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Kapitel 5
ОглавлениеChomotau
November 1209
Friedrich von Chomotau stand auf der Zinne seines Wehrturms und schaute in die Ferne. Seine Gedanken weilten immer noch in Louny und in seiner Brust wütete ein unsäglicher Schmerz. Warum bloß hatte er so spät von der geplanten Hinrichtung seines Neffen erfahren? Mit Sicherheit hätte er König Ottokar von dessen Unschuld überzeugen können. Jetzt war Falk ein Gesetzloser und nur das Mitleid eines Mädchens hatte ihn vor dem Tod bewahrt. Bis jetzt. Denn Louny würde nicht eher ruhen, bis er Falk in seinen Fängen hatte. Und was er dann mit seinem Neffen machen würde, darüber wollte Friedrich gar nicht erst nachdenken. Als er am gestrigen Abend nach Hause gekommen war, empfing ihn seine Frau mit besorgter Miene. Friedrich schüttelte nur den Kopf und ging wortlos an Marisa vorbei. In der Halle setzte er sich vor ein Kohlebecken. Seine Gemahlin war ihm in das Haus gefolgt. Sie nahm einen Krug mit Wein von einer Anrichte und schenkte ihm einen Becher voll. Schweigend nahm er diesen entgegen. Er brachte es nicht fertig, seiner Frau von den Ereignissen des letzten Tages zu erzählen, denn er wäre nicht mehr Herr seiner Stimme gewesen. Marisa setzte sich ihm gegenüber und legte ihre Hand auf seine. Ihre schlanke Gestalt war in einen kostbaren dunkelgrünen Surkot gehüllt. Darunter trug sie eine blaue Cotte aus feinstem Leinen. Ein reichverzierter Gürtel umschloss ihre Taille. Trotz ihrer fünfundvierzig Jahre war sie immer noch eine schöne Frau. Nur wenige graue Strähnen durchzogen ihr dunkelbraunes Harr, dass von einem silberfarbenen Netz zusammengehalten wurde. So saßen sie eine ganze Weile. Das Feuer war schon fast niedergebrannt und es wurde empfindlich kühl in der Halle. Die Bediensteten hatten sich längst auf ihre Lager zurückgezogen und es herrschte Stille, nur gestört von dem gelegentlichen Rascheln der Mäuse im Stroh, das den Boden bedeckte.
„Eigentlich wollte ich mit dir über etwas reden. Eines meiner Mädchen ist verschwunden. Doch das hat jetzt Zeit, ist nicht so wichtig.“ Sie sah ihn abwartend an. Friedrich reagierte nicht.
„Willst du mir davon erzählen?“, fragte Marisa mit leiser Stimme und in ihren braunen Augen schimmerten Tränen. „Nach deiner Reaktion muss ich das Schlimmste befürchten. Ist Falk tot?“
Friedrich zuckte bei ihren Worten zusammen und seine Frau sah ihre Worte bestätigt. Sie erhob erstaunt die Brauen als er den Kopf schüttelte.
„Nein?“ Sie sah ihn fragend an. „Heißt das, Falk lebt?“
Friedrich holte tief Luft. Dann schluckte er ein paar Mal. „Wenn du es so nennen willst“, sagte er nur.
„Friedrich, was soll das heißen?“ Marisa wurde langsam ärgerlich. Auch sie hatte Falk ins Herz geschlossen und sah es als ihr Recht an, von seinem Schicksal zu erfahren. Seine Worte jagten ihr Angst ein. „Ist er verletzt?“
Wieder schüttelte er stumm den Kopf.
„Was dann?“ Sie blickte ihn abwartend an. „Was gibt es so Schreckliches, dass du es nicht aussprechen kannst. Falk lebt und er ist nicht verletzt. Also...“ Aufgebracht erhob sie sich und schob den Stuhl dabei mit solchem Schwung nach hinten, dass er mit einem Poltern umfiel. Friedrich zuckte erschrocken zusammen, ganz so, als würde ihm erst jetzt zu Bewusstsein kommen, dass ihn seine Frau nach Falk gefragt hatte.
Marisa hob den schweren Stuhl umständlich auf, doch setzte sie sich nicht wieder.
