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Um null Uhr fünfundvierzig erreichten wir die Hall of Justice, und ich wurde wegen Verdachts auf »Fahren unter Alkoholeinfluß« verhaftet. Ein schändlicher Augenblick für die Familie Schwartz. Die Bullen brachten mich zur Abteilung Verkehrsdelikte, eine Art Großraumbüro mit zig Tischen und Schreibmaschinen. Ich fragte, ob ich Elena anrufen könne.

»Natürlich, aber erst der Alkoholtest. Blut, Atem oder Urin?«

»Atem.«

Sie ließen mich erst mal allein. Ich versuchte, mich positiv auf den Test einzustellen, aber es klappte nicht. In meinem Kopf rollten immer wieder die Ereignisse vorbei, die mich hierher gebracht hatten. Es fing mit besagtem Samstag an, als ich zum erstenmal ein Bordell besuchte.

Elenas Haus lag in Pacific Heights, aber die Adresse verrate ich nicht. Anwaltsgeheimnis!

Es war ein hübsches Beispiel für den Queen-Anne-Victoria-Stil, weiß gestrichene Wände mit dunkelblauen und goldenen Verzierungen. Würdevoll, wenn man so will.

Elena hatte ganz ordinäre Jeans an, als sie mir öffnete, trat aber schnell zur Seite, um mir den Blick aufs Vestibül freizugeben: nackter Boden, auf der Treppe ein roter Teppich, an den Wänden echte rotgeflockte Pufftapete. An Mobiliar gab es nur einen altmodischen Garderobenständer aus Eiche und einen rubinroten Glaslüster mit blinkenden baumelnden Kristallprismen.

»Mein Gott!« sagte ich. »Der klassische Puff!«

»So würde ich es nicht unbedingt nennen.«

»Es ist umwerfend.«

Elena nickte. »Es fehlt höchstens ein Perlenvorhang, aber der hätte nur vor den Gang zur Küche gepaßt, und ich wollte nicht, daß da ein Kunde hereinspaziert.«

Sie führte mich in den Salon, an dessen hinterer Wand sich ein offener Kamin befand und darüber das obligatorische Gemälde – ein weiblicher Akt. Nicht schlecht. Das Modell aalte sich auf einem Messingbett, und es war nicht einmal ganz nackt. Die Dame trug Stiefel.

Es gab einen rosafarbenen Satinkuschelsitz mit Fransen und noch einen in weinrotem Samt. Dazu passende Mahagonistühle. Und natürlich Kristallüster.

Hinten links waren viktorianische Stühle und Tische zu Sitzgruppen zusammengestellt. Rechts davon ein Flügel mit einem wunderschönen alten Überwurf. An den Wänden mehr nackte Damen mit Schönheitsflecken auf Gesicht und Popo.

»Sehr gemütlich«, sagte ich.

»Absolut schrill«, erwiderte Elena, »aber heimelig. Deshalb dieser Haufen Kitsch. Es soll nach Phantasiewelt aussehen, aber nicht einschüchtern. Mit viel Platz zum Herumlaufen. Tanzen kann man im Vestibül oder zwischen den beiden Salons.«

»Perfekt«, sagte ich. »Hast du mal daran gedacht, Innenarchitektin zu werden?«

Sie lachte. »Wenn ich mich zur Ruhe setze.«

»Du Witzbold!«

»Komm, ich zeig dir die obere Etage. Hier unten ist nur noch die Küche, da trinken wir nachher Tee.«

Elenas privates Schlafzimmer lasse ich weg, es hat für die Demimonde, die ich hier skizziere, keine Bedeutung. Die übrigen drei Gemächer waren zum Arbeiten da.

Der rote Teppich schlängelte sich durch den Korridor und in zwei Zimmer hinein, die mit Marmortischen, vergoldeten Spiegeln und barocken, von rotem Samt bedeckten Mahagonibetten dekoriert waren. Das letzte Zimmer enthielt nur ein Möbelstück: das größte Wasserbett, das ich je gesehen hatte. Wände und Decken waren verspiegelt. »Nicht gerade viktorianisch«, bemerkte ich.

»Über schlechten Geschmack läßt sich nicht streiten. Das Wasserbett ist unsere größte Attraktion.«

Wir gingen runter in die Küche, die wie jede Küche aussah, nur daß ein anständig großer Tisch hineinpaßte. Ich setzte mich, Elena machte Tee und servierte englische Muffins.

»Dies ist – außer dem Schlafzimmer – der einzige Raum, der irgendwie zu mir gehört«, sagte sie. »Es ist nicht sehr angenehm, hier auch zu wohnen, aber wir können das Haus nicht einfach nach der Arbeit zusperren und weggehen.«

Als ich Elena so in ihren Jeans in der Küche hantieren sah, konnte ich mir vorstellen, daß sie es »nicht sehr angenehm« fand, in einem Bordell zu leben. Sie hatte glänzendes kastanienbraunes Haar und kräftige Augenbrauen, die sie, kluges Kind, nicht zupfte. Nichts an ihr – außer ihren langen Fingernägeln – paßte zu der landläufigen Vorstellung von einer Prostituierten.

