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Antigua
Mai 2000

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Bekleidet mit kakifarbenen Shorts und einem SAYONARA-T-Shirt, saß der braun gebrannte Larry Ellison mit Freunden und Segelkameraden am Lagerfeuer, als die Sonne hinter dem puderig weißen Sandstrand und dem klaren blauen Meer vor English Harbour auf Antigua hinter den Westindischen Inseln unterging.

Larry und seine SAYONARA-Crew hatten gerade die Antigua Sailing Week zum zweiten Mal in Folge gewonnen. Die prestigereichste Regatta der Karibik war 1967 zum ersten Mal ausgetragen worden und bekannt für ihre umwerfend schöne Kulisse und ihre Après-Sail-Partys, auf denen der Rum nur so floss. SAYONARA hatte die gesamte Flotte von 300 Booten übertroffen, darunter die MORNING GLORY von SAP-Gründer und -Boss Hasso Plattner und die BOOMERANG des Schifffahrtsmagnaten George Coumantaros. Binnen fünf Jahren hatte sich SAYONARA in 25 von 27 Regatten erste Plätze gesichert. Sie hatte außerdem im Sydney-to-Hobart-Rennen heldenhaft dem todbringenden Sturm getrotzt. Der Sieg in dieser Antigua Sailing Week bescherte dem Oracle-Boss seinen vierten Weltmeistertitel in der Maxi-Klasse und die Tatsache, nun Eigner einer der erfolgreichsten Rennyachten in der Segelsportgeschichte zu sein.

Rund um das Lagerfeuer trank Larry Wasser aus einer Plastikflasche, während eine karibische Steelband spielte und eine leichte Brise durch die umstehenden Palmen strich. Er hatte mit Anfang 20 dem Trinken von Alkohol komplett abgeschworen. Dem Entschluss war ein peinlicher Vorfall vorausgegangen, als er bei einer Party eine außer gewöhnlich verführerische junge Frau geküsst hatte, die ein transparentes pinkfarbenes Kleid trug. Die Frau war die Verlobte eines Freundes von ihm gewesen …

Die Segler saßen rund um das Lagerfeuer und tauschten sich über die jüngsten Gerüchte aus der Welt des Regattasports aus. Russell Coutts, ein Mann mit Mopp-Frisur auf dem Kopf und bis vor Kurzem Skipper von Team New Zealand, hatte gerade den America’s Cup und damit die wichtigste internationale Segelsporttrophäe gewonnen. Dieser Russell Coutts sei nun für einen jungen europäischen Milliardär namens Ernesto Bertarelli im Einsatz, um ein Schweizer Herausforderer-Team für den nächsten Cup im Jahre 2003 aufzubauen. Das Überlaufen von Coutts und vier weiteren neuseeländischen Teammitgliedern – Murray Jones, Simon Daubney, Dean Phipps und Warwick Fleury – hatte die Neuseeländer sehr aufgebracht und Schockwellen durch die Reihen der Sportfans geschickt. Bertarelli hatte gesagt, er hätte es sich selbst nicht verziehen, wenn er eine solche Chance auf ein Team und die Cupteilnahme ungenutzt gelassen hätte. Während es im Cup schon lange sogenannte freie Agenten oder auch Segelsöldner gegeben hatte, war der Wechsel des erfolgreichen Coutts und seiner Gefolgsleute auf ein anderes Schiff für ein anderes Land doch in etwa vergleichbar mit der Vorstellung, dass die besten amerikanischen Tennisspieler im Davis Cup plötzlich für Frankreich antreten würden.

Über mehr als eineinhalb Jahrhunderte war um den America’s Cup in einer sehr nationalistischen Weise gekämpft worden. Niemals zuvor hatte es Abwerbungen und Überläufer auf diesem Niveau gegeben. Gerade in den Jahren zuvor hatten sich die Neuseeländer einen Ruf als »New York Yankees des Segelsports« erworben, die »Mr. America’s Cup« Dennis Conner die Kanne 1995 vor San Diego gestohlen und 2000 vor Auckland in Neuseeland erfolgreich verteidigt hatten. Unter Coutts, der sich aufgrund seiner aggressiven Taktik schon früh den Spitznamen »Crash Coutts« erworben hatte, hatte Team New Zealand nicht ein einziges Cup-Rennen verloren.

