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Kapitel 6

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Prag

November 1209

Das Donnern der Hufe hallte auf den steinernen Platten der Judithsbrücke wider. Nach drei Tagen hatte Friedrich zusammen mit seinen Männern den Königshof in Prag erreicht. Er sehnte sich danach, endlich aus dem Sattel herauszukommen. Seine müden Knochen waren für derartige Unternehmungen, wie er sie seit Monaten durchmachen musste, nicht mehr gebaut. Die Nachricht von der geplanten Hinrichtung seines Neffen hatte ihn bei seiner Rückkehr von einer weitreichenden Mission für den böhmischen König Premysl, oder besser Ottokar, wie er sich nur noch ausschließlich nannte, in Chomotau erreicht. Sofort war er nach Louny geeilt, nur um zu sehen, dass er hier nichts ausrichten konnte. Jetzt saß er bereits wieder seit drei Tagen auf dem Rücken eines Pferdes. Das Schicksal Falks lag wie eine schwere Last auf seiner Brust. Es musste ihm gelingen, Ottokar von dessen Unschuld zu überzeugen. Trotz seiner häufigen Wankelmütigkeit den deutschen Fürsten gegenüber, hatte der König stets das Wohl der böhmischen Lande im Visier gehabt. Alle seine Entscheidungen standen unter diesem großen Ziel. Endlich war etwas Ruhe eingekehrt im deutschen Reich. Der Welfe Otto war seit einigen Monaten Kaiser und hatte den Premysliden in seiner Königswürde endgültig bestätigt. Damit verbunden war das Recht, die Krone immer auf den ältesten lebenden Sohn zu übertragen.

Die Reiter erreichten das Ende der Brücke und passierten das Judithstor. Langsam kämpften sich die ebenfalls ermüdeten Pferde den steilen Burgberg hinauf. Das Areal der Königsburg war größer als alle Festungen, die Friedrich von seinen weiten Reisen her kannte. Seit über einem halben Jahrhundert erhob sich hoch oben über der Moldau ein mächtiges steinernes Bollwerk, das bereits der Großonkel Ottokars, Herzog Sobeslav anstelle der hölzernen Burg aus der Zeit der ersten Premyslidenfürsten errichtet hatte. In den letzten Jahrzehnten waren auch die Mauern aus Holz und Lehm mit mächtigen Steinquadern verblendet worden. Links und rechts des Weges standen etliche kleinere Häuser oder Hütten, die meisten aus Holz oder in mit Lehm verputztem Fachwerk errichtet. König Ottokar unterhielt einen großen Hofstaat. Viele meinten, dass er sogar den des Kaisers übertraf, denn dieser zog mit seinem gesamten Tross immerwährend von Ort zu Ort, wo er sich dann nur wenige Wochen oder Monate aufhielt. Prag dagegen war seit Jahrhunderten ein fester Herrschersitz. Seit einigen Jahren siedelten sich hier viele Handwerker und Händler an, denen ein gutes Auskommen beschert war. Ihr Reichtum vermehrte sich, und nach und nach entstanden auch steinerne Häuser unterhalb des Burgberges. Direkt am Moldauufer lebten noch slawische Bauern, was wiederum den Vorteil hatte, dass die Versorgung der Burg durch Abgaben und Frondienste gesichert war. Doch mussten im Laufe der Zeit etliche weichen, weil die Stadt in alle Richtungen wuchs. Auch auf der anderen Seite der Moldau gab es eine rege Bautätigkeit. Es waren zahlreiche Handwerker, Kaufleute und Händler als Kolonisten aus deutschen Gebieten hierhergekommen. Sie wurden von den einheimischen Fürsten gefördert und so verbreiteten sich rasch deren Fertigkeiten und Künste im ganzen Land. Auch Künstler und Gelehrte zog es in den Bann des böhmischen Königshauses, so dass der Hof der Premysliden bald einer der glanzvollsten in Europa war. Prag entwickelte sich rasch zu einem Zentrum von Alchemie, Theologie, Medizin und Naturwissenschaften, aber auch zu einem Ort, wo höfische Dichtung und Minnesang gefördert wurden. Die deutsche Sprache etablierte sich zur Hofsprache.

