Читать книгу Bienenglück und Honigcafé - Julia Gehrig - Страница 9
ОглавлениеTina
Als ich in Sarahs Zimmer komme, trifft mich der Schlag. Es stinkt nach Zigarettenrauch! Sarah sitzt auf ihrem Bett und versteckt schnell die Hand hinter ihren Rücken, als ich reinkomme.
„Du sollst anklopfen“, schreit sie mich an.
„Hast du hier drin geraucht? Ich fasse es nicht!“, schreie ich zurück, renne zum Fenster und reiße die beiden Fensterflügel auf. „Sag mal spinnst du? Wie kommst du auf die Idee, im Haus zu rauchen?“
„Du hast kein Recht, einfach in mein Zimmer zu kommen!“, kreischt Sarah.
„Antworte gefälligst! Wie kommst du auf die Idee, im Haus zu rauchen?!“ Ich baue mich vor Sarah auf und merke, wie die Wut in mir hochsteigt. Sarah sitzt mit ihrem völlig überschminkten Gesicht auf dem Bett und grinst mich an. Sie weiß genau, an welchem Punkt sie mich erwischen muss, dass ich so richtig wütend werde. Und der Punkt ist jetzt erreicht.
„Ich kann rauchen, wann ich will“, blökt mich Sarah an.
„Jetzt reicht es dann mal!“ Ich würde sie am liebsten aus dem Bett zerren, aber stattdessen packe ich ihr Kissen und knalle es vor ihr auf den Boden. Dabei sehe ich hinter ihrem Rücken den glühenden Zigarettenstummel.
„Du bist immer gleich so aggro“, schreit Sarah, springt wie von der Tarantel gestochen vom Bett auf und flüchtet aus dem Zimmer. Bestimmt brauchte sie nur einen Vorwand, um die Zigarette draußen verschwinden zu lassen.
Ich höre, wie Sarah die Treppe runterpoltert und die Tulpenvase unten neben der Treppe vibriert. Sie knallt die Haustüre zu und weg ist sie.
Mir steigen Tränen in die Augen. Seit der Trennung komme ich mit Sarah nicht mehr zurecht. Wir entfremden uns immer mehr und ich habe Angst, dass sie abrutscht.
Und das alles bleibt an mir hängen. Christian bekommt von den ganzen Dramen nichts mit. Und wenn die Mädels bei ihm sind, benehmen sie sich wahrscheinlich wie seine braven Zuckerpüppchen.
Ich gehe nach unten und krame mein Handy aus der Handtasche.
Hab schon wieder große Probleme mit Sarah, tippe ich eine Nachricht an Anja in mein Handy.
Ich brauche schnell jemanden, dem ich mein Leid klagen kann. Anja hat Kinder, sie wird mich verstehen. Ich hoffe, dass sie mir keine psychologischen Ratschläge erteilt, sondern einfach nur zuhört. Lange muss ich nicht auf eine Antwort warten. Anja hat ihr Handy immer griffbereit. Sie lebt ständig in Sorge, dass mit ihren Kindern etwas ist oder dass sie die Kinder vorzeitig irgendwo abholen muss. Ich weiß, dass Anja regelmäßig ihre Nachrichten checkt und da sie gut organisiert ist, schafft sie es auch meistens, die Nachrichten einzutippen, während sie am Rand des Fußballfeldes Kaffee ausschenkt, an der Supermarktkasse ansteht oder den Kindern bei den Hausaufgaben hilft.
Was ist los du Liebe?, kommt es sofort zurück.
Sara hat gerade heimlich im Zimmer geraucht. Jetzt ist sie aus dem Haus geflüchtet. Ich mache noch fünf weinende Emojis hinter den Text.
Versuche immer an das Bild vom Kaktus zu denken, schreibt sie mir zurück. Anja hat mir mal anhand eines Kaktus die Pubertät erklärt. Er hat zwar Stacheln, benötigt aber trotzdem Wasser und Erde, um gut zu wachsen. Ich fand das Bild wenig hilfreich.
