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Kapitel 1

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Louny

November 1209

„...wird zum Tode durch das Schwert verurteilt.“

Vor seinen Augen hatte sich ein dichter Nebel gebildet, der seinen Blick verschleierte. Für einen Moment drehte sich der gesamte Raum um ihn und drohte über ihm einzustürzen. Die Worte des Richters drangen nur aus weiter Ferne in sein Bewusstsein. Falk atmete tief durch und straffte die Schultern. Diese Mörderbande würde es nicht erleben, dass er schwach und gebrochen vor ihnen stand.

Er hob den Blick und schaute seinem Ankläger fest in die Augen. Miro von Louny reckte fast störrisch sein Kinn. Doch Falk sah, dass ihm sichtlich unwohl war.

„Und so ergeht im Namen Gottes und des Königs von Böhmen folgendes Urteil.“ Fast schien es, als würde der Kirchendiener mit den Lippen schmatzen, als er das Strafmaß verkündete. „Der Angeklagte wird in der neunten Stunde des morgigen Tages im Jahre des Herrn 1209 auf dem Richtplatz von Louny wegen Wegelagerei und Raubes mit dem Henkersschwert vom Leben zum Tode befördert. Ihm bleibt das Recht verwehrt, beim König der böhmischen Lande um Gnade zu ersuchen. All seine böhmischen Besitzungen gehen an die Krone.“

Miro von Louny versuchte ein zynisches Lächeln, das ihm aber nicht recht gelingen wollte. Der kalte Blick Falks ließ ihn erschaudern. Tief im Innersten keimte in ihm die Ahnung auf, dass er eines Tages der Rache Falks anheimfallen würde, und sei es aus dessen Grab heraus.

Der Prälat des Bischofs von Passau, dem der Distrikt Louny kurioserweise unterstand, faltete seine Hände theatralisch über seinem fetten Bauch und begann mit näselnder Stimme das Vaterunser zu beten, in das alle Anwesenden einfielen. Er fungierte in diesem Prozess als Richter der Krone. Im Grunde genommen ließ es ihn vollkommen kalt, dass er gerade einen Ritter dem Tod ausgeliefert hatte. Er tat hier nur im Namen des böhmischen Königs und der Heiligen Römischen Kirche seine Pflicht. Falk von Schellenberg kannte er nicht. Er hatte sich lediglich auf die Anklage des Gaugrafen Miro von Louny gestützt, der als Stellvertreter des böhmischen Königs als Kläger aufgetreten war. Und für Mord sah das Gesetz nun einmal den Tod vor. Ganz gleich, ob der Schuldige ein Edelmann oder ein armer Schlucker war. Der einzige Unterschied bestand in der Art, wie der Delinquent zu Tode befördert wurde. Und als Ritter stand Falk das Richtschwert zu.

„Führt den Verurteilten hinaus“, wies der Prälat die Gerichtsknechte an, seine stechenden Augen auf den Delinquenten gerichtet. „Soll er die Zeit, die ihm noch vom Leben bleibt, nutzen und durch Zwiesprache mit unserem Herrn um Vergebung für seine Sünden flehen“, fuhr er mit vor Sarkasmus triefender Stimme fort.

Falk blickte starr vor sich hin und ließ sich widerstandslos von den Bütteln aus dem Saal bringen. Sie schoben ihn grob vor sich her, dass er fast ins Stolpern geraten wäre, da ihn Fußfesseln am Laufen hinderten. Im Untergeschoss des Gerichtshauses stießen sie ihn in eine kleine feuchte Kammer.