Friedrich und seine Begleiter ritten über die Zugbrücke, welche das eigentliche Areal der Burg mit der Vorburg verband. Das große Tor stand weit offen, wurde allerdings von einer Schar schwerbewaffneter Männer streng bewacht. Sie fragten die Ritter nach ihrem Begehr. Dann geleitete sie einer der Wächter weiter in einen zweiten Burghof. Die Männer banden ihre Pferde an den dafür bereitstehenden Stangen in der Nähe eines großen Stallgebäudes fest. Friedrich packte einen vorübereilenden jungen Pferdeknecht am Ärmel. Er war ihm einen Heller zu. „Sorge dafür, dass unsere Pferde trockengerieben werden und Hafer sowie Wasser bekommen. Dann bewachst du die Tiere. Ist alles zu meiner Zufriedenheit, erhältst du einen weiteren Heller.“ Noch nie hatte der Junge solchen Reichtum in den Händen gehalten. Er verbeugte sich ehrerbietig und eilte, den Wünschen des Ritters nachzukommen. Friedrich waren seine Pferde viel mehr wert als zwei kleine Silbermünzen. Er schaute dem Jungen mit einem Schmunzeln hinterher.

Friedrich weilte nicht das erste Mal in Prag und kannte sich in den Gemäuern recht gut aus. Er wies seine Begleiter an, auf ihn zu warten und ging auf ein weiteres Tor zu, das ihn in einen dritten, noch größeren Hof brachte. Hier herrschte reges Treiben, Menschen aus allen Teilen des Landes mussten an diesem Ort versammelt sein. Ein paar Händler boten an Ständen ihre Waren feil. In einer Ecke gab es eine Art Taverne, auf deren Bänken sich durstige Gäste dicht an dicht reihten. Dominiert wurde der Platz von einer großen dreischiffigen Basilika, welche an ihrer südlichen Seite mit einer Rotunde abschloss. Der Palast des Königs erhob sich rechts davon direkt an einer Wehrmauer, die mit ihren überdachten Zinnen wie eine Galerie um das gesamte Areal der Hauptburg herumlief. Ein kleiner Säulengang verband Kirche und Palas und bildete zugleich eine Art Abgrenzung zum hinteren Teil des Hofes. Das Innere der Burg hatte eher den Charakter einer Stadt als eines Palastes. Hinter dem Haus des Königs erstreckten sich weitere zahlreiche Gebäude, welche von einem Gewirr von Gassen voneinander getrennt wurden.

Friedrich betrat die Eingangshalle des Königspalastes. Dutzende von Menschen schienen hier auf eine Gelegenheit zu warten, einen der Vertrauten oder gar den König selbst sprechen zu können. Die Räume Ottokars befanden in dem Stockwerk über der Halle. Am Fuße der Treppe standen zwei Wächter, die jeden Unbefugten daran hinderten, nach oben zu gelangen, es sei denn, sie waren in Begleitung eines Sekretärs des Königs.

Friedrich sah sich in der Halle um. Da erspähte er am anderen Ende des Raumes Heinrich von Neuhaus. Heinrich gehörte zu den engsten Beratern des Königs. Anders als sein Erzrivale Dlugomil von Strakonicz, versuchte er immer auf diplomatische Art und Weise Konflikte zu lösen, was ihn für den hitzköpfigen König unentbehrlich machte. Meistens gelang es dem Hofmarschall, den König zu vernünftigen Entscheidungen zu bewegen, während Dlugomil, der seinem Herrscher zwar bedingungslos ergeben war, aus dem Bauch heraus urteilte, was sich im Nachhinein oft ungünstig auf Ottokars Politik auswirkte.

Heinrich war in ein Gespräch mit einem Gesandten des Kaisers vertieft. Das konnte Friedrich unschwer an den Farben des Mantels des Mannes erkennen, auf dessen rot-goldenen Stoffbahnen ein großer blauer Löwe prangte. Der Ritter näherte sich den beiden unauffällig und stellte sich an eines der Fenster, das zum Innenhof hinausging. Hier wollte er den richtigen Moment abwarten, um Heinrich ansprechen zu können. Nach etwa zehn Minuten verbeugte sich der Gesandte und wandte sich dem Ausgang der Halle zu. Heinrich drehte sich um und lief in Richtung der Treppe zum Obergeschoss. Friedrich sah seine Chance gekommen. Wenn er jetzt nicht handelte, würde er niemals zum König gelangen. Schnell schritt er in einem Bogen um den Hofmarschall herum, um ihn von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten zu können. Als dieser Friedrich auf sich zueilen sah, verharrte er kurz und ein nachdenklicher Ausdruck huschte über sein Gesicht. Schon wollte er weitergehen, da trat der Ritter ihm in den Weg und verbeugte sich.

