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Mürrisch, weil sie zu wenig geschlafen hatte, dachte Skip voller Unbehagen an den Fall; die Geschichte kam ihr trotz des High-Tech-Aspekts vor wie von Spanischem Moos überwuchert, von uralten Ängsten und Haß durchtränkt, vom Miasma von Erinnerungen, von Taten, die lieber vergessen bleiben sollten, die nie vergeben worden waren, von Leidenschaft, die dicht unter der Oberfläche brodelte.

Wir haben es hier mit einem ungelösten Mord aus grauer Vorzeit zu tun, dachte sie und goß sich noch einen Becher von der Pechbrühe ein, die bei der Mordkommission als Kaffee gehandelt wurde. Die gesamte Abteilung hat nicht rausfinden können, wer damals ihren Kumpel umgebracht hat, und mit siebenundzwanzig Jahren Verspätung soll ich es jetzt schaffen.

Sie wurde ganz hektisch, wenn sie nur daran dachte, wie hoffnungslos das war, sie geriet geradezu in Panik, und dennoch erkannte sie auch eine winzige Gegenbewegung – den Triumph der Hoffnung über die Vernunft, denselben Impuls, der einen Hund dazu treibt, einer Katze hinterherzuhetzen, der vermutlich sogar Layne Bilderback dazu brachte, Kreuzworträtsel auszuhecken. Die Herausforderung. Der Jagdinstinkt. Sie würde der Sache vielleicht nicht auf den Grund kommen, aber bei dem Versuch würde sie sich alle Beine ausreißen.

Zunächst mußte sie sich möglichst viel Hintergrundwissen über den Fall und die Hauptpersonen verschaffen. Vielleicht würde sie die ganze Sache vom Büro aus lösen können, wie Nero Wolfe.

Träum schön weiter.

Trotzdem, eine weitere Tasse Kaffee wäre genau das richtige, und dann noch ein paar Telefongespräche. Sie goß sich Kaffee ein und wählte die Nummer ihrer Freundin Alison Gaillard, die alles über jeden wußte.

»Officer Langdon. Gerade mußte ich an dich denken. Ich schreibe vielleicht ein Nachschlagewerk – Wer in wem. Was meinst du?«

»Wieso kommst du dabei auf mich?«

»Ich will natürlich deine Meinung wissen.«

»Wird sich nicht verkaufen – man würde es alle zwanzig Minuten überarbeiten müssen.«

Alison prustete. »Besonders in dieser Stadt.«

Alison und Skip hatten derselben Studentinnenverbindung angehört, zu Zeiten, als Skip etwa ebensogut in eine Verbindung paßte wie in eine Wohltätigkeitsorganisation von Mafiawitwen. Von weitem hatte sie Alison für schön, oberflächlich, hirnlos und boshaft gehalten, bis sie Polizistin geworden war und eines Tages Informationen gebraucht hatte. Da hatte ihre alte Verbindungsschwester sich als warmherzig und klug erwiesen – sie waren Freundinnen geworden. Und wenn Alison jemals ihre Schulden eintreiben sollte, würde Skip einiges zu tun haben; Alison hatte ihr bei so vielen Fällen mit Informationen ausgeholfen, daß sie schon völlig den Überblick verloren hatte.

»Willst du mich in meiner Eigenschaft als Fachfrau konsultieren?«

»Mmm. Zum üblichen horrenden Honorar, selbstverständlich.«

»Ich nehme an, es geht um Marguerite Kavanagh?«

»Wie, zum Teufel, kommst du darauf?« Skip hatte die Tageszeitung überflogen, und Geoffs Tod oder gar ein Interesse des Morddezernats daran war nicht einmal erwähnt.