Die Tür fiel mit einem lauten Krachen hinter ihm zu. Falk blieb für einen Moment in der Mitte des Raumes stehen. Sein Blick verharrte auf einem stinkenden Haufen in der Ecke. Eine Ratte, aufgeschreckt durch den Knall der Tür, huschte unter das faulige Stroh. Der Ritter ließ sich an der gegenüberliegenden Wand des Raumes langsam zu Boden sinken. Falk zog die Knie ganz eng an seinen Körper und legte den Kopf darauf. Sein schwarzes Haar, sonst glänzend wie Rabenflügel, nun stumpf und zerzaust, fiel ihm in langen Strähnen über die Beine. Das war nun das Ende. Sein ganzes Leben hatte er versucht, irgendein Glück zu finden, doch Gott meinte es wahrscheinlich nicht besonders gut mit ihm. Was nützten Rang, Macht und Geld, wenn es andere, mächtigere, ihm wieder nehmen konnten? Es stieß ihm bitter auf, dass er Miro von Louny nun doch den Triumph überlassen musste, seinen Widersacher beseitigt zu haben. Denn Falk hatte alle Hoffnung verloren, dass sich sein Schicksal bis zum Morgen noch ändern würde. Kurz schweiften seine Gedanken in die Vergangenheit. Er sah sich als Zwölfjährigen in der Burg des Gaugrafen Boleslaw, dem Vater Miros. Grölend fiel eine raue Horde von Rittern und Waffenknechten über eine wehrlose Frau her. Doch Falk, ein Knappe des Gaugrafen, konnte ihr nicht helfen und sie schlugen ihr armes Opfer tot. Nie würde er vergessen, wie er sich damals gefühlt hatte. Schnell schob Falk die Gedanken von sich. Die Gespenster der Vergangenheit sollten ihn nicht auf dem Weg vor seinen Schöpfer begleiten.

Inzwischen war es fast vollkommen dunkel in dem kleinen Raum. Das ohnehin sehr winzige Fenster, das jede Flucht unmöglich machte, ließ nur noch einen vagen Schein des Dämmerlichtes herein. Es wurde schon zeitig finster und die Nacht würde lang werden. Schritte auf dem Gang vor der Kammer ließen ihn aufhorchen. Es mussten erst wenige Minuten vergangen sein, die er hier unten saß. Oder hatte er geschlafen und der Morgen kam bereits? Falk richtete seinen Blick auf die Tür. Mit einem schleifenden Geräusch wurde der schwere Riegel zurückgeschoben. Die Fackel auf dem Gang warf schwach ihr unruhiges Licht in sein Gefängnis. Ein Mann mittleren Alters betrat langsam den Raum. Geschockt vom Anblick des Gefangenen blieb er nach wenigen Schritten stehen. Seine stattliche Gestalt sackte sichtlich zusammen. Falk sah erstaunt auf und erhob sich hastig, doch die jähe Bewegung riss an seinen Fesseln. Er taumelte nach hinten, den bestürzten Blick auf den Mann geheftet.

„Ihr hättet nicht herkommen sollen, Onkel“, entfuhr es ihm rau. Falk atmete mühsam. Seine Stimme drohte, ihm zu versagen. Sein Onkel war der letzte gewesen, den er jetzt noch zu sehen erhoffte.

Friedrich von Chomotau fasste sich wieder und ging auf seinen Neffen zu. Er schloss Falk in die Arme, ohne sich am heruntergekommenen Aussehen des Ritters zu stören. Seine blauen Augen, die denen Falks so ähnlich waren, ruhten voller Mitleid auf dem Jüngeren, seine edlen Züge eingefallen vor Traurigkeit. Falks Tunika wies etliche Risse auf. An mehreren Stellen war sie von Blut durchtränkt, durchaus nicht nur sein eignes.

Immer wieder spulten sich in Falks Kopf die Ereignisse dieser verhängnisvollen Nacht ab. Eine Woche war es jetzt her, dass er sich mit seinem Cousin Frantek und dessen Kumpan Zdenek von Neubergk auf dem Rückweg von Prag befunden hatte. Sie waren in einer Mission der Grenz- und Gaufürsten unterwegs gewesen. Diese erhofften sich von König Ottokar weitreichende Zugeständnisse hinsichtlich der Selbstverwaltung ihrer Lehen. Im Gegenzug dazu erklärten sie sich bereit, die südböhmischen und mährischen Adligen für die Politik des Königs zu gewinnen.

