Читать книгу Touristenfalle - Julie Smith - Страница 4
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ОглавлениеZu Füßen des Kreuzes lagen eine Leiter und ein Tau. Plötzlich raschelte es neben uns im Gebüsch: ein großes Tier schien stampfend das Weite zu suchen. Rob drehte kurz seinen Kopf in diese Richtung und blickte dann wieder zu dem Mann am Kreuz. »Vielleicht ist er überhaupt nicht tot«, sagte ich. Aber seine weitaufgerissenen starren Augen sahen sehr tot aus. Und das flüchtende Tier war eindeutig ein Zweibeiner – kein Reh oder Hund bewegte sich so schwerfällig. Rob machte sich an die Verfolgung. Ich betrachtete den Toten.
Warum war ich so sicher, eine Leiche vor mir zu haben? Leider hatte ich auf dem Gebiet bereits Erfahrungen gesammelt, Expertin war ich allerdings nicht. Falls der Mann noch lebte, konnte ich ihn nicht so hängenlassen. Das war mein erster Gedanke. Ich war sauer, daß Rob mich in dieser Situation allein ließ.
Der Nebel hob sich schlagartig, und ich fühlte mich plötzlich schutzlos. Vielleicht jagte Rob gar nicht den Mörder, sondern einen harmlosen Landstreicher oder gar einen ehrenwerten Bürger auf dem Weg zum Ostergottesdienst. Der Mörder lauerte womöglich in meiner Nähe. Ich bekam eine Heidenangst.
Es kostete mich viel Überwindung, nicht in Richtung Auto zu rennen. Doch mußte ich unbedingt feststellen, ob der Mann wirklich tot war. Ich hievte die Leiter ans Kreuz und kletterte los – eine scheußliche Aufgabe. Leitern sind mir eh ein Greuel, und dazu kam die Angst vor zweibeinigen Ungeheuern. Langsam und betont locker begann ich den Aufstieg. Nur keine Hysterie.
»Bleiben Sie, wo Sie sind!« Das war eine Frauenstimme. Ich zuckte zusammen, fiel mit der Leiter um und rollte mich blitzschnell nach rechts, um nicht von ihr getroffen zu werden. Das Geräusch, das wir vor einigen Minuten gehört hatten, mußte von einem ähnlichen »Unfall« herrühren.
Mit erhobenen Händen drehte ich mich nach der Polizistin um – oder wer mich da gestellt hatte. Aber meine Nemesis war eine magere Frau in den Dreißigern mit dünnem Haar, ungeschminkt. Wenn sie für ihr Kleid mehr als zwei Dollar fünfzig bei einem Wohltätigkeitsbasar bezahlt hatte, war das Wucher. Eine Hand verbarg sie in ihrem zerlumpten Anorak, und der Wölbung nach zu urteilen, konnte sie in dieser Hand sehr wohl eine Pistole halten. Oder eine Bierflasche. Ich vermutete letzteres. Sie kam näher. »Sind Sie verletzt?«
Ich schüttelte den Kopf, zu verblüfft, um zu sprechen.
»Stehen Sie auf.«
Ich machte einen Schritt auf sie zu, die Hände immer noch erhoben. Sie wich zurück, aber ich hatte ihre Alkoholfahne schon bemerkt.
»Das ist keine Pistole, nicht wahr?«
»Bleiben Sie stehen!«
Ich bewegte mich auf sie zu. »Wenn es eine Pistole ist, lassen Sie sie sehen.« Ich hatte keine Angst, vielleicht, weil die Frau so zerbrechlich wirkte. Falls sie doch eine Pistole hatte, wirkte sie viel zu schwach, um auf den Abzug zu drücken. Vielleicht spürte ich auch instinktiv ihre Angst. Es heißt, daß man unter extremer Belastung zum primitiven Vorzeitmenschen regrediert. Das hier war eine extreme Belastung. Ich war an einem stillen Ostermorgen auf eine Leiche gestoßen, fand mich von meiner großen Liebe verlassen, fiel von einer Leiter, und wurde schließlich von einer angetrunkenen Vogelscheuche bedroht. Aber das war nicht das Schlimmste. Ich war kurz davor, in die Hose zu machen. Also keinen Unsinn mehr!
