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Rotorua: Ein Waldspaziergang mit Maori-Koch Charles Royal

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Zugegeben, die Expedition mit Charles Royal hatte ich mir in meiner grenzenlosen Vorfreude etwas anders ausgemalt. Nämlich, dass wir uns in einer abgelegenen Gegend Neuseelands durchs Unterholz schlagen würden, um Blätter, Kräuter, Früchte und Pilze zu sammeln, die einst seine Maori-Vorfahren, die Ureinwohner des Landes, aßen. Doch jetzt spazieren wir nur wenige Kilometer von Rotorua, einem der touristischen Hotspots des Landes, durch den Wald und werden hin und wieder von Joggern überholt.

Aber das macht nichts, denn ich habe bald völlig vergessen, wo ich bin. Alle meine Sinne vibrieren vor Konzentration, denn Royal sieht, hört und riecht Dinge, die ich nicht wahrnehme, und lässt mich immer wieder probieren, was er gerade gepflückt hat. Der Maori-Koch hat das fast vergessene Wissen seiner Vorfahren über Jahrzehnte zusammen getragen – indem er mit älteren Maori sprach, aber auch durch mutiges Ausprobieren. Heute gilt Royal als Botschafter einer indigenen Küche. Dieser Tag, an dem ich ihn in den neuseeländischen Busch begleiten darf, ist einer der spannendsten unserer ganzen Reise.

Kennengelernt habe ich den Koch auf dem Kulinarischen Festival in Frankfurt. Das war im Oktober 2012. Neuseeland war Ehrengast der Buchmesse und Royal hatte es irgendwie geschafft, frische Farnspitzen vom anderen Ende der Welt mit nach Deutschland zu bringen. Die grünen Kringel verzierten das Brot, das er seinen Gästen zum Essen reichte, und schmeckten uns auch als Rohkost-Beilage zum Lammkotelett, das er mit zerstoßenen Horopito -Blättern (Buschpfeffer) mariniert hatte. Nicht nur ich war von dem Mann fasziniert, der mit seinem bescheidenen, fast scheuen Auftreten eher wie ein Wissenschaftler als ein Maori-Krieger wirkt. Als ich ihn nach dem Essen ausfragte, lud er mich ein, ihn in den Wald zu begleiten, sollte ich mal nach Neuseeland kommen.


Jetzt ist es tatsächlich soweit. Und auch der Mann, den ich wiedertreffe, überrascht mich: Etwas Akademisches strahlt der kulinarische Forscher noch immer aus, aber hier, im für Europäer exotischen neuseeländischen Busch, fühlt er sich ganz offensichtlich zuhause. Weil Neuseeland sich vor etwa 85 Millionen Jahren als erstes vom Urkontinent gelöst hat, gibt es hier viele endemische Tier- und Pflanzenarten. Ich sehe Riesenfarne und Nikau-Palmen, atme den intensiven Duft der gerade blühenden Manukasträucher (deren Honig aufgrund seiner gesunden Eigenschaften auch in Europa so begehrt wie teuer ist), von manchen Ästen hängen dichte Flechten und Lianen und über allem liegt ein betörend schöner Vogelgesang.

Außer mir nehmen noch ein Hobby-Jäger und seine Freundin an der Exkursion teil. Man kann sie bei Royal kommerziell buchen, aber er führt seine Touren sehr persönlich und individuell. Und obwohl der Wald für die beiden Neuseeländer heimisches Terrain ist, sind sie als kulinarische Pfadfinder genauso blind wie ich. “Welche Blätter, Zweige oder Beeren liegen auf dem Boden? Das verrät mir, ob das, was ich suche, hier wächst”, erklärt uns der Maori-Koch. Alle paar Meter bleibt er stehen, um uns etwas zu zeigen: Pikopiko-Farn, mit dem er inzwischen die Gastronomie beliefert. Vitamin C-haltige Makomako-Blätter, mit denen schon James Cook den Skorbut seiner Männer kurierte. Rotstängelige Muniao-Blätter, die bei Diabetes helfen.

Wir jedoch entdecken bei aller Anstrengung weder Ohrenpilze, die am Stamm bestimmter Bäume wachsen, noch jene fingerdicken Lianen, deren Geschmack an grünen Spargel erinnert und die eine klare Flüssigkeit abgeben, wenn man sie bricht. “Erste Hilfe, wenn man sich im Busch verirrt und das Trinkwasser ausgeht!“ Nun ja, denke ich bei mir, vorausgesetzt, man findet sie. Royal hingegen steigt mit einem schnellen Ausfallschritt kurz in die Botanik, dreht sich einmal um sich selbst, bückt sich dabei ein paar Mal, und schon hat er eine Handvoll Pikopiko-Triebe mit der charakteristischen, noch eingerollten Spitze gepflückt. Und es trotz dicker Stiefel geschafft, die Pflanze nicht zu zertrampeln. „Die Triebe wachsen innerhalb weniger Tage nach, wenn man sie an der richtigen Stelle abbricht.“


