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»Ich gehe mit und erhöhe. Um einen Vierteldollar.«

»Ich bin raus.«

»Ich auch.«

Also war ich dran. Ich hatte zwei offene Könige und eine offene Neun und zwei verdeckte Sieben. Wir spielten Baseball, eine Art Stud-Poker, bei dem Neunen und Dreier Joker sind und Vieren zu einer neuen Karte berechtigen. Ich hatte schon das, was die anderen ein ›full boat‹ nannten, und mir stand noch eine Karte zu. Das klingt zwar gut, aber bei diesem Spiel sind fünf gleiche Karten nicht ungewöhnlich, soviel hatte ich schon mitgekriegt.

Alan Kruzick, mein Sekretär, hatte drei Asse, zwei davon eigentlich Neunen. Daß Kruzick mir meinen letzten Vierteldollar wegschnappte, kam der Wirklichkeit nur allzu nahe. Er war ja nicht nur mein Sekretär, sondern auch der Freund meiner Schwester Mickey und für mich eine tägliche Plage. Ich wollte gerade aussteigen – wie es meiner konservativen Natur entspricht –, als ich den kobaltblauen Blick von Rob Burns auffing. Er schüttelte den Kopf und deutete auf den Vierteldollar. Ich hatte noch nie gepokert und hielt es für besser, den Tip zu beachten. Widerstrebend schubste ich die Münze in den Pott. Es spielten nur noch Alan und ich, Rob teilte aus. Er gab uns die letzte Karte, verdeckt. Ich hatte eine Zwei. Eine Lusche – würden die anderen sagen. Kruzick erhöhte um einen Vierteldollar.

»Ich bin raus«, sagte ich. »Total pleite.«

Chris Nicholson, meine Kanzleipartnerin, brachte zwei Cents ein: »Warum läßt du nicht sehen?«

»Lieber nicht.«

»Guckt euch meine Chefin an«, sagte Alan. »Das feige Huhn.«

Das gab den Ausschlag. Ich lieh mir zwei Cents aus dem Pott. »Dein Vierteldollar und meiner.«

»Und einer dazu«, legte Alan nach.

Nach dreimal Bieten war Schluß, also konnte ich nur weiter bluffen. Ich pumpte mir noch einen Vierteldollar. Alan hatte ein Paar Sechsen.

»Du bist entlassen«, sagte ich.

»Du kannst mich nicht rausschmeißen, ich bin schwanger.«

»Alan!« entfuhr es Mickey.

Und dann herrschte tödliche Stille.

Bob Tosi, Freund von Rob und mir und Chris’ neueste Flamme, stand auf, um eine neue Flasche Wein zu holen. Schließlich fragte ich Alan, wie er das gemeint hatte.

Mickey machte zuerst den Mund auf. »Er will sagen, ich bin schwanger.«

»Hey, ich bin nicht sexistisch. Wir sind schwanger.«

»Mickey, Goldstück«, sagte Chris. »Herzlichen Glückwunsch! Ich meine, wenn’s okay ist.«

Mickey wand sich auf ihrem Stuhl. »Ich bin mir nicht ganz sicher.« Sie schaute flehend zu mir. »Klar, ich weiß, daß ich schwanger bin. Ich weiß nur nicht genau, ob ich – Rebecca, ich wollte nicht, daß du es so erfährst!«

Mir fiel dazu nur eins ein und natürlich das Falsche: »Wie kann einer Mitarbeiterin der Gruppe ›Bewußte Elternschaft‹ sowas passieren?«

Mickey brach in Tränen aus, und Chris nahm sie in den Arm. »Du armer Pfirsich.«

Sie sah mich an, als hätte ich meine eigene Schwester geschlagen. Rob, der Gute, nahm mich in den Arm. Ich brauchte auch Trost.

»Deshalb trinkst du also nichts«, versuchte ich mir die Dinge zu erklären. »Mickey, Kleines, hör zu, es tut mir leid. Wenn du damit glücklich bist –«

Sie machte sich von Chris los. »Ich weiß nicht, was ich will. Doch – ich will nach Hause.«

Kruzick und sie verschwanden auf der Stelle. Chris und Bob gingen auch.