Die Nachrichten stimmten Larry nachdenklich. Er hatte den Cup seit Jahrzehnten verfolgt und im Alter von 26 Jahren die aufsehenerregende Geschichte von Bill Ficker gelesen, der den America’s Cup für den New York Yacht Club gewonnen hatte. »Ficker is quicker – Ficker ist schneller« lautete damals eine Schlagzeile. Larry gefiel die Vorstellung, dass das erste Cup-Duell ein halbes Jahrhundert vor dem ersten Finale der US-amerikanischen Baseball-Profiligen und fast zwei Jahrzehnte vor der Geburt des modernen College-Footballs an der Ostküste begonnen hatte. Die erste Cup-Regatta wurde im Rahmen der Weltausstellung in London ausgetragen, die am 1. Mai 1851 eröffnet worden war und neueste Erfindungen aus Industrie, Kunst und Wissenschaft gefeiert hatte – vom Telegrafen bis zur Nähmaschine. Unter den Besuchern der Messe im Hyde Park waren Charles Dickens, Samuel Colt, Alfred Lord Tennyson und Mitglieder der königlichen Familie. Bezahlt von den industriellen Ausstellern, machte die Messe mit ihrem berühmten Kristallpalast aus Glas und Stahl von sich reden. Die Vision zu dieser internationalen Ausstellung hatte Königin Victorias Ehemann Prinz Albert. Doch die Idee zu einem Segelrennen zwischen Nationen hatte eine Handvoll Männer des New York Yacht Clubs, der 1844 gegründet worden war.

Die AMERICA repräsentierte das innovative Können der Vereinigten Staaten auf dem Wasser. Sie war ein 29 Meter langer, schwarzer Gaffelriggschoner mit einem konkaven Bug, tiefem Freibord und Baumwollsegeln. Man sagte ihr nach, dass ihre Segel besser die Form hielten als die Flachssegel der Briten. Sie hatte die Form von Lotsenbooten. Im Juni hatte sie ihre Segel im East River von New York City gesetzt und war auf ihrer Atlantiküberquerung von Kapitän W. H. Brown, der eine Werft am Fuße der östlichen 12. Straße in New York betrieb, und zwölf Männern bemannt worden. Brown hatte die AMERICA für 20 000 Dollar in bar bauen lassen. Der Marquis von Anglesey, ein Mitglied der 1815 gegründeten Royal Yacht Squadron als erstem Segelclub mit königlicher Bestimmung, warf einen Blick auf die AMERICA und sagte: »Wenn sie richtig ist, dann liegen wir alle falsch.« Ein weiterer Brite bemerkte, dass die AMERICA wie ein »Falke unter Tauben« aussehe.

Das Segelteam an Bord der AMERICA wurde von John Cox Stevens geführt, dem Sohn eines revolutionären Kriegsoffiziers, dem ersten Kommodore des New York Yacht Clubs. Er war ein Mann, der wusste, wie man die eine oder andere Wette bei Sportveranstaltungen zu platzieren hatte. Der Crew gehörte auch James Hamilton an, Sohn des Gründungsvaters Alexander Hamilton, der einst erster Sekretär im Finanzministerium der Vereinigten Staaten gewesen war. Das Rennen – 53 Meilen rund um die Isle of Wight, wo Königin Victoria mit dem Osborne House ihr Sommerhaus hatte – begann am Freitag, dem 10. August, um zehn Uhr morgens in einer Brise um elf Knoten Wind. Beteiligte waren ein amerikanisches und 15 britische Boote.

AMERICA übernahm früh die Führung und verteidigte sie bis ins Ziel, schlug die britische Yacht AURORA mit acht Minuten Vorsprung im Ziel. Man erzählt sich, dass Königin Victoria gegen Ende des Rennens ihren Diener gefragt habe, wer denn bitte Zweiter geworden wäre. »Ma’am, es gibt keinen Zweiten«, war die Antwort. Dieses Statement verkörpert den America’s Cup bis heute.