»Emmeline Norwood hat Marguerite angerufen, um ihr ihr Beileid auszusprechen, und Marguerite hat ihr von dir erzählt.«

»Was Emmeline natürlich sofort weitermelden mußte.«

»Nicht direkt. Sie hat es Reenie Vauxhall erzählt, die für mich als Tagesmutter arbeitet. Marguerite ist ein ganzes Stück älter als wir, aber ich hatte Musikstunden bei ihrer Mama – fast jeder in der Stadt nahm Unterricht bei ihr. Christina Julian – erinnerst du dich?«

»Ich bekam Ballettstunden – um anmutiger zu werden.«

»Skippy, hör auf damit.« Zu den Dingen, die Skip an Alison so gefielen, gehörte auch, daß sie zwar der alten Südstaatenmentalität der ständigen Selbstabwertung verhaftet blieb, es aber nie zuließ, daß Skip es ihr nachtat. »Die alte Mrs. Julian war mit Wyndham Julian verheiratet, Freund und Feind als Windy bekannt und als der langweiligste Mann der Welt. Er hat in Newcomb Geschichte unterrichtet.«

»Moment mal – von dem hab ich schon gehört. Wäre das möglich? Wann war er dort?«

»Ach, etwa zwanzig Jahre vor deiner Zeit, schätze ich. Aber Windy war berüchtigt. Und eines schönen Tages ist er mitten im Unterricht gestorben. Zeugen der Szene behaupten, es sei niemandem aufgefallen. Aber Christina hatte wirklich eine wunderschöne Stimme – echt spektakulär. Sie hat im Chor von Trinity gesungen – erinnerst du dich?«

»Ich glaube nicht.« Skip kam sich albern vor. Sie hatte beinahe jeden Sonntag ihrer Grundschulzeit die Messe in der Trinity-Kathedrale besuchen müssen, aber selbst die spanische Inquisition hätte nicht aus ihr herausbekommen können, was dort vor sich gegangen war. Im Geist war sie immer woanders gewesen – zum Beispiel bei dem spannenden Thema, wie man sich eines nervtötenden Bruders entledigt, oder bei Überlegungen, wie man so schnell wie möglich so weit wie möglich von ihrer Geburtsstadt wegkommen konnte.

»Alle dachten damals, sie würde zur Oper gehen, aber das hat sich als falsch erwiesen – sie ist nach New York gefahren, noch bevor sie fünfundzwanzig war, aber nichts hat funktioniert. Als sie zurückkam, war sie eine gebrochene Frau. Natürlich nahm jedermann an, eine unglückliche Liebe habe dazu beigetragen, besonders, als sie dann den unsäglichen Windy geheiratet hat. Sie konnte gut genug Klavier spielen, um Stunden zu geben, und sie hat auch Gesang unterrichtet, aber ich nehme an, die Nachfrage war eher gering. Sie haben in diesem großen alten Haus drüben in der Octavia Street gewohnt –«

»Marguerite wohnt immer noch da.«

»Das gehört auch zu der Geschichte. Meine Mutter hat dort schon Stunden genommen. Aber als ich dran war, wohnte Mrs. J. in einer Mietwohnung. Mein Gott, es war fürchterlich!«

»Was?«

»Eine furchtbare Atmosphäre, so bedrückend. Und Mrs. Julian war so traurig – Musik war für sie nur Seufzen und Erstarrung. Oder vielleicht ging sie mit allem so um. Sie hat nicht bekommen, was sie wollte, und den Rest ihres Lebens damit verbracht, darum zu trauern. Sie war eine nette Frau, aber ein schrecklicher Snob.«

»Sie war ein Snob?«

»Ich weiß auch nicht wieso. Sie kam irgendwo aus Mississippi. Jedenfalls war sie nett zu ihren Schülern, glaube ich – die meisten mochten sie ziemlich, aber wer weiß, wie sie zu ihrer eigenen Tochter war. Marguerite hat so ziemlich alles getan, was ihrer Mutter zuwider war – es muß doch einen Grund dafür gegeben haben, was denkst du?«

»Das alles muß Jahre vor deiner Zeit passiert sein.«

»Aber sicher. Marguerite wurde mir immer als abschreckendes Beispiel für eine enttäuschende Tochter vorgehalten – davon, wie schrecklich alles endete, gar nicht zu reden.«

»Was hat sie denn so Furchtbares getan?«

»Das Schlimmste, was man 1967 überhaupt tun konnte. Hat sich die Haare wachsen lassen und ist Folksängerin geworden.«

