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Tom

„Tom, fang auf!“ Ralf wirft mir von der anderen Seite über das Dach des VW-Busses den Schlafsack zu. Ich fange ihn auf und befördere ihn durch die offene Bustür nach hinten auf die Ladefläche, die sich in den letzten Stunden ordentlich gefüllt hat. Kommt doch einiges zusammen, auch wenn Ralf schon ein paar Mal unten war und jedes Mal eine Ladung voll mitgenommen hat. So eine Auswanderung mit Existenzgründung erfordert doch jede Menge Material. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn und kremple mir die Hemdsärmel hoch. Heute ist es ungewöhnlich warm für April. Bei dem Gedanken an das noch viel heißere Sardinien werde ich ganz hibbelig. Sardinien! Auszeit! Ein neues Projekt! Kreativ sein! Freiheit!

Ich lehne mich an die blaue Schiebetüre meines geliebten Bullis und trinke einen Schluck aus der Wasserflasche. „Wann gehts morgen los?“

„Ich werde früh starten. Muss noch schauen, wann die Fähre geht“, höre ich Ralf von der gegenüberliegenden Seite des Busses. Bin ich froh, dass er das mit den Sommerreifen jetzt noch erledigt. Hätte heute echt keine Zeit mehr zum Reifenwechseln gehabt und so sind wenigstens die letzten Gepäckstücke für Sardinien im Bus. Ralf fährt diesmal die letzte Fuhre rüber. Im Juni komme ich dann mit. Ralf braucht meine Hilfe und das Angebot, mein Sabbatical für den Aufbau seines Yogacamps zu nutzen, konnte er nicht ausschlagen. Ich bleibe ein Jahr drüben. Und dann – mal sehen. Momentan reicht es mir von Deutschland!

Ich gehe um den Bus herum und sehe Ralf ein paar Minuten beim Reifenwechseln zu.

„Gut, dass ich den Bus haben kann“, sagt er, während er eine der letzten Schrauben aufsetzt.

Heute Morgen hatte ich den Bus noch voller Bienenbeuten, jetzt ist die Ladefläche voll mit Yogamatten, Reisetaschen, Umzugskartons und ein paar Grünpflanzen. Die Holzkästen mit meinen geliebten Bienen drin mussten umziehen – hab sie schweren Herzens zum Lehrbienenstand gebracht, wo Johann so nett ist und sich um die Völker kümmert, bis ich wieder da bin. Ich weiß ja noch nicht, wie es nach dem Jahr mit mir weitergeht, auch wenn ich insgeheim mit dem Gedanken spiele, auf Sardinien zu bleiben. Ich bin schließlich ungebunden und kann ganz für mich allein entscheiden – auch wenn ich mich zurzeit zugegebenermaßen manchmal etwas einsam fühle. Aber vielleicht läuft Ralfs Yogazentrum gut an und in seinem Hostel gibt es noch länger was zu tun. Kann sein, dass ich dann mein Zeichenbrett gegen den Computer an der Rezeption tausche. Vorerst haben wir den Deal nur für ein Jahr. Über alles Weitere haben wir noch gar nicht gesprochen.

Ich klopfe auf das Blech meines Bullis. „Ja logisch. Mit dem Bus kannst du mehr rüberbringen und ich schwinge mich die nächsten zwei Monate einfach auf mein Fahrrad.“

Ralf sieht mich erschrocken an und legt den Schraubschlüssel hin. „Mist, die Fahrräder müssen wir auch noch irgendwie rüberbringen!“

„Du hast recht. Die haben wir ganz vergessen. Natürlich brauchen wir unsere Fahrräder. Auch wenn man auf Sardinien wahrscheinlich eher mit dem Roller fährt als mit dem Rad“, antworte ich.

Ralf nimmt das Werkzeug wieder in die Hand und dreht die letzte Schraube fest.

„Ich habe mir überlegt, auch Mountainbike-Touren in die Umgebung anzubieten. Dafür muss ich mich aber erst genauer umschauen. Keine Ahnung, ob ich das auch noch unterkriege. Mitnehmen möchte ich die Bikes aber auf alle Fälle.“

Ralf steht ächzend auf und stützt dabei seine Hände auf seinen Oberschenkeln ab.

„Puh, geschafft. Mir tut alles weh! Wird Zeit, dass ich wieder mehr Sport mache“, stöhnt er.

„Bist halt auch nicht mehr der Jüngste! Aber bald kannst du dich dann ja wieder voll verausgaben“, scherze ich und klopfe meinem besten Kumpel auf den Rand seines Käppis. Ralf rückt das Käppi wieder auf seinen ergrauten kurzgeschorenen Haaren zurecht und wischt sich sein schweißnasses Gesicht mit seinem T-Shirt ab.