„Falk konnte entkommen“, begann er tonlos. „Er hat es der Courage einer jungen Frau zu verdanken, dass ihm die Hinrichtung erspart blieb. Sie bat den Henker um sein Leben.“
Marisa schnappte nach Luft. Ihr war der alte Brauch wohlbekannt, nach dem der Henker oder dessen Tochter um das Leben eines Verurteilten bitten konnten. Aber sie wusste auch, dass dies bedeutete, dass der auf diese Weise Begnadigte aus der Gemeinschaft der ehrlichen Menschen ausgeschlossen war. Denn ein Henker und dessen Familie waren nicht ehrbar und mussten vor den Toren einer Stadt oder Ansiedlung hausen.
„Die Henkerstochter?“ fragte sie dennoch mit angehaltenem Atem.
„So ist es.“ Er machte eine Pause, als würde er nachdenken. „Obwohl, irgendwie habe ich das Gefühl, dass das Mädchen jemandem ähnlich sah, den ich kenne. Aber es will mir einfach nicht einfallen.“ Er runzelte angestrengt die Stirn.
„Und wo ist Falk jetzt?“, fragte sie.
„Ich weiß es nicht, Marisa. Wahrscheinlich sind sie aus der Stadt geflohen. Miro von Louny hat mich mit Sprüchen abgespeist. Wie einen Bettler hat er mich behandelt und von seinen Schergen davonjagen lassen.“ Jetzt kam Leben in Friedrich. „Doch ich schwöre dir, dass wird er noch bereuen. Ich bin kein Untertan des Gaugrafen, sondern ein vom Kaiser belehnter Ministeriale. Ich werde Himmel und, wenn es sein muss, die Hölle in Bewegung setzen, dass dieses Unrecht wiedergutgemacht wird.“ Ihr Gemahl redete sich regelrecht in Rage und Marisa legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm. „Erzähl mir, was in Louny passiert ist.“
Am nächsten Morgen stand Friedrich auf dem Turm. Wie er es auch drehte und wendete, es wollte ihm keine passende Lösung einfallen. Das einzige was ihm blieb, war, den König um Vergebung für Falk anzuflehen. Obwohl Falk ein Untertan der Meißner Markgrafen war, besaß er aus dem Erbe seiner Mutter mehrere Dörfer in Böhmen unmittelbar am Fuße des Gebirges, das die Mark von den ursprünglich slawischen Gebieten trennte. Schon von alters her waren die Landstriche dies- und jenseits des Gebirgskammes miteinander verbunden gewesen, und zahlreiche Pässe führten durch den Dunkelwald. Falks Ländereien diesseits der Grenze gehörten zum Hoheitsbereich der böhmischen Krone, so dass er auch dieser lehnspflichtig war.
Friedrich fröstelte. Der kalte Wind fuhr ihm unter den Umhang, in den er sich gehüllt hatte. Es begann zu schneien. Doch war es nichts Ungewöhnliches, dass hier in dieser rauen Region der Winter früh kam. Friedrich löste den Blick vom fernen Waldrand und schaute in den Hof seiner Burg. Von hier oben konnte er das Torhaus und einen Teil der Zwingmauer erkennen. Die meisten Gebäude waren aus Holz. Nur seine Halle mit der darüber gebauten Kemenate und der fünfzehn Meter hohe, einzelnstehende Turm sowie die Wehrmauern waren aus Stein.
Ein Junge war soeben durch das Tor hereingekommen, begleitet von dem alten Juri, der die Burgmannschaft befehligte. Friedrich hörte, wie das große Fallgitter am Tor mit einem lauten Rasseln wieder herabsank. Die beiden gingen auf die Halle zu. Am Eingang sprach Juri kurz mit einem der Wächter, die Friedrich hier immer postiert hatte. Chomotau besaß keinen Graben, und er wollte sichergehen, dass niemand unbemerkt über die Mauer kommen konnte und sich ins Haus einschlich. Der Mann wies in Richtung des Turmes und Juri schaute nach oben. Als er Friedrich erblickte, winkte er diesem zu und zeigte auf den Jungen.