Dem siegreichen amerikanischen Team wurde ein bodenloser silberner Krug überreicht, der drei Kilogramm und 798,84 Gramm wog und 68,58 Zentimeter in die Höhe ragte. Erworben Mitte des 19. Jahrhunderts für 100 Souvereigns beim königlichen Juwelier Robert Garrard und der Royal Yacht Squadron übergeben. Die Silberkanne wurde von den Amerikanern fälschlicherweise – und blieb es bis heute – als »100 Guinea Cup« betitelt – ein Umrechnungsfehler in den Währungen war Schuld. In ihren frühen Jahren wurde die Trophäe irrtümlicherweise auch »Queen’s Cup« genannt. Als der Cup nach dem Sieg 1851 nach New York kam, wurde darüber diskutiert, ihn einzuschmelzen und aus dem Silber Medaillen für alle Crew-Mitglieder zu fertigen, die sie sich um den Hals hängen könnten. Dieses Schicksal aber blieb ihm erspart. Stattdessen wurde er dem New York Yacht Club als ewige Herausforderer-Trophäe übergeben.

Die erste Verteidigung fand im August 1870 statt. Es war das Jahr, in dem die Trophäe nach dem Namen der siegreichen Yacht in America’s Cup umbenannt worden war. Mehr als ein Dutzend amerikanischer Yachten, die alle für den New York Yacht Club ins Rennen gingen, traten in der Bucht von New York gegen die britische CAMBRIA an. CAMBRIA wurde Zehnte, der Schoner MAGIC gewann, und die von der US-Navy modifizierte AMERICA erreichte Platz vier.

Von Beginn an faszinierte diese Regatta mit ihren Booten, den Rennen und dem ganzen Drumherum die Öffentlichkeit. Es ging ebenso sehr um die Innovationen wie um den Segelsport.

1895 verfolgten etwa 65 000 Menschen den zehnten America’s Cup vor New York City von Booten aus. Es waren mehr Zuschauer als beim sogenannten Temple Cup. So wurde damals die Meisterschaft der Baseball-Nationalliga in der Nachsaison genannt. Der Wettbewerb hatte sich zur größten Sportveranstaltung weltweit entwickelt. In den Tagen vor Beginn der Rennen in New York kamen Dampfschiffe aus Europa, voll beladen mit Zuschauern. Züge brachten die Enthusiasten aus ganz Amerika zum Ort der Veranstaltung. An Regattatagen strömten Zehntausende Menschen durch die Straßen rund um die Fleet Street und warteten auf die druckfrischen Zeitungen mit den neuesten Nachrichten vom Cup.

Die Begeisterung wurde auch nicht durch die Tatsache gemindert, dass die meisten Menschen außerstande waren, diese Rennen zu sehen oder auch nur zu verstehen, was da draußen auf dem Kurs geschah. Allein das Betrachten dieser spektakulären Boote und ihrer massiven, prallen Segel reichte, um Beifall hervorzurufen.

Zur Jahrhundertwende erwischte den irischen Tee- und Lebensmittelhändler Sir Thomas Lipton das »Cup-Fieber«. Er formierte zwischen 1899 und 1930 über drei Jahrzehnte fünf Herausforderungen für den Kampf um den Cup, gewann ihn aber nie. Der kampflustige Selfmade-Millionär, ein hochgewachsener eleganter und überzeugter Selfmademan, stieg im Heckwasser sympathischer und begeisterter Regattasegler wie J. P. Morgan, der 1899 und 1901 sein Rivale war, in das Cup-Geschehen ein. Liptons erste Cup-Yacht namens SHAMROCK war imposant. Ihr Rumpf war grün lackiert. Als Lipton zu seiner ersten Herausforderung in New York eintraf, wurde er als »Sir Tea« und »Jubilar Lipton« begrüßt. Die Presse feierte ihn als armen Jungen, der es zu etwas gebracht hatte. Es war die Zeit, in der die ersten Automobile auf der Bildfläche erschienen und die Vereinigten Staaten vor Optimismus überschäumten. Die Bevölkerungsdichte näherte sich 78 Millionen, und das Land war nahe daran, Großbritannien als führende Industrienation zu überholen. Als Lipton in New York ankam, ließ er die versammelten Massen wissen: »Ich bin hier, um zu gewinnen, wenn möglich.« Bei seinem Tod im Alter von 81 Jahren träumte Lipton, dessen Popularität mit jeder Cup-Herausforderung wuchs, noch immer davon, einmal die »Auld Mug«, wie er sie nannte, in Händen zu halten.

