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3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung
ОглавлениеIn der fremdsprachendidaktischen Forschung im deutschsprachigen Raum finden sich Arbeiten zur Schülersicht vergleichsweise seltener als in der Pädagogik. So plädiert auch Edmondson (1996a: 81) dafür, die Erfahrungen und Einsichten der Lernenden in der Fremdsprachendidaktik und in der Fremdsprachenpolitik als Evaluationskriterien für das Produkt Fremdsprachenunterricht ernster zu nehmen. Darüber hinaus verfolgen sie andere Ansätze. Der Zugang zur Schülersicht erfolgt hier insbesondere über die Erforschung attitudinaler und affektiver Faktoren beim Fremdsprachenlernen (vgl. u.a. Düwell 1979; Hermann-Brennecke 1983; Meißner et al. 2008; Cronjäger 2009; Venus 2017b) sowie Studien zu subjektiven Theorien (vgl. Kallenbach 1996) bzw. beliefs (vgl. Rück 2009) oder zur Bildungsgangforschung (vgl. u.a. Trautmann 2014; Bauer 2015). Alle drei Forschungsstränge sollen nachfolgend kurz skizziert werden.
Erforschung attitudinaler und affektiver Faktoren
Den Versuch einer Auseinandersetzung mit den Begriffen „affektive“ und „attitudinale“ Faktoren unternimmt Finkbeiner. Sie verweist auf eine „Tradition der Vermischung von Konstrukten“ (2001:355). Infolge der terminologischen Vagheit relativiert sie die Möglichkeit einer eindeutigen und trennscharfen Definition. Vielmehr könne es sich bei Definitionsversuchen deshalb nur um eine Annäherung an Vorstellungen über diejenigen Konstrukte handeln, die „im Moment von der scientific community am ehesten mit den Begriffen attitudinal und affektiv assoziiert werden“ (ebd.). Sie fordert insofern dazu auf, „zu explizieren, was wir untersuchen, wenn wir von affektiven und attitudinalen Faktoren sprechen“ (ebd.). Riemer (2001:379) kritisiert bei der Erforschung affektiver Faktoren, dass häufig nicht trennscharf zwischen Einstellungen, Orientierungen, Motivationen und Motiven unterschieden wird, was einen Überblick über dieses Forschungsgebiet erschwert. Auch Venus weist auf Überlappungen des Faktors Einstellungen mit anderen Konzepten hin und konstatiert, „dass der Motivationsbegriff Einstellungen zu verschiedenen Einstellungsobjekten umfasst, d.h., Einstellungen werden hier als ein der Motivation untergeordnetes Konzept begriffen“ (Venus 2017a: 123).
Als wegweisend für die Erforschung der attitudinalen und affektiven Faktoren beim Fremdsprachenlernen ist die Fragebogenstudie von Düwell (1979) anzuführen, dessen Forschungsinteresse sich auf die Motivation, die Einstellungen sowie das Interesse von SchülerInnen im Französischunterricht der Sekundarstufe I ab Klasse 7 richtet. Eine spätere, jedoch in Erkenntnisinteresse und Forschungsmethodik vergleichbare Untersuchung bildet die europäische Vergleichsstudie Mehrsprachigkeit fördern. Vielfalt und Reichtum Europas in der Schule nutzen (MES) von Meißner et al. (2008), welche die Lernerfahrungen sowie Einstellungen und Haltungen von SchülerInnen zweier Jahrgangsstufen gegenüber verschiedenen Sprachen quantitativ erforscht. Venus (2017b), die ebenfalls im Rahmen einer quantitativen Fragebogenstudie die Einstellungen von bayerischen SchülerInnen an Gymnasien und Realschulen untersucht, geht darüber hinaus den Zusammenhängen dieser Einstellungen mit dem Lernerfolg sowie im Hinblick auf Unterschiede zwischen bestimmten Gruppen (z.B. Geschlecht oder Sprachenfolge) nach.