Allerdings war es den drei Rittern nicht gelungen, bei Ottokar eine Audienz zu erhalten. Bereits auf dem Rückweg hatten sich Zdenek und sein Cousin lautstark über den König und seinen Marschall, Dlugomil von Strakonicz, ausgelassen, denn Dlugomil hatte sie nicht zum König vorgelassen.

„Dieser Bastard, der sich königlicher Berater nennt, soll mir nochmals unterkommen“, schrie Frantek wichtigtuerisch. „Wie kann er es wagen, die Vertreter des Adels und des deutschen Königs abzuweisen? Mit Sicherheit wusste Ottokar gar nichts davon!“

„Dass du dich da mal nicht gewaltig irrst“, war ihm Falk ins Wort gefallen. „Der böhmische König ist verärgert darüber, dass die Grenzfürsten die Besiedlung der slawischen Gebiete durch deutschstämmige Kolonisten vorantreiben. Und was die Rechte der Fürsten betrifft, da machte uns Dlugomil auch deshalb nur zögerlich Zugeständnisse, weil er ansonsten seine eigne Macht als Berater bedroht sieht.“

„Ich denke eher, dass es ihm ein Dorn im Auge war, dass unsre Abordnung von dir, einem Vasallen des meißnischen Markgrafen, angeführt wurde“, mischte sich Zdenek ein. „Ich möchte bloß wissen, was sich der Gaugraf dabei gedacht hat? Noch sind die Narben, die das Verhalten des Markgrafen Dietrich bei unserem König hinterlassen hatten, nicht verblasst. Warum musste dieser Bastard auch den deutschen König Philipp überreden, Ottokar die böhmische Krone abzusprechen? Es war reine Rache.“

„Findest du es etwa in Ordnung, dass Ottokar seine Gemahlin nach fast zwanzig Jahren Ehe verstoßen hat? Nur damit er sich eine jüngere ins Bett holen kann?“, fragte Falk, nun seinerseits aufgebracht. „Dazu hätte es keines Eheversprechens bedurft. “

„Was geht mich der Meißner an?“, konterte Zdenek bissig. „Ich bin ein Mann des Böhmen. Und ich sage dir nochmal, es ging Dietrich nur darum, sich für diese Schmach bitter zu rächen, weil es sich dabei um seine Schwester handelt. Klar, ist es später wieder zur Aussöhnung mit Philipp gekommen. Ottokar konnte sich die Krone erneut auf seinen Schädel setzen. Aber das Verhältnis zu Dietrich bleibt dennoch angespannt.“

„Kaiser Otto hat Premysl Ottokar doch endgültig in seinen Königsrechten bestätigt. Was will er denn noch? Und, um nochmal auf Dlugomil zurückzukommen. Der Marschall ist seinem König treu ergeben und vertritt dessen Position uneingeschränkt. Seine Reaktion bei unserem Erscheinen wundert mich nicht allzu sehr.“

„Dann hättest du ja auch zu Hause bleiben können“, stänkerte Frantek und sah Falk herausfordernd an.“

„Ach ja? Und du hättest mit Sicherheit eine Audienz beim König erhalten, was?“, höhnte Falk.

„Allerdings würde es mich auch interessieren, warum Miro gerade dich, seinen ‚liebsten’ Gefährten, für diese Mission ausgewählt hat.“ Zdeneks Stimme triefte vor Sarkasmus. „Das musste ja schiefgehen.“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause. Ein gemeines Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Was soll`s, so können wir die Schuld wenigstens auf dich abwälzen, wenn er uns zur Rechenschaft zieht wegen unsrer missglückten Mission.“

Frantek wieherte vor Lachen.

„Scht. Halte die Klappe. Ich hör etwas.“ Zdenek lauschte angestrengt. „Da vorn. Eine Wagenkolonne!“ Er wies mit der Hand in die Dunkelheit.

„Was meint ihr, ob das Bewaffnete sind?“, fragte Frantek dümmlich.