„Geehrter Herr, verzeiht, dass ich Euch aufhalte, aber ich bedarf Eurer Hilfe“, sprach er ihn ohne Umschweife an. Jetzt nützte es wenig, um den heißen Brei herumzureden. Entweder Heinrich war gewillt, ihm zuzuhören, oder Friedrich hatte verloren.

Der Hofmarschall überlegte einen Augenblick, dann erhellte ein leichtes Lächeln seine Züge. „Friedrich von Chomotau!“, rief er erstaunt aus. „Ihr seht aus, als hättet Ihr ein Gespenst gesehen. Doch sagt, was führt Euch her? Wart Ihr nicht erst vor einigen Tagen hier am Königshof?“

Erleichtert darüber, dass der hohe Beamte ihn erkannte und auch nicht gleich wieder abwies, ließ in Falks Onkel die Hoffnung aufkeimen, doch noch etwas erreichen zu können.

„Edler Herr Heinrich, ich muss in einer sehr delikaten Angelegenheit zum König. Doch habe ich leider keinen Audienztermin. Das Dumme ist nur, die Sache duldet keinen Aufschub. Es geht um das Leben meines Neffen“, setzte er hinzu.

„Nun, seine Majestät ist sehr beschäftigt. Ich glaube nicht, dass er Euch jetzt empfängt.“ Er überlegte kurz. „Doch sagt, war Euer Neffe nicht auch erst kürzlich hier am Hof? Ich meinte, ihn zusammen mit einigen Rittern gesehen zu haben.“ Friedrich schaute den Marschall erstaunt an. „Nun, Euer Neffe ist nicht so leicht zu übersehen. Er ist eine imposante Erscheinung. Und wer ihn einmal in Aktion erlebt hat, vergisst ihn sein Lebtag nicht wieder.“ Heinrich lachte laut.

Friedrich war nicht zum Lachen zumute. Er hoffte nur, dass es keine negativen Erinnerungen an seinen Neffen waren, die der Hofmarschall hatte. „Ihr kennt meinen Neffen?“, fragte er deshalb vorsichtig.

„Wer am Königshof kennt ihn nicht, nachdem er sich seinerzeit so tapfer bei der Belagerung Prags geschlagen hat. Wie ein Berserker hat er gekämpft und damit dem König das Leben gerettet, als der verschlagene Bretislav diesen in eine Falle lockte. Obwohl Euer Neffe noch sehr jung gewesen sein muss.“

Nun, das war Friedrich alles bekannt. Zusammen mit Falk war er damals beim Heer Ottokar Premysls gewesen. Der Sohn Herzog Heinrichs des Löwen, Otto von Braunschweig, erhob damals Anspruch auf den deutschen Königsthron. Ottokar stand auf der Seite des Welfen, da dieser ihm weitreichende Versprechungen gemacht hatte, was die böhmische Herzogwürde anbelangte. Heinrich der Löwe war der Herzog von Schwaben und Bayern gewesen, bis Kaiser Barbarossa ihm diese Herzogtümer weggenommen und ihn ins Exil nach England getrieben hatte. Sein Sohn Otto meldete sich nach dem Tod von Barbarossa ältestem Sohn und Nachfolger, Kaiser Heinrich VI., mit Macht zurück und machte seine Ansprüche auf den deutschen Königsthron geltend. Unterstützt wurde er von vielen mächtigen Fürsten des Reiches, unter anderem auch dem böhmischen Herzogssohn Premysl Ottokar. Da auch Friedrich von Chomotaus Vorfahren Untertanen der Welfen gewesen waren, stellte er sich auf Seiten Ottos und damit auch Ottokars. Bei der Belagerung von Prag 1197 gehörte Friedrich mit seinen Männern zu denjenigen, die in einer Linie mit Ottokar kämpften. Sein junger Neffe Falk war bei ihm gewesen, da er zu der Zeit mit seinem Vater auf Kriegsfuß stand und gegen diesen rebellierte. Er war zu seinem Onkel nach Böhmen gekommen und hatte sich mit diesem zusammen dem Heer Ottokars angeschlossen. Den denkwürdigen Tag, an dem Falk dem späteren König von Böhmen das Leben rettete, würde auch er nie vergessen.

