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Die finsteren Kräfte hockten natürlich unter meiner Schädeldecke. Ich mußte daran denken, wie meine Mutter mich einmal vollständig bekleidet unter die kalte Dusche gestellt hatte, nur weil ich keine Konzertpianistin werden wollte, mit meinen neun Jahren. Ein bißchen Provokation war dabei gewesen: Ich hatte den Entschluß während einer Klavierstunde gefaßt und zur dramatischen Unterstreichung Notenblätter zerrissen und das Metronom in die Ecke geschleudert. Ich war schwer beeindruckt von mir. Wahrscheinlich habe ich mich in Elenas Bordell ans Klavier gesetzt, um meiner Mutter eins auszuwischen. Dieser Meinung ist jedenfalls mein Analytiker.

Es gäbe auch andere plausible Gründe.

Erstens war mein Leben eher langweilig. Ich war achtundzwanzig und hatte nie etwas Aufregenderes erlebt, als gute Noten zu bekommen und feministische Anwältin zu werden. Ich war nie mit Freund und Rucksack durch Europa getrampt und hatte auch keinen Sommer im Kibbuz verbracht.

Warum, weiß ich nicht; vielleicht, weil ich von Natur aus sehr konservativ bin. Ich hasse Veränderung und packe nur widerwillig Gelegenheiten beim Schopfe; spielte ich Poker (was ich nicht tue), würde ich drei Könige nur mit zwei Assen in der Hinterhand präsentieren. Aufgewachsen bin ich in Marin County, Kalifornien, studierte Jura in Berkeley und wurde Anwältin in San Francisco. Meine Familie gehört zur liberalen jüdischen Mittelklasse. Meine politischen Vorstellungen und Einschätzungen entsprechen denen, die ich als Kind mitbekommen habe, Drogen und Sex ausgenommen – da habe ich eine modernere Einstellung als meine Eltern.

Ich war die Frau, die sich jede Mutter als Schwiegertochter wünscht. Aber Heiratsanträge bekam ich nicht, und mir war’s auch egal. Ich war viel zu beschäftigt, die Ambitionen meines Vaters zu erfüllen. Oder das, was ich dafür hielt. »Werde Arzt, Rebecca. Mit Jura kannst du kein Geld verdienen«, aber natürlich war das ein Witz. Er nahm mich von klein auf in den Gerichtssaal mit, und als ich dann ein Teenager wurde, diskutierte er seine Fälle mit mir. Was waren da schon Ärzte. Mein Leitbild war der Anwalt.

Wenn man so bieder lebt, und es kommt jemand und fragt: »Hast Du Lust, eine Nacht in einem Bordell Klavier zu spielen; es sind nur Freunde da, nichts kann passieren« – wer hätte da wohl nein gesagt? Zumal in einem feministischen Bordell? Mit Rache an der Mutter hatte es jedenfalls nichts zu tun.

Und noch etwas: Elena brauchte mich. Sollte ich meiner Freundin eine Bitte abschlagen, nur weil ich zu fein bin, mich in einem Bordell aufzuhalten? Eine schöne ›Schwester‹ wäre ich da! Elena ist Prostituierte und eine Art Bordellmutter, aber nicht ganz, denn ihr Etablissement ist eine Kooperative. Entscheidungen werden von allen Mitgliedern getroffen und die Einnahmen aufgeteilt. Elena ist der Motor des Ganzen, und ohne ihre politischen Ansichten wäre sie eine echte Puffmutter.

Ich lernte sie kennen, als die Koop zum erstenmal aufflog und Jeannette von Phister mich bat, den Fall zu übernehmen. Obwohl ich gewisse Vorbehalte habe, was Prostitution als feministisches Anliegen angeht (Jeannette nennt das »horizontale Feindseligkeit«), gehörte ich schon damals zur Rechtsberatung von HYENA, der Organisation der »leichten Mädchen«, die Jeannette gegründet hatte. HYENA steht für »Head Your Ethics Towards a New Age« und hat zum Ziel, Prostitution zu legalisieren.

