Читать книгу Ich bin doch keine Superfrau - Julie Smith - Страница 3
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ОглавлениеDer Lärm wuchs, und ich hämmerte in die Tasten, um ihn zu übertönen. Ich guckte auf meine Finger, vielleicht starrte ich auch ins Leere, ich weiß es nicht mehr. Die beiden Bullen in Uniform, die mit gezogener Waffe durch die Tür stürmten, hatte ich jedenfalls nicht gesehen. Ich hörte nur ein Geräusch und dann Schreie. Ich blickte auf und unterbrach mein Spiel. Die Leute im Foyer drängten zur Treppe. Elena Mooney flüchtete zum Kamin.
»Achtung! Ruhe hier!« kommandierte einer der beiden. »Dies ist eine Razzia.«
Seltsam, wie man in solchen Situationen reagiert. Eigentlich hätte ich mich schrecklich fürchten und die Schlagzeilen schon leuchten sehen müssen: »Anwältin in Bordell erwischt!« Ich hätte mir Sorgen machen müssen – mein guter Ruf, und wie sollte ich meiner Mutter die Sache erklären? Aber nichts dergleichen. Ich sah einen Revolverlauf, hörte jemanden wie im Kino brüllen: »Dies ist eine Razzia!« und klammerte mich an den Flügel, um nicht »Scheiße, die Bullen!« zu rufen.
Dann wurde es dunkel. Nicht daß ich ohnmächtig wurde; das Licht ging nur aus. Eine Hand packte meinen Arm und zog mich fort. Neues Geschrei und dann ein Schuß. Ob jemand getroffen war, wußte ich nicht, aber langsam dämmerte mir, daß die Situation real war. Ich ließ mich mitziehen, stieß gegen tausend Leute, schnappte Sprachfetzen auf, wie »Ruhe!« und »Keine Panik!« – das waren sicher die Bullen –, dann hörte ich erneut Schüsse und wieder Schreie.
Mein Retter machte eine Tür auf und zog mich in die Küche. Die Kaffeehausvorhänge ließen genug Licht herein, daß ich Elena erkennen konnte.
Sie ließ mich los, griff nach einer Taschenlampe, die auf dem Kühlschrank lag, und öffnete eine weitere Tür, vermutlich zur Speisekammer. Irrtum, hier ging es in den Keller. Sie ließ mich vorangehen und schloß hinter uns ab.
Am Fuß der Treppe wartete ich auf Elena mit der Lampe, aber als sie neben mich trat, knipste sie sie aus. Von rechts kam ein schwaches Leuchten. Elena machte mir ein Zeichen zu schweigen und drängte sich an mir vorbei in den Kellerraum. Ich folgte ihr.
Die Wände wirkten roh und unfertig, aber der Putz war gestrichen. Das Licht kam von einem silbernen Kandelaber mit sechs schwarzen Kerzen, der auf dem Fußboden stand. An der hinteren Kellerwand waren in Knöchel- und Schulterhöhe eiserne Fesseln angebracht, und von der Decke baumelten schauerliche Flaschenzüge und Seilwinden. Aber ich war nicht in der Stimmung, genauer hinzusehen. Ein Wunder, daß ich diese Details überhaupt bemerkt hatte, denn vor mir stand ein Messingbett mit einem splitternackten Mann drauf. Er lag auf dem Rücken, alle viere von sich gestreckt.
Seine Handgelenke waren ans Kopfende gefesselt, die Knöchel ans Fußende. Auch ohne seinen Maßanzug erkannte ich Senator Calvin Handley. Ich hatte ihn kürzlich im Fernsehen erlebt, auf einer Pressekonferenz über seinen Gesetzentwurf zur Legalisierung der Prostitution. Immerhin, er war kein Heuchler.
Elena begann, seine Handgelenke loszubinden. »Rebecca, du die Knöchel«, flüsterte sie.