„Aber wieso ist das Leben Eures Neffen bedroht?“, riss Heinrich ihn aus seinen Gedanken.

„Weil er im Namen des Königs zum Tode verurteilt worden ist“, antwortete Friedrich bitter. „Doch die Ironie der Sache ist – der König wurde falsch unterrichtet und hintergangen.“

„Das ist ja ungeheuerlich, was Ihr mir da erzählt. Und wann soll die Hinrichtung sein? Euer Kommen sagt mir, dass es noch nicht geschehen ist.“ Der Hofmarschall wartete gespannt auf Friedrichs Antwort.

„Nun, was das anbelangt, ist die Gefahr im Moment erstmal gebannt. Meinem Neffen ist es auf wundersame Weise gelungen, dem Schafott zu entkommen. Doch heißt das nicht, dass sein Leben nicht weiterhin bedroht ist. Der Gaugraf von Louny hat es sich zur Aufgabe gemacht, meinen Neffen solange zu jagen, bis er ihn zu Tode gebracht hat. Dazu ist ihm jedes Mittel recht.“

„Das klingt alles sehr verwirrend. Doch Friedrich, ich erinnere mich mit Wohlwollen an Euren Neffen. Vielleicht kann ich Euch darin unterstützen, ihm zu helfen. Ihr müsst mir die Geschichte ausführlich erzählen.“ Er überlegte einen kurzen Augenblick. „Am besten, Ihr begleitet mich in mein Kabinett. Der König wird Euch heute nicht mehr empfangen, aber ich gehe am Abend zu einer Besprechung zu ihm. Vielleicht kann ich ja ein Wort für Euren Neffen einlegen.“ Mit einer einladenden Geste wies er Friedrich von Chomotau an, ihm zu folgen. Sie stiegen die Treppe zu den Gemächern des Königs nach oben. Auf der Galerie angekommen, folgte Heinrich einem langen Korridor, an dessen Ende sich eine kleine niedrige Tür befand.

„Tretet ein, mein Freund. Wollen wir einen Schlachtplan zu Rettung Eures Neffen entwerfen.“

Krystinas Verkleidung war nicht gänzlich unentdeckt geblieben. Vor einigen Monaten war sie mit Friedrich von Chomotau zu Besuch auf Hauenstejn gewesen. Der Ritter hatte mit Kaspar einige lokalpolitische Details besprechen wollen und seine Frau und deren junge Schutzbefohlene mit auf die Reise genommen. Friedrich wollte dem Mädchen etwas Gutes tun, wusste er, dass sie nirgends so richtig zu Hause war. Mit ihrer offenen, herzlichen Art zu jedermann war sie den Leuten hier aufgefallen. Ein Knecht aus Hauenstejn hatte, ebenso wie Andris, das Mädchen auf den Marktplatz in Louny wiedererkannt. Er war zu seinem Herrn gelaufen, in der Hoffnung, für seine Mitteilung einen Lohn zu erhalten. Kaspar von Hauenstejn schäumte vor Wut. Zunächst beschimpfte er den Knecht, da dieser nicht sofort Alarm geschlagen hatte und wollte den armen Kerl von seiner Burg jagen. Doch dann fiel ihm rechtzeitig ein, dass der Knecht sich rächen und zum Gaugrafen laufen könnte. Es wäre äußerst unklug, Miro von Louny so schnell etwas von der Beteiligung seiner Nichte an der Befreiung Falks von Schellenberg wissen zu lassen. Er kannte das aufbrausende Naturell des Gaugrafen und hatte keine Lust, sich dessen Unmut auszusetzen. Zuerst musste er abwägen, was ihm eine Verbindung Krystinas mit einem Lehnsmann des Meißner Markgrafen einbrachte. Dass die Schellenberger seit vielen Jahren einflussreiche Ministerialen der Markgrafen waren und große Ländereien besaßen, wäre ein Grund, eine Verbindung seiner Nichte mit Falk gutzuheißen. Auf der anderen Seite saß Miro von Louny direkt vor seiner Nase. Und hier im böhmischen Grenzland war seine Macht auch nicht zu verachten, zumal er sich als Bündnispartner bei eventuellen Streitigkeiten mit anderen Baronen noch als nützlich erweisen konnte. Eine bewaffnete Auseinandersetzung mit Miro wollte Kaspar auch nicht riskieren. Wenn dieser ihm vorwarf, von den Plänen seiner Nichte gewusst zu haben, ohne sie zu verhindern, könnte es passieren, dass Miro mit seinen bewaffneten Männern in Hauenstejn einfiel.

