Und nicht nur seine Augen gerieten außer Kontrolle. Plötzlich fühlte es sich an, als würde die Erde unter seinen Füßen beben. Erschrocken zog er sich aus der anderen Welt zurück und die Schwärze der Nacht umfing ihn wieder. Die Kälte machte ihn mit einem Schlag hellwach und klar. Sein Atem ging schnell und er löste seine verkrampften Hände, die er die ganze Zeit zu Fäusten geballt hatte.

Was die Männer drüben sprachen, konnte er nun nicht mehr hören, aber sie kehrten ohnehin gerade in die Wärme des Zeltes zurück. Erschöpft lehnte Albin sich gegen den Baumstamm. Er war verwirrt von dem, was gerade geschehen war und das er sich noch immer nicht erklären konnte. Wieder rügte er sich selbst, so unvorsichtig gewesen zu sein. Es war gefährlich, mit dieser Gabe zu experimentieren, solange er überhaupt nichts darüber wusste. Immerhin hatte er keine Ahnung, was geschehen konnte, während er sich in dieser seltsamen Trance befand. Als er sich mit fahrigen Bewegungen über die Stirn wischte, fühlte er kalten Schweiß auf seiner Haut. Seine Kehle war ausgetrocknet, ja, der Durst machte ihn tatsächlich fast rasend. Noch einmal starrte er auf den Zelteingang und spielte mit dem Gedanken, hinein zu gehen und die Männer mit seinem Messer anzugreifen. Denn das, was ihn an diesen schändlichen Reden am meisten verletzte war die Tatsache, dass sie recht hatten. Wie ein Bettler musste er sich hier draußen im Schatten herumdrücken. Er war nicht mehr als ein geduldeter Gast in der Eisenfaust. Seine Anwesenheit versetzte so manchen in Wut, denn er war der Sohn eines Verräters und verdiente eigentlich ein Leben in Armut und Exil, wenn nicht gar den Tod. Zwar wagte es niemand, ihn offen anzufeinden, aber er spürte die Blicke genau und hatte während seiner Beobachtungen schon öfters entsprechende Bemerkungen gehört. Bisher hatte er sich eingeredet, dass er gerne ein Außenseiter war. Doch es stimmte, er hatte gekämpft und er hatte dazu beigetragen das Land zu retten. Warum war niemand bereit, das ernst zu nehmen? Wer ihn nicht für einen Verräter hielt, behandelte ihn wie einen dummen, kleinen Jungen, der nur zu Ruhm gelangt war, weil er sich zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort befunden hatte. Albin konnte nicht sagen, welche der beiden Varianten ihn im Grunde mehr verletzte. Dies hatte nichts mit seiner Abstammung zu tun. Er hatte sich durch seine Taten ausgezeichnet. Doch den Mann, zu dem er geworden war, schien niemand zu sehen. Auch nicht Amileehna. Immerhin saß sie stundenlang mit ihm am Kaminfeuer und redete, lachte und scherzte ohne auch nur zu ahnen, dass ihn das Verlangen nach ihr von innen zerfraß. Nicht einmal einen einzigen Kuss hatte er ihr stehlen können, als er sich aus ihrem Schlafzimmer verabschiedete und in sein Zimmer schlich.

Nun schlug er den Kragen seiner Jacke hoch und trat in den Regen hinaus. Er brauchte dringend etwas zu trinken und stapfte durch die aufgeweichte Wiese hinüber zu einem Stand, an dem ein Mann Schnaps aus unzähligen kleinen Fässchen ausschenkte. Albin kramte eine Handvoll Münzen aus seiner Tasche und knallte sie auf den Tresen. Der dicke Verkäufer musterte ihn prüfend. Albin erwiderte seinen Blick grimmig und schließlich nickte der Mann und stellte einen kleinen Becher vor ihn hin. Wenigstens einer hier erkennt, dass ich kein kleiner Junge bin, dachte er düster und stürzte den Schnaps hinunter. Seine Kehle fühlte sich an, als würde sie in Flammen aufgehen und er unterdrückte ein Husten.

Noch einen“, krächzte er und der Mann füllte seinen Becher wortlos bis zum Rand. Schon fühlte Albin das sanfte Kreisen in seinem Kopf, das ganz und gar natürlich war und nichts mit irgendwelchen seltsamen Wahrnehmungen zu tun hatte.

Er war nicht wütend auf die Männer, die über ihn schimpften und auch nicht auf die Kronräte, die ihn wie einen Idioten behandelten und ihm damit seine Arbeit nur umso leichter machten. Sein Zorn richtete sich gegen sich selbst, weil er zu feige war, aufzustehen und den Respekt einzufordern, der ihm zustand. Weil er nicht den Mut hatte, jeden in die Schranken zu weisen, der sich unangemessen über Amileehna äußerte Er mochte sich einreden, dass es unklug war, aufzufallen und er sich keine Feinde machen durfte. Aber war es in Wahrheit nicht doch die alte Angst vor der Demütigung, die ihn zurückhielt? War er nach all dem immer noch ein Feigling und würde er das auch für immer bleiben?

Als es ihm schwer fiel, aufrecht an der Bude stehen zu bleiben, weigerte sich der Schnapsbrenner, ihm noch mehr auszuschenken. Albin wollte gerade zu einer wütenden Tirade ansetzen, als ihn jemand in den Rücken stieß.

Junge, ich denke, du hast genug“, sagte Rheys ruhig und ergriff seinen Arm. Albin riss sich los.

Lass mich“, stieß er hervor, doch die Worte rollten nur noch schwerfällig über seine Zunge. „Ich brauche kein Kindermädchen. Ich weiß selbst, wann ich genug habe.“

Das Fest ist zu Ende“, erwiderte Rheys unnachgiebig. „Bring dich nicht in Schwierigkeiten und geh nach Hause.“

Albin rammte beide Fäuste gegen seine Brust und schubste ihn von sich weg. „Was ich mache, geht dich überhaupt nichts an!“ schrie er. „Vielleicht habe ich gerade Lust auf ein paar Schwierigkeiten! Wie wäre es?“ Seine Stimme klang fremd in seinen Ohren. „Gibt es hier jemanden, der Streit sucht? Ich wäre wirklich in Stimmung dafür!“

Plötzlich tauchte Bosco aus der Dunkelheit auf und legte seinen Arm um Albins Schultern wie einen Schraubstock.

Das ist ja alles sehr eindrucksvoll, mein Kleiner, aber es ist wirklich keine gute Idee, sich in deinem Zustand zu schlagen.“

Das verhaltene Lachen in seiner Stimme brachte Albin beinahe zur Weißglut. Selbst die Wölfe behandelten ihn wie ein dummes Kind. Er wand sich in dem festen Griff und versuchte, Bosco abzuschütteln. Schließlich schlug er mit aller Gewalt den Kopf nach hinten und hörte ein dumpfes Geräusch, als sein Schädel Boscos Gesicht traf. Sofort war er frei und sah im Fackelschein überdeutlich das hellrote Blut, das aus Boscos Nase lief.

Verdammter kleiner Hurensohn“, brummte Bosco. Dann sah Albin die geballte Faust auf sich zu kommen und tauchte ab in eine tiefe Dunkelheit.


Die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster fielen, stachen in Albins Augen wie spitze Nadeln. Mühsam wandte er den Kopf und stellte fest, dass er vollbekleidet in seinem Bett lag. Nur die dreckbespritzten Stiefel hatte ihm jemand ausgezogen. Die Kleider an seinem Leib waren noch feucht vom Regen und klebten kalt an seiner Haut. Er hatte einen widerwärtigen Geschmack im Mund und als er sich aufsetzte, revoltierte sein Magen. Außerdem schmerzte seine linke Gesichtshälfte, wenn er sie berührte. Er wollte aufstehen und sich einen Becher Wasser einschenken, aber er vertraute seinen Beinen nicht. Leise klopfte es an der Tür. Das Geräusch hallte schmerzhaft in seinem Kopf wieder.