„Herr, ein Bote aus Louny!“ rief er, doch seine Worte wurden von den lauten Windgeräuschen oben auf den Zinnen fast verschluckt. Friedrich winkte kurz zurück. Wenige Augenblicke später stand er im Hof und schaute fragend auf den Burghauptmann und dessen Besucher. Der Junge mochte vierzehn oder fünfzehn Jahre alt sein. So genau konnte er das nicht sagen, da der Bursche relativ mager war. Unter einer unförmigen Mütze, die seinen Kopf bedeckte, schauten Strähnen zotteligen Haares hervor, das von einer etwas undefinierbaren Farbe war. Ein Kittel, der bis zu den Schenkeln reichte, bedeckte die mageren Schultern. Die Beine steckten in weiten unförmigen Hosen und an den Füßen trug er alte Stiefel, die er mit Schnur fest umwickelt hatte, damit sie nicht auseinanderfielen. Alles in allem gab der Junge ein bedauernswertes Bild ab, dennoch schien er fröhlichen Gemüts zu sein.
„Herr, der Junge ist ein Bote aus Louny. Es gibt Kunde von Eurem Neffen.“ Der alte Burghauptmann blickte seinen Herrn voller Hoffnung an.
Friedrichs Herz krampfte sich zusammen. Was, wenn der Knabe nur schlechte Nachrichten brachte? Doch lächelte der Bursche. Der Blick aus seinen hellblauen Augen war offen und ehrlich. Und die Sommersprossen auf seiner wohlgeformten Nase gaben ihm ein fast fröhliches Aussehen.
Friedrich holte tief Luft. „Nun, was hast du zu sagen, Junge? Was weißt du von Falk von Schellenberg?“, fragte er etwas barscher als beabsichtigt, da die Gefühle seine Stimme zu überwältigen drohten.
„Ich habe eine Nachricht von Eurem Neffen für Euch, Herr“, sagte Andris und verbeugte sich ehrerbietig. „Ich sah ihn zuletzt am Tage der geplanten Hinrichtung.“ Friedrich hob die Hand und wollte ihn ungehalten unterbrechen. Aber Andris fuhr davon unbeeindruckt fort. „Ich weiß, dass ihm die Flucht aus Louny gelungen ist.“ Er machte eine theatralische Pause, doch der missbilligende Gesichtsausdruck Friedrichs ließ ihn schnell wieder ernst werden. „Und vor allem, wie“, setzte er allerdings fast triumphierend hinzu.
Friedrichs Augenbrauen schnellten nach oben. „Und woher willst du Nichtsnutz das wissen?“
„Weil ich ihm dabei geholfen habe“, sagte der Junge und grinste gutmütig, ohne im Geringsten darüber beleidigt zu sein, dass der Herr ihn als Nichtsnutz betitelte. Man hatte ihm schon wesentlich schlimmere Namen verpasst.
„Ach was“, entfuhr es Friedrich von Chomotau und er machte ein etwas dümmliches Gesicht. „Du?“, fragte er dann mit erstaunter Stimme. „Und wie kommt es, dass ein Junge wie du, einem Ritter zur Flucht verhelfen kann?“
„Nun, das ist eine längere Geschichte, Herr“, antwortete Andris. Als er dem drohenden Blick des Ritters begegnete, setzte er schnell hinzu: „Aber es ist wahr, Falk von Schellenberg konnte entkommen, und das letzte, was ich mitbekam, als ich Louny verließ, war, dass der Gaugraf Gift und Galle gespuckt hat, weil seine Büttel die Flüchtigen noch nicht eingefangen hatten.“
Ein kalter Windstoß fuhr über den Hof und ließ ein paar Flocken aufwirbeln. Andris fröstelte und zog die Schultern nach oben, um der Kälte zu entgehen, die sich langsam durch seine dünne Kleidung fraß. Unter dem fadenscheinigen Kittel trug er ein Hemd aus groben Leinen, was ihm die alte Schließerin auf Louny gegeben hatte, voller Mitleid darüber, dass der Junge nichts weiter, als den Kittel auf seinem Leib sein eigen nannte.
