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3.2.3.5. Die liberale Missionsgesellschaft

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Auch liberale Kreise partizipierten an der kritischen Reflexion, die ab den 1840er Jahren über die bisherige Missionstätigkeit einsetzte. Im Juni 1884 konstituierte sich der Allgemeine Evangelisch-Protestantische Missionsverein (AEPMV) in Weimar.151 Dieser Ort war bewusst gewählt, da man «im Sinne der besten Traditionen des deutschen Idealismus Mission […] treiben» wollte.152 Ernst Buss, von 1884 bis 1893 Leiter des Missionsvereins, entwarf den Plan eines neuen Missionsunternehmens, das allen Christen offen stehen sollte: Auf dem Boden eines freisinnigen Protestantismus sollte die christliche Religion und Kultur unter den Heidenvölkern ausgebreitet werden.153

Die Missionare sollten ein lebendiges Zeugnis in Wort und Tat geben. Religionen und Kulturen wurden wertgeschätzt, an die in ihnen enthaltenen Wahrheitselemente angeknüpft. Die Missionare genossen eine akademisch-theologisch Ausbildung und waren bereit, sich mit fremdartigem Gedanken- und Kulturgut auseinander zu setzen.154

Der AEPMV gründete sich als kirchenpolitisch überparteiliche und übernationale Alternative zu den positiven und konservativen Missionsgesellschaften, welche die Mission bis dahin hauptsächlich getragen hatten. Das Ziel, für alle kirchlichen und theologischen Richtungen offen zu sein, konnte er jedoch nicht einlösen, er blieb «ein von den Liberalen getragener Verein».155 Die liberale Missionsbewegung wurde von Protestantenvereinen, Ritschl-Schule, Religionsgeschichtlicher Schule und namhaften Theologen wie Adolf von Harnack, Otto Pfleiderer, Richard Lipsius, Heinrich Bassermann und Max Müller unterstützt. Getragen wurde der AEPMV in Deutschland und in der |64| Schweiz durch die von anderen Missionsgesellschaften gut bekannte Form der Hilfsvereine. Trotz der schweizerischen Beteiligung war der Verein eine überwiegend deutsche Missionsgesellschaft mit einem starken nationalen und, daraus folgend, auch kolonialen Element.156

Als ‹Missionsobjekte› wurden nicht ‹ungebildete Naturvölker› angesehen, der geografische Schwerpunkt lag vielmehr vor allem auf den alten Kulturländern Asiens, Japan und China.157 Diese lagen nach Ansicht des AEPMV moralisch danieder und sollten durch die Mission kulturell wieder ‹aufgehoben›, den heimischen, rein äußerlichen Religionen das Christentum entgegengesetzt werden.158

Auf die Bildung eigener Gemeinden wurde verzichtet, weil man die bereits existierenden, vor allem amerikanischen und englischen Gemeinden nicht spalten wollte. Damit folgte man Adolf von Harnack, nach dem Missionare nicht den Protestantismus verkündigen sollten, sondern die Gotteskindschaft.159 Der AEPMV nahm fremde Kulturen und Religionen auf eine neue Art in ihren Eigenheiten wahr. Ansätze zu einer – vor allem kulturellen – Kontextualisierung christlicher Inhalte hatte es zwar in den anderen Missionen schon lange und immer wieder gegeben, doch lagen diese im Ermessen einzelner Missionare vor Ort und wurden von den Missionsleitungen in der Heimat nicht immer geduldet.160 Der Missionsverein hielt die Kontextualisierung sowie eine stark religionswissenschaftliche Ausrichtung seinen Statuten fest: «Sein Zweck ist, die christliche Religion und Kultur unter den nichtchristlichen Völkern auszubreiten, in Anknüpfung an die bei diesen schon vorhandenen Wahrheitselemente. […] Er sucht seine Aufgabe zu lösen: […] durch Förderung des Studiums der nichtchristlichen Religionen […]».161 Auch im Titel der liberalen Zeitschrift für Missionskunde und Religionswissenschaft (1886-1911), in der – neben Beilagen im Kalender des Protestantenvereins, auf Flugblättern und durch Postkarten – für die liberale Missionssache und für Spenden geworben wurde, kommt dieser religionswissenschaftliche und akademische Anspruch zum Ausdruck.