»Sie wurde Hippie?«

»Das behauptet jedenfalls meine Mutter, aber ich frage mich, ob man eine Frau, die mit einem Polizisten verheiratet ist, wirklich als Hippie bezeichnen kann. Das war nämlich die andere schreckliche Tat – einen Polizisten zu heiraten. Weißt du, wie ich das alles rausbekommen habe? Ich hab meine Mutter gefragt, wieso Mrs. Julian in einer kleinen Wohnung wohnt statt in einem Haus. Mein Gott, kannst du dir vorstellen, was für ein kleiner Snob ich war?«

»Vorstellen? Ich kann mich noch erinnern.«

»Na, na. Wir sind alle Produkte unserer Umwelt.«

»Marguerite ist mit Leighton einfach in ihr Elternhaus gezogen?«

»Wieso Christina das zugelassen hat, werde ich nie erfahren. Vielleicht wollte sie nicht allein in dem großen Haus hocken. Aber dann ist sie fast sofort ausgezogen.«

»Das Ganze riecht irgendwie nach Stanley Kowalski.«

»Ehrlich gesagt denke ich, Leighton war genau diese Art Mann. Wenn man meiner Mutter glauben darf, hatte Christina einfach ein gebrochenes Herz. Sie konnte es nicht ertragen, ihre Tochter mit diesem Mann zu sehen, also ging sie. Ich muß ja zugeben, es wäre sinnvoller gewesen, Marguerite rauszuschmeißen, aber andersherum war es eine viel bessere Märtyrernummer. Wenn ich recht überlege, ist das vielleicht das Stichwort für Mrs. J. Alles, was sie anfaßte, ging schief. Jedenfalls hat Marguerite das Anwesen auf der Stelle vor die Hunde gehen lassen, worüber sich meine Mutter und Mrs. J. stundenlang auslassen konnten. Ich glaube, es hat ihr viel Spaß gemacht, eine Enttäuschung zu sein.«

»Und dann ist Leighton umgebracht worden.«

»Mhm-mhm. Am Mordabend war Marguerite gerade zu Besuch bei ihrer Mom –«

»Mit Geoff?«

»Nehme ich an. Soweit ich es verstanden habe, hat Marguerite, wenn sie irgendwo gesungen hat – was ziemlich oft vorkam –, den kleinen Geoff zu seiner Großmutter gebracht.«

»Aha. Zu der Märtyreroma.«

»Der Heiligen, wenn man meiner Mutter glauben darf.«

»Alison, das muß man dir lassen – du bist immer zur rechten Zeit am rechten Ort.«

»Für gewöhnlich ja. Das kann ich nicht leugnen. Aber diesmal ist es anders, ohne Witz. Alle in Newcomb hatten Stunden bei Mrs. Julian. Wahrscheinlich war es in McGehee’s nicht anders.« McGehee’s war Skips Schule.

»Na gut, und was weißt du über Cole Terry?«

Kurzes Schweigen. »Wer?«

»Mit dem ist Marguerite inzwischen verheiratet.«

»Kaum zu glauben – ich hab noch nie von ihm gehört.«

»Das zeigt nur, daß selbst du nicht unfehlbar bist.«

»Wenn ich es mir genau überlege, ist Marguerite ziemlich von der Szenerie verschwunden, nachdem sie Mike geheiratet hatte. Einmal sind meine Mutter und ich ihr zufällig begegnet – das einzige Mal, daß ich sie gesehen habe, um ehrlich zu sein. Sie hat als Empfangsdame im Rib Room gearbeitet.

Ach, Moment, es gibt noch ein weiteres Kapitel. Sie hat allen Damen in Uptown eine Broschüre geschickt, in der sie behauptete, jahrelange Erfahrung im, wie sie es nannte, ›Gastgewerbe‹ zu haben. Sie wollte einen Partyservice aufziehen, und meine Mom hat ihr einmal einen Auftrag gegeben. Damals nahm ich immer noch Stunden bei Mrs. Julian, und es wurde ziemlich peinlich. Es scheint, Marguerite hat gewaltigen Mist gebaut. Und dann gab es diverse Geschichten von anderen Gastgeberinnen – immer die gleichen.« Sie hielt inne, um Luft zu holen. »Glaubst du, ich hab diese Angewohnheit, Geschichten weiterzuerzählen, von meiner Mutter?«