Ich will lieber Grünpflanzen statt Kakteen, schreibe ich zurück. Was habe ich mir auch von einer WhatsApp Beratung erwartet?
Ich kann dich verstehen, schreibt Anja zurück. Das ist ihr Standardsatz. Hat sie mir mal selbst erklärt, dass sie das in den Beratungen immer sagt. Mara kommt auch schon in die Vorpubertät, fügt sie dazu und macht hinter die Nachricht ebenfalls fünf weinende Emojis. Ich glaube, Anja wird sich noch wundern, was Pubertät wirklich bedeutet. Die brave Mara kriegt höchstens mal einen Heulkrampf, wenn sie in Leichtathletik den 2. Platz macht.
Ich lege das Handy in die Handtasche zurück und habe keine Lust mehr auf Anja-Beratung. Ich antworte später, das führt zu nichts.
Da kommt eine Nachricht von Susanne an:
Süße, leider kann ich morgen nicht zum Imkerkurs. Hab so Migräne. Liege schon den ganzen Tag im Bett.
Nicht auch das noch!
***
„Geht es hier zum Praxiskurs?“, spricht mich eine kleine zierliche Frau von der Seite an, als ich gerade aus dem Auto aussteige.
„Äh, ich kenne mich auch nicht aus“, stottere ich und lächle sie an. Mit ihren kurzen brünetten Haaren und ihrem grauen Kapuzenpulli, der ihr viel zu groß ist, wirkt sie eher burschikos. Unter dem Arm trägt sie einen Notizblock und ein Klemmbrett.
„Kein Problem! Dann suchen wir gemeinsam“, lächelt sie zurück und wirkt so gar nicht nervös.
Ich dagegen bin ziemlich aufgeregt. Da mich Susanne versetzt hat, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als allein zu diesem Kurs zu gehen. Fast hätte ich gestern schon zum Telefon gegriffen und abgesagt. Und dann flüsterte mir doch mein schlechtes Gewissen zu, dass sich sowas nicht gehört. Zu guter Letzt habe ich dann zugegebenermaßen doch ein klein wenig Abenteuerlust gespürt – das Abenteuer, mich auf völliges Neuland einzulassen und diesen Imkerkurs allein zu machen.
Ich trabe also neben der kleinen Frau her, die zielstrebig in Richtung Lehrbienenstand geht. Hier war zwar bereits der Theoriekurs, aber wo sind die Bienen? Heute sollen wir doch anhand von echten Bienenvölkern die Dinge gezeigt bekommen, die beim Imkern zu tun sind.
Als wir am Eingang angekommen sind, hält sie mir die schwere Türe auf und deutet auf einen Papierpfeil, der an der gegenüberliegenden Wand klebt. Darauf steht „Anfängerkurs Praxisteil“.
Genauso schnell wie sie hierhergelaufen ist, folgt sie der Pfeilrichtung und ich habe Mühe, mit ihrem Tempo mitzuhalten. Da stehen wir schon auf einer riesigen Obstbaumwiese. Auf dem vorderen Teil der Wiese wachsen keine Bäume, hier sind vier Pavillons aufgebaut. Darunter stehen Biertische und Bierbänke. Auf den Biertischen befinden sich Holzkästen und anderes Imkerzubehör. Ein paar Kursteilnehmer stehen herum, manche wandern zwischen den Pavillons hin und her und sehen sich die Sachen an. Unauffällig schaue ich mich nach Tom vom Imkerflyer um. Dieser Mann würde mir hier doch gleich auffallen. Als ich noch überlege wohin mit mir, steht plötzlich wieder die kleine Frau vor mir und streckt mir die Hand entgegen.
„Sorry, hab mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Isa. Schreibe einen Artikel übers Imkern. Wer bist du?“
„Tina“, stelle ich mich vor und schüttle ihr ganz offiziell die Hand. Dann weiß ich nicht mehr, was ich noch sagen soll. Isa hat aber wohl kein Problem mit Gesprächspausen. Sie zückt ihren Block und den Stift und sagt: „Macht es dir was aus, wenn ich dir ein paar Fragen stelle?“, und setzt den Stift schon aufs Papier.