Sie redete Handley nicht mit »Senator« an – in der Hoffnung, ich würde ihn nicht erkennen. »Es gibt Schwierigkeiten. Die Polizei ist hier, aber wir haben Zeit, Sie ungesehen rauszubringen. Wo sind Ihre Sachen?«
»Kandi hat vergessen, sie runterzubringen.«
»Verdammt!« Die letzte Fessel war gelöst, der Senator setzte sich auf und rieb seine Handgelenke. Elena warf einen Blick in den Schrank am Eingang. »Sie hat sie wirklich vergessen – dann müssen Sie eben das hier anziehen.«
Sie lupfte ein schwarzes Etwas von einem niedrigen Stuhl. Darunter lagen Handschellen und ein schwarzer Stoffstreifen, der wie eine Augenbinde aussah. Chacun à son goût. Erwachsene tun sowas ja freiwillig.
Ich hatte seine Fußfesseln gelöst, und der Gesetzesmann schlüpfte in das schwarze Textil, eine bodenlange Robe mit langen Ärmeln und einer Kapuze – absolut anständig, aber äußerst verrückt.
»Schuhe?« fragte Elena. Der Senator schüttelte den Kopf. »Okay, gehen wir. Du auch, Rebecca.«
Sie schob den Schrank beiseite, hinter dem eine Art Tunnel zum Vorschein kam, gab mir die Taschenlampe und fischte einen Schlüssel aus ihrem Mieder. Ich sah, wie ihre Hand zitterte. »Hört zu, ihr beiden«, flüsterte sie. »Da oben wurde geschossen. Vielleicht ist jemand tot oder verletzt. Dies ist mein Haus, und ich muß hierbleiben. Rebecca, dies ist ... Joe. Ich verlasse mich darauf, daß du ihn zu seinem Auto bringst. Dann fahr nach Hause, zieh dir was Ordentliches an und komm wieder her. Wir werden dich brauchen. Am Ende des Tunnels ist eine Tür mit Vorhängeschloß, dies ist der Schlüssel dafür. Mein Auto steht direkt dahinter, die Schlüssel stecken. Nimm das Vorhängeschloß mit; vielleicht brauchen wir den Tunnel heute noch. Bring nur den Sen ..., bring Joe hier raus. Wenn ich euch losfahren höre, warte ich noch fünf Minuten, dann gehe ich wieder nach oben. Viel Glück.« Sie drückte meine Hand.
Wir mußten uns im Tunnel bücken. Ich ging mit der Taschenlampe voran, dahinter der Senator, die Hände an meine Hüften gelegt. Das war nicht zwingend notwendig, aber ich gestattete es ihm. Ich hatte in diesem Augenblick andere Probleme. Ich verwünschte mich, weil ich idiotischerweise Elenas Bitte nachgegeben hatte, und ich verwünschte Elena, die mir die ganze Geschichte als vollkommen sicher verkauft hatte.
Nein, sie war keine Lügnerin. Auf der Party wurden wirklich keine Freier bedient. Aber einen nackten Senator im Keller zu verschweigen war schon eine ernste Unterlassungssünde.
Der Senator, Typ großer Junge, hielt die Taschenlampe, während ich die Tür aufschloß. Elenas Mustang stand zwar direkt davor, aber doch so weit weg, daß wir beim Einsteigen in eine Schlammpfütze treten mußten. Da ich nur Sandalen und der Senator gar keine Schuhe anhatte, war’s für uns beide gleichermaßen ungemütlich.
Der Mustang schnaubte ein paarmal, legte die Ohren an und fegte los, Richtung Broderick Lane.
»Wo steht Ihr Auto?« fragte ich.
»Oh, mein Gott! Ich muß zurück. Ich hab meine Schlüssel nicht dabei!«
»Vergessen Sie Ihre Schlüssel. Sie können nicht zurück. Ich bringe Sie nach Hause.«
»Aber mein Geld! Meine Papiere! Die brauche ich unbedingt! Kehren Sie um!«
»Nein.«
»Ich sagte umkehren!«
»Hören Sie mal«, zischte ich. »Die Bullen interessieren sich nicht für Freier. Wahrscheinlich bekommen Sie Ihre Sachen diskret zurück. Das ist zwar peinlich, aber nichts im Vergleich dazu, was passiert, wenn man Sie in diesem Outfit im Bordell erwischt.«
»Verdammt, kehren Sie um!«
Eine gute Bürgerin hofft natürlich, daß die Politiker wenigstens ein bißchen Grips im Kopf haben, ganz gleich wie ihre sexuellen Neigungen auch aussehen mögen. Aber dieser Typ hier hatte nur Rührei im Hirn. Ich diskutierte nicht weiter. Er war es wohl nicht gewohnt, Befehlen zu gehorchen, außer vielleicht bei Kandi, wenn sie ihre Spielchen trieben, also gab ich die Rolle der strengen Mutter auf. Ich fuhr weiter, Richtung Heimat, aber vorsichtig wegen des Regens.