»Kann schon sein.«

»Wieso konnte ich nicht lieber Locken erben, wie du? Jedenfalls, so war es: Sie hat immer das Budget überzogen und Streitereien mit den Lieferanten angefangen. Nichts war ihr gut genug, und die Leute mußten alles immer noch mal machen, was alle Beteiligten Unsummen kostete. Sie war einfach Perfektionistin, nehme ich an.«

»Klingt, als habe sie auch einen Hang zur Theatralik gehabt.«

»Kann schon sein. Jedenfalls ist das mit der Firma nicht gutgegangen, und danach hab ich nie wieder von ihr gehört. Bis heute, meine ich. Vielleicht hat Mike sie fallenlassen, und dieser Cole hat sie gerettet.«

»Ich weiß nicht. Wenn sie Geld haben, wieso lassen sie dann ihr Haus nicht mal anstreichen?«

Skip legte auf mit dem Gedanken, daß Alison zu den ganz wenigen Menschen auf der Welt gehörte, die ihren Erwartungen immer gerecht wurden – und wieder einmal war sie verwundert, wie klein New Orleans doch sein konnte. Manchmal glaubte sie, es sei nur so winzig, wenn man seine fest umrissenen Kreise nicht verließ, aber dann bewies man ihr immer wieder das Gegenteil. Die Julians und die Kavanaghs gehörten sicher nicht zu Alisons Kreisen – und trotzdem war ihr jede Einzelheit der Familiengeschichte bekannt. (Natürlich war sie auch einer der wenigen Menschen auf der Welt, die sich überhaupt genug dafür interessierten, sich das alles zu merken.)

Aber Skip hatte einmal in San Francisco gewohnt und wußte, wie anders es dort war. Solche Geschichten wurden im Süden wie Schätze gehütet und immer wieder ausgegraben, auch von Leuten, die keine professionellen Klatschtanten waren wie Alison. Die Gegend hier mochte ihre Fehler haben – sogar so viele, daß sich Skip mitunter wie erdrückt vorkam –, aber man konnte wirklich nicht behaupten, daß die Menschen sich nicht umeinander kümmerten.

Sie rief eine andere Bekannte aus Newcomb an, die ihr manchmal weiterhalf (ein Glück, daß sie dort noch ein paar Leute kennengelernt hatte, bevor sie von der Schule geflogen war). Eileen Moreland war nicht ganz so vielseitig wie Alison, aber sie war verläßlich. Sie arbeitete für die Times-Picayune.

»Na, wenn das nicht die Falschspielerin Skippy Langdon ist.«

»Falschspielerin? Moi

»Ich dachte eigentlich, du würdest dich von mir interviewen lassen.«

»Na, klar doch. Deshalb rufe ich an.«

»O nein. Du rufst an, weil ich dir einen Gefallen tun soll.«

»Das kommt dir nur so vor. Ich rufe an, weil ich dir was schulde, und ich weiß das. Damals war ich nur leider gerade mit verdeckten Ermittlungen beschäftigt.«

»Also gut. Demnächst ist Erntedank.«

»Die Woche danach vielleicht?« Bis dahin würde Skip sicher eine weitere Ausrede eingefallen sein, das Interview nochmals zu verschieben. »Sag mal, kommst du an Archivmaterial über einen Mordfall ran, der siebenundzwanzig Jahre zurückliegt?«

»Klar, aber das ist eine ziemliche Zumutung.«

»Wie wär’s mit dem siebten Dezember? Dann hätte ich Zeit für das Interview?«

Eileen seufzte. »Welcher Mordfall?«

Skip erklärte es und versprach, die Ausschnitte aus dem Archiv am Nachmittag abzuholen. Als nächstes sah sie sich die Akte über den Fall an. Ein gewisser René Lafont hatte die Ermittlung geleitet. Ein Anruf bei der Pensionskasse verhalf ihr zu seiner Adresse – in Westwego, am Westufer.