Einst als vornehmer Wettbewerb zwischen Nationen gestartet, entwickelte sich der Cup schnell zu einer Schaubühne für Talent und Technologie, um die an Land schon lange gefochten wurde. Lipton zählte zu den Ersten, die erkannten, dass die Amerikaner einen riesigen Vorteil aufgrund der Tatsache hatten, dass sie ihre Boote nur für die küstennahen Rennen bauen mussten. Die Herausforderer dagegen benötigten Boote, die stark genug für eine Atlantiküberquerung waren, bevor auch sie in die Rennen starten konnten.

Im ausgehenden 20. Jahrhundert war diese Eliteschau zur See schwerer zu gewinnen als die Olympischen Spiele. Die Geschichten über die Jäger des Heiligen Grals boten Stoff für Legenden. In einem bis zum letzten Rennen dramatisch spannenden Siegeszug entriss der australische Skipper John Bertrand dem New York Yacht Club 1983 den Cup, der ihn in den vergangenen 132 Jahren nicht aus den Händen gegeben hatte. Damit endete die längste Erfolgsserie der internationalen Sportgeschichte. Bertrand beschrieb seine Aufgabe als »Schicksalsentscheidung, ein aufwühlendes Ereignis, etwa so alt wie die Menschheit«. Bill Koch, Milliardär und Unternehmer, hat fast 70 Millionen US-Dollar investiert, um den Cup 1992 mit seiner AMERICA3 zurückzuholen, die auch »America Cube« genannt wurde. Koch nannte den America’s Cup den »skrupellosesten Wettbewerb, den ich je erlebt habe«. Als Koch gewonnen hatte, sprang er vom Bug der AMERICA3, kletterte auf den Steg des San Diego Yacht Clubs und hob die Trophäe vor den jubelnden Massen in die Höhe. »Dies ist ein Triumph für amerikanische Technologie und amerikanisches Teamwork«, erklärte er. Der Australier Frank Packer schrieb seine Besessenheit für den Cup »Alkohol und Größenwahn« zu. Andere hatten es »ein Spiel der Reichen und einen Grand Prix für Mord« genannt. Oder einen »Gentleman’s Sport, in dem gerade deshalb jedes Detail zu beachten sei«.

Larry hatte Yachtdesigns studiert. Er bewunderte und besaß Gemälde von Clippern des Marinemalers Montague Dawson. Er war erstaunt darüber, dass sich ein Rennen, das einmal mit riesigen 170 Tonnen schweren Schonern begonnen hatte, so hatte entwickeln können: Aerodynamische und hydrodynamische Designs wurden nun von NASA-Ingenieuren getestet. Telemetrie und 24-Stunden-Meteorologie bestimmten nun das Bild, dazu modernste hoch komprimierte Kohlefasern. Die unaufhaltsame Entwicklung in der Materialwissenschaft hatte die Yachten von Holz über Aluminium und Glasfaser bis hin zu Kohlefaser geführt. Einer noch moderneren Kohlefaser als jener, die für den Bau von Boeings Jetlinern verwendet wurde. Auch die Bootsklassen hatten sich dramatisch verändert. In den 1930er-Jahren waren es die J-Class-Yachten, die in Größen zwischen 119 Fuß über alles und 87 Fuß Wasserlinienlänge (36,18 m bzw. 26,5 m) bis zu 136 Fuß über alles und 75 Fuß Wasserlinienlänge gebaut wurden (41,45 m bzw. 22,8 m). Sie wurden von einigen der reichsten Männer der Erde gesegelt, darunter Lipton, Morgan und Harold »Mike« Vanderbilt. Entworfen wurden sie von dem legendären Yachtkonstrukteur Nathanael Greene Herreshoff. Während der Weltwirtschaftskrise entwickelte sich der America’s Cup zur weltweit führenden Sportveranstaltung und hob die gedrückte Stimmung.