In einem engen Zusammenhang mit der Schülersicht steht ebenso die individuelle Lernervariable Motivation, die neben der Sprachlerneignung als einer der „big two“-Faktoren für erfolgreiches Fremdsprachenlernen gilt (vgl. Ellis 2004). Riemer nennt als die beiden Hauptstränge der Motivationsforschung Inhalts- und Prozesstheorien, wobei sich die Forschung bislang vor allem „mit den Beweggründen von Lernenden für das Fremdsprachenlernen und damit verbundenen Willensbildungsprozessen als mit motivationalen Prozessen im Verlauf des Fremdsprachenlernens befasst “ (Riemer 2016:267). Gerade Letztere, die Prozesstheorien, sind jedoch von Interesse, wenn es bspw. um Abwahlentscheidungen in Bezug auf die zweiten Fremdsprachen geht. Einem solchen Ansatz folgt in der romanistischen Fremdsprachenforschung zuletzt Hoffmann (2017), die in ihrer qualitativen Fallstudie mithilfe eines halbstrukturierten, leitfragenorientierten Interviews die Motive und Motivationsprozesse von FranzösischschülerInnen der elften Jahrgangsstufe in Berlin untersucht.
Obwohl die Berücksichtigung von Emotionen beim Fremdsprachenlernen in der Vergangenheit immer wieder als Desiderat formuliert wurde, beschränken sich bisherige Ansätze in der Emotionsforschung weitgehend auf den affektiven Faktor Angst, insbesondere im Hinblick auf die mündliche Sprachproduktion (vgl. Riemer 2016:268f.). Besonders hervorzuheben ist insofern die Arbeit von Cronjäger (2009), die mittels eines Längsschnittdesigns die Intensität, die Bedingungen und Wirkungen sowie Veränderungen von Unterrichtsemotionen (Freude, Stolz, Ärger, Angst, Langeweile) während eines Schuljahres zu vier unterschiedlichen Messzeitpunkten untersucht.
Betrachtet man die forschungsmethodologischen Konzeptionen, die diesen Untersuchungen zugrunde liegen, fällt auf, dass die Mehrzahl der Arbeiten, die sich mit der Erforschung affektiver Faktoren beschäftigen, quantifizierende Ansätze verfolgen. Daneben existieren jedoch auch Studien, die im qualitativen Forschungsparadigma zu verorten sind.
Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien
Besonders hervorzuheben ist hier das Forschungsprogramm Subjektive Theorien (vgl. Kallenbach 1996; Grotjahn 1998; Kolb 2007), das einen explorativen Zugang zu den individuellen Sichtweisen der SchülerInnen auf das Erlernen fremder Sprachen ermöglicht. Durch die Anwendung dieses aus der Sozialpsychologie stammenden Forschungsprogramms (vgl. Groeben et al. 1988) auf den Kontext des Fremdsprachenlernens gelingt es, Einsichten in die individuellen Vorstellungen und Überzeugungen von Lernenden – d.h. „ihre jeweils subjektiv erlebten, empfundenen und ‚verarbeiteten‘ Erfahrungen im Umgang mit Fremdsprachenlernen“ (Kallenbach 1996:75) – zu gewinnen. Die individuellen Sichtweisen von OberstufenschülerInnen erhebt Kallenbach mittels eines dreischrittigen Verfahrens aus Interview, Fragebogen und Struktur-Lege-Technik.1 Damit unterscheidet sich ihre Studie in Bezug auf die theoretische Konzeption, die der Schülersicht zugrunde gelegt wird. Denn anders als bei den zuvor genannten Arbeiten geht es bei diesem Ansatz nicht um die empirische Messung bzw. Erforschung affektiver Lernervariablen, sondern um „komplexe Wissenskonstrukte, die der/die einzelne aus der persönlichen Erfahrung im Umgang mit Fremdsprachen in und außerhalb der Schule aufbaut“ (ebd.: 49).