„Ich glaube eher, es sind Kaufleute, die nach Louny ziehen. Lasst uns vorbeireiten“, forderte Falk seine Kumpane auf.

„Welch prächtige Gelegenheit, unsere Kasse ein wenig aufzufüllen!“, rief Zdenek seinen Begleitern zu. Frantek grinste höhnisch und nickte zustimmend. „Und was ist mit dir, Falk?“, fragte Zdenek in provozierendem Ton.

„Lasst es. Wir haben Wichtigeres zu tun“, versuchte der Ritter die rauflustigen Kerle von ihrem Vorhaben abzuhalten.

„Ach nein, ich eigentlich nicht“, antwortete Zdenek gelangweilt. „So ein paar Pfeffersäcke kommen mir gerade recht, um mich nach unserer eher enttäuschenden Mission ein bisschen auszutoben. Was sagst du, Frantek?“, wandte er sich an den anderen. Frantek reckte das Kinn auffordernd in Richtung seines Cousins. „Hast du deinen Mumm verloren, Vetter? Oder wirst du jetzt langsam zu alt für derlei Vergnügen?“ Er zog sein Schwert, das mit lautem Scharren aus der Scheide fuhr und schwang es wie ein Sarazene den Krummsäbel, so dass pfeifende Luftgeräusche die Stille der Nacht durchschnitten. Auch Zdenec hielt seine Streitaxt abwägend in der Hand, ein böses Lächeln auf den Lippen. Schnell näherten sie sich den Kaufleuten. Falk hatte für sich beschlossen, einfach an den Händlern vorbeizureiten, ganz gleich, was seine Kumpane machen würden. Doch als er den Zug passierte, zog einer der begleitenden Waffenknechte das Schwert und ging damit auf Falk los. Die düstere Erscheinung des Ritters veranlasste ihn wahrscheinlich zu der trügerischen Annahme, dass Falk, wie seine Kumpane, ein Raubritter sei, mit der Absicht, die Kaufleute zu überfallen. Falk sah sich gezwungen, blitzschnell sein Schwert zu ziehen, wollte er nicht selbst von der Waffe des erfahrenen Kämpfers niedergestreckt werden. Letztlich stieß er ihm dennoch das Schwert in die Brust. Der Mann fiel tot zu Boden, bevor er überhaupt bemerkt hatte, dass er getroffen war. Frantek floh angesichts der Überzahl der Waffenknechte, die den Zug geleiteten, bereits bei den ersten Anzeichen von Kampfhandlungen. Zdenec erschlug einen der Wagenbegleiter und riss eine große Schatulle, die womöglich Münzen enthielt, vom Wagen. Dann gab er seinem Pferd die Sporen und ritt hinter seinem feigen Kumpan her. Auch Falk gelang es, zurück zur Burg seines Onkels zu reiten. Doch einer der Kaufleute erkannte in ihm den Neffen des Herrn von Chomotau und erhob beim Magistrat der Stadt Louny, aus der die Händler stammten, Anklage. Da die Stadt dem Gaugrafen unterstand, wurde die Sache diesem übertragen und Miro staunte nicht schlecht, als ihn der Name Falks von Schellenberg unterkam.

Eine Bewegung Friedrichs brachte Falk wieder in die Gegenwart zurück. „Was wollt Ihr hier, Onkel?“, fragte Falk mit bitterer Stimme. „Mir kann niemand mehr helfen. Der König selbst hat Anklage erhoben und mir das Recht auf Gnade verwehrt.“