Sogar die Boote erhielten Namen, die inspirieren sollten: ENTERPRISE (dt.: Unternehmen, Unternehmungsgeist) 1930 und RAINBOW (dt.: Regenbogen) 1934. 24 Jahre wurde der Cup dann vom Krieg unterbrochen. Erst 1958 wurden die Rennen fortgesetzt. Das Geld war nach dem Zweiten Weltkrieg knapp und der America’s Cup eine Extravaganz. Als die Regatta 1958 wieder aufgenommen wurde, trug man sie in der 12-Meter-Klasse mit den sogenannten Zwölfern aus. (Die »12 Meter« waren einer Vermessungsformel zuzuschreiben, nicht der Länge der Yachten.) Diese internationale Klasse mit den Slups und ihren 26 Meter langen Masten eignete sich auch hervorragend für Match-Race-Duelle. Etwas später, nach dem umstrittenen, aber legalen Duell zwischen Neuseeland und Dennis Conner im Jahre 1988, wurde eine neue Bootsklasse eingeführt: die Internationale America’s Cup Class (IACC). Eine Formel gab das Design der Boote vor. So sollte das Spielfeld etwas ausgeglichen werden. Diese Boote segelten erstmals 1992 vor San Diego. Dort besiegte Koch das Boot von Il Moro di Venezia, das von Paul Cayard aus San Francisco gesteuert wurde. Mit der gleichen Bootsklasse wurden die Cup-Auflagen 1995 und 2000 ausgetragen.

Mit den Veränderungen der Boote ergaben sich auch Veränderungen der Crews. Die roten Hosen und die Strohhüte der Wettbewerber von einst verschwanden. Muskelbepackte Weltklasse-Athleten, die in ihrer Schutzbekleidung und den engen Shirts wie Superhelden aussahen und Messgeräte am Körper trugen, um ihre aeroben und anaeroben Leistungsdaten zu messen, traten auf den Plan. Sie nutzten kleine elektronische Anzeigen, die Auskunft über Windgeschwindigkeit, Seegang und optimale Segelwinkel gaben. Ein Wettbewerb, der einst Wochenendsegler – oftmals waren es College-Absolventen von der Ostküste – und ihre reichen Mäzene lockte, wurde nun von Regelbüchern, Sportpsychologen, Videoanalysen der gegnerischen Verhaltensmuster auf dem Wasser, Software mit virtuellen Kämpfen zwischen verschiedenen Teams und Liveanalysen der technischen Daten der Yachten während der Rennen geprägt. Die Segler, einst mit Kost und Logis bezahlt, konnten nun Tausende Dollar im Monat verdienen. Oder noch mehr. Auch sie hatten sich weiterentwickelt. Kannten sie früher einfach das Boot und konnten die Segelbedingungen lesen, so beschäftigten sie sich nun auch mit der Konstruktion und dem Bau der Yachten, mit der Physik hinter der Verdrängung eines Bootes und seinem Vortrieb.

Larrys Interesse für den Segelsport war in seinen Teenagerzeiten entzündet worden, als er im Süden Chicagos mit seinen Adoptiveltern Lillian und Louis Ellison in der unteren Mittelschicht aufwuchs. Es war eine Titelgeschichte in »National Geographic«, die ihn packte. Sie berichtete von einem Jungen namens Robin Lee Graham, der als jüngster Mensch die Welt allein umsegeln wollte. Die erste Folge der Geschichte erschien mit einem Bild des schlanken und sonnengebräunten Graham ohne T-Shirt an Bord seiner 24-Fuß-Sloop DOVE. Der Titel lautete »Ein Teenager segelt allein um die Welt«. Larry las jedes Wort über die Abenteuer dieses Teenagers in seinem kleinen Boot, seine Reisen in exotische Reviere, seine beiden Katzenjungen an Bord und seinen Kurzwellenempfänger zur Gesellschaft. Er beneidete Graham um die Unterstützung seiner Eltern bei diesem Abenteuer. Er repräsentierte das Gegenteil seines eigenen Lebens. Larrys Stiefvater, ein russischer Jude, der 1905 mit einem Dampfschiff nach Amerika gekommen war und seinen komplizierten russischen Namen auf Höhe von Ellis Island in Ellison geändert hatte, schien viel Zeit damit zu verbringen, dem jungen Larry zu sagen, dass er ohnehin niemals einen bedeutenden Beitrag zu irgendetwas leisten würde. Die beiden hatten mehr Streitpunkte als Gemeinsamkeiten. Lou Ellison verehrte autoritäre Figuren. Er war auf ewig dankbar, ein Amerikaner zu sein. Larry aber hielt die Mächtigen für weitgehend uninspiriert oder falsch in ihren Ansichten. Wenn die beiden über die Tugenden von Präsident Eisenhower und seine Politik sprachen, erklärte Lou Larry: »Er ist der Präsident. Er weiß Dinge, von denen wir keine Ahnung haben. Diese Informationen ermöglichen es ihm, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Auch, wenn wir sie nicht verstehen können.« Larry antwortete: »Er sieht für mich aus wie ein Mensch. Ich bin sicher, dass er Fehler macht wie alle anderen Menschen auch.« Larry glaubte nie an die Unfehlbarkeit von Obrigkeiten. Liebend gern zitierte er Mark Twain: »Was ist ein Experte? Nur ein Typ von außerhalb.«