„Äh, nein“, stammle ich.
„Wie bist du zum Imkern gekommen?“
„Noch gar nicht. Ich schaue mir das nur mal an. Meine Freundin hat mir einen Gutschein geschenkt. Aber die ist heute nicht hier.“
Isa schreibt nichts auf ihren Block, sondern schaut mich fragend an.
„Ach, du imkerst noch gar nicht?“
„Nein, ich kann das noch gar nicht. Deshalb bin ich heute ja hier.“
„Ach so, ja klar.“ Isa schiebt ihre Brille hoch.
Ich verstehe nur Bahnhof und bin etwas ratlos, was diese Frau von mir möchte. In dem Moment eröffnet eine dunkle Männerstimme den Kurs. Ich drehe mich um und sehe … ihn! Da steht er. Tom aus dem Imkerflyer! Ich erkenne ihn sofort, obwohl er einen weißen Imkeranzug trägt und nicht wie auf dem Foto eine coole Chino-Hose. Meine kleinen Schweißperlen auf der Oberlippe scheinen sich in große Wassertropfen zu verwandeln. Ich wische mir unauffällig über mein Gesicht und im Augenwinkel sehe ich, dass Isa neben mir steht und sich auf ihrem Block Notizen macht.
„Wir fangen an dieser Station an. Hier erkläre ich Ihnen erst einmal die Werkzeuge eines Imkers. Dann gehen wir in Kleingruppen von Station zu Station. Wenn es Fragen gibt, einfach melden.“
Ich bewege mich mit der Gruppe unter den ersten Pavillon zu den Bierbänken.
„Ich bin übrigens der Tom.“
Also ist er es tatsächlich! Ich kann es nicht fassen und würde am liebsten Susanne gleich eine Nachricht schreiben. Aber das geht ja jetzt wohl schlecht.
Tom erklärt uns Teilnehmern anschließend die Grundausstattung eines Imkers und dass man auf alle Fälle den Schleier tragen soll, bevor man die Beute – so heißt der Kasten, in dem die Bienen drin sind – aufmacht. Er teilt uns Schleier aus, weil wir gleich in so eine Beute hineinschauen werden. Als Tom vor mir steht und mir den Schleier reicht, kann ich ihm gar nicht in die Augen schauen. Schüchtern wie ein kleines Mädchen nehme ich die zwei Schleier in die Hand, die er mir mit den Worten: „Für die beiden Damen“, entgegenstreckt. Wahrscheinlich denkt er, ich gehöre zu Isa dazu. Dabei sitzt sie nur zufällig neben mir und ich habe den Eindruck, dass auch ihr Tom aufgefallen ist. Jedenfalls hört sie auf, sich Notizen zu machen und legt ihren Kugelschreiber neben sich auf die Bank, als Tom vor uns steht.
Bevor wir zu den Bienen unter den nächsten Pavillon wechseln, erklärt Tom noch, wie die Beute von innen aussieht. Das Modell, das wir uns heute genauer ansehen, heißt „Zander“. In jede Beute passen zehn Rähmchen. Dabei handelt es sich um kleine Holzrahmen, die mit Drähten bespannt sind, um den Bienen das Bauen der Waben zu erleichtern. Isa schreibt und schreibt. Ich überlege, ob ich mir auch einen Block mitnehmen hätte sollen. Es sind doch viele Informationen und ich bin nicht sicher, ob ich mir das alles merken kann.
„Habts dazu noch Fragen?“, höre ich Tom. Ein paar Teilnehmer melden sich. Tom beantwortet geduldig und in sehr freundlichen Ton, was mir gefällt. Ich mag diese Art. Aus der Entfernung traue ich mich, ihn mir nochmal genauer anzusehen. Die Haare trägt er wie auf dem Foto im Flyer – zu einem Dutt zusammengebunden. Sein Outfit kann ich leider nicht erkennen, weil er den Imkeranzug und Gummistiefel trägt. Besonders sexy sieht das eigentlich nicht aus, aber ich finde, dass ihm sogar das steht. Tom würdigt mich keines Blickes, obwohl ich absichtlich nicke und mich interessiert zeige.