»Mitternacht«, sagte Rob. »Frohe Ostern!«

Das löste die Spannung. Plötzlich sah die Welt nicht mehr so grimmig aus. Mickey würde abtreiben, und alles wäre wieder in Ordnung. Viele schwangere Frauen taten es; Mickey müßte das wissen, sie beriet sie ja tagtäglich.

Rob gab mir einen Brandy. »Alles in Ordnung?«

»Ich glaube schon. Ich bin eine schreckliche Schwester. Aber eine Sekunde lang dachte ich, wir hätten Kruzick für den Rest aller Zeiten am Halse.«

Da rief Mickey an. »Herzlichen Glückwunsch! Du wirst Tante. Ich habe mich entschieden.«

»Mickey, hör zu, es tut mir leid –«

»Das macht nichts. Es war ja auch ein Schock für dich.«

»Ich bin froh, daß du nicht sauer bist. Dafür werde ich auf deiner Hochzeit tanzen.«

»Wer redet denn von Hochzeit?«

»Aber ich dachte –«

»Klar, das Baby will ich haben, aber warum gleich heiraten?«

Alan übernahm den Hörer: »Das wird sie noch wollen.«

Rob schenkte Brandy nach. »Mom Schwartz wird entzückt sein.«

»Zum Glück ist sie in Israel.«

»Wie fühlst du dich?«

»Wie betäubt. Ich brauche eine Cola.«

Rob holte die Cola und setzte sich mir gegenüber aufs weiße Sofa. Er sah mich an, als wollte er etwas sagen und könnte es nicht, weil jemand seine Zunge abgeschnitten hatte. »Wie fürchterlich«, sagte ich. »Wenn ich Alan rausschmeiße, stehle ich meiner eigenen Nichte das Brot aus dem Mund.«

»Oder deinem Neffen.«

»Neffe, ja. Wenigstens kann Mickey ihn nicht Alan nennen.«

»Warum nicht?«

»Weißt du das nicht?« Rob ist zwar halber Jude, hat aber keine Ahnung von jüdischer Tradition. Er schüttelte den Kopf. »Man darf ein Kind nicht nach einem lebenden Verwandten nennen.«

»Das macht nichts. Tante Chris nennt es sowieso ›Diddley-bop‹.«

Das stimmte. Chris konnte sich weder Namen noch Alltagsbegriffe merken und ersetzte sie durch phantasievolle Unsinnsgebilde.

Das brachte mich wieder zum Lachen.

Rob legte seine Hand auf meinen Oberschenkel. »Lust auf ein Abenteuer?«

»Klar.« Ich stand auf. Was wir in den nächsten Stunden vorhatten war eine irre Sache – jedenfalls für mich, auch wenn ich mit meinen bald dreißig Jahren alles mitgemacht hatte, was in und um San Francisco möglich war. Ich war sogar mal in einem Nobelbordell als Klavierspielerin aufgetreten – die dümmste Idee meines Lebens. Worauf ich bisher allerdings verzichtet hatte, war der Besuch des Ostergottesdienstes auf Mount Davidson. Aus verständlichen Gründen: ich bin Jüdin und hasse außerdem Frühaufstehen. Dieses Jahr nun sollte Rob, er ist Reporter beim ›San Francisco Chronicle‹, darüber berichten. Er vermutete hinter dem Auftrag eine Strafaktion seiner Chefs. Mich hatte Rob zu seiner Begleiterin auserkoren, und auch das All-Night-Pokerspiel war auf seinem Mist gewachsen. Alle hatten zugesagt, aber niemand wollte die ganze Nacht wachbleiben. Robs neuer Plan hieß: (fast) die ganze Nacht pokern, dann mit Bob Tosis Kleinbus zum Mount Davidson fahren und vor Sonnenaufgang noch etwas Schlaf fassen.

Der Bus stand vor meiner Tür, ausgerüstet mit einer Luftmatratze und Schlafsäcken. Ich fütterte die Flossenfreunde in meinem 380-Liter-Salzwasseraquarium, dann brausten wir los.

Gegen zwei Uhr früh waren wir am Mount Davidson. Es war sehr, sehr still. Ich fühlte mich schwach und trug schwer an der Vorstellung, Alan Kruzick könnte mein Schwager werden. Wie sollte ich Mom beibringen, daß ihre Jüngste eine ledige Mutter würde?