»Verhaftung durch eine Bürgerin«, sagte diese Vogelscheuche, nur hörte es sich an wie »Vrhaffung duchn Böerin«.
Ich kicherte. Im Angesicht einer Leiche mochte das respektlos sein, aber ich konnte nicht anders. Es war einfach komisch.
Die Frau bewegte den Gegenstand in ihrer Tasche. In der Ferne wurde ein Motor angelassen.
»Also gut«, sagte ich und nahm die Hände runter, »lassen Sie uns drüber reden.« Ich streckte ihr die Hand entgegen mit der Handfläche nach oben, so wie es die Bullen im Fernsehen machen, wenn sie den Bösewicht eingeschüchtert haben und er bereit ist, seine Geiseln freizulassen. Die Frau hätte die Bierflasche oder die Pistole oder was es auch war, friedlich in meine Patschhand legen sollen, statt dessen schmetterte sie die Waffe mitsamt dem Anorak gegen meine Hand. Das tat verdammt weh. Vielleicht war es doch eine Pistole.
Instinktiv zog ich den verletzten Körperteil zurück. An der These mit den primitiven Instinkten ist was dran. Ich scheuerte der Frau eine und nahm sie in den Schwitzkasten. Jetzt merkte ich, wie zart und schwach sie wirklich war. Sie packte mich mit ihrer freien Hand, rammte mir das Knie in den Bauch und warf mich zu Boden.
Ich zog sie an den Haaren, worauf sie sich in meine Wolle verkrallte. Unsere Gesichter berührten sich fast; sie stank schauderhaft nach Alkohol. Wenn ich mir nicht in die Hose machte, würde ich mich übergeben.
Ich trat ziellos um mich. Sie tat dasselbe, und wir ruinierten uns gegenseitig die Schienbeine. Mein rechter Arm wurde von ihrem Gewicht eingeklemmt, und ich versuchte ihn rauszuziehen, um sie wegzustoßen. Aber sie war schwerer, als sie aussah, und bewegte sich keinen Millimeter. Plötzlich preßte sie mir ihre schmierige Hand eisenhart aufs Gesicht.
»Aber, aber meine Damen!« sagte eine freundliche Männerstimme. Durch die Finger der Unbekannten sah ich, wie sich eine schwarze Hand auf ihre Hand legte und sie von mir wegzog. Sie wand sich heftig, wurde aber von dem älteren Herrn im cremeweißen Anzug weiter festgehalten.
»Danke«, sagte ich und atmete wieder normal.
»Ruhig, ruhig«, sagte der Schwarze, und die Frau entspannte sich. Das konnte ich ihr nicht vorwerfen. Der Typ wirkte in der Tat vertrauenerweckend.
»Ihre Tasche«, keuchte ich. »Sie hat vielleicht eine Pistole.«
»Ich habe keine Pistole.« Ihre Stimme klang mürrisch. Sie holte eine Bierdose hervor.
Schwere Schritte nahten. »Rebecca, was ist hier los?« rief Rob.
Ich stand auf und fiel ihm in die Arme.
»Hast du ihn erwischt?«
Er schüttelte den Kopf. »Er war offenbar mit dem Auto gekommen. Ich hörte ihn nur noch wegfahren.«
»Leute, wer hilft mir mit diesem armen Mann?«
Der elegant gekleidete Schwarze, dem es offenbar nichts ausmachte, über drei Verrückte und eine mögliche Leiche zu stolpern, versuchte die Leiter ans Kreuz zu lehnen. Da wollte sich die Vogelscheuche davonmachen. Ich stellte ihr ein Bein. Nicht gerade zivilisiert, aber meine Instinkte stammen noch aus der grauen Vorzeit. Sie fiel fluchend hin. Ich wollte ihr helfen, doch sie schlug wild um sich.