Nach der Erklärung zu Werkzeug und Beute werden wir in kleinere Gruppen aufgeteilt und sollen jeweils zu einem Pavillon gehen. Dort warten weitere Imker auf uns, die uns anhand von verschiedenen Gegenständen das Imkerjahr erklären. Meine Gruppe beginnt an der Station, an der uns Imker Gerd die Honigschleuder erklärt. Der Gedanke, dass ein Bienenvolk in guten Jahren zwischen 15 und 20 kg Honig bringen kann, finde ich unglaublich. Diese kleinen Bienen produzieren so viel Honig? Ich schiele immer wieder in den Pavillon neben mir und sehe, dass Tom diese Station übernommen hat. Alle Teilnehmer dort tragen den Schleier und stehen etwas scheu um eine offene Beute herum, aus Tom ein Rähmchen nach dem anderen herauszieht. Ich kann mich gar nicht richtig auf Gerd und die Honigschleuder konzentrieren, weil ich in Gedanken schon an der offenen Beute stehe – bei Tom.
Erstmal werde ich noch ein bisschen auf die Folter gespannt. Wir wandern weiter zu einer Station, an der uns gezeigt wird, wie die Wachsmittelwände in die Rähmchen eingeschmolzen werden. Ich dachte eigentlich, dass die Bienen selbst die Waben bauen. Imker Klaus an der Station erklärt aber, dass man den Bienen damit die Arbeit erleichtert und die Größe der Waben vorgibt. Die Wachsplatten kann man kaufen und schmilzt sie dann mit einer Art Lötgerät an die Drähte in den Rahmen ein. Ich schnuppere an der Wachsplatte, die Klaus herum reicht. Sie duftet wunderbar nach Honig und obwohl die Luft heute wieder frühlingshaft kühl ist, stellt sich bei mir kurz ein weihnachtliches Gefühl ein. Wahrscheinlich, weil mich der Honigwachsduft an Kerzen erinnert.
„Riech mal“, sage ich zu Isa und halte ihr die Wachsplatte hin. Isa ist aber immer noch mit Schreiben beschäftigt. Sie schnuppert kurz an die Platte und wendet sich dann wieder ihrem Klemmbrett zu.
„Weißt du, Bienen sind gerade total angesagt. Umweltschutz ist einfach immer ein gutes Thema in Frauenzeitschriften.“
„Ach so. Du schreibst für eine Zeitschrift?“ Ich bin erleichtert und fühle mich gleich entlastet. Isa schreibt also das neue Wissen nicht auf, um zu imkern, sondern um den Artikel zu schreiben.
„Ich möchte das Thema Imkern für Frauen interessant machen. Wusstest du, dass total wenig Frauen imkern? Die meisten sind Männer.“
„Echt? Das wusste ich nicht“, sage ich. Darüber habe ich mir aber auch noch nie Gedanken gemacht.
„Ja klar! Schau dich doch mal um. Nur Männer!“
Ich muss schmunzeln, weil ich gleich wieder an Tom denke.
„Ich finde es super, dass du mit dem Imkern beginnen möchtest“, sagt Isa.
„Das hast du falsch verstanden … ich will ja erstmal …“, setze ich gerade an, als Klaus zu uns rüber sieht und laut sagt: „Sie möchten mit dem Imkern beginnen? Da kommen sie nachher nochmal auf mich zu.“ Und noch ehe ich die Sache richtigstellen kann, fragt er schon ab, wer in der Gruppe bereits Bienen besitzt, wer noch keine Völker hat und wer sich in nächster Zeit welche zulegen möchte.
„Warum imkerst du denn nicht?“, frage ich Isa.