Obwohl das ziemlich nahe lag, bekamen die meisten Bewohner von New Orleans diesen Stadtteil nie zu sehen. Skip hätte vermutlich Leute aufzählen können, die in Australien und in sechs oder acht afrikanischen Ländern gewesen waren, aber sterben würden, ohne einmal den Mississippi überquert zu haben. Mußte sie wirklich dorthin? Aber sosehr sie den Gedanken haßte, es ließ sich wohl nicht vermeiden. Lafont war vielleicht ein muffiger alter Knochen, der persönlich dazu überredet werden mußte, den Mund aufzumachen.

Als sie eine Stunde später auf sein kleines, gepflegtes Haus zuging, konnte sie sich nicht mehr vorstellen, so etwas je gedacht zu haben – und änderte ihre Meinung abermals, als er die Tür öffnete. Er war ausgesprochen fett – nicht nur um den Bauch, er hatte auch einen dicken Hals und ein fettes Kinn. Entweder war sein Haar gefärbt oder tatsächlich noch dunkel. Es war weder braun noch schwarz, sondern von einem metallischen Grauschwarz, wie der Lauf eines Gewehrs, und er hatte es mit etwas Fettigem zurückgekämmt. Seine Züge waren breit wie sein Körper, unter den braunen Augen hingen schwere Tränensäcke, gesprenkelt mit Altersflecken. Er trug Khakihosen, gehalten von einem Gürtel, der auch um den Schornstein eines Dampfers gepaßt hätte, und ein billiges weißes Hemd. Er trat vor die Tür, blieb einfach stehen und wartete, daß sie etwas sagte.

Sie zeigte ihm ihre Marke. »Ich möchte Sie bitten, mir bei einer Ermittlung zu helfen.«

»Ein Mädel als Polizist! Und ich hab gedacht, ich hätte mich noch rechtzeitig pensionieren lassen, um dem zu entgehen.« Die Worte waren nicht besonders freundlich, aber er lächelte, und seine ganze Haltung lockerte sich. Ihr wurde klar, daß sie zunächst die Seite abbekommen hatte, die ansonsten für die Polizeiarbeit auf der Straße reserviert war, für die Unruhestifter, und jetzt hatte sie vermutlich den René Lafont vor Augen, den seine Enkelkinder kannten.

Sie beschloß, das Spiel mitzuspielen. »Uns kann man nicht entgehen. Wir sind überall.«

»Das muß meine Frau sehen.« Er riß die altmodische Fliegentür auf. »Ruthine! Rate mal, was ich hier hab!«

Er schob Skip durch ein quälend sauberes Wohnzimmer – von der Sorte mit Plastikschutzbezügen über den Möbeln – in eine Küche, wo eine kräftige weißhaarige Frau die Spülmaschine einräumte. Wenn man nach dem Umfang beider Lafonts gehen konnte, mußte sie eine hervorragende Köchin sein.

»Das ist Officer Langdon, eine wirkliche und wahrhaftige Polizistin.

»Na ja, das wurde ja auch Zeit. Wir wär’s mit einem Kaffee?« Sie griff schon nach der Tasse, während sie noch sprach.

Zwanzig Minuten später hatte Skip Fotos von ihren Enkeln gesehen und gab, am Kaffeetisch sitzend, eine stark beschönigte Version ihrer eigenen Lebensgeschichte zum besten – sie behauptete zum Beispiel, einfach so zur Ole Miss gewechselt zu haben, und verschwieg, daß sie zuvor von Newcomb geflogen war.

Nachdem sie genug übereinander wußten, um FBI-Akten anlegen zu können, fragte René, was er für sie tun könne. Sie erzählte ihm die ganze Geschichte.

Sie hatte ihr Publikum richtig eingeschätzt. Er nickte und grunzte beinahe am Ende jeden Satzes zustimmend, lieferte seine eigene Interpunktion. Und als sie fertig war, stieß er einen so schrillen Pfiff aus, daß Ruthine ihn verblüfft anstarrte.