»Rebecca!« Rob war schockiert.
»Sie behauptete, sie habe eine Pistole –«
Sirenengeheul unterbrach mich. Ich sah wieder zu dem Mann am Kreuz. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, nur der Nebel hatte sich soweit verflüchtigt, daß der Leichnam von weitem sichtbar sein mußte. Vielleicht hatte ein Zeitungszusteller oder ein anderer Frühaufsteher die Polizei alarmiert.
»Junge Frau«, sagte der schwarze Mann, »Ihr Reißverschluß ist offen.«
»Wer sind Sie?« fragte Rob, als ich meinen Pullover runterzog. »Reverend Ovid Robinson von der Third Baptist Church. Ich halte die Predigt heute früh. Und wer sind Sie, Sir?« Er gab Rob nicht die Hand, kein Wunder.
Aber mehr brauchte Rob nicht. Er riß die Führung an sich, ganz der Reporter bei einem Auftrag, die selbsternannte Autorität. Er stellte uns beide vor, erklärte, was wir vorgehabt hatten, verbreitete sich über die Entdekkung der höchstwahrscheinlichen Leiche und kam zum Thema Vogelscheuche, als ihn Reverend Ovid Robinson unterbrach.
»Schön und gut, Mr. Burns. Aber wären Sie jetzt so freundlich, mir bei diesem armen Mann zu helfen?« Er zeigte nach oben, zum Kreuz. Er mußte förmlich schreien wegen der herannahenden Sirenen.
»Er ist tot«, sagte die Vogelscheuche. »Das sehen Sie doch.«
Die Sirenen verstummten, und wir hörten hastige Schritte. Mr. Robinson schien gemerkt zu haben, daß für die verspätete Rettung die Bullen zuständig waren. Er trat beiseite und überließ dem rasenden Reporter die Führung.
»Wie heißen Sie?« fragte Rob die Vogelscheuche.
»Miranda.«
»Miranda wie?«
»Miranda Warning.« Sie gackerte los bei diesem Kalauer.1
Rob hakte nicht nach. Ich wußte, was er dachte. Ihren Namen würden ihm die Bullen verraten, aber nicht das, was sie wußte. Er hatte nicht viel Zeit, also entschied er sich für die Schockmethode. Mit einer knappen Handbewegung in Richtung Kreuz fragte er: »Haben Sie ihn umgebracht?«
»Himmel, nein. Ich hatte mich im Auto versteckt, hinten auf dem Boden. Wissen Sie, wo dieser Betrüger war? Im Gelben Papagei. Wissen Sie, was das ist?«
Rob nickte. »Eine Schwulenbar.«
»Der Typ war eine Schwuchtel, von Anfang an. Ich hätte es wissen müssen, so wie er mich behandelt hat.«
»Er war im Gelben Papagei, und was dann?«
»Weiß ich nicht.«
»Das wissen Sie nicht? Was soll das heißen, Sie wissen es nicht?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich bin eingeschlafen. Ich hatte einen Sechserpack Bier mitgenommen, für alle Fälle. Den habe ich beim Warten getrunken; dann habe ich mir noch einen besorgt. Als ich aufwachte, war ich immer noch im Auto, und es stand unten am Mount Davidson. Ich hörte Lärm und kam her. Ich dachte, sie« – sie zeigte auf mich – »hätte ihn umgebracht, und ich versuchte sie zu verhaften.«
»Wie heißt er?«
Sie antwortete nicht.
»Na los, die Bullen werden das sowieso gleich erfahren.«
Rob geht zu hart ran, dachte ich und berührte warnend seinen Arm, aber er wehrte ab; er lief ein Stück den Berg hinunter, um nachzusehen, ob die Bullen schon auftauchten, und kam wieder zurück. »Miss Warning, warum sagen Sie uns nicht einfach seinen Namen?« Er fixierte sie mit seinen kobaltblauen Augen – und schon strauchelte er, fiel hin und verstauchte sich den Knöchel.