Wer ist da?“ fragte er heiser.

Guten Morgen, Sonnenschein“, sagte Jessy und ihr grinsendes Gesicht erschien im Türspalt. Stöhnend ließ Albin sich in die Kissen zurückfallen.

Ich dachte mir, du möchtest vielleicht aufstehen“, sagte sie und kam herein ohne Einwände abzuwarten. Hinter ihr trat Sebel ein, die einen Eimer Wasser und frische Handtücher trug.

Wenn ich aufstehe, muss ich mich übergeben“, murmelte er. „Ich hatte doch nur ein paar Schnäpse an dieser Bude getrunken.“

Jedenfalls hast du eine richtig schöne Show abgezogen“, antwortete Jessy. „Ich meine, du hast Aufmerksamkeit erregt.“

Das Letzte, woran ich mich erinnere ist, dass Rheys mir gesagt hat, ich solle nach Hause gehen.“

Jessy zog ihn zum Sitzen hoch und ihre Augen weiteten sich ein wenig. Er musste wirklich schrecklich aussehen.

Tja, das hättest du wohl tun sollen. Stattdessen hast du Bosco beinahe die Nase gebrochen.“

Albin verschluckte sich an dem Wasser, das Sebel ihm gereicht hatte.

Große Mutter! Wie konnte das denn passieren? Ist er sehr wütend auf mich?“

Ich glaube nicht“, sagte Jessy. „Er hat dich sofort k.o. geschlagen, das hat ihn wohl beruhigt. Dafür siehst du jetzt aus wie ein Paradiesvogel mit diesem riesigen Veilchen im Gesicht.“

Oh je.“ Albin betastete vorsichtig die Schwellung. „So kann ich doch nicht zum Fest gehen!“

Jessy lachte. „Ich glaube, niemand wird darauf achten. Du bist immerhin nicht die Hauptperson. Und jetzt komm auf die Beine, es geht schon in einer Stunde los.“

Albin trank noch etwas Wasser und fühlte sich schon ein wenig besser. Trotzdem hämmerte sein Kopf schrecklich und noch mehr beunruhigten ihn diese Neuigkeiten. Er musste sich völlig vergessen haben. Er erinnerte sich an seine Wut und Unzufriedenheit. Aber dass es ihn soweit treiben würde, einen Freund anzugreifen, kam ihm völlig absurd vor.

Mach dir keine Gedanken“, meinte Jessy. „Das passiert jedem. Irgendwie warst du wohl ziemlich schlechter Laune. Alkohol ist da nicht gerade die beste Lösung.“

Sie beobachtete ihn forschend von der Seite. „Wirst du dich heute benehmen?“

Er sah sie entrüstet an. „Natürlich werde ich das! Es ist einer der wichtigsten Tage in Amileehnas Leben!“

Gut, du bist wieder der Alte“, sagte sie zufrieden und tätschelte seinen Oberschenkel. „Als ich gehört habe, dass du dich mit Bosco angelegt hast, dachte ich kurz, du hättest den Verstand verloren.“

Jessy, lass uns jetzt gehen. Es ist spät und wir haben noch viel zu tun“, mahnte Sebel und wandte sich zur Tür.

Was denn?“ fragte Albin neugierig.

So kann ich ja wohl nicht unter die Leute gehen“, meinte Jessy und wies auf ihre schlichte Aufmachung in Hemd und Hose. „Sogar ich darf mich heute als Prinzessin verkleiden. Und das braucht seine Zeit, wie du dir sicher denken kannst. Also bis später.“


Nachdem Albin sich gewaschen und angekleidet hatte, glaubte er einen erfreulichen Moment lang, sich besser zu fühlen. Doch sobald er den Prinzenbau verließ und ins helle Tageslicht trat, begannen die hämmernden Kopfschmerzen aufs Neue. Die frische Luft verursachte ihm Übelkeit und beim Gedanken daran, seinen gereizten Magen in wenigen Stunden mit einem mehrgängigen Festmahl zu überraschen, wurde ihm schwindelig. Also suchte er mit unsicheren Schritten die Küche auf. Kyra würde ihm nicht nur trockenes Brot und Milch sondern auch einen Kräutersud gegen seine Kopfschmerzen geben können. Doch schon im Treppenhaus, das vom Hof hinunter in die geräumige Küche führte, wurde ihm klar, dass dieser Plan nicht aufgehen würde. Dort unten herrschte Hochbetrieb, Kyra schien jede verfügbare Kraft in der Burg zum Dienst in der Küche abberufen zu haben. Die Gänge waren völlig überfüllt mit Mägden und Burschen, die Töpfe, Schüsseln und Zutaten für all die Speisen hin und her trugen und dabei in Laufschritt verfielen, sobald sie genügend Raum dafür hatten. Das Geschrei ließ Albins Schädel dröhnen und er wollte schon umkehren, als er Bosco sah, der sich eben zwischen den nervösen Dienern hindurch quetschte um in die Küche zu gelangen. Als Albin seinen Namen rief, wandte er sich um und erneut packte Albin der Impuls zu fliehen. Boscos Nase war geschwollen und seine Augen blutunterlaufen. Doch als er Albin sah, grinste er und winkte. Erleichtert folgte Albin ihm die Küche, wo Kyra in der Mitte ihres hektisch arbeitenden Küchenpersonals stand und Anweisungen brüllte.

Erinnert mich an dich auf dem Übungsplatz“, meinte Albin.

Sie hat drei Nächte nicht geschlafen vor Aufregung“, antwortete Bosco. „Das ist der wichtigste Tag in ihrem Leben. Abgesehen von dem, an dem sie mich geheiratet hat, natürlich.“

Ich hoffe, alles läuft nach Plan?“

Ganz und gar nicht. Wichtige Zutaten aus Südland, die sie schon vor Monaten bei einem Händler in der Stadt bestellt hat, sind nicht geliefert worden. Der Mann schimpfte irgendwas über die Karawanen und die Banditen in der Ebene, die den Handel mittlerweile fast unmöglich machen. Da scheint etwas im Argen zu liegen, wenn du mich fragst.“

Da hast du recht, dachte Albin. Er vermutete, dass Kyras verzögerte Bestellung kein Einzelfall war und es schon Gerüchte über die veränderte Stimmung im Südland in ganz Ovesta gab.

Jedenfalls war sie in heller Panik, weil sie ein paar Rezepte im letzten Moment ändern musste.“

Kyras sonst so streng aufgestecktes Haar war unter der Haube herausgerutscht und ihr Gesicht hochrot vor Hitze und Anstrengung. Mit militärischer Strenge erteilte sie knappe Anweisungen und Köchinnen und Mägde arbeiteten schweigend und hoch konzentriert.

Dann ist wohl nicht der richtige Zeitpunkt, sie nach einem Kopfschmerzmittel zu fragen“, meinte Albin. „Ich habe einen schlimmeren Kater als je zuvor.“

Den hast du auch verdient“, brummte Bosco.

Es tut mir wirklich leid. Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist.“

Mach dir nichts draus, Kleiner. Ich werde es schon überleben. Aber wenn du etwas gegen einen Kater brauchst, habe ich genau das richtige für dich.“

Bosco verschwand zwischen den emsigen Arbeiterinnen und kehrte kurz darauf mit einem Krug in der Hand zurück, der vor frisch gezapftem Bier überschäumte. Albin schaute ungläubig auf den Krug, dann auf Bosco und spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte. Während er nach draußen stürzte, hörte er Boscos heiteres Gelächter durch das Treppenhaus schallen.