Die etablierten Missionsgesellschaften blieben auf Distanz. Aus ihrer Sicht wurden die Ziele des AEPMV bereits kompetent von ihnen in Theorie |65| und Praxis erreicht. Die bewusst allgemein gehaltenen theologischen Leitlinien, die möglichst viele Missionsfreunde ansprechen sollten, kritisierten sie als dogmatisch zu beliebig. Trotz der in den Statuten festgehaltenen evangelischen Fundierung störten sich die anderen Missionsgesellschaften am Begriff der ‹Kulturmission›, für die das Evangelium immer nur in Verbindung mit Kultur, im Sinne einer ‹Völkerpädagogie› weitergegeben werden sollte und der christlichen Religion nur ein relativer Stellenwert eingeräumt wurde.162 Zu den Missionskonferenzen wurde der AEPMV deshalb gar nicht erst eingeladen und keine Redner aus seinem Umfeld angefragt.163

Im Umfeld der Missionsgesellschaften wurde der AEPMV offenbar vor allem im negativen Sinne wahrgenommen.164 Die ‹Kulturmission› war den Veränderungen unterworfen, welche die Bedeutung des Kulturbegriffs im ausgehenden 19. Jahrhundert durchlief. Theologisch und in seiner Missionsmethode wollte der Missionsverein mit seiner starken Betonung von kulturellem und religiösem Kontext in Ansätzen eine Alternative zu den anderen Missionsgesellschaften eröffnen und sich für alle kirchlichen Kreise öffnen. Einerseits stellte er tatsächlich eine Alternative zu den positiven und erwecklichen Missionsgesellschaften dar, andererseits war er als liberale Organisation theologisch genauso festgelegt wie pietistische, erweckliche und lutherische Missionsgesellschaften. In seinem Gebrauch von Druckmedien zur Schaffung einer eigenen Öffentlichkeit, schloss sich die liberale Mission an die Praxis der etablierten Missionsgesellschaften an. Die angestrebte Relativierung von konfessionellen Grundlagen rückte den AEPMV in die Nähe der überkonfessionellen Missionsgesellschaften. Mit der hohen Wertschätzung, den der AEPMV der akademischen Bildung der Missionare einräumte, lag er auf einer Linie mit den konfessionellen Missionsgesellschaften.

Die Frage, ob der liberale Missionsverein dem herrschaftsnahen oder dem herrschaftsfernen Missionstyp näher stand, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Für den herrschaftsnahen Missionstyp sprechen die starke Verankerung an den Universitäten und die Betonung der Kultur, die immer auch mit einer nationalen Mission einherging. Andererseits wurde auf die Erhaltung bzw. Sicherung des eigenen Amtes, ganz im herrschaftsfernen Sinn, kein Wert gelegt. Im Gegenteil: Es sollten keine eigenen Gemeinden gegründet werden, sondern die individuell Missionierten in ihren bereits bestehenden Gemeinden bleiben. «Deshalb wird man vergeblich nach handfesten Zahlen |66| suchen, nach Erfolgsbilanzen, die sich in getauften Seelen und gebildeten Gemeinden niederschlagen.»165 Und auch der Missionsverein selbst war dezidiert antihierarchisch aufgebaut und gegliedert.166 Gab es also aus missionstheologischer Sicht viele Elemente, welche den AEPMV mit den anderen Missionsgesellschaften verband, so unterschied er sich in seiner demokratischen Ausrichtung, die sich in der praktischen Arbeit vor Ort zeigte, deutlich von der Arbeit der anderen Gesellschaften.

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