So kam Kaspar zu dem Schluss, sich zunächst einmal unwissend zu stellen und vorsichtig Erkundigungen über den Verbleib seiner Nichte einzuziehen. Vielleicht hatte Falk sie ja gar nicht auf seine Flucht nach Schellenberg mitgenommen, da sie ihn nur behindern würde. Eine junge hilflose Frau würde schnell in der Umgegend auffallen und dann konnte er sie unbemerkt wieder nach Hauenstejn bringen. Vorausgesetzt, sie lebte dann noch. Würde andererseits Falk sie bei sich behalten, könnte er den Schellenberger vielleicht erpressen und ihm als Gegenleistung dafür, dass er seine Nichte mit ihm fortgehen ließ, ein paar von dessen böhmischen Dörfern abschwatzen. Sollte der Schellenberger sich quer stellen, wollte er ihm damit drohen, dass er Krystinas Flucht als Entführung beim König anzeigen würde. Den Knecht musste er schnell auf eines seiner entlegenen Dörfer ganz im Westen schicken. Dort hätte dieser keine Gelegenheit, irgendjemandem von seiner Entdeckung zu erzählen. Mit Friedrich von Chomotau hatte er auch noch ein Hühnchen zu rupfen. Der alte Fuchs wusste bestimmt davon, dass Krystina zu Falk gelaufen war, hatte sie womöglich dazu angestiftet. Nun, das würde er später klären.

Kaspar rief nach Dobec von Holubov, einem jungen Edelknecht, der seit einigen Jahren auf Hauenstejn lebte. Dobec war der Sohn seines Vetters mütterlicherseits, einem kleinen, südböhmischen Grenzadligen in der Nähe von Krumau. Der junge Mann war ihm treu ergeben, hieß die Alternative zum Dienst bei seinem Großcousin die Mönchskutte. Doch dazu fühlte sich Dobec in keiner Weise berufen.

„Du weißt, dass ich dir hier immer ein Heim gegeben habe, Dobec. Nun ist es an der Zeit, dass du dich als nützlich erweist.“ Kaspar sah den jungen Mann scharf an. Doch Dobec zeigte keinerlei Anzeichen, dass er sich zu beschweren gedachte, weil sein Wohltäter ihn mit einer Aufgabe betrauen wollte. Zum Zeichen, dass Kaspar fortfahren sollte, verbeugte er sich leicht.

„Es ist eine delikate Angelegenheit, mit der ich dich betrauen will und ich setze dein absolutes Stillschweigen darüber voraus“, sagte Kaspar.

„Ihr könnt Euch auf mich verlassen, Vetter“, antwortete Dobec und schaute seinem Gönner fest in die Augen. „Was Ihr auch für einen Auftrag für mich habt, ich werde ihn zu Eurer Zufriedenheit ausführen.“

„Nun denn“, fuhr Kaspar fort. „Du weißt, deine Cousine Krystina ist ein ungestümes Mädchen, das sich gern einmal in Schwierigkeiten bringt. Doch diesmal hat sie sich selbst übertroffen.“ Er machte eine Pause und seufzte sorgenvoll. „Und wie das so ist mit den Frauen, wissen sie oftmals selbst nicht, dass sie sich in Gefahr begeben.“ Kaspar verstummte, als er sich die Tragweite von Krystinas Handeln noch einmal vor Augen führte.

„Ihr wirkt besorgt, Vetter. Wie kann ich Euch helfen. Was hat sie diesmal angestellt?“, fragte er verschwörerisch. Dobec hatte die Nichte Kaspars oft verstohlen beobachtet. Die junge lebenslustige Frau gefiel ihm. Sollte der Herrgott es gut mit ihm meinen? Erhielt er jetzt eine Gelegenheit, Krystina zur Frau zu bekommen? Vielleicht brauchte er seinem Vetter nur eine Gefälligkeit erweisen, die ihn dazu veranlassen würde, ihm das Mädchen zu geben?

„Was soll ich tun?“, fragte er eilfertig.