Friedrich bemerkte, wie der Junge das Klappern seiner Zähne unterdrückte. „Nun komm“, sagte er freundlich. „Gehe mit mir in die Halle. Am Feuer kannst du dich ein wenig aufwärmen.“ Er wies mit der Hand zum Eingang des steinernen Hauses. Andris folgte nur zu gern der Aufforderung, denn der eisige Wind machte ihm inzwischen sehr zu schaffen und er befürchtete, sich eine mächtige Erkältung eingefangen zu haben. Schnell stapfte er hinter dem Hausherrn her, der bereits in der Tür verschwunden war. In der Halle hatte man mehrere Kohlebecken aufgestellt, deren Qualm sich irgendwo unter den Deckenbalken verflüchtigte und in einem Abzug zum Dach hinausgeleitet wurde. In einem Kamin an der Längsseite des Raumes brannte zudem ein lustiges Feuer und verbreitete eine wohlige Wärme. Friedrich winkte Andris zu sich direkt vor die Feuerstelle und wies ihn an, sich auf einen Schemel zu setzen. Das ließ sich der Junge nicht zweimal sagen, froh darüber, sich etwas ausruhen zu können.
„Liska, hole einen großen Krug warmen Bieres für unseren Gast“, wies er eine vorübergehende Magd an. „Und beeile dich“, setzte er streng hinzu, als sie einen abfälligen Blick auf Andris warf, ganz so, als wolle sie abschätzen, ob es sich der Mühe lohne, eilfertig zu sein. Doch die unheilverkündende Miene ihres Herrn ließ sie recht schnell mit dem dampfenden Getränk zurückkommen. Dankbar nahm Andris einen Becher entgegen und legte seine klammen Hände voller Wonne darum.
„Und nun, mein Freund, berichte mir ganz ausführlich, was du von Falks Flucht aus Louny weißt“, forderte ihn Friedrich von Chomotau ungeduldig auf und setzte sich auf den Stuhl, der dem Schemel am nächsten stand.
„Der Ritter von Schellenberg und seine Gemahlin, Krystina von Hauenstejn...“.
„Was sagst du da?“, unterbrach ihn Friedrich vollkommen perplex, ohne den Jungen weiterreden zu lassen. „Von Hauenstejn? Ich denke, sie ist die Tochter des Henkers?“
Jetzt fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die junge Frau war die Nichte Kaspars von Hauenstejn. Wie hatte er das nur nicht erkennen können. Aber nun ja, sie sah auch ganz anders aus in ihrer Verkleidung. Er konnte es nicht fassen. Er hatte Krystina am Abend auch nicht an der Tafel gesehen, sich allerdings darüber weiter keine Gedanken gemacht und wollte seine Gemahlin später nach dem Verbleib des Mädchens fragen.
Fassungslos sah er Andris an. Das würde ja bedeuten, dass Falk vielleicht doch kein Ausgestoßener war. Krystina von Hauenstejn. Wenn das stimmte ... Er musste unbedingt seine Frau davon in Kenntnis setzen. Jetzt fiel ihm auch wieder ein, dass sie von einem ihrer Mädchen gesprochen hatte, dass verschwunden sei.
Andris Stimme riss ihn aus seinen davonstürmenden Gedanken. „Herr?“
„Schon gut Junge, erzähle weiter.“
„Also, der Ritter von Schellenberg und seine Gemahlin flohen durch die Straßen von Louny, nachdem man sie aus dem Kerker herausgelassen hatte. Der Ritter wollte den Stadtgraben erreichen und mit dem Boot übersetzen, bevor die Häscher sie eingeholt hatten. Doch leider war das Tor verschlossen. Beinahe hätte den Ritter der Mut verlassen, doch da kam ich ins Spiel.“ Anschaulich berichtete Andris Falks Onkel von der gelungenen Flucht und sparte nicht mit einer sehr ausschweifenden Beschreibung der Rolle, die er dabei gespielt hatte. Auch berichtete er von seinem Leben auf Burg Hauenstejn und seiner Bekanntschaft mit der Nichte des dortigen Herrn. Nur was gerade sie bewogen hatte, sich für Falks Leben einzusetzen, das wusste er nicht zu sagen.