Ich wollte ihm aufhelfen, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Miranda verdrückte sich seitlich ins Unterholz. Ich setzte ihr nach; Robs Knöchel konnte warten.
Sie schien in dem dichten Buschwerk verborgene Pfade zu kennen und kam besser voran als ich. Aber dann ließ mich ein Fall auf meinen Allerwertesten gleich sechs Meter am Stück bergab rutschen. Jetzt hatte ich Miranda wieder im Blick.
»Hände hoch!« kam es durch ein Megaphon. »Polizei! Hände hoch, oder wir blasen Ihnen die Rübe weg!«
Rüben. Sie hätten Rüben sagen müssen. Oder sahen Sie nur mich? Miranda blieb nicht stehen, genausowenig wie ich. Und dann gab es einen schauerlichen Knall. Wie aus einem Hundertpfünder.
Ich warf mich auf den Bauch und biß auf die Erde.
»Nicht schießen! Nicht schießen – es ist Rebecca!« brüllte Rob. »Martinez, Sie Idiot – das ist Rebecca da unten!«
Martinez. Oh, nein. Mein unliebster Bulle. Und Rob hatte ihn Idiot genannt. Martinez würde ihn bestimmt wegen Beamtenbeleidigung verhaften – wie gut, daß Rob seine Anwältin dabei hatte.
»Wenn Sie das da unten sind, Miss Schwartz, stehen Sie auf, Hände über dem Kopf.«
Hände über dem Kopf! Martinez war ein Idiot. Warum behandelte er ein Mitglied der kalifornischen Gerichtsbarkeit – er kannte mich ja – wie einen gemeinen Kriminellen? Aber dies war nicht der Augenblick, ihm Manieren beizubringen. Ich stand auf und hob die Hände über den Kopf.
»Nun kommen Sie den Berg herauf.«
Er wollte nur demonstrieren, wie widerlich er sein konnte. Martinez erkannte mich eindeutig und ließ mich trotzdem mit erhobenen Händen den Hügel heraufklettern. Das würde ich nicht tun, basta. Ich nahm die Hände runter.
»Hände hoch, verdammt noch mal!«
Es ist eine nationale Schande, daß unser Strafverfolgungssystem über keine besseren Mitarbeiter verfügt. Nein, das nehme ich zurück, es gibt natürlich in unserem großen Heimatland Tausende von guten, engagierten und höchst intelligenten Polizeibeamten. Ich weiß nur nicht, warum ich immer das Pech habe, an Martinez und seinen glanzlosen Genossen Inspector Curry zu geraten. Ich hob die Hände erneut. »Sie entkommt uns!«
»Wer, Miss Schwartz?« brüllte Martinez mit müder Stimme. »Wer entkommt uns?«
Was sollte ich sagen? Miranda Warning? Sollte mich die ganze Polizei auslachen? Ich schwieg und ging weiter, wobei ich in einen meditativen Zustand verfiel. Nach zehn Schritten kam mir die todsichere Idee, wie ich es Martinez heimzahlen konnte. Ich schlug mich in die Büsche.
»Miss Schwartz, was tun Sie da?«
»Ich komme gleich, Inspector.«
»Was tun Sie da, Miss Schwartz? Antworten Sie!«
Gut. Er sah also nicht, was ich gerade tat: ich kämpfte mit meinem Reißverschluß.
Ich antwortete honigsüß: »Ich erleichtere meine Blase, Inspector.«
Ich ließ mir gehörig Zeit. Schlenderte dann gemächlich den Hügel hinauf, die Arme locker schwingend. Martinez schien seinen Hände-hoch-Befehl vergessen zu haben. Konzentrationsschwäche, vermute ich.