Albin hatte sein ganzes Leben in der Eisenfaust verbracht und schon oft hatte es Anlässe gegeben, zu denen die Burg großartige Feste ausrichtete. Aber dieses Bankett übertraf alles, was er bisher gesehen hatte. In der Großen Halle speisten doppelt so viele Menschen wie sonst, die langen Tafeln waren prunkvoll mit Silbergeschirr und riesigen Leuchtern gedeckt, in denen verschwenderisch viele Kerzen brannten. Die schweren bestickten Damastdecken auf den Tischen reichten bis zum Boden. Krüge mit Wein und Bier standen dort, das Licht funkelte auf kostbaren Kristallkelchen und goldenem Besteck. Schalen mit Obst und Gebäck standen bereit, damit in den Pausen zwischen den Gängen auch niemand Hunger verspürte. In der Mitte des Saales gab es eine große Freifläche, wo später getanzt werden sollte. Nun saßen dort einige Musiker. Der sanfte Klang von Harfe, Laute und Geige untermalte das aufgeregte Gemurmel und die beeindruckten Ausrufe der Gäste. Auch diese hatten sich mächtig in Schale geworfen. Albin ging in seiner schlichten Kleidung förmlich unter, so farbenprächtig und reich bestickt waren die Röcke und Mieder der Damen. Die Herren hatten sich mit Juwelen und Schmuckwaffen behängt. An diesem Tag schien es jeder darauf anzulegen, den anderen aufzufallen. Oder vielleicht wollten sie nur einen Eindruck bei der zukünftigen Königin hinterlassen. Wenn sie nur wüssten, dachte Albin, dass sie nichts davon sehen wird. All der Putz interessiert sie doch überhaupt nicht. Eigentlich war Albin kein geladener Gast und hatte hier in der Halle nichts verloren, aber dieses Spektakel konnte er sich einfach nicht entgehen lassen. Weil er im ganzen Palast ein und aus ging, hatte die Wache an der Tür ihn bedenkenlos durchgelassen. Nun hielt er sich im Schatten der steinernen Stützpfeiler auf, die die Galerie des oberen Stockwerks trugen. Er hatte keinen Platz an der Tafel, wusste aber, dass er sich hier und da einen Bissen von einem vorbeigetragenen Tablett stibitzen konnte.

Was hast du denn hier zu suchen“, brummte Rheys neben ihm. Albin zuckte zusammen, denn der große Mann war wie aus dem Nichts neben ihm aufgetaucht.

Tja, eine offizielle Einladung habe ich nicht…“, antwortete Albin unsicher. Rheys war im Stande, ihn einfach hinaus zu werfen. Es war ihm unmöglich, dessen ernste Miene zu durchschauen, aber dann zuckte sein Mundwinkel beinahe unmerklich.

Sieh zu, dass niemand dich bemerkt“, sagte er dann. Albin lächelte erleichtert.

Und Rheys, wegen gestern…“

Rheys durchdringender Blick verstärkte sein schlechtes Gewissen noch.

Es sieht dir nicht ähnlich, dich so zu betrinken“, sagte er. „Gibt es etwas, das du mir sagen willst?“

Ich hatte das Gerede von ein paar Männern belauscht“, antwortete Albin kleinlaut. „Da wurde ich einfach wütend. Über alles.“

Worüber haben sie gesprochen?“

Na über mich. Mich kleinen, lächerlichen Wicht…“

Hm, sagt nicht ein Sprichtwort: ,Der Lauscher an der Wand,…’

,hört seine eigne Schand.’ Ich weiß. Und ich gebe ja auch gar nichts darauf, was andere sagen. Aber ihr Wölfe, ihr tragt eure Schwerter und euer Wappen und jeder bewundert euch. Jeder respektiert euer Wort.“

Du bist ein Held“, sagte Rheys und Albin blieb der Mund offen stehen. Ein solches Lob von Rheys gab es nicht häufig. „Und die Menschen, die wirklich zählen, wissen das. Die Prinzessin, deine Freunde, der König. Aber vor allem du selbst. Nur das ist wichtig.“

Albin nickte knapp. Er hatte plötzlich einen dicken Kloß in der Kehle und konnte nicht antworten. Rheys’ Worte bedeuteten ihm viel, auch wenn es schwer war, sich daran aufzubauen.

In diesem Augenblick schwoll die ruhige Melodie der Musikanten an und die Gäste verstummten. Ein Trommler kündigte das Eintreten der königlichen Familie an und aller Augen richteten sich erwartungsvoll auf die Tür. Wohlwollendes Gemurmel empfing König Bairtlímead und Königin Sílean, beide in herrliche blau-weiße Gewänder gekleidet und mit den Kronjuwelen geschmückt. Hinter ihnen kam Amileehna und die versammelten Gäste begannen zu applaudieren und schließlich zu jubeln. Der Kloß in Albins Hals wurde noch ein wenig dicker. Sie sah atemberaubend schön aus in ihrem türkisfarbenen Kleid und dem silbern bestickten Mieder. Das Haar war aufgetürmt und Edelsteine blitzten darin. Ihre Augen blickten für einen Moment unsicher über die Menge hinweg, doch dann gewann ihr Lächeln an Kraft und sie strahlte heller als alle Fackeln und Kerzen im Saal. Hinter ihr war Jessy eingetreten. Auch sie sah sehr schön aus in ihrem silbergrauen Kleid, mit kunstvoller Frisur und bescheidenem Schmuck. Ihre Wangen waren gerötet und Albin sah, dass sie prüfende Blicke in alle Winkel des Raumes warf, wo die Wölfe sich postiert hatten. Dann schien sie beruhigt.

Große Mutter“, sagte Albin. „Sie ist wirklich eine Königin, nicht wahr?“

Er bekam jedoch keine Antwort. Rheys starrte Amileehna an und schien die Worte gar nicht gehört zu haben. Normalerweise verlor er sich niemals in Gedanken, er überhörte nichts und seine Aufmerksamkeit schweifte nicht für einen Augenblick ab. Doch der Anblick fesselte ihn offensichtlich.

Kaum zu glauben, wenn man sie mit kurzem Haar und in Männerkleidern durch die Berge hat reiten sehen“, fuhr Albin fort.

Was hast du gesagt?“ fragte Rheys und schien plötzlich verwirrt.

Die Prinzessin“, wiederholte Albin. „Sie ist sehr schön, oder nicht?“

Rheys blinzelte und schüttelte den Kopf, als wundere er sich über sich selbst. „Ja, natürlich.“

Dann verschwand er in der Menge um wenig später in der Nähe der Hohen Tafel wieder aufzutauchen, wo er sich den ganzen Abend aufhalten und den König bewachen würde. Albin schaute zu, wie Amileehna sich setzte und Jessy neben ihr Platz nahm. Sie durfte heute als Gast am Tisch sitzen und musste deshalb auch so festlich gekleidet sein. Die beiden steckten für einen Moment die Köpfe zusammen und lachten über irgendetwas. Plötzlich wurde Albin klar, dass es nicht Amileehna war, die Rheys angestarrt und deren Schönheit ihm alle Konzentration geraubt hatte.