Larry vergaß die »Experten«-Tipps nie, die er während seiner Kindheit von Autoritäten erhalten hatte. Als Schüler an der South Shore High School hatte man ihm gesagt, dass ein verpatzter Latein-Abschluss ihm das Leben »ruinieren« würde. Er schaute seinen Lehrer an und sagte: »Wenn ich aufgrund eines Verkehrsunfalls querschnittgelähmt wäre, würde das vielleicht mein Leben ruinieren. Aber eine Note ist doch nur ein Zeichen in einem Rechteck.« Der Lehrer fand das wenig witzig. Doch Larry lernte gut genug für eine befriedigende Note. Als Junge hatte Larry einmal fast den Biologie-Abschluss vermasselt, weil er nie ins Labor und stattdessen lieber zum Basketball-Training ging. Seine Biologielehrerin, die zufällig die Mutter eines seiner besten Freunde war, sagte ihm bei einem Familienessen, dass sie ihn durchfallen lassen könnte, weil er die Laborstunden hatte ausfallen lassen, und er dann seine Zulassung zu den Sportstunden verlieren würde. Larry konterte: »Was wäre, wenn ich in der Abschlussprüfung die beste Note schreibe und beweise, dass ich mehr über Biologie weiß als alle anderen in der Klasse? Würden Sie mich dann immer noch durchfallen lassen?« Sie sagte: »Ja.« Und Larry dachte: »Cool, da wird also die Person, die mehr über Biologie weiß als alle anderen in der Klasse, die einzige sein, die durchfällt. So funktioniert die Welt also.« Untypisch für Larry war, dass er sich tatsächlich intensiv auf die Prüfung vorbereitete und alle damit überraschte, als er in der schwierigen Schlussprüfung die beste Note schrieb. Die Biologielehrerin gab nach und ihm im Zeugnis eine Drei. Im Physikunterricht war Larry bei seinem Lehrer ähnlich unpopulär. Er hatte die anstrengende Angewohnheit, seinen Ausbilder beim Schreiben von Problemlösungen an der Tafel zu korrigieren. Larry war, was Lehrer heute »verhaltensauffällig« nennen. Grahams Geschichte trug den Jungen von dieser Art Reglementierung und dem Katechismus der Schule zu Abenteuer und Freiheit auf See. Hier war ein Junge über Wochen allein auf See unterwegs. Er musste mit Stürmen, kreisenden Haien und gebrochenen Masten klarkommen. Er besuchte exotische Orte wie Pago Pago und Guadalcanal. Und bei alledem war er sein eigener Steuermann.

Larry starrte in das Lagerfeuer von Antigua und lächelte über die Gerüchte der Segler. Irgendjemand sagte, es sei an der Zeit, sich für die nächtliche Siegerehrung umzuziehen. Kurze Zeit später erschien Larry in seinen Kaki-Shorts, einem schwarzen Gürtel und einem kurzärmeligen schwarzen SAYONARA-Seidenhemd im Lokal.