„Das wird echt Arbeit! Viel Zeit für den Sport habe ich dann bestimmt nicht“, ächzt Ralf.

Damit hat er sicher recht. Seinen Mut bewundere ich: Ralf setzt alles auf eine Karte bei seinem Plan auf Sardinien ein Yogazentrum mit einem Hostel für Gäste zu gründen. Seine Kinder sind erwachsen, für die muss er nicht mehr zahlen. Die mageren Jahre nach seiner Scheidung sind vorbei und Ralf kann wieder an sich denken und seine Träume verwirklichen. Dafür beneide ich ihn. Seine Träume! Er weiß wenigstens, welche er hat. Ich bin mir da bei mir nicht so sicher. Ich weiß, was mir wichtig ist und was ich auf keinen Fall will. Eingesperrt sein! Fremdbestimmt sein! Das ist mein Alptraum! Aber Träume … keine Ahnung, was ich antworten würde, wenn mich jemand nach meinen Träumen fragt.

Ralf klopft mir auf die Schulter. „Ich bin echt dankbar, dass du mich unterstützt. Ich weiß nicht, ob ich das sonst schaffen würde.“

Ich sehe ihm in die Augen und kratze mich an meinem Dreitagebart, der momentan eher nach einem Zehntagebart aussieht. „Du hast dir echt ein Wahnsinns-Projekt vorgenommen. Respekt! Klar helfe ich dir. Du wirst sehen, wir schaffen das.“ So ganz überzeugt bin ich von meiner eigenen Aussage allerdings nicht.

Das ältere Flachdach-Gebäude in Strandnähe, das Ralf gekauft hat, ist nicht besonders groß und ziemlich renovierungsbedürftig. Zwar wurde das Haus früher schon als Hotel genutzt und bietet daher einige Voraussetzungen, aber um daraus ein hippes Yogazentrum zu zaubern, bedarf es momentan schon noch sehr viel Fantasie.

„So ein Glück, einen Landschaftsarchitekten als Freund zu haben“, hat Ralf damals gesagt, als er mich fragte, ob ich mir das Gelände mal ansehen kann und mir schon auf dem Weg zum Strand tausend Ideen gekommen sind.

Vom Sabbatical war damals noch nicht die Rede. Die Idee, für ein Jahr aus dem Büro auszusteigen kam mir erst später – zu der Zeit, als wir den Wettbewerb zur Realisierung einer Grundschule verloren hatten. Nach wochenlanger Planungszeit und 1A-Ideen für die Freiflächen bekamen wir den Zuschlag nicht. Als Ralf mir dann von seinen Plänen erzählte und wir die Besichtigung des Grundstückes gleich mit einem Urlaub verbanden, habe ich Blut geleckt und mich am Ende für das Sabbatical entschieden.

Auch wenn das ganze Sardinien-Projekt natürlich einem Freundschaftsdienst mehr ähnelt als einem richtigen Auftrag, habe ich einige Pläne im Kopf und andere schon auf Papier. Was sich davon finanziell realisieren lässt, werden wir dann mit der Zeit sehen.

Ralf geht um den Bus herum und zieht die seitliche Türe mit einem Ruck zu.

„Müsste alles drin sein, was ich die nächsten Tage brauche“, murmelt er.

Ich schlendere Ralf hinterher und drücke ihm die Wasserflasche in die Hand. „Die Fahrräder nehmen wir dann halt noch mit, wenn wir im Juni zusammen hin fahren.“

Ralf trinkt die Flasche leer und mustert mich dabei von oben bis unten.

„Du hast aber auch ganz schön geschwitzt!“, lacht er.

Ich spüre, dass meine Haare im Nacken richtig nass sind und bemerke erst jetzt die Schwitzflecken auf meinem Leinenhemd. Ich schiebe meine Sonnenbrille von meinen Haaren auf meine Nase herunter und streiche mit der Hand über meinen kleinen Dutt am Hinterkopf.

Ralf lacht und ich weiß schon, was er jetzt sagen wird.

„Ist die Prinzessin wieder hübsch?“, flötet er mit verstellter Stimme und grinst mich an.

Unser Running-Gag, seit ich meine Haare etwas länger trage und nun aus praktischen Gründen dazu übergegangen bin, sie zu einem kleinen Dutt zusammen zu binden. Ich glaube ja, dass Ralf insgeheim neidisch ist, weil sich auf seinem Oberkopf schon eine lichte Fläche bildet, die er mit seinem Käppi zu verstecken versucht.

Ich werfe Ralf ein angedeutetes Luft-Küsschen zu. „Na klar, mein schöner Prinz“, antworte ich ihm ebenfalls mit Pieps-Stimme und wir knuffen uns gegenseitig in die Seite.

Bienenglück und Honigcafé

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