Aus dem Schatten heraus beobachtete Albin die Gäste. Es wurde gelacht, geflüstert und geschimpft, nur unterbrochen von wohlwollendem Seufzen und lobenden Worten über das Essen und den Wein. König Baírtlimead hatte die erlesensten Tropfen aus den Kellern der Eisenfaust holen lassen und selbst Albin, der nichts von Wein verstand und es schaffte, sich hin und wieder einen Becher füllen zu lassen, genoss den Geschmack. Außerdem hatte man wahrlich keine Kosten für dieses Fest gescheut. Es gab Unmengen an Fleisch, auch seltenstes Wild und Geflügel, Fisch und Muscheln und exotische Früchte und Gewürze, die den Weg aus Samatuska unbeschadet überstanden hatten. Zwischen den Gängen wurden kleine Süßigkeiten gereicht, wie Albin sie noch nie gekostet hatte. Kyras Kochkunst übertraf alle Erwartungen und viele der sonst so hochnäsigen Edelleute baten die Diener, der Köchin ein Lob zu überbringen. Die Musikanten wechselten sich ab und spielten mal fröhliche, mal ruhige Melodien. Es gab Artisten und Sänger, die während des Essens für Unterhaltung sorgten. All diese Eindrücke - selbst das hervorragende Essen - berührten Albin nur am Rande. Sein Blick bliebt stets auf Amileehna gerichtet, die eifrig lächelte, aber kaum aß und nur hin und wieder an ihrem Wein nippte. Sie bemühte sich, alle Freundlichkeiten zu erwidern und sich strahlend zu zeigen, wie es nur eine Prinzessin sein konnte. Doch sobald die allgemeine Aufmerksamkeit sich von ihr abwandte, erkannte er, wie ihre Miene erstarrte und sie die Erschöpfung kaum verbergen konnte. Von Jessy wusste er, dass sie den Ritt durch die Stadt sehr genossen hatte. Zu spüren, wie sehr das Volk sie liebte und anerkannte, erfüllte sie mit Stolz und Erleichterung. Aber hier, inmitten derer, die sie so kritisch beobachteten und ihre Gedanken hinter Schmeicheleien verbargen, fühlte sie sich unwohl.

Die Tischdiener bemühten sich darum, alle Becher stets gefüllt zu halten, doch die meisten Gäste hielten sich noch etwas zurück. Denn bald sollte der Tanz beginnen und niemand wollte es riskieren, seinem Partner die Zehen zu quetschen, weil er zu betrunken war. Albin wurde unruhig, als er sah, wie die jungen Männer im Saal einer nach dem anderen aufstanden. Sie traten an die Hohe Tafel, begrüßten den König und gratulierten Amileehna. Danach baten sie um einen Tanz mit der Prinzessin und diese beantwortete die Anfragen mit jenem huldvollen Nicken, das man ihr seit Kindertagen anerzogen hatte. In ihren Augen sah Albin jedoch, wie furchteinflößend und befremdlich sie es fand, mit all diesen fremden Männern tanzen zu müssen. Zweifellos waren sie alle Heiratskandidaten und Albin konnte am Gesicht der Königin ablesen, welche sie in Betracht zog, und welche ihr zuwider waren. Dennoch blickte sie stolz auf ihre Tochter, die ihre Rolle an diesem Abend so gut spielte. Ja, eine Rolle, mehr war es nicht. Ein Schauspiel, das sie aufführte und das ihr nicht zu Herzen ging.

Das Festmahl neigte sich dem Ende zu. Die schweren Tischtücher waren mit Krümeln und Soßenflecken bedeckt, Kerzenwachs tropfte von den Leuchtern und in den Duft unzähliger Parfums mischte sich der Körpergeruch der schwitzenden Gäste. Albin hatte zu viel getrunken und zu wenig gegessen. Die Diener, die die Speisen brachten, waren so eifrig bemüht, schnell an die Tafel zu kommen, dass Albin einen von ihnen hätte niederschlagen müssen, um eine ausreichende Portion zu ergattern. Aber sein Magen fühlte sich immer noch flau an und der Wein war ihm sofort zu Kopf gestiegen. Nun wanderte er auf und ab und stellte fest, dass ein paar Gäste auf ihn aufmerksam geworden waren. Schließlich wagte er sich näher an die Hohe Tafel und bald sah Amileehna in seine Richtung. Es war einer der kurzen Momente, in denen sie sich gehen ließ und ihr Gesicht entspannte. Doch als sie ihn sah, lächelte sie überrascht und fragend. Albins Herzschlag begann, sich zu beschleunigen. All die Zweifel und Gedanken, die ihn in der letzten Nacht gequält hatten, stiegen mit erstickender Deutlichkeit wieder in ihm hoch. Nein. Er würde nicht für immer im Schatten warten. Er würde nicht länger ein dummer Junge sein.

Als er an der langen Tafel entlang ging, spürte er jeden einzelnen Blick. Das erregte Raunen klang in seinen Ohren nicht beunruhigender als Regen, der auf Dachschindeln prasselt. Als Amileehna ihn auf sich zukommen sah, wurden ihre Augen groß und rund vor Staunen. Ihre Lippen öffneten sich, als wolle sie etwas sagen. Albin wandte den Blick nicht von ihr ab, er wollte für immer in Erinnerung behalten, wie sie in diesem Moment aussah.

Was soll das?“ zischte die Königin kaum hörbar, als er die Hohe Tafel erreicht hatte und sich ehrerbietig vor dem Königspaar verneigte.

Ich komme um der Prinzessin meine Glückwünsche zu überbringen“, sagte er förmlich. „Möge sie immer so gesund, glücklich und schön bleiben wie an diesem Tag.“

Albin warf einen schnellen Blick auf Jessy, doch die grinste nur in ihren Becher. Das bestärkte ihn und auch der winzige Zweifel, den er gehabt hatte, schwand dahin. Er wandte sich an den König.

Habe ich die Ehre, mit ihr zu tanzen?“

Königin Sílean rutschte auf die Kante ihres Stuhls, als wolle sie am liebsten aufspringen.

Du hast hier…“, begann sie.

Nun“, fuhr der König dazwischen. „Wenn sie das möchte. Es ist immerhin ihr Geburtstag.“

Albin nickte ihm zu und glaubte, in dem dichten Bart den Hauch eines wohlwollenden Lächelns zu entdecken.

Und möchtet Ihr?“ fragte er nun Amileehna. Eine zarte Röte hatte sich über ihren Wangen ausgebreitet.

Nichts würde ich lieber tun“, antwortete sie.

Während die Musik lauter und schwungvoller wurde und die Paare sich zum Tanz zusammen fanden, wartete Albin, bis er an der Reihe war. Amileehna war wunderschön in ihrem eindrucksvollen Kleid, das sich nun, da sie sich elegant und mühelos zur Musik bewegte, wie ein lebendes Wesen um ihren Körper bauschte. Die Gäste applaudierten ihr und sie schien sich zu entspannen. Nach dem dritten Tanz machte sie eine Pause um etwas Wein zu trinken. Albin ließ sie keine Sekunde aus den Augen und ihren vierten Tanzpartner, einen schlaksigen Jüngling mit zittrigen Händen würdigte sie keines Blickes, sondern sah die ganze Zeit zu Albin herüber. Schließlich war er an der Reihe, legte den Arm um ihre Mitte und zog sie fest an sich. Er war sich sicher, dass jeder im Saal sehen konnte, was ihm nicht erlaubt war, auszusprechen.

Dieses Mädchen gehört mir.

Bist du verrückt geworden?“ fragte Amileehna atemlos, während sie sich zusammen im Kreis drehten. „Du dürftest gar nicht hier sein und dann forderst du mich auch noch auf? Meine Mutter wird sehr böse sein…“

Das klingt ja, als wärst du wütend auf mich?“

Natürlich nicht! Ich freue mich darüber“, sagte sie. „Sehr.“

Albin war wie berauscht von der Musik und dem Duft, der aus ihrem Haar und von ihrem nackten Hals aufstieg.