„Es tut mir leid, dass es so weit gekommen ist, Falk“, sagte Friedrich mit leiser Stimme. „Es war ja schon immer die Rede davon, dass Raubritter ihr Unwesen treiben. Und dass Zdenek von Neubergk dahintersteckt, wundert mich nicht allzu sehr. Schade nur, dass

ihm keiner etwas nachweisen kann.“ Friedrich schwieg nachdenklich. „Doch wusste ich nicht, dass Frantek so weit gehen würde, gegen dich auszusagen. Dieser Taugenichts Neubergk hat einen schlechten Einfluss auf ihn. Aber leider ist auch der Charakter meines Sprösslings nicht viel besser als der seines Kumpans. Es ist ein Unglück, dass ich gerade nicht zu Hause war, sondern in Angelegenheiten des Königs unterwegs in Mähren. Ausgerechnet...“ Friedrich schnaubte verächtlich. Er schüttelte fassungslos den Kopf. „Es bricht mir das Herz, dich hier so zu sehen. Gern würde ich zu König Ottokar gehen und ihn ob des Unrechtes, was er begehen lässt, zur Rede stellen. Immerhin hast du nur dein nacktes Leben verteidigt. Aber ich fürchte, die Zeit wird uns nicht reichen.“

„Nein, meine Zeit ist abgelaufen.“ Falk drohte, die Stimme zu versagen. „Onkel, betet zu Gott und bittet ihn um Gnade für meine arme Seele. Ich glaube, mir zürnt er zu sehr wegen der vielen schlechten Taten, die ich begangen habe. Und sendet einen Gruß an meine Schwester.“ Falk schluckte, als ihm Tränen in die Augen traten. Er holte ein paarmal tief Luft, bevor er weiterredete. „Sie soll mir vergeben. Ich hätte sie selbst gern darum gebeten, aber leider bleibt mir das versagt.“

„Ich werde ihr eine Nachricht senden“, antwortete Friedrich mit bewegter Stimme. „Doch wird es ihr wenig Trost sein.“

Falk presste seine Lippen aufeinander. „Was glaubt Ihr, war der wahre Grund, dass der König die Anklage nicht verhindert hat?“, fragte er unvermittelt.

„Möglicherweise waren es Angst und Gier zugleich, die ihn bewogen, nur dem Gaugrafen Gehör zu schenken. Louny ist mächtig und mit vielen böhmischen Ministerialen des Kaisers verbandelt. Ottokar hat Angst, dass er seine Königskrone wieder verlieren könnte. Eventuell schenkt der deutsche Kaiser seinem Dienstadel Gehör, falls dieser der Meinung ist, Ottokar hätte die Krone nicht verdient. Es wäre ja nicht das erste Mal.“ Friedrich schaute Falk traurig an. „Doch vielleicht war er es auch gar nicht persönlich, der den Befehl zu deiner Hinrichtung unterschrieben hat“, mutmaßte er. „Es könnte auch ein niederträchtiger Schachzug Miros gewesen sein.“

„Und Louny“, warf Falk sarkastisch dazwischen, „wird sich vor lauter Glück nicht eingekriegt haben, als er eine Anklage gegen mich auf dem Tisch hatte. Das gab ihm die einmalige Gelegenheit, sich an uns zu rächen. Er hat es nie verwunden, dass der Tod seines Vaters ungestraft blieb.“

Wieder zogen die Geister der Vergangenheit herauf. Würden sie ihn nie aus ihren Klauen lassen?

„Dein Vater hat damals bei Kaiser Heinrich zwar erreicht, dass du nicht bestraft wurdest, als du Miros Erzeuger, den alten Gaugrafen Boheslav, erstochen hast. Aber heute, nach so vielen Jahren, ist es König Ottokar lieber, wenn er die Pfeiler seiner Macht nicht wackeln sieht, zumal er mit der Sache damals gar nichts zu tun hatte. Es war ja noch der Bischof von Prag, der in Böhmen herrschte.“

Friedrich blickte nachdenklich auf Falk. „Nur, weil es nicht möglich war, dich für dein Vergehen von vor fast zwanzig Jahren anzuklagen, hat Miro die Raubrittersache aufgebauscht“, fuhr Friedrich mit trauriger Stimme fort. „Und mein missratener Sohn, Gott möge ihn bestrafen, hat sich dazu hergegeben, als Zeuge gegen dich auszusagen, obwohl er selbst beteiligt war. Doch das Schlimmste ist, dass Zdenek von Neubergk wieder einmal vollkommen straflos davongekommen ist.“