Ich wußte zwar alles über Elenas lustige Familie in Chicago, aber nicht, wie aus ihr eine feministische Prostituierte geworden war. Ich kannte viele HYENA-Frauen, und alle erzählten in etwa die gleiche Geschichte: sie arbeiteten als Sekretärinnen oder Büroangestellte, bis ihnen eines Tages jemand für Sex Geld anbot. Sie kamen zum Feminismus, als die Frauenbewegung herausfand, daß für Männer das Geldverdienen leichter ist als für Frauen.

Elena schien mir intelligenter und gebildeter als die anderen Prostituierten, die ich kannte. Sie setzte sich mit ihrem Tee und einem gebutterten Muffin an den Tisch.

»Elena, du hast mir nie erzählt, wie du ...«

»... vom Pfade der Tugend abgekommen bist?« Sie goß sich Tee ein.

»Nun ja.«

»Ich habe meinen Beruf am College gelernt, genau wie du.« Sie lachte. »An der Universität von Chicago. Im Fachbereich Geschichte. Im vierten Semester, als ich Seminare und Vorlesungen besuchte und gleichzeitig als Kellnerin jobbte. Ich war fix und fertig, hatte zehn Pfund abgenommen und immer Ringe unter den Augen. Eine Lehrkraft mochte mich und hat mir eine leichtere Arbeit verschafft.«

»Ein Mann?«

»Nein. Eine Frau, eine Professorin. Sie hatte sich selbst einen Teil ihres Studiums mit Anschaffen verdient.«

»Also hör mal!«

Elena zuckte die Achseln. »Sie schien genau zu wissen, was sie tat. Sie sagte, da wäre ein Mann, der mich kennenlernen wollte. Er war bereit, hundert Dollar zu investieren, aber ich mußte ihr fünfzig davon abgeben.«

»Einer Professorin für Geschichte?«

»Ich war auch schockiert, aber seitdem weiß ich, daß es so läuft. Ich verdiente bald doppelt soviel wie beim Kellnern, aber in einem Bruchteil der Arbeitszeit.«

»Hast du das Studium abgeschlossen?«

»Nein. Das heißt, das Grundstudium ja, aber dann war ich so gut im Geschäft, daß ich dachte: warum weiterstudieren, wenn man auch so viel Geld verdienen kann? Ich wollte in San Francisco ganz groß zuschlagen. Eine Zeitlang klapperte ich die Bars ab und verdiente auch gut, lernte Kolleginnen kennen. Jeannette gründete HYENA, und mir gefiel ihr Konzept: Prostitution als stinknormaler Beruf mit Gewerkschaft. Und dann beschlossen wir vier – Stacy, Renée, Hilary und ich –, eine Kooperative zu gründen.«

»Tut es dir nicht leid um dein Studium? Kein Abschluß und so?«

»Den Abschluß kann ich immer noch machen, wenn ich will. Ich weiß, worauf du hinaus willst. Ich bin nicht dumm, ich habe Talent fürs Dekorieren. Wahrscheinlich könnte ich auch noch ganz andere Sachen machen. Warum also Prostitution, wenn ich die Wahl habe?«

»Nun?«

»Ich weiß nicht. Ich versuche, nicht viel darüber nachzudenken. Vielleicht gefällt es mir, Leute zu manipulieren, in Rollen zu schlüpf en, Phantasien auszuagieren. Und da ist noch etwas – die Angst vor dem Versagen, vor der Armut. Als Prostituierte bin ich gut; es ist leichtverdientes Geld, das will ich nicht aufgeben.

Wie du weißt, träumt jede Prostituierte von dem Tag, an dem sie sich zur Ruhe setzt. Wahrscheinlich werde ich wirklich mal Innenarchitektin oder etwas Ähnliches, Antiquitätenhändlerin zum Beispiel, mit einem hübschen kleinen Laden. Warum allerdings jemand, der nie arm war, Nutte wird, verstehe ich nicht. Eine unserer Teilzeitkräfte, Kandi, kommt aus einer guten Familie; sie könnte alles machen.«

Elena zuckte die Achseln. »Sie ist wohl einfach nur geldgierig, faul und übt gern Macht aus. Wie ich.«

Beim Rausgehen blieb ich am Flügel stehen, um die schöne Decke genauer anzusehen, und dabei gerieten meine Finger automatisch an die Tasten. Ich wäre bestimmt niemals Pianistin geworden – meine Mutter liegt da völlig falsch –, aber ich bin musikalisch und liebe Klaviere. Und da saß ich auch schon auf dem altertümlichen Hocker und legte mit dem ›Maple Leaf Rag‹ los. Warum gerade mit diesem Song weiß ich nicht – vielleicht, weil er genau hierher paßte. Elena sah mich an, als hätte ich einen Wurf Karnickel aus meinem BH gezogen.

Ich bin doch keine Superfrau

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