Und nun?“ fragte sie und legte den Kopf schief. „Alle anderen haben mir gesagt, wie wunderbar ich heute aussehe. Möchtest du dich anschließen?“

Albin erwiderte ihren Blick ernst. „Du siehst jeden Tag wunderbar aus. Das habe ich dir schon oft gesagt. Und mir kannst du es auch glauben.“

Ich glaube dir immer.“

Albin beugte sich noch ein wenig weiter zu ihr herunter und spürte ihren Atem auf seinem Gesicht.

Ich liebe dich. Ich habe dich geliebt, als du dein Haar abgeschoren hattest und Männerkleider trugst. Als du noch keine Thronerbin warst, nicht einmal eine Prinzessin, sondern nur Ami. Und ich werde dich lieben, wenn du alt und nicht mehr schön bist und wenn all das hier nur noch Staub ist. Glaubst du mir das?“

Er spürte, wie sie in seinen Armen plötzlich ganz weich und federleicht wurde, so sehr schmiegte sie sich an ihn. Worte hätten keine deutlichere Antwort sein können. Plötzlich sah er sie wieder vor sich, schmutzig und erschöpft von einer unendlich langen Reise. Er hörte ihr Lachen am Lagerfeuer und sah ihr Lächeln, wenn sie sich im Sattel nach ihm umdrehte. Jeder einzelne Augenblick hatte sich tief in seinem Inneren eingeprägt. Ja, er war immer ehrlich zu ihr gewesen und keines der Worte, die er eben gesagt hatte, war gelogen.

Die Musik endete und Amileehna hielt seine Hand fest, bis der nächste Tanzpartner sich ungeduldig näherte. Er starrte Albin wütend an und zog die Prinzessin fort. Sie bemühte sich noch, zu ihm zurückzuschauen, doch die Menge der Tanzenden schlossen sich um sie und verstellten ihr den Blick. So als hätten sie sich verschworen, das Paar zu trennen, solange es noch ging.

Nun erst bemerkte Albin wieder die neugierigen und missgünstigen Blicke. Er sah Rheys, der mit düstere Miene kaum merklich den Kopf schüttelte. Es war Zeit für ihn zu gehen. Der einzige, der ihm wahrhaft fröhlich zulächelte, war Herr Efrem. Er hob seinen Becher in Albins Richtung, als wolle er auf sein Wohl und seinen Erfolg anstoßen. Doch bevor irgendjemand ihn ansprechen konnte, floh Albin aus der Halle in die Dunkelheit.


Das regnerische Wetter am nächsten Morgen kam Albins Plänen sehr entgegen. Er war früh aufgestanden und in der gesamten Burg herrschte Ruhe. Das Bankett hatte bis in die Morgenstunden gedauert. Im Hof lungerten ein paar verkaterte Wachen herum und drängten sich unter den Vordächern zusammen, um sich vor dem Regen zu schützen. Albin fühlte sich hingegen besser, als je zuvor. Er war so belebt und voller rastloser Energie, dass er sich an die Tage nach seiner Heilung im südländischen Dschungel erinnert fühlte. Heilung war vielleicht das falsche Wort dafür. Er war beinahe tot gewesen, hingerichtet von dem Verräter Morian, dessen Geheimnissen Albin auf die Spur gekommen war. Jessy hatte sich über alle Regeln hinweg gesetzt und ihn von dem Magier Sketeph retten lassen. Mit einem Zauber, den Albin nicht einmal im Ansatz verstehen konnte, hatte der Mann ihn von den Toten zurückgeholt. Nicht nur seine schrecklichen Wunden und sein Fieber waren dadurch geheilt worden - als Albin erwachte, war er ein völlig neuer Mensch gewesen. Und genauso fühlte er sich heute. Frisch, wach, voller Kraft. Nichts konnte ihn aufhalten oder seine Pläne durchkreuzen. Nicht nach dieser Nacht. Er wusste jetzt, dass Amileehna seine Liebe erwiderte und dass sie sich nur dagegen wehrte, weil sie ihn eigentlich nicht lieben durfte. Aber da war eine solche Hingabe in ihren Augen gewesen… niemals hätte er sich träumen lassen, dass sie ihn einmal mit einem solchen Blick anschaute. Sein Leben hatte endlich einen Sinn.

Beschwingt ging er hinunter in die Küche, wo er nur zwei müde Mägde vorfand, die ihn mit Brot und Milch versorgten. Dann machte er sich in die Stadt auf. Der Regen wurde stärker und jenseits des Burgtors schlug er den Kragen seines abgetragenen Mantels hoch und setzte eine Kappe aus dunkler Wolle auf. Seine roten Haare waren auffällig, so war er dankbar für einen guten Grund, sie zu verstecken.

In Ovesta herrschte bereits reges Treiben, die Marktweiber öffneten ihre Buden und eine Reihe voll bepackter Bauernkarren ratterte über das Pflaster, um ihre frischen Waren rechtzeitig auszuliefern. Mägde mit Einkaufskörben und Handwerker auf dem Weg zu ihrer täglichen Arbeit eilten durch die Straßen. Ein paar räudige Hunde wühlten in den Abfällen am Straßenrand, bevor das Gewimmel zu dicht wurde. Albin kam schnell vorwärts, er kannte Abkürzungen und wusste, welche Straßenzüge um diese Zeit schon belebt waren. Schließlich wehte ihm eine kühle Brise entgegen, die den Geruch von Fisch und Algen mit sich brachte. Der Hafen war nicht mehr weit.

Der schiefergraue Himmel spiegelte sich in den unruhigen Fluten des Alten Mannes und ließ den Fluss kalt und düster wirken. Die unzähligen Schiffe und Boote, die an den Landungsstegen befestigt waren, schaukelten und wiegten sich wie nervöse Pferde. Die Wellen gluckerten gegen die Planken und Holzpfosten und die schweren Taue knarzten. Am Himmel kreischten Möwen und hin und wieder ertönten die lauten Rufe der Seeleute auf den ankernden Schiffen. Bei schönem Wetter war der Hafen ein erhebender Anblick, der Albin schon immer fasziniert hatte. Es gab die riesigen Handelsschiffe mit den polierten Decks und den strahlend weißen Segeln und die heruntergekommenen Boote der Fischer, schnelle Postschiffe und elegante Passagierschiffe, die wie schwimmende Häuser aussahen. Heute jedoch war von der ganzen vielfältigen Pracht nicht viel zu sehen und das lag nicht nur am Regen. Es waren kaum Menschen unterwegs. Wie es schien war an diesem Morgen noch kein Frachter eingelaufen, der entladen werden musste. Das war ungewöhnlich und ein weiterer Hinweis darauf, dass der Warenverkehr mit Samatuska nicht mehr richtig funktionierte. Normalerweise kamen fünf bis zehn Schiffe täglich den Fluss heraufgefahren und versorgten die Menschen von Ovesta mit Wein, exotischen Lebensmitteln, Stoffen und vielen anderen Luxusgütern, die in Westland nicht hergestellt wurden.

Albin beobachtete eine Weile die heimkehrenden Fischer, die schon im Morgengrauen losgezogen waren und nun ihren Fang an Land brachten. Ein paar gut gekleidete Seeleute standen beieinander und unterhielten sich lachend. Sicher waren sie Matrosen von einem der großen Handelsschiffe und freuten sich darüber, nicht allzu viel Arbeit zu haben. Albin beneidete sie ein wenig. Zwar hatten sie kein richtiges Heim und sahen ihre Familien kaum, doch dafür lernten sie die ganze Welt kennen und ihr Leben bestand aus einer ständigen Reihe von Abenteuern. Jede Fahrt führte sie ein Stück weit ins Ungewisse. So ein Dasein war nicht vergleichbar mit dem Herumsitzen in Schreibstuben…

Schaff dir doch ein Liebchen an, wenn du dich langweilst“, sagte einer der Männer und stieß einen anderen scherzend in die Seite. Sie waren allesamt nicht älter als fünfundzwanzig und trotzdem waren ihre Gesichter vom Wetter gegerbt und ihre Körperhaltung zeugte von Lebenserfahrung und Selbstbewusstsein. Albin wusste, dass die meisten Kapitäne schon zehnjährige Jungen anheuerten, die Waisen waren oder von ihren Familien nicht versorgt werden konnten. Diese Kinder wurden auf See zu Männern und kannten nichts als das Leben auf Schiffen. Sie wurden schnell erwachsen und durchlebten schon in jungen Jahren mehr Strapazen und Gefahren als die meisten Städter in ihrem ganzen Leben.