„Mir tut es nicht leid, dass ich Boheslav damals erschlagen habe. Und wenn ich jetzt dafür sterben muss, dann soll es so sein. Der Kerl hat mir meine Kindheit genommen, mir und vielen anderen Jungen, die sich nicht wehren konnten. Lasst die Vergangenheit ruhen, Onkel. Es ist jetzt nicht mehr zu ändern. Gott bestraft mich nicht dafür. Nein, er bestraft mich, dass ich meiner Schwester soviel Leid gebracht habe. Möge sie mir wenigstens verzeihen, wenn es der HERR schon nicht kann. Dann werde ich mit Freuden meinen Kopf auf den Richtblock legen.“ Tränen liefen über Falks Antlitz. Doch er schämte sich ihrer nicht. Mit dem schmutzigen Ärmel seiner Tunika wischte er sich über das Gesicht, so dass sichtbare Spuren zurückblieben. „Ich weine nicht um meiner selbst willen, Onkel, sondern darum, dass ich so viel Unrechtes tat im Leben und keine Gelegenheit mehr habe, es zu ändern“, sagte er mit fast unhörbarer Stimme.

Friedrich wusste nicht, was er antworten sollte, und so drückte er Falk nur die Hand. Aber ganz so ohne Abschied, wollte er Falk nicht verlassen. „Und trotzdem, Gott ist mit dir auf deinem letzten Gang. Vertraue darauf.“

„Ich hoffe, Ihr behaltet recht, Onkel. Und nun lebt wohl.“ Lange schaute er Friedrich ins Angesicht, der den Blick seines Neffen voller Zuneigung erwiderte. Dann löste er seine Hand aus dessen Griff und Friedrich verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzublicken.

Im düsteren Saal der Veste von Louny flackerten einige rußende Fackeln in ihren Halterungen an den Wänden. Das unruhige Licht gab nur einen vagen Blick auf die verwahrloste Halle frei. Hunde balgten sich unter den vor Dreck starrenden, speckig glänzenden Tischen, auf denen die Reste eines vorangegangenen Mahles in Laken verschütteten Bieres sich mit den unappetitlichen Abfällen des Gelages vermengten.

„Mir ist nicht ganz wohl bei der Sache“, raunte Frantek mit lallender Stimme seinen Spießgesellen zu, voller Angst, dass unbefugte Ohren ihn hören könnten. „Was, wenn herauskommt, dass wir auch an dem Überfall beteiligt waren?“ Der Blick aus seinen eng zusammenstehenden Augen wirkte gehetzt. Miro von Louny saß mit seinen Kumpanen Zdenek von Neubergk und Frantek von Chomotau in seiner Halle. Vor jedem stand ein Humpen, den sie sich schon zum wiederholten Male von einer Magd mit Bier hatten vollschenken lassen.

„Wer sollte das bezeugen?“, fragte Miro und verdrehte ungeduldig die Augen. „Es sei denn, du Jammerlappen wirst schwach und ziehst deine Aussage zurück“, setzte er höhnisch hinzu und sah Frantek herausfordernd an. Sein etwas hageres, von hohen Wangenknochen betontes Gesicht hätte man als hübsch bezeichnen können, wäre da nicht dieser grausame Zug um seinen schönen Mund gewesen. Seine bemerkenswerten, hellblauen Augen blickten kalt.