Wegen des feministischen Anspruchs dieser exotischen Frauen gab es viel Publicity um HYENA. Als ich mich zur Mitarbeit bereit erklärte, war mir unbewußt schon klar, daß diese Publicity auch auf die Anwältin der HYENA-Frauen abfärben würde. Und genauso war es, als ich Elenas Verteidigung übernahm.

Elena (geborene Eileen – möchte ich wetten; hatte aber nie den Nerv, sie zu fragen) leitete die feministische Bordell-Kooperative seit sechs Monaten. Sie war intelligent, doch fehlte ihr die Praxis. Sie hatte sich bestimmt zu wenig mit dem Problem »Schmiergeld für die Bullen« befaßt. (Eine Anwältin sollte so etwas höchstens denken, aber nicht laut aussprechen.) Elena wurde zusammen mit ihren drei Partnerinnen verhaftet, und ich sollte sie verteidigen.

Der Fall wirbelte viel Staub auf. Das Haus galt als Nobelbordell, und es gab Gerüchte über Elenas Adreßbuch, das angeblich einflußreiche Namen enthielt. Die HYENA-Frauen machten großes Geschrei wegen »sexistischer Repression«. Jeannette und ich organisierten eine Pressekonferenz, bei der wir die Polizei schwer beschimpften: sie verplempere ihre Zeit mit dem Herumschnüffeln in Transaktionen, die (im rechtlichen Sinne) erwachsene Personen in wechselseitigem Einverständnis durchführten. Ich erklärte meine Mandantinnen zu Opfern unserer heuchlerischen Gesellschaft, die Frauen unterbezahle, sie aber strafrechtlich verfolge, wenn sie sich zur Prostitution gezwungen sähen. Die Frauen müßten auch noch lächelnd ignorieren, daß ihre Kunden an dieser Unterdrückung maßgeblich beteiligt seien. Ich wurde zu Talk-Shows eingeladen, trug aber zur Freilassung der Koop-Frauen wenig bei: sie waren nicht vorbestraft und bekamen Bewährung.

Wir freundeten uns an, Elena und ich. Sie gefiel mir; sie hatte Humor, war irgendwie robust und grundsolide, was sicher daher kam, daß sie aus einer armen Familie mit sechs Kindern stammte. Als aufrechte Vertreterin der unverheirateten Mittelklasse wünschte ich mir, sie möge ihr ungesetzliches Leben aufgeben und wieder studieren, aber man kann nicht die Entscheidungen anderer Leute treffen.

Nach der Geschichte trafen wir uns häufig zum Lunch, wobei sie mir Details aus dem Leben einer Prostituierten mitteilte. Natürlich nichts, was an die Nieren ging. Elena, die Irin, konnte wunderbar fabulieren, und sie ließ den Bordellalltag glitzern wie ein englisches Sittenstück aus dem siebzehnten Jahrhundert.

In meinem braven grauen Blazer und der Cacharel-Bluse, vor Krabbensalat und Weißwein, kam ich mir ziemlich naiv vor, als sie aus dem Milieu der Kristalleuchter und hochhackigen Riemchenschuhe erzählte. Das war eine Welt, die persönliche Eitelkeit nicht nur tolerierte, sondern feierte, und ich fand es herrlich, einen Blick darauf zu erhaschen. Etwas in mir war regelrecht fasziniert. Elena mußte gemerkt haben, daß die biedere Rebecca Phantasien pflegte, die zu einer jüdischen Anwältin und Feministin nicht unbedingt paßten, denn sie schickte mir Billets für HYENAs jährlichen Halloween-Wöhltätigkeitsball, den »Dirnenzauber«. Dort, in dieser Plüsch-, Samt- und Seidenatmosphäre lud sie mich ein, ihr neues Haus zu besichtigen: sie sei wieder im Geschäft. Ich war nicht Elenas Mutter oder ihre Bewährungshelferin. Der Takt gebot, die Einladung anzunehmen, das Bordell zu bewundern und alles gesetzlich Mögliche zu tun, um ihr zu helfen.

Ich sollte am nächsten Samstag kommen, morgens, denn um zwölf Uhr machte sie den Laden auf.

Ich bin doch keine Superfrau

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