Nachdem Krystina und Falk die Flucht gelungen war, hatte er noch einen Tag gewartet, um sicher zu gehen, dass die Schergen des Gaugrafen der beiden nicht gleich wieder habhaft geworden waren. Dann kehrte er in die Veste des Grafen zurück, wo ihn seine Mutter schon sehnsüchtig erwartete. Das Ungestüm des Jungen versetzte sie immer in Angst und Schrecken und nie war sie sich sicher, ob er jedes Mal auch heil wieder nach Hause kommen würde. Er erzählte ihr von den Ereignissen des vorangegangenen Tages. Dabei reifte in ihm ein Entschluss. Hier auf Louny würde ihn außer seiner Mutter wahrscheinlich niemand vermissen. Der Gaugraf ahnte nicht einmal von seiner Existenz, war es nur die Mutter gewesen, die vor Monaten, als er auf Hauenstejn weilte, seine Begierde erweckt hatte. Doch war sein Interesse an der Magd bereits nach kurzer Zeit wieder erloschen, so dass sie jetzt als Spülmädchen in der Küche arbeiten musste und gelegentlich das Bett eines Waffenknechtes wärmte. Dass sie einen Sohn hatte, war nur der alten Schließerin und dem Koch auf Louny bekannt. Für alle anderen war er einfach nur Andris, ein Junge, von dem niemand wusste, woher er je gekommen war. Was also hielt ihn hier noch? Sicher würde es seiner Mutter das Herz brechen, wenn er sie verließ. Aber er konnte ihr auch nicht helfen, und wenn er es ehrlich betrachtete, war sie ihm eigentlich nie eine gute Mutter gewesen. Zu schnell war sie den Einladungen der Ritter erlegen, denen es jedoch nur darum ging, eine amüsante Nacht zu verbringen ohne sich jemals der Frau verpflichtet zu fühlen. Auch Andris Vater war ein Edelmann, doch seine Mutter konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, wer es war. Sicher würde sie schnell wieder Trost in den Armen irgendeines Mannes finden, wenn er von hier verschwand. Und so beschloss er, zunächst nach Chomotau zu gehen, um dem Herrn dort davon zu unterrichten, dass sein Neffe doch nicht die Tochter des Henkers geheiratet hatte. Natürlich erhoffte er sich auch einen entsprechenden Lohn für diese gute Nachricht. Und hernach würde er sehen, wie es weiterging. Mit Sicherheit stand der liebe Herrgott auf seiner Seite, davon war er ganz fest überzeugt.
Gespannt folgte Friedrich der Erzählung des Jungen. Er war sehr erleichtert zu hören, dass es Krystina von Hauenstejn gewesen war, die Falk vor dem Tod gerettet hatte und nicht die Henkerstochter. Was mochten nur die Beweggründe des Mädchens gewesen sein, dass es seine eigene sichere Existenz aufs Spiel gesetzt hatte, um einen verurteilten Verbrecher – der Falk ja in ihren Augen sein musste – vor dem Henker zu bewahren? Doch diese Frage blieb im Moment wohl ungeklärt.
Draußen auf dem Hof erscholl Hufgetrappel und er hörte, wie sein Sohn einen Pferdeknecht anschrie, der nicht schnell genug zur Stelle gewesen war, um den Gaul in Empfang zu nehmen. Mit Sicherheit würde der arme Kerl Schläge abbekommen. Kurz darauf öffnete sich die Tür und Frantek von Chomotau polterte ungestüm in die Halle. Obwohl eher schmächtig von Gestalt, versuchte er immer den Eindruck zu erwecken, dass er größer und gewaltiger war, was ihn allerdings in den Augen der anderen eher lächerlich erscheinen ließ. Im Dämmerlicht des Raumes übersah er im ersten Moment, dass sich sein Vater hier aufhielt und er ging zielgerichtet auf die Anrichte zu, auf der immer eine Kanne mit Wein stand. Großzügig schenkte er sich einen Pokal voll und leerte ihn auf einen Zug geräuschvoll.
„Und, hattest du Erfolg in Louny?“, fragte ihn Friedrich und seine Stimme troff vor Bitterkeit. Erschrocken fuhr Frantek herum. Er hielt zwar nicht besonders viel von seinem Vater, der ihm immer viel zu ritterlich erschien. Dennoch getraute er sich nicht, offen gegen Friedrich zu rebellieren, da er nicht Gefahr laufen wollte, enterbt zu werden. Er wartete sehnsüchtig darauf, dass seinen alten Herrn bald eine tückische Krankheit dahinraffen würde. Dann wäre er der Herr von Chomotau, denn das Lehen war erblich. Hin und wieder kam ihm der Gedanke, dem Schicksal mit Gift ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Doch wagte er das dann doch nicht, aus Angst davor, seine Mutter könne ihm auf die Schliche kommen. Nun, einen Stein auf seinem Weg zur Macht hatte er ja fast beseitigt. Auch wenn es da noch einen kleinen Haken gab. Denn sein Cousin hatte sich seiner gemeinen Rache vorerst entzogen. Falk, dieser Spross eines mächtigen Ministerialen des Kaisers, der edle Ritter, der das Herz von Franteks Vater an sich gerissen hatte, um es ihm, wie er sich einredete, samt dem zu erwartenden Erbe wegzunehmen. Dass es seine eigene selbstsüchtige und niederträchtige Art war, die seinen Vater dazu veranlasste, seinen Neffen Falk zu bevorzugen, darauf kam Frantek nicht.