„Der Kaufmann hat Falk schließlich auch erkannt, oder?“, konterte dieser beleidigt. „Was, wenn er sich an mich erinnert, schließlich ist Falk mein Cousin?“

„Das wird nicht passieren“, mischte sich Zdenek in das Gespräch. „So schnell, wie du das Weite gesucht hast, haben sie nicht einmal bemerkt, dass du dabei warst.“

„Was willst du damit sagen?“, brauste Frantek auf und beugte sich drohend über den Tisch, was ihn ins Schwanken brachte. Unwillig strich er eine Strähne seines schütteren schwarzen Haares, das ihm in die bleiche Stirn gefallen war, zurück. „Unterstellst du mir, dass ich ein Feigling bin?“

Zdenek, ein vierschrötiger Kerl, dessen kahlgeschorener Schädel im Fackelschein glänzte, und ihm schon fast etwas Diabolisches verlieh, wich keinen Zentimeter zurück, denn die schmächtige Gestalt seines Gegenübers jagte ihm keine Angst ein. Er würdigte seinen Kumpan keiner weiteren Antwort, doch sein Blick verriet, wie wenig er von diesem hielt. Mit herablassender Miene zog er seinen Pelzumhang, den er lässig über die Schulter geworfen hatte, zurecht.

„Hör zu, Frantek, mein Freund“, ergriff Miro wieder das Wort, wobei er sich zu seinem Komplizen hinüberbeugte und ihn herausfordernd in die Augen sah. „Wenn du schwach wirst und deine Aussage, dass wir Falk auf frischer Tat ertappt und erkannt hätten, zurücknimmst, dann wirst du genauso dran sein wie Falk. Denke dran, es ist uns leider nicht gelungen, ihn an einer Flucht zu hindern. Denn mir wird der König mehr Glauben schenken als dem vollkommen bedeutungslosen Sohn eines meißnischen Dienstadligen. Also, überlege es dir sehr genau, was du gesehen haben willst.“

Wütend ließ sich Frantek zurück auf seinen Stuhl sinken. Mit zitternden Händen griff er nach seinem Humpen, nur um festzustellen, dass dieser leer war. Miro und Zdenek grinsten hämisch.

„Verdammt“, entfuhr es Frantek. Er knallte seinen Becher auf den Tisch. „Lenka“, schrie er nach der Magd, die sich ängstlich in der Nähe der Tür herumdrückte, in der Hoffnung, den betrunkenen Rittern nicht ins Blickfeld zu geraten. Das Mädchen zuckte zusammen. Doch beeilte sie sich, dem Ruf des Mannes schnell nachzukommen, außer sich vor Angst, dass der Gaugraf sie später bestrafen würde, falls sie nicht flink genug den Befehlen Folge leistete. Doch die Männer kümmerten sich nicht weiter um Lenka.

„Verschwinde“, schnauzte Miro sie an, als diese sich anschickte, auch ihm erneut einzuschenken. Das Mädchen wich scheu zurück und verschmolz mit den Schatten der Wand hinter sich, froh, der Aufmerksamkeit der Gesellen zu entgehen.

„Am besten du reitest noch heute Nacht nach Chomotau“, riet Miro seinem Kumpan. „Dann kannst du keinen Fehler machen.“ Sein verschwörerischer Blick ging zu Zdenek.

Frantek wollte protestieren, doch der Gaugraf hob abweisend die Hände. „Nein, sag nichts. Ich weiß, dass es dir nicht passt, nach Hause zurückzureiten. Friedrich wird dich sicher nicht freudig an sein Vaterherz drücken, nachdem du daran schuld bist, dass sein geliebter Neffe hingerichtet wird. Aber wir müssen in der Tat jetzt aufpassen, dass niemand misstrauisch wird. Zdenek, auch du reitest nach Hause“, wandte er sich an seinen anderen Spießgesellen. Der Neubergker starrte missmutig auf den Tisch. „Ich weiß, du hättest gern gesehen, wie Falks schöner Kopf vom Rumpf getrennt wird.“ Er lachte böse. „Aber glaube mir, es ist besser, wenn ich morgen allein zu der Hinrichtung gehe. Falks Onkel wird mit Sicherheit versuchen, seinen Neffen in letzter Minute zu retten. Ich will nicht Gefahr laufen, dass euer Erscheinen noch irgendeinen Tumult hervorruft.“ Er machte eine kurze Pause. Seine Miene erstarrte zu einer rohen Maske. „Der Mörder meines Vaters soll endlich verrecken“, setzte er voller Hass hinzu.

Ehre und Macht

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