Sein enzyklopädisches Wissen und scharfes Auge hat er sich über Jahrzehnte akribisch erarbeitet. Mit 15 begann er seine Ausbildung zum Koch bei der neuseeländischen Armee, wo er nicht nur lernte, 1000 ausgehungerte Männer in einer Feldküche zu verköstigen, sondern auch viel Zeit in der Natur verbrachte. Als Koch für die Air New Zealand Business Class bereiste er die Welt und erkannte, wie einzigartig die Flora und Fauna seines Heimatlandes ist. 1993 kehrte er dann zu seinen Wurzeln zurück, führte mehrere Restaurants und widmete sich der kulinarischen Feld- und Ahnenforschung. Es gab keine Bücher, nur mündliche Überlieferungen, und Vieles war nach der Kolonialisierung Neuseelands Mitte des 19. Jahrhunderts und den darauf folgenden kulturellen Umbrüchen in Vergessenheit geraten.

Royal ist es zu verdanken, dass einheimische Wildkräuter langsam wieder Teil der neuseeländischen Food-Identität werden. 2003 wurde er dafür als New Zealand Innovative Chef of the Year ausgezeichnet, inzwischen hat er ein Kochbuch veröffentlicht. Nach unserem Spaziergang bekommen wir eine Kostprobe seiner indigenen Küche: Während wir köstliches Farnspitzen-Brot in Pikopiko-Pesto und Horopito-Hummus dippen, räuchert Royal auf einem Klapptisch mit Gaskocher Lamm und Huhn über getrockneten Waldkräutern in einer Pfanne. Als Beilage gibt es die klassische Maori-Trilogie – Kumara, Kartoffel und Kürbis – mit Ohrenpilzen verfeinert. Wildere Zutaten wie etwa Huhu Grubs (fingergroße weiße Maden) erspart er uns. Zum Glück.

In den Anfangstagen hätte er sich einmal fast vergiftet, erzählt uns der Koch beim Essen, weil er das, was er nicht kannte, einfach probierte. „Ich biss auf ein Tutu-Blatt und wälzte mich kurz danach mit Magenkrämpfen auf dem Boden. Ich war alleine im Busch und dachte ein paar Stunden lang, ich müsste sterben.“ Seitdem ist Royal vorsichtiger und das Gebet, das er stets an die Energien des Waldes richtet, bevor er ihn betritt, hat nicht nur einen spirituellen Hintergrund. Daran muss ich denken, als ich ein paar Tage später alleine durch den neuseeländischen Wald laufe und zu meiner Freude einen KawaKawa-Busch entdecke. Dessen knallorangen Früchte sind so markant, dass selbst ich sie zweifelsfrei identifiziere – und mir vom pfeffrig-süßen Geschmack die Zunge kitzeln lasse.


REZEPT: Räuchern in der Bratpfanne (nach Charles Royal)

Es ist ganz einfach. Man braucht dazu nur eine tiefe Pfanne, idealerweise mit Deckel (ansonsten mit Alufolie improvisieren). Zuerst kommt eine Lage Alufolie auf den Boden, damit man sich die Pfanne nicht verklebt. Darauf Holzspäne, 1-2 EL rohe Reiskörner und 1-2 EL braunen Zucker. Darauf eine weitere Lage Alufolie, in die man Löcher sticht. Alternativ geht auch eine Alu-Grillschale. Darauf gibt man das, was geräuchert werden soll: roher Fisch, Hühnchen oder auch Tomaten. Dann verschließt man die Pfanne möglichst luftdicht. Ein bisschen Rauch entweicht oft trotzdem, aber so wenig, dass es selbst in einer Stadtwohnung nicht stört. Wichtig: Sobald man den Deckel öffnet, ist der Räuchervorgang beendet! Also nicht mal kurz nachschauen, ob es denn soweit ist! Das muss man im Gefühl haben ... oder halt erraten. Einem durchschnittlich großen rohen Fischfilet haben wir zum Beispiel etwa 15 Minuten im Rauch gegeben. Gestartet wird das Räuchern, indem man den Herd anschaltet. Sobald es heiß genug wird, fangen die Holzspäne an zu rauchen - ab dann läuft die Zeit.

Unser Tipp: Mehr über Charles Royal erfahrt ihr auf www.maorifood.com. Über die Website kann man ihm eine Anfrage für eine Exkursion in den Wald mitsamt Wunschtermin schicken. Charles baut gerade sein Haus aus und bietet bald auch die Möglichkeit an, dort zu übernachten und gemeinsam mit ihm zu kochen. Im Kiwi Kai in Rotorua, dem ersten Maori Fast Food Imbiss des Landes, bekommt man Rewena (Maoribrot), Hangi To Go, Burger im Rewenabrot, Boil-Up, Pudding und mehr. 1211 Amohau Street, Tel. 07-3472440 (telefonisch vorbestellen und selbst abholen möglich), geöffnet Di-Do 10-19 Uhr, Fr 10-19:30 Uhr, Sa 11-19:30 Uhr. www.facebook.com/KiwiKaiRotorua

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