Feindselig starrte er seinem Vater entgegen. „Wenn du meinst, dass mein ach so lieber Vetter bald seine gerechte Strafe erhalten wird für sein räuberisches Treiben, dann ja, dann hatte ich Erfolg“, sagte er selbstgefällig.
Friederich schnaubte. „Soviel mir bekannt ist, hat sich Falk seiner Ermordung entzogen“, antwortete er. „Oder gibt es etwas, wovon ich noch nichts weiß?“, setzte er provokant hinzu.
„Ihr wisst vieles nicht, Vater. Zum Beispiel, dass es nicht mehr allzu lange dauern wird, bis Miros Leute den Hurensohn wieder eingefangen haben.“
„Wenn du dir da mal nicht allzu sicher bist“, antwortete Friedrich ohne jeden weiteren Kommentar. Unsicher sah Frantek seinen Vater an. Wusste der etwas, was ihm selbst noch nicht bekannt war? Sein Blick fiel auf den abgerissenen jungen Burschen, der auf einem Schemel vorm Kamin hockte und ihn interessiert musterte. Doch hatte er diesen noch nie gesehen. Wer weiß, vielleicht war es nur wieder eine arme Seele, die das Mitleid seines edlen Vaters erregt hatte.
Frantek stellte seinen Weinbecher auf der Anrichte ab und flegelte sich auf einen Lehnstuhl unweit des Feuers. Er legte seine Beine überkreuz auf den nahen Tisch und sah seinen Vater herausfordernd an.
„Ich würde an Eurer Stelle vorsichtiger sein bei der Wahl meiner Freunde. Falk ist ein Taugenichts, der den Vater des Gaugrafen heimtückisch ermordet hat. Er verdient den Tod“, sagte er selbstgerecht.
„Was weiß du schon von den Vorkommnissen vor fast zwanzig Jahren? Du warst damals ein Kind und hingst noch an der Mutterbrust. Ich rate dir, dich zu besinnen. Du bist mein Sohn. Und ich erwarte von dir, dass du dich deiner Familie gegenüber loyal verhältst. Auch Falk, der Sohn meiner Schwester – deiner Tante - gehört dazu.“
„Meine Loyalität gehört meinen Freunden, die mich zu schätzen wissen“, entgegnete Frantek überheblich.
Friedrich entfuhr ein bitteres Lachen. „Dann befolge deinen eigenen Rat. Sieh dir die Leute genauer an, die du deine Freunde nennst. Und jetzt scher dich aus meiner Halle. Ich habe wichtige Geschäfte zu erledigen. Mir ist es gleich, wo du dich verkriechst, ich will dich hier nicht mehr sehen. Du hast deine Familie hintergangen. Damit hast du auch deiner Mutter das Herz gebrochen. Sie liebt dich leider trotzdem, doch machst du es ihr nicht gerade leicht. Erst wenn du weißt, wo du wirklich hingehörst, wirst du hier wieder willkommen sein.“ Damit wandte sich Friedrich dem Kamin zu.
Wutentbrannt erhob sich Frantek. Doch wagte er es nicht, seinem Vater entgegenzutreten, immer noch war dieser der Herr der Burg. Er warf nochmals einen Blick auf den Jungen, an dem sein Vater sichtliches Interesse hatte. Wer weiß, vielleicht war es ratsam, zu verfolgen, was der Bursche hier wollte. Er hob seinen Umhang, den er achtlos auf den Boden hatte fallen lassen, auf. Mit schnellen Schritten verließ er die Halle und schlug die Tür mit einem lauten Krach hinter sich zu.
„Das hätten wir geklärt“, murmelte Friedrich. „Und nun zu dir, mein Junge“, wandte er sich an Andris.