„Ich und Hobbys? Keine Zeit! Weißt du, wie mein Wochenplan aussieht – als alleinerziehende freie Journalistin?“ Isa lacht ironisch auf. Dann widmet sie sich wieder den Erklärungen von Klaus, die sich nun wieder an die ganze Gruppe richten. Endlich ist es so weit. Meine Gruppe wechselt zu der Station, an der Tom eingesetzt ist. Ich versuche, mich möglichst so hinzustellen, dass er mich sehen kann. Ich schaffe es auch, und Isa drängelt sich wieder neben mich. Wahrscheinlich möchte sie nur möglichst nah an der offenen Beute stehen, um gut sehen zu können. Dabei hat sie aufgrund ihrer Größe schon Schwierigkeiten, über den Rand des Kastens zu sehen, der auf dem Biertisch steht. Ich stelle fest, dass ich etwas kleiner als Tom bin und von meiner Position aus sogar seine Augenfarbe erkennen kann. Ich vermute, dass es sich um braun handelt, allerdings nicht richtig dunkel, sondern mit goldenen Sprenkeln. Plötzlich ertappt mich Tom dabei, wie ich seine Augenfarbe identifiziere. Er räuspert sich und wirft mir einen strengen Blick zu. „Schleier!“, sagt er in strengem und auch etwas genervtem Ton. Ich werde auf der Stelle rot, sage nur „Jaja“ und setze schnell meinen Schleier auf, um meine Gesichtsfarbe zu vertuschen. Anscheinend hat Tom ohnehin gerade dazu aufgefordert, denn erst jetzt merke ich, dass alle anderen den Schleier bereits aufgesetzt haben. Mein Herz pocht so fest, dass ich es spüren kann. Einerseits weil mich Tom total aus dem Konzept bringt, andererseits weil ich mich über seinen strengen Tonfall ärgere – und über mich selbst, weil ich nicht aufgepasst habe.
„Hey schau mal, total niedlich“, flötet Isa und stupst mich in die Seite, als Tom den Deckel der Beute öffnet und die ersten Bienen herauskrabbeln. Dabei stellt sie sich auf die Zehenspitzen, um in den Kasten zu blicken!
Ich bemerke, wie Tom beim Wort „niedlich“ zusammenzuckt. Isa tut ja gerade so, als hätte sie noch nie eine Biene gesehen.
Tom schlüpft nun in weiße Lederhandschuhe und bläst mit dem Smoker etwas Rauch in den Bienenkasten.
„Jetzt denken die Bienen, dass es brennt“, erklärt er. „Sie schnappen sich Honig und verziehen sich in das Innere der Beute. So können wir besser an den Rahmen arbeiten.“
Dann zieht er vorsichtig Rahmen für Rahmen heraus und erklärt uns, in welchen Waben Brut, Honig und Pollen drin ist. Die Waben, die mit einem leicht gewölbten Wachsdeckel verschlossen sind, nennt man „verdeckelte Brut“. Darin befinden sich sozusagen die Baby-Bienen.
„Die Königin sitzt meistens in der Mitte der Beute. Sie wird von den anderen Bienen gut beschützt. Man kann sie gut erkennen, weil sie größer ist und einen länglichen Körper hat.“ Dann zeigt er uns die Königin, die mit einem grünen Farbpunkt markiert ist. Toms Stimme hört sich wunderbar an. So warm und geduldig. Wie schon zu Beginn des Kurses. Ich überlege krampfhaft, welche Frage ich noch stellen könnte, um mich interessiert zu zeigen und seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Mir fällt aber keine Frage ein. Mein Gehirn ist plötzlich Brei und vor lauter Informationen weiß ich gar nicht mehr, was Tom schon alles erklärt hat.
In dem Moment fragt Isa: „Seit wann imkern Sie und warum haben Sie damit angefangen?“ Die Antwort darauf interessiert mich natürlich auch.