Ich sage ja nicht, dass ich mich langweile“, antwortete ein anderer. „Aber seit drei Wochen sind wir an Land! Solange war ich nicht mehr in der Stadt seit ich ein kleiner Junge war. Wahrscheinlich werde ich seekrank, wenn ich das nächste mal auslaufe.“

Wenn den reichen Herren das Risiko zu groß ist, bleiben wir nun mal an Land. Mir ist es lieber so. Hast du etwa Lust, dich mit irgendwelchen südländischen Räubern herum zu schlagen, die dich kapern wollen? Ich nicht.“

Wenn du die Gefahr nicht scheust“, meinte ein dritter und wies mit dem Daumen auf ein Schiff, das weiter unten am Kai vor Anker lag, „dann heuer dort an. Manche fahren auch beim größten Sturm hinaus.“

Die Männer schauten schweigend auf den stattlichen Dreimaster, der ein wenig abseits in den Wellen schaukelte. Erst jetzt fiel Albin das Schiff auf, obwohl es sich so deutlich von den anderen unterschied. Das Holz war alt und vielfach geschliffen und gescheuert. Die Galeonsfigur war aus dunklem Holz geschnitzt und zeigte eine vollbusige Frau mit wildem Haar, deren Gesicht eine furchteinflößende Fratze mit spitzen Zähnen war. Albin schauderte. Schön und gefährlich wie eine Hexe sah sie aus. Es gab kein Wappen oder Abzeichen, das auf den Besitzer des Schiffes schließen ließ. Aber die Segel waren pechschwarz.

Nein danke“, sagte er junge Seemann. Der Anblick bereitete ihm offensichtlich Unwohlsein. Als sei das Schiff die Gefahr selbst und nicht das, was auf dem offenen Meer zu befürchten war. „Ich hänge zu sehr am Leben.“

Man sagt, sie zahlen nicht schlecht. Wenn einer nicht zu viele Fragen stellt…“

Sie sind Verbrecher und ehrloses Gesindel“, ereiferte sich ein anderer zornig. „Keinen Gedanken solltet ihr daran verschwenden! Diese Männer verachten jedes Seerecht und die meisten von ihnen sind ohnehin nur auf der Flucht vor dem Gesetz.“

Der König scheint da recht großzügig zu sein. Immerhin flanieren sie durch die Stadt und keiner legt ihnen einen Strick um den Hals.“

Ihr seht mir alle nicht wie Piraten aus“, sagte einer lachend um den Streit zu entschärfen. „Also bleiben uns doch nur die Langeweile und die Weiber. Zeit, dass wir uns nach ihnen umschauen.“

Die Männer entfernten sich in Richtung einer Taverne und Albin betrachtete noch eine Weile das düster wirkende Kriegsschiff. Die vernarbten Planken zeugten von unzähligen Kämpfen. Beim Gedanken an das viele Blut, das schon in dieses Holz eingesickert war, schauderte er. Es hatte schon immer Räuberbanden auf dem Südlichen Meer gegeben, die Frachtschiffe überfielen und deren Besatzung töteten um an die Reichtümer unter Deck zu gelangen. Sie bestanden tatsächlich zumeist aus Verbrechern, die in Westland gesucht und geächtet waren und deshalb auf dem Meer ihr Unwesen treiben mussten. Aber viele dieser Männer, über die man sich blutrünstige Geschichten erzählte, waren heutzutage einfache Seeleute, die sich den strengen Richtlinien der Kaufleute nicht mehr unterwerfen und ihr eigenes Glück machen wollten. Männer, die ihre eigenen Gesetze machten und vor Waffengewalt nicht zurückschreckten, um sich die Taschen zu füllen. Es war verwunderlich, dass eines dieser Schiffe hier in Ovesta vor Anker lag - vor den Augen des Königs und Seite an Seite mit den Schiffen, die es sonst bekriegte. Eine Dreistigkeit, die Albin sehr neugierig machte. Er ging näher heran, doch auf Deck konnte er niemanden sehen. Die Besatzung trieb sich wohl in den Gassen der Stadt herum. Ein einzelner Wachposten lehnte an der Reling. Er beobachtete Albin und dieser erwiderte seinen Blick furchtlos. Obwohl der Pirat nicht gerade freundlich dreinschaute. Sein Gesicht war mit grauen Bartstoppeln bedeckt und sein linkes Auge von einem hässlichen Narbengewebe überwuchert. Schließlich grinste er und entblößte ein lückenhaftes Gebiss, dann spuckte er ins Wasser und wandte sich ab.

Albin steuerte eine Taverne an. Hier draußen gab es wahrlich nichts Interessantes zu sehen und der Regen hatte ihn völlig durchnässt. In der Schänke, die er betrat, stank es nach altem Fett und Fisch. Der niedrige Raum wurde nur von ein paar verrußten Lampen unter der Decke erhellt. Jeder Gedanke an eine warme Mahlzeit verflog schlagartig, als er die Ratten sah, die sich unter den Tischen um Brotreste zankten. In der Nähe des kalten Kamins schlief ein zerlumpter Mann seinen Rausch aus, ansonsten war die Schänke leer. Um diese Tageszeit gab es keine Meuten rauflustiger junger Männer, keine Huren oder Beutelschneider, die auf betrunkene Opfer aus waren. Albin setzte sich und bestellte bei der mürrischen Wirtin, die eine fleckige Schürze trug, einen Krug Bier. Es schmeckte scheußlich und er hegte Zweifel daran, ob der Krug überhaupt schon jemals gespült worden war. Er kramte in seinen Taschen nach passenden Münzen, um das ungenießbare Getränk zu bezahlen und sich dann schleunigst auf dem Heimweg zu machen. Der Hafen war immerhin wie ausgestorben und nicht gerade die lohnende Informationsquelle, die er sich erhofft hatte. Doch plötzlich ließ ihn ein Wispern aufmerksam werden. Er hatte es mehr gespürt als gehört und trotzdem hatte er sofort den Eindruck, dass es wichtig war, darauf zu achten. Zwei Männer sprachen sehr leise am anderen Ende des Raums miteinander. Er hatte sie gar nicht bemerkt. In einem finsteren Winkel außerhalb des Lampenscheins konnte er nun deutlich die Gestalten ausmachen, die sich zueinander beugten und bemüht schienen, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Nun ließ Albin ein Geldstück auf den Boden fallen, um sich dann umständlich danach zu bücken. Wie erwartet, waren die Männer von dem lauten Knallen der Münze auf den Dielenbrettern kurz aufmerksam geworden und sahen hoch. Albin konnte einen Blick auf ihre Gesichter werfen. Einer von ihnen, der Ältere, sah erschrocken drein, als habe man ihn bei etwas Verbotenem ertappt. Seine blasse Haut und die hängenden Backen ließen darauf schließen, dass er ein Mensch war, der sich meistens drinnen aufhielt. Albin konnte seine Kleidung nicht genau erkennen, doch er war sicher, goldene Knöpfe und leuchtend weißes Leinen unter einer dunklen Jacke hervor schimmern zu sehen. Ein reicher Mann also, der normalerweise nicht in solchen Spelunken wie dieser verkehrte. Der andere Mann wandte sich nur kurz nach Albin um. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Dies war der finsterste Kerl, den er jemals gesehen hatte. Das Haar hing ihm lang bis auf die Schultern, das Gesicht war von Wind und Wetter gegerbt wie altes Leder. Aber auch seine Kleidung war nicht schäbig und an den Fingern trug er goldene Ringe. Der Blick aus seinen Augen war eiskalt und voller Berechnung. Eilig setzte Albin sich wieder auf die Bank und schaute konzentriert auf die klebrige Tischplatte. Nun waren all seine Sinne auf das Gespräch dieser beiden Männer ausgerichtet.