Ein, zwei Minuten war er still, und als wir in die Fillmore Street einbogen, versuchte ich es noch mal. Jetzt klang ich hoffentlich so aufmunternd und hilfsbereit wie eine Sekretärin oder eine Ehefrau.
»Wo kann ich Sie absetzen?«
»Verdammt noch mal, junge Frau, bringen Sie mich zurück!« brüllte er.
»Ihr Senatorenhirn tickt wohl nicht richtig!« erwiderte ich. »Wo wohnen Sie denn, um Himmels willen?«
Er beugte sich rüber, griff ins Lenkrad, und ich verlor die Kontrolle über den Wagen. Wir schlitterten mit quietschenden Reifen nach rechts. Ich riß gerade noch rechtzeitig das Steuer herum, um einem parkenden Auto auszuweichen, und trat die Bremse voll durch. Aber die Lenkung blockierte, und der Mustang knallte mit dem Heck gegen das andere Auto. Da hörte ich auch schon die Sirene. Ich sah in den Rückspiegel: der Streifenwagen war nur einen halben Block entfernt.
Bevor ich mich fassen konnte, riß der Spinner von Senator schon die Tür auf und sprang mit nackten Füßen auf die Fillmore Street. Ohne ein »Dankeschön fürs Mitnehmen« flitzte er in seinem wogenden schwarzen Gewand davon. Er wirkte wie einer der üblichen Freaks von San Francisco, nur daß die selten so edle, silbergraue Haare haben. Ich machte die Beifahrertür wieder zu. Vielleicht hatten die Bullen ihn nicht gesehen. Sie hielten neben mir, als der Senator um die Ecke verschwand.
Der Bulle, der ausstieg, hatte einen seidenweichen Schnurrbart, und der Rest sah auch nicht schlecht aus. »Alles okay, Madam?«
»Ich denke schon. Ich bin bei der Nässe ins Schleudern geraten und konnte nicht mehr richtig gegensteuern.«
»Zeigen Sie mal Ihren Führerschein.«
»Ich ... ich hatte einen Notfall. Ich habe ihn nicht dabei.«
»Sie haben doch Ihre Autoschlüssel. Und die waren bestimmt in Ihrer Handtasche, mit dem Führerschein.«
»Nein, die Schlüssel steckten schon.«
»Sie heißen?«
»Rebecca Schwartz.«
»Haben Sie getrunken, Miss Schwartz?«
»Ein bißchen. Aber deswegen habe ich das Auto nicht gerammt. ich bin ins Schleudern geraten.«
»Wenn Sie die Freundlichkeit hätten, Ihren Wagen da drüben abzustellen, Miss Schwartz. Ich bin gleich wieder da.«
Unter Stress parke ich eher schlecht, aber der Bulle bemerkte es nicht, glaube ich. Er war im Streifenwagen zugange.
Nach einer Minute kam er wieder. »Haben Sie überhaupt einen Ausweis dabei?«
»Nein, das habe ich Ihnen doch schon gesagt.«
»Wir haben Ihren Wagen überprüft. Er ist auf eine Elena Mooney zugelassen.«
»Ich weiß, sie hat ihn mir geliehen.«
»Und sie weiß, daß Sie ihn fahren?«
»Natürlich.«
»Miss Schwartz, ich muß Sie bitten, sich einem kleinen Test zu unterziehen. Seien Sie so nett und strecken Sie Ihre Arme waagerecht aus. Gut. Jetzt den Kopf etwas zurück, die Augen zu, und die Nase mit dem Zeigefinger berühren.«
»Mit dem linken oder dem rechten?«
»Mit beiden. Je dreimal.«
In solchen Sachen war ich noch nie gut. Bei sechs Versuchen traf ich meine Nase dreimal, und auch wenn ich stinknüchtern gewesen wäre, hätte ich nicht mehr geschafft. Ich habe es inzwischen tausendmal probiert. Natürlich glaubte der attraktive Bulle nicht, daß das eine ganz persönliche Eigenart von mir ist. Aber insgesamt war er sehr freundlich. Es schien ihm fast peinlich: »Sie in einer solchen Nacht um noch etwas zu bitten ist mir unangenehm, aber glauben Sie, daß Sie an einer geraden Linie entlangbalancieren können?«
»Ich werde klatschnaß.«
»Oh, das tut mir leid, Madam.« Der Typ war wirklich süß, wenn man bedenkt, daß ich nicht gerade respektierlich aussah.