»Das ist mal eine Geschichte, junge Dame. In Prodigy passiert so was nie.«

»Wie bitte?«

»Prodigy. Das ist das Netzwerk, dem wir angeschlossen sind.«

»Ohne Witz? Sie sind auch in so einem Netzwerk?«

»Er«, rief Ruthine aus der Küche, in die sie für irgendwelche Arbeiten zurückgekehrt war. »Es ist so eine Art Hobby. Es vergehen ganze Tage, ohne daß ich ihn auch nur zu sehen bekomme.«

»Ach, Ruthine, du weißt doch, daß das nicht stimmt.«

»Ha.«

»Ich habe mich gefragt«, warf Skip schnell ein, »ob Sie mir nicht noch mehr über den Mord an Leighton erzählen könnten. Sie waren damals der erste am Tatort, nicht wahr?«

»Nein, ich glaube, ein Streifenwagen war vor uns da. Aber ich war gleich der zweite. Schreckliche Sache.« Er schloß die Augen. »Schrecklich. Ich hab Leighton auch gekannt. Hab im fünften Bezirk mit ihm gearbeitet.« Eigentlich sagte er »geahbeitet«.

»Was für ein Mensch war er denn?«

»Ziemlicher Mistkerl. Und nicht der Schlaueste. Aber es ist schlimm, wenn so was einem so jungen Menschen passiert. Er hatte ’ne schöne Frau – und ’nen netten kleinen Jungen.«

»Wie hat Geoff sich in dieser Nacht benommen? Der Junge?«

»Furchtbar verängstigt. Jedes Kind hätte Angst bekommen.«

»Hatten Sie das Gefühl, er könnte etwas gesehen haben?«

»Ich hab ihn nicht verhört, er war erst vier Jahre alt. Und seine Mama – das Wort ›hysterisch‹ ist für solche Frauen erfunden worden. Ich war froh, überhaupt was Verständliches aus ihr rauszukriegen. Aber ich sage Ihnen, etwas ist mir komisch vorgekommen. Zwei Sachen. Es hat ausgesehen, als wäre Leighton nach Hause gekommen und hätte im Schlafzimmer einen Einbrecher erwischt. Die beiden haben miteinander gekämpft, und irgendwie hat der Kerl Leightons Revolver erwischt und ihn erschossen. Nur, die Waffe war nicht mehr da. Wieso sollte jemand einen Revolver mitnehmen, der ihn nur belasten kann?«

Skip grinste. »Vielleicht war der Kerl dumm?«

René grinste zurück. »Sehr wahrscheinlich. Das andere war, daß das ganze Zimmer ein einziges Durcheinander war und nur ein Ding fehlte – ein Ring, und Ms. Kavanagh meinte, der sei nicht mal wertvoll. Ein Erbstück – von ihrer Oma –, und sie hat gemeint, das sei wohl immer so, daß was geklaut wird, was einem selbst viel bedeutet und für andere nicht viel wert ist. Aber sie hatte ein paar hübsche Perlen – wieso hat er die nicht mitgenommen?«

»Er hat sie vielleicht für falsch gehalten?«

Wieder grinste er. »Sehr wahrscheinlich. Aber er hätte doch vorsichtshalber eine Handvoll einstecken können.«

»Was für ein Ring war es denn?«

»Ein gelber. Mit ’nem großen Stein, aber so gut wie nichts wert. Zitrin? Könnte das sein?«

Skip nickte. »Die sind goldfarben.«

»Ja, genau, das war das Wort. Komisch, ich hab es all die Jahre nie wieder gehört.«

»Vielleicht kannte er die Kavanaghs. Vielleicht hatte er einen Grund, ausgerechnet den Ring zu nehmen.«

»Das hab ich damals auch gedacht. Aber ich konnte nichts finden, woran ich das hätte festmachen können.«

»Wie wär’s mit einem anderen Mord? Um es dran festzumachen.«

»Ja. Wie wär’s damit?« Er starrte aus dem Fenster. »Mm. Mm. Mm.«

Skip war ganz seiner Meinung.

Auf dem Rückweg zum Büro holte sie die Zeitungsausschnitte ab und blätterte sie sofort durch. Gleich das erste, was sie sah, war auch das Interessanteste daran: der Name des Reporters, der über den Mord berichtet hatte – es war Pearce Randolph gewesen, auch bekannt als Bigeasy.

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