Der finstere Kerl lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wirkte sehr selbstsicher, beinahe gelangweilt.

Und warum kommst du nun zu mir?“ fragte er sein Gegenüber.

Der dicke Mann wand sich ein wenig. Immer wieder schaute er durch den Raum um sicher zu gehen, dass niemand lauschte. Albin spürte seinen unruhigen Blick über sich hinweg streichen.

Ich kann diese Risiken nicht länger eingehen. Ich habe schon zwei Schiffe bei den Inseln verloren, ein Vermögen“, sagte er leise.

Du wirst sicher nicht so schnell verhungern“, antwortete der andere und grinste kalt. „Und dass es draußen gefährlich geworden ist, weiß ich selbst. Wenn es nicht der südländische Abschaum ist, der die Schiffe kapert, dann verschlingt sie das Meer. Mehr Stürme und Ungeheuer, als ich je gesehen habe.“

Es hat Jahrzehnte gedauert, meine Flotte aufzubauen“, fuhr der dicke Mann fort. Er war also einer jener reichen Kaufleute aus Ovesta, die Probleme hatten, ihre Waren sicher zu transportieren. „Irgendwann kommen wieder sichere Zeiten. Dann werden meine eigenen Frachter wieder auslaufen.“

Und ich soll also mein Schiff für ein paar Flaschen Wein riskieren?“

Ist das nicht das, was du tust? So hat man es mir gesagt.“

Dann wurdest du nicht belogen. Wenn der Preis stimmt, laufe ich aus, ganz egal wohin und mit welcher Ladung.“

Der Kaufmann schien erleichtert. „Dann kommen wir also ins Geschäft?“

Wie ich schon sagte. Wenn der Preis stimmt.“

Ich brauche eine Sicherheit“, sagte der Kaufmann und legte die Hände um seinen Krug mit dampfendem Würzwein. „Die Waren, die ich dir anvertraue sind kostbar. Und du bist…“

Ich bin was?“ fragte der Seemann herausfordernd. „Etwa nicht vertrauenswürdig?“

Deine Männer sind Verbrecher“, stieß der Kaufmann hervor. „Nicht weniger Abschaum als die südländischen Piraten, die meine Schiffe versenken.“

Und trotzdem kommst du zu mir. Es stimmt also, was man sagt. Deine Gier ist größer als jedes Schamgefühl.“

Wage es nicht, mich über Moral und Anstand zu belehren“, zischte der Kaufmann.

Die Männer starrten einander für einen Moment an, ein stummes Kräftemessen. Dann nahm der Seemann einen tiefen Schluck aus seinem Krug.

Es gibt keine Sicherheit“, sagte er langsam. „Wenn ich deine Waren stehle, sind sie für dich verloren. Aber dann kann ich diesen Hafen nie wieder anlaufen und das wäre schlecht für mich. Im Moment scheint sich hier ein gutes Geschäft für uns zu entwickeln. Viele Händler sehen ihre Lämmchen lieber im Trockenen in diesen Zeiten und sind bereit, ein absurdes Vermögen für eine Überfahrt nach Samatuska zu bezahlen. Ich verdiene mehr, wenn ich für euch arbeite, als wenn ich euch bestehle.“

Der Kaufmann schnaubte. „Absurd ja. Das habe ich schon gehört. Aber ich habe keine Wahl, wenn ich meine Kunden nicht verlieren will. Ich bezahle, was immer du verlangst.“

Selbst Albin stockte der Atem bei dem ungeheuren Betrag, den der Seemann für seine Dienste verlangte. Doch die Männer wurden sich einig und besiegelten ihren Handel mit Handschlag. Sie vereinbarten noch ein paar Details für die Reise. Dann druckste der Kaufmann ein wenig herum.

Wie ist es draußen auf dem Meer in diesen Tagen?“ fragte er neugierig. „Es liegt schon viele Monate zurück, dass ich selbst in Samatuska war.“

Die See ist düster geworden“, antwortete der andere. „Mein Schiff hat schon viele Gefahren gesehen und doch glaube ich, dass es noch tausende gibt, die wir nicht kennen. Die wir uns nicht einmal vorzustellen wagen. Aber mach dir keine Gedanken darum. Es gibt nichts - nichts - was meine Männer fürchten. Weder auf dem Wasser, noch an Land.“

Aber wie kommt ihr noch durch bis nach Samatuska? Es soll keine sichere Route mehr geben, sagen meine Kapitäne.“

Der Seemann warf ihm einen unheimlichen Blick zu. „Wir kennen Wege, die in keiner Karte verzeichnet sind. Weit weg von den üblichen Routen. In magischen Gewässern.“

Die große Narbe auf Albins Rücken prickelte.

Was ist los dort unten im Südland?“ fragte der Kaufmann.

Der Seemann zuckte die Schultern. „Futush ist verrückt geworden, aber das konnte jeder vorhersehen, der Augen im Kopf hat. Der kleinen Prinzessin wird die Feierstimmung bald vergehen. Mir soll es recht sein. Krieg ist immer gut für das Geschäft.“

Du sprichst von Krieg? Ich denke, davon sind wir weit entfernt. Aber ich habe die Prinzessin gesehen und ich rate dir, sie nicht zu unterschätzen. Irgendwann sitzt sie auf dem Thron und womöglich macht sie eurem Schabernack auf ihren Meeren dann ein schnelles Ende.“

Nun lehnte sich der Seemann ein wenig vor und grinste breit. „Sollte sie das vorhaben, suche ich vielleicht das königliche Schlafzimmer auf und versuche sie umzustimmen.“

Der Kaufmann schüttelte angewidert den Kopf. „Dann ist es also wahr, was man sich erzählt über Kapitän Ared vom Roten Felsen. Dass er vor nichts Respekt hat.“

Oh, ich habe großen Respekt. Aber nur vor mir selbst.“

Damit stand der Kapitän auf, er war groß, trug teure Stiefel und einen neuen Mantel aus feinem Leder. An seiner Seite hing ein großes Messer. Albin konnte nicht anders, sein Blick hing an seiner Gestalt, bis er durch die Tür hinausgetreten war. Der Rote Ared war der berüchtigtste Seeräuber zwischen Ovesta und Samatuska. Legenden rankten sich um seine Blutrünstigkeit und seinen Reichtum und die unzähligen Abenteuer, die er erlebt hatte. Und doch war er ein Mann aus Fleisch und Blut. Keiner, dem Albin jemals in der Dunkelheit begegnen wollte, aber doch nur ein Mensch.

Gedankenverloren verließ Albin die Schänke kurz nachdem der Kaufmann gegangen war. Wenn man den Worten des Kapitäns glauben konnte, dann herrschte auf den Meeren bereits Krieg. Dieser Mann neigte sicher nicht zu Übertreibung. Obwohl Albin die Vorstellung mit Grauen erfüllen sollte, verspürte er mit jedem Schritt, den er tat, deutlicher den Wunsch, all das zu sehen, was Ared vom Roten Felsen sehen konnte.