Eine der Eigenschaften Antiguas, die Larry besonders mochte, war ein bestimmter Teil der Inselgeschichte. Hier lag das Revier, in dem sein Held Admiral Horatio Nelson trainiert hatte, bevor er als junger Leutnant auf der Insel sein Basiscamp einrichtete und die Verfolgung von Rumschmugglern aufgenommen hatte. Larry war überzeugt davon, dass er – hätte er im frühen 19. Jahrhundert gelebt – zur Royal Navy gegangen wäre. In der Armee trugen reiche Aristokraten selbst Sorge für ihre Ausstaffierung und waren verantwortlich für ein Regiment. Aber zu einem gewissen Prozentsatz war die Armee auch eine Leistungsgesellschaft, in der das Emporklettern auf der Karriereleiter vom mathematischen Navigationskönnen jedes Einzelnen abhängig war. Gleichzeitig musste man Glück haben, auf dem Schlachtfeld nicht getötet zu werden. Horatio Nelson hatte in der Armee als »Puderaffe« begonnen, war einer jener Jungs, die klein genug waren, das Schießpulver aus dem Pulverturm aus dem Herzen des Kriegsschiffes zu holen. Dazu mussten sie durch die schmalen hölzernen Tunnel kriechen, um die Kanonen auf den Schießdecks zu erreichen. Jahre später kommandierte Nelson die britische Flotte mit 27 Schiffen, die 1805 während der Napoleonischen Kriege in der berühmten Schlacht von Trafalgar 33 französische und spanische Schiffe besiegte. Es war der entscheidende britische Sieg zu See in diesem Krieg. Nelson war der Sieger, obwohl er im Kampf angeschossen wurde und starb. Seine unorthodoxen taktischen Schachzüge hatten den Ausschlag gegeben. Statt seine Flotte dem Feind in einer geschlossenen Linie gegenüberzustellen, was zur damaligen Zeit der üblichen Strategie entsprach, teilte er seine zahlenmäßig unterlegene Flotte in zwei hintereinander formierte Linien auf, die er im rechten Winkel zur formidablen gegnerischen Streitmacht positionierte. Diese Aufstellung verwirrte die Franzosen derart, dass sie die Schlacht verloren.

Larry setzte sich im Lokal an einen Tisch. Er dachte immer noch über die Abtrünnigkeit von Superstar Coutts und seinen Kiwis nach, als SAYONARAS höchst geselliger Trimmer Tony Rae dazukam und fragte, ob er darüber nachgedacht habe, sein Team auf ein neues Niveau zu heben. Er wies darauf hin, dass Larry mit Dickson, Butterworth, Joey Allen, Robbie Naismith und sich selbst bereits über eine eindrucksvolle Crew verfüge. Dazu über ein von Bruce Farr angeführtes Design-Team und das von einem weiteren Kiwi namens Mark »Tugsy« Turner geführte Bootsbauteam.

»Ist jemals irgendjemand im America’s Cup zu Tode gekommen?«, fragte Ellison mit einem Augenzwinkern. Nach der Sydney-to-Hobart-Regatta hatte Larry dem Hochseesegelsport zugunsten von küstennahen Tagesrennen abgeschworen. Rae, der von allen nur »Trae« genannt wurde, war seit 1987 Mitglied im Team New Zealand und Teil der Crew, die den Cup 1995 gewonnen und im Jahre 2000, also erst zwei Monate zuvor, erfolgreich verteidigt hatte. Er lachte Larrys Frage einfach weg (die Antwort lautete ja; ein spanischer Segler war während eines Trainings an Bord einer America’s-Cup-Yacht ums Leben gekommen).

Trae fuhr fort zu erklären, wie eine solche Kampagne zu formieren sei und was dafür nötig wäre. Ein Syndikat oder ein Team für den America’s Cup aufzubauen sei wie der Startschuss zu einer politischen Kampagne. Der Kandidat – Team, Skipper und Crew – müssten vorbereitet sein und die Eröffnung gewinnen. In diesem Fall also die Qualifikation zum America’s Cup namens Louis Vuitton Cup. Erst dann ginge es in den entscheidenden Tanz.

Wie in der Politik würde ein manipulativer Gesetzgeber die künftigen Wettbewerber kontrollieren und bis zu seiner Absetzung regieren. Beherrscht würde der Cup fast von Beginn an von der 1857 entstandenen Stiftungsurkunde (»Deed of Gift«). Zu der damaligen Zeit war es ein Dokument mit 240 Worten, das »einen friedlichen Wettbewerb zwischen verschiedenen Nationen« versprach und verkündete, dass der Herausforderer »auf eigenem Bug« zur Austragungsstätte anreiste. Eine weitere Klausel infolge der nächsten Überarbeitung verbannte Teams von Clubs, die an Binnensee-Revieren zu Hause waren, und schrieb herausfordernden Yachten vor, dass sie Rennen an einem Meeresarm auszurichten hätten. Weitere Zusätze zur Stiftungsurkunde schrieben eine ganze Reihe von zusätzlichen Anforderungen vor. Darunter vom Zeitraum, in dem Teams eine Herausforderung bekannt zu geben haben, bis hin zu den Yachtspezifikationen und dem Prozess der Registrierung.