Als ich ausstieg, lief mir der Regen in Strömen ins Dekollete. Ich setzte solange einen Fuß vor den anderen, bis der Bulle »Halt!« sagte. Ich wollte weitermachen, wußte ich doch, daß die Linie gerade würde, sobald ich den Dreh raushatte. Er schien nicht überzeugt. Ich war ganz schön vom Kurs abgewichen.
»Ich befürchte, Ihr Notfall wird warten müssen, Miss Schwartz. Sie haben mit einem Auto, das nicht Ihnen gehört, einen Unfall verursacht. Sie können weder einen Führerschein noch einen anderen Ausweis vorzeigen, den Nüchternheitstest haben Sie nicht bestanden, und außerdem ist der Wagen mit zweihundert Dollar Strafzetteln belastet.«
»Aber ...«
»Sie sollten den Mustang heute besser nicht mehr fahren. Schließen Sie ihn ab, und kommen Sie in den Streifenwagen.«
»Halt! Ich kann Ihnen das mit dem Auto erklären.«
»Alle Erklärungen der Welt werden mich nicht von Ihrer Nüchternheit überzeugen.«
Ich tat wie befohlen, während sie den Schaden an dem geparkten Auto inspizierten. Dann saßen wir im Streifenwagen, der Bulle mit dem Schnurrbart und ich, während sein Partner einen Unfallbericht ausfüllte. Ich habe nie kapiert, warum das unbedingt am Unfallort passieren muß statt auf dem Revier, aber es gab mir Zeit, meine Geschichte zu erzählen.
Ich war auf einem Kostümfest gewesen – das würde hoffentlich meine Aufmachung erklären –, und einem Freund war plötzlich schlecht geworden. Wir waren auf dem Weg ins Krankenhaus, als ich das geparkte Auto rammte.
»Und wo ist dieser Freund jetzt?«
»Er bekam es mit der Angst und lief weg.«
»Wie krank war er denn?«
Ich senkte den Blick. »Ich weiß es nicht. Er hat sich sehr seltsam benommen, eine Art Nervenzusammenbruch, glaube ich.«
Der Bulle folgerte genau das, was er sollte. »Gab es auf dieser Party Drogen, Miss Schwartz?«
Ich sagte ja, und er fragte nicht weiter.
Auf dem Weg zur Hall of Justice [in den USA ein Gebäude, in dem Polizeipräsidium, Gericht und Stadtgefängnis untergebracht sind; Anm. d. Übers.] versuchte ich, meine Gedanken zu sammeln. Ich sah wie eine Nutte aus, und trotz meiner lahmen Erklärung hielten sie mich auch für eine. Drei Wochen nach Halloween veranstaltet niemand mehr Kostümfeste. Ich konnte auch nicht vorbringen, daß ich Anwältin bin, denn ohne Ausweis konnte ich das nicht beweisen. Es hätte sowieso nichts genützt, weil sie mich für betrunken hielten. Elena und die anderen würden vermutlich auch in der Hall sein. Wir könnten klären, wem das Auto gehört und wer ich bin. Ich könnte meine Kanzleipartnerin Chris anrufen, damit sie uns rausholt. Ob Chris das schaffen würde? Es sah fast so aus, als müßte Rebecca Schwartz, die jüdische Anwältin und Feministin, eine Nacht im Gefängnis zubringen. Ich tat ein Stoßgebet, daß der Alkoholpustetest negativ ausfallen möge. Dann sann ich nur noch über die finsteren Kräfte nach, die mich in diesen Streifenwagen verfrachtet hatten.