„Also hör zu“, sagte Kaspar mit leiser Stimme. Er wollte unbedingt sichergehen, dass keiner von Krystinas Verschwinden Wind bekam und es gegen ihn ausnutzte. „Meine Nichte ist vor drei Tagen mit Falk von Schellenberg heimlich fortgegangen. Sie hat sich als einfaches Mädchen ausgegeben und Falk vor dem Henkersschwert bewahrt.“

„Ach!“, entfuhr es Dobec. Kaspar schaute ihn missbilligend an.

„Doch damit nicht genug“, fuhr er fort. „Nein, die dumme Gans musste sich auch noch als Henkerstochter ausgeben und den Schellenberger vom Richtblock weg ehelichen. Wenn das herauskommt, dann ist der Ruf unserer Familie zerstört. Miro macht mir die Hölle heiß.“

Dobec war fassungslos. Das machte die Sache natürlich schwieriger. Wenn seine junge Base bereits verheiratet war, hatte er weniger Chancen, sie für sich zu gewinnen. Natürlich könnte es aber auch sein, dass sie gar nicht freiwillig mit dem Schellenberger gegangen war. Doch andererseits, welches junge Mädchen aus gutem Hause würde sich ohne Zwang als unehrbare Maid bezeichnen, wenn sie nicht von vornherein die Absicht gehabt hatte, bei diesem Mann zu bleiben? Wie auch immer, wenn er sie fände, würde sich zeigen, wie er sie für sich haben konnte. Und wenn es notfalls mit Gewalt war. Hätte er das Mädchen erst einmal aus den Händen des Schellenbergers befreit, erwies sich Kaspar gewiss dankbar und stimmte einer Verbindung zu.

„Ich erwarte von dir, dass du Krystina aufspürst.“ Kaspar riss ihn aus seinen Gedanken. Dessen nächste Worte durchkreuzten allerdings seine hochfliegenden Pläne. „Hast du sie gefunden, halte dich zurück. Ich will wissen, wo sie ist, beziehungsweise, wo sie hinwill. Irrt sie irgendwo allein herum, bringe sie nach Hauenstejn.“ Dobec schöpfte erneut Hoffnung, dass sein Plan aufging, nur um gleich wieder einen Dämpfer zu erhalten. „Ist sie bei Falk, dann verfolge sie unauffällig. Sobald du dir sicher bist, dass sie in die Mark Meißen unterwegs sind, und vor allen auch, dass ihnen niemand folgt, komme zurück.“

Dobec schaute enttäuscht drein. Kaspar verzog spöttisch den Mund.

„Ich weiß, dass du ein Auge auf das Mädchen geworfen hast. Doch glaube mir, Krystina ist eine Nummer zu groß für dich. Ich habe andere Pläne mit ihr. Glaubst du wirklich, ich würde sie einem so armen Schlucker wie dir zur Frau geben?“

Wütend starrte Dobec seinen Vetter an. Der würde ihn noch auf den Knien anbetteln, seine entehrte Nichte zu ehelichen, wenn Falk von Schellenberg erstmal mit ihr fertig war. Der Schellenberger hatte einen finsteren Ruf. Er war als Raufbold und als Wegelagerer verschrien. Warum sollte er eine Frau besser behandeln, als seine Männer, die er wegen seines aufbrausenden Temperamentes oft in Angst und Schrecken versetzte. Mit Sicherheit würde er sie fallen lassen, wenn er ihrer Dienste nicht mehr bedurfte. Und wer sollte ein gebrandmarktes Mädchen noch haben wollen. Dann könnte er seine Bedingungen stellen. Bei diesem Gedanken wurde er wieder etwas zuversichtlicher.

Er lächelte seinen Vetter an. „Mitnichten, Kaspar. Ich würde niemals wagen, Euch um die Hand von Krystina zu bitten. Ihr habt mir auch schon so genug des Guten getan.“

„Gut, dass du nicht vergisst, wo dein Platz ist“, antwortete Kaspar, und in seiner Stimme schwang immer noch eine unterschwellige Drohung mit.

„Ich werde Euch nicht enttäuschen, Vetter.“

„Dann sei Gott mit dir. Und es soll dein Schaden nicht sein, wenn du Erfolg hast auf deiner Mission. Nimm einen meiner Männer mit, am besten Crisan. Zu zweit seid ihr sicherer. “

Etwas versöhnlicher gestimmt, deutete Dobec eine Verbeugung an und machte sich auf den Weg, um die Vorbereitungen für seine Reise zu treffen.

Ehre und Macht

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