„Ich bin Landschaftsarchitekt und liebe die Natur“, antwortet Tom. „Zum Imkern bin ich vor 25 Jahren durch meinen Onkel gekommen.“ Ich rechne und schätze, dass Tom Mitte 40 ist. Das bedeutet, dass er als junger Mann mit der Imkerei angefangen hat. Jetzt traue ich mich erst recht nicht mehr, eine Frage zu stellen.
„Und warum wollen Sie imkern?“, fragt Tom augenzwinkernd zurück. Ich verstehe nicht ganz, warum er Isa zuzwinkert und auch Isa gerät ins Stottern.
„Ich und Bienen? Nein danke“, sagt sie.
„War klar“, antwortet Tom und wendet sich dem Absperrgitter zu, das auf den Brutraum gelegt wird, damit die Königin darin bleibt und nur hier ihre Eier legt. Isa sieht schulterzuckend zu mir und ich zucke ebenfalls die Schultern. Keine Ahnung, was diese Andeutung sollte. Kann mir ja auch egal sein. Vielleicht hat Tom gemerkt, dass Isa die ganze Zeit schreibt und vermutet schon, dass sie Journalistin ist.
Nach der letzten Station sammeln sich alle Kleingruppen wieder unter dem ersten Pavillon und es gibt warmen Tee für alle. Die kühle Aprilluft hat meine Finger etwas einfrieren lassen und ich bin froh, sie an der warmen Teetasse aufwärmen zu können. Isa steht wieder neben mir und nippt ebenfalls an dem warmen Tee. Tom unterhält sich mit ein paar anderen Teilnehmern. Plötzlich steht Klaus neben mir und sagt: „Sie haben Interesse an Völkern? Jungimker haben wir immer gerne in unserem Verein.“
„Ich?“, stammle ich und bin kurzzeitig verwirrt, weil Klaus auch Isa zunickt.
„Wenn Sie beide auf der Suche nach Völkern sind – ich möchte vier Völker abgeben. Mir wird die Arbeit einfach zu viel und ich würde verkaufen.“
„Verkaufen?“, sage ich. Auf die Idee, dass Bienenvölker etwas kosten, bin ich noch gar nicht gekommen. Vielmehr habe ich noch nicht einmal darüber nachgedacht, wie man zu Bienen kommt, wenn man welche haben möchte.
„120 Euro pro Volk. Die Beuten gibt’s geschenkt. Und einen Bienenpaten für den Anfang bekommen Sie „gratis“ mit dazu. Wir helfen alle zusammen im Verein“, sagt Klaus.
„120 Euro?“, wiederhole ich und höre mich an wie ein Papagei.
„Ja freilich. Das sind aber gute Völker, das können Sie mir schon glauben. Sehr friedlich und auch vom Honigertrag gut“
„Dann habe ich doch noch eine Frau gefunden, die imkert und die ich für meinem Artikel interviewen kann. Ich schreibe dir gleich mal meine Nummer auf. Melde dich, sobald du die Völker hast. Dann machen wir noch Fotos“, sagt Isa und schon drückt sie mir einen Zettel mit ihrer Handynummer in die Hand.
„Moment mal …“, versuche ich einzulenken. „Ich habe ja gar keine Ahnung, wie das alles überhaupt geht.“
„Sie waren doch jetzt im Kurs. Und der Rest ist einfach „Learning by doing“. Lehrgeld zahlen wir alle. Wenn mal was schief geht, dann lernt man draus und machts das nächste Mal besser“, lacht Klaus.
„120 Euro“, wiederhole ich nochmal und denke an den Sommerurlaub, den ich dieses Jahr mit meinen Töchtern geplant habe. Letztes Jahr hatte ich keinen Kopf dafür. Die Scheidung hat mich ganz und gar beansprucht. 120 Euro sind viel Geld und soweit ich das verstanden habe, sollte man am besten mit drei Völkern beginnen. Das würde ja bedeuten … ich versuche die Gesamtsumme auszurechnen, da pfeift Klaus in Richtung Tom.
Ich zucke zusammen und brauche einen Moment, bis mir klar wird, dass Klaus davon ausgeht, dass meine lauten Gedanken Zustimmung bedeuten.