Albin war in Laufschritt verfallen und als er die Eisenfaust erreichte, war er nass bis auf die Haut. Das Wasser spritzte von seinen Stiefeln auf, wenn er durch die Pfützen sprang. Die Fenster des Bergfrieds waren freundlich erleuchtet, wahrscheinlich saßen die Männer beim Mittagessen. Beim Näherkommen sah Albin jedoch, dass Bosco und Dennit unter dem schmalen Vordach saßen und nicht etwa drinnen, wo es warm, trocken und gemütlich war. Ihre Gesichter waren missmutig.

Was ist los?“ fragte er. „Wäre es drinnen nicht angenehmer?“

Im Moment nicht“, brummte Bosco.

Da hörte Albin, was er meinte. Von drinnen war Rheys ärgerliche Stimme deutlich zu hören. Er schimpfte in einer Lautstärke, die Albin sofort ungewöhnlich fand. Der Zorn, der in seinen Worten mitschwang, war unüberhörbar und jeder, der ihn kannte wusste, dass man ihm aus dem Weg ging, wenn er in dieser Stimmung war.

Ist irgendetwas passiert?“ fragte Albin verwundert. Es war lange her, dass er Rheys so erlebt hatte. In den letzten Monaten war er zur Ruhe gekommen.

So kann man es eigentlich nicht sagen“, meinte Dennit. Er schien ehrlich verwirrt. „Seit heute Morgen schreit er jeden an, der ihm unter die Augen kommt. Grade ist es, glaube ich, ein Bursche aus der Waffenkammer.“

Im selben Moment stürmte der junge Mann, der gerade Rheys’ Zorn zum Opfer gefallen war, aus der Tür des Bergfrieds an ihnen vorbei. Sein Gesicht war hochrot und er rannte mehr als dass er ging, um nur schnell wieder irgendwo in der Burg unterzukriechen, wo Regen und verrückte Krieger ihm nichts anhaben konnten. Albin hatte soeben den Entschluss gefasst, sich gleichfalls ein gutes Versteck zu suchen, als Rheys in den Regen heraus trat. Düster wie eine Statue und unheilverkündend wie der wolkenverhangene Himmel ragte er über Albin auf.

Dich wollte ich mir auch noch vorknöpfen“, bellte er und packte Albin am Arm. Ehe Albin sich wehren konnte, schleifte Rheys ihn in die kleine Stube und baute sich erneut vor ihm auf.

Bist du völlig wahnsinnig, die Prinzessin aufzufordern? Nicht nur, dass es dir nicht zusteht und eine bodenlose Frechheit darstellt, dass du überhaupt das Wort an sie richtest - du hast sie auch noch angesehen, als wärst du ihr Liebhaber!“

Aber ich liebe…“

Halt den Mund!“ brüllte Rheys. Albin fühlte sich wie ein altersschwacher Baum inmitten eines tosenden Sturms. Als wäre es eine Leichtigkeit, ihn umzuknicken.

Jeder im Saal zweifelt nun an ihrer Tugendhaftigkeit, denn sie musste dieses Spielchen ja auch noch mitspielen und dich anschmachten wie ein dummes Dienstmädchen!“

Hast du sie auch so angeschrien?“ fragte Albin und schalt sich sofort für diese Frechheit. Rheys wurde mit einem Schlag ruhig und das war noch viel gefährlicher. Er richtete den Zeigefinger drohend auf Albins Brust.

Pass auf, was du sagst! Du weißt, dass deine Position hier mehr als fraglich ist. Ein falscher Schritt und du lebst irgendwo im Norden im Exil, ist dir das klar? Und ich hätte gerade gute Lust, dem König zu sagen, dass ich nicht mehr von deinen ehrenhaften Absichten überzeugt bin.“

Das würdest du doch nicht tun, oder?“ Albin packte plötzlich die Angst. „Ich weiß, es war dumm, aber ich würde sie niemals anrühren, das weißt du!“

Schon tausendmal habe ich dir gesagt, du sollst dich von ihr fern halten“, grollte Rheys. „Ich weiß, dass du auf dem Wehrgang herumschleichst und dich mit ihr triffst. Aber ich hätte nicht gedacht, dass du so dumm bist, dich ihr vor aller Augen zu nähern. Wirklich, ich könnte dir den Hals umdrehen.“

Wenn du schon kein Vertrauen mehr in mich hast, dann wenigstens in Ami. Sie würde niemals…“

Prinzessin Amileehna! Versteh das doch endlich, Junge, sie ist nicht mehr das Mädchen, das mit dir Händchen gehalten hat. Ich weiß nicht, warum ihr beide immer noch daran glaubt, dass etwas zwischen euch sein kann. Seid ihr so dumm?“

Albins Kehle war trocken vor Wut und unterdrückten Widerworten. Rheys würde ihm nicht zuhören und nur weiter schreien, ganz egal, was er sagte. Aber es fiel ihm zunehmend schwer, das alles über sich ergehen zu lassen. Was wusste Rheys schon von alldem.

Die Ehre und Tugendhaftigkeit der Prinzessin sind absolut unbefleckt und das weißt du“, stieß er hervor. „Ich habe niemals etwas getan, das irgendjemand anstößig finden könnte. Ich bin nur ihr Freund.“

Blödsinn, ich sehe doch, wie du sie anschaust. Denkst du, ich bin ein Dummkopf? Und alle anderen sehen es auch.“

Und was ist schon dabei?“ fuhr Albin auf. „Du und Jessy…“

Rheys schnellte vor, packte ihn am Kragen und presste ihn mit beiden Fäusten gegen die raue Steinwand, so dass die Luft aus seinen Lungen wich. Für einen Moment bekam er wirklich Angst vor dem Glanz in Rheys’ Augen und der Kraft seiner Arme.

Lass Jessy aus dem Spiel“, zischte er. Albin keuchte und plötzlich schien Rheys klar zu werden, was er gerade getan hatte. Er ließ Albin los und dieser taumelte aus dem Raum. Wütend zerrte er sein Hemd wieder an Ort und Stelle und warf den Männern, die draußen standen giftige Blicke zu.

So schlimm war es doch auch nicht, was ich gemacht habe!“ rief er.

Gerade kam Kyra mit einer ihrer Küchenmägde herüber. Sie trugen Körbe und Tabletts mit dem Mittagessen für die Wölfe auf den Armen.

Kyra stellte ihre Last ab und half ihm seinen Kragen zu ordnen.

Natürlich nicht, Junge. Es war höchst romantisch und das Herz jeder Dame im Saal ist dir zugeflogen. Mach dir keine Gedanken wegen Rheys. Der König wird sicher nicht den Jüngling fortschicken, der von allen in der Eisenfaust für seinen Wagemut bewundert wird.“

Also Rheys' Herz ist mir ganz bestimmt nicht zugeflogen“, murrte Albin.

Ich habe schon gehört, dass er schlechter Laune ist“, sagte Kyra. „Du bist sicher nicht der Grund dafür.“

Was hast du schon wieder für eine Eingebung, Weib?“ fragte Bosco. „Ist es der Regen?“

Kyra schaute die Männer belustigt an. „Ihr seid mir schon so eine Bruderschaft. Ehre und Tod, Seite an Seite, und dann erkennt ihr nicht einmal, was vor eurer Nase passiert. Er schreit wegen Jessy, das ist doch ganz eindeutig.“

Warum, ist etwas mir ihr?“ fragte Albin.

Kyra lächelte. „Oh, es geht ihr ganz ausgezeichnet, möchte ich meinen. Der gute Rheys ist nur in Rage, weil sie die halbe Nacht getanzt hat. Mit jemand anderem.“

Wolfsklingen

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