»Warum also machst du keinen America’s Cup?«, fragte Rae, während er am Tisch kniete und auf den nun schon eine Stunde verspäteten Beginn der Siegerehrung wartete. Rae versicherte Larry, dass Ernesto Bertarelli mit seinem großen Portemonnaie und seinem noch größeren Ehrgeiz nicht der Einzige wäre, der talentierte Kiwis auf seine Seite ziehen könne. Rae bot für die Planung und die Strukturierung seine Hilfe an.

Larry dachte über die Idee nach. SAYONARA hatte seit ihrer Taufe im Jahre 1995 kein einziges Rennen in Küstennähe verloren. Team New Zealand hatte seit 1995 nicht mehr verloren. Irgendjemand aber musste 2003 verlieren. Bislang schienen die Kiwis unbesiegbar. Aus dem gleichen Grund, warum er sich nicht mit verheirateten Frauen traf, hatte Larry nicht die Absicht, Kiwis abzuwerben: Er wollte keine Familie zerstören.

»Okay, dann lass’ es uns machen«, sagte Larry zu Raes Überraschung. Der Oracle-Boss hatte sich weder nach den Kosten noch nach möglichem Sponsoring erkundigt. Fragen, die üblicherweise eine solche Entscheidung maßgeblich beeinflussen, weil eine Cup-Kampagne einen Eigner zwischen 50 und 100 Millionen US-Dollar kosten und Jahre der Planung bis zum ersten Rennen verschlingen kann. Larry argumentierte, dass er das Football-Team der San Francisco 49ers kaufen, aber deswegen nicht selbst Quarterback werden könne. In diesem Fall jedoch konnte er ein Team kaufen und selbst das Steuer in die Hand nehmen. Er hatte den festen Vorsatz, selbst zu steuern.

SAYONARAS Manager Bill Erkelens stand etwa sechs Meter entfernt vom Tisch, als mit Robbie Naismith ein weiterer der siegreichen neuseeländischen Cup-Segler zu ihm herüberkam und mit leiser Stimme sagte: »Du gehst da besser mal rüber. Sie sprechen über eine America’s-Cup-Teilnahme. Und sie machen keine Scherze.«

Larry sagte Erkelens, dass er am America’s Cup teilnehmen wollte, falls sie SAYONARAS Designer Bruce Farr verpflichten könnten.

Erkelens schaute Larry an und nickte. Dann begann die Siegerehrung.

Erkelens war es gewohnt, von seinem Boss überrascht zu werden. Er war sechs Jahre zuvor von Larrys Nachbar David Thomas für den Bau und das Regattamanagement von SAYONARA eingestellt worden. Larry Ellison traf Erkelens persönlich erstmals, als er ihn in seinem Haus im kalifornischen Atherton besuchte, um ihm die fertigen Zeichnungen von SAYONARA zu zeigen. Sein Leben lang ein leidenschaftlicher Segler und Liebhaber von Booten, hatte Erkelens doch nie zuvor eine Yacht wie sie gesehen. SAYONARA würde spektakulär sein. Er und Thomas präsentierten die Entwürfe. Larry schaute sie an und hatte nur eine einzige Frage: »Kann sie gewinnen?« Danach erkundigte er sich mit Begeisterung in der Stimme, ob sie sich vielleicht die Zeichnungen von einem neuen Flugzeug ansehen wollten, dass er gerade baute. Erkelens verließ das Meeting ohne Idee, ob das SAYONARA-Projekt nun verabschiedet sei. Was er aber verstanden hatte, war die Tatsache, dass er es mit einem Exzentriker zu tun hatte.

Eine Woche nach der Siegerehrung auf Antigua und nach der Überführung von SAYONARA zurück nach Südflorida erhielt Erkelens einen Anruf aus dem Büro von Ellison. Larry war selbst am Apparat. »Hast du ihn verpflichtet?«, fragte Larry ohne Begrüßung.

»Wen verpflichtet?«, fragte Erkelens.

»Bruce Farr.«

»Du hast mit dem America’s Cup keine Scherze gemacht?«

»Nein, habe ich nicht.«

Der Milliardär und der Mechaniker

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