Rob stellte seinen Armbanduhrwecker, und wir kuschelten uns auf der Luftmatratze aneinander – angekleidet, darauf hatte ich bestanden. Falls ein Bulle an die Scheibe klopfte, hätte ich gerne eine Schicht Anstand zwischen Rob und mir.

»Rebecca, wenn du schwanger wärst, würdest du mich dann heiraten?«

»Vielleicht, falls du dafür verantwortlich wärst.«

Warum ich so was Blödes sagte, weiß ich nicht, aus Streß wahrscheinlich, jedenfalls drehte er sich von mir weg. Das war schon unangenehm genug, aber dann fing irgendwoher in der Ferne ein Hund an zu bellen. Ich konnte nicht einschlafen.

»Kannst du nicht still liegen?« war der ganze Trost, der mir zuteil wurde.

Und dann heiratete Mickey doch. Ich bekam die Einladung mit der Post. Aber es war gar nicht Mickey, sondern eine Frau mit einem französischen Namen und die heiratete Alan. Oder Alan war ihr Vater oder so. »Mr. und Mrs. Alan DuPinquelle«, hieß es auf der Karte, »teilen die Hochzeit ihrer Tochter Anni mit.« Anni DuPinquelle. Mit zwei Jahren Französisch auf der High School wußte ich, daß das Dühpinkel ausgesprochen wurde. Aber wer mochte das sein?

Die Suche nach der Lösung dieses Rätsels weckte mich. Also hatte ich doch geschlafen. Konnte das stimmen? Anscheinend ja, denn jetzt war ich hellwach und der Traum hatte recht – ich mußte pinkeln. Eine öffentliche Toilette gab es am Mount Davidson nicht, aber Gebüsch in Hülle und Fülle – ich mußte nur aussteigen und so tun, als würde ich zelten.

Die Morgendämmerung war nicht mehr fern, doch der dichte Nebel ließ eher an Mitternacht denken. Ein Bulle brauchte schon Röntgenaugen, um mich in flagranti zu erwischen. Ich verzog mich ins Gebüsch, ließ die Hosen runter und – konnte nicht. Mein Leben lang habe ich gezeltet, aber mit dem Pinkeln in freier Natur habe ich immer Schwierigkeiten gehabt.

Normalerweise lache ich über den sogenannten Penisneid, aber in Augenblicken wie diesen dachte ich gelegentlich, der gute Doktor aus Wien könne recht haben. Ich holte tief Luft und versuchte es wieder. Da ertönte ein lautes Krachen, gefolgt von einem »Uff!«. Rob schoß aus dem Bus: »Rebecca! Rebecca!«

»Ich bin hier. Beim Pinkeln.« Das war eine Lüge. Ich kämpfte mit dem Reißverschluß. Mein Slip hatte sich darin verhakt. Keine Zeit, das zu entwirren. Ich zog meinen Pullover so tief nach unten wie nur möglich und flitzte aus den Büschen. Rob rannte den Berg hinauf. Ich holte ihn ein, und wir liefen weiter. Vor uns hörten wir kratzende Geräusche, die Richtung stimmte also. Man konnte nicht die Hand vor Augen sehen.

Wir rannten wie die Weltmeister, warum weiß ich nicht. Es lag wohl am »Uff«. Vielleicht war jemand unter dem gigantischen Gipfelkreuz überfallen worden. Andererseits war es nicht übel, frühmorgens im Nebel bergauf zu joggen, während Eukalyptusduft einem die Nasenflügel verätzte. Aber ich wurde müde. Rob war eine Biegung vor mir und rief plötzlich »O mein Gott!«

Erst konnte ich nicht erkennen, was ihn erschreckt hatte. Ich sah nur das Kreuz, und das war in der Tat beeindruckend. Daß ein geschnitzter Jesus dranhing, hatte ich nicht gewußt. Der Nebel hob sich sekundenlang. »Jesus!« sagte ich und log schon wieder. Das war kein Jesus oder das, was sich ein Künstler darunter vorstellte, das war nicht einmal ein übler Streich. Ans Kreuz genagelt hing ein blutüberströmter, weißhaariger Mann in Jeans und grünem Cowboyhemd.

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