Martinez (2008:98) verweist in ihrer Studie auf das Forschungsprogramm Subjektive Theorien als den „am weitesten ausgearbeitete[n] Ansatz zur Rekonstruktion der subjektiven Sicht von Lernenden“. Aktuelle fremdsprachendidaktische Studien (vgl. u.a. Trautmann 2014; Bauer 2015) wählen bei der Erfassung der Lernerperspektive zunehmend qualitativ-rekonstruktive Forschungsansätze, die der Bildungsgangforschung (vgl. Decke-Cornill et al. 2007) zuzuordnen sind. Diese betont die Prozesshaftigkeit von subjektiven Bildungsgängen sowie die biografische Dimension des Lernens und ist damit besonders geeignet, bildungsbezogene Entwicklungsverläufe in den Blick zu nehmen (vgl. Kallenbach 2007:217).
Bildungsgangforschung
Meyer bezeichnet die Bildungsgangforschung als „research on learner development and educational experience“ (Meyer 2009:1), die „mit der Konzentration auf den Gang der Bildung die Perspektive der Lernenden [betont]“ (ebd., Hervorh. im Orig.). Als Fragestellungen der Bildungsgangforschung formuliert Meyer folgende Schwerpunkte:
Uns interessiert Bildung als ein sozialisatorischer Prozess, in dem sich das Selbst entwickelt, mit Krisen, Regressionen, Brüchen, Entwicklungsschüben und Aufbrüchen.
Uns interessieren die Perspektiven, die sich für die Selbstregulation des Lernens unter der Bedingung institutionalisierter Lehre eröffnen.
Uns interessiert, wie sich Heranwachsende in diesen Lehr-Lern-Situationen verhalten, wie sie ihre Lernaufgaben deuten und welche Sinnkonstruktionen sie mit dem Unterricht verbinden.
Uns interessiert, ob und wie die Heranwachsenden Entwicklungsaufgaben, die gesellschaftliche Anforderungen und Beschränkungen mit individuellen Bedürfnissen, Interessen und Fähigkeiten vermitteln, wahrnehmen und bearbeiten.
Uns interessiert, wie die Heranwachsenden nicht nur Wissen und Können, sondern zugleich auch die Fähigkeit zur Selbstbestimmung und zu verantwortlichem Handeln für eine Welt entwickeln, die zunehmend komplexer und schwieriger wird. (ebd., Hervorh. im Orig.)
So richtet sich bspw. das Erkenntnisinteresse der Arbeit von Trautmann auf die Rekonstruktion subjektiver Erlebnisweisen und die Frage, „wie Fremdsprachenlernen/‑erwerb von Schülerinnen und Schülern subjektiv erfahren und bewältigt wird“ (2014:10), um Bedingungen des Gelingens bzw. Misslingens der Anforderung Fremdsprachenlernen herauszuarbeiten. Ähnlich gelagert ist die Herangehensweise von Bauer, die in ihrer Arbeit „die Erfahrungen der Lernenden sowie ihre daraus resultierende Bezugnahme zur englischen Sprache sowie zu den Fachgegenständen des Englischunterrichts“ (2015:104, Hervorh. im Orig.) rekonstruiert. Beide Ansätze zeigen die Potenziale rekonstruktiver Forschungsansätze auf, sind jedoch eher in der anglistischen Fremdsprachendidaktik zu verorten. Vergleichbare Untersuchungen aus der Didaktik der romanischen Sprachen liegen bislang nicht vor.
Wie deutlich wurde, verfolgen Studien, deren Erkenntnisinteresse auf die Erforschung der Lernerperspektive gerichtet ist, zum Teil unterschiedliche Ansätze und sind damit in ihren methodischen Zugängen nur bedingt vergleichbar. Dennoch liefern sie wichtige Einsichten in die subjektiven Sichtweisen von SchülerInnen. Ein Überblick über zentrale Ergebnisse der Arbeiten zur Schülersicht soll daher Gegenstand der nachfolgenden Kapitel sein.