Читать книгу Ich bin doch keine Superfrau - Julie Smith - Страница 7
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Оглавление»Rebecca, Kind, in einer solchen Nacht ohne Schlüssel unterwegs! Wo bist du?« sagte Elena, ohne Begrüßung.
»Ich bin in der Hall of Justice. Wieso bist du zu Hause?«
»Ach, das weißt du ja noch gar nicht. Die Razzia war nur ein dummer Streich von ein paar Gästen. Keine scharfe Munition, nur Platzpatronen. Zum Glück. Was machst du in der Hall?«
»Ich muß beweisen, daß ich dir nicht das Auto geklaut habe. Kannst du das dem netten Inspektor hier erklären?«
Ich reichte den Hörer weiter. Der Bulle stellte Elena ein paar Fragen, und sie redeten eine Weile. Ich war müde und wollte nur nach Hause.
Es wurde eine romantische Nacht. Aber Parker und ich waren erwachsen und hatten die übliche ruppige Schule der Beziehungskisten absolviert. Und so verlobten wir uns nicht gleich. Es herrschte zwischen uns stillschweigend Einigkeit, vorsichtig miteinander umzugehen. Am nächsten Tag liefen wir am Strand herum und vergnügten uns mit einem feuchtfröhlichen Lunch in einem Fischlokal auf der Halbinsel. Die folgende Nacht verbrachten wir nicht zusammen.
Wir sahen uns erst am nächsten Wochenende und gingen in einen Buñuel-Film. Ich war verliebt, aber das ist nicht ungewöhnlich. Es passiert mir im Schnitt viermal im Jahr (außer in den zwei Jahren, die ich mit Gary Wildman zusammen war), und jede Affäre dauert ungefähr drei Wochen. Ich treffe mich mit dem jeweiligen dann noch ein paar Monate, aber nach den ersten Dates ist der Rahm bald ab, wenn ich die ersten Fehler entdecke. Bei Parker hatte ich noch keinen gefunden. Er weinte sich nicht bei mir aus und lachte über meine Witze. Ich blieb verliebt, und wir verabredeten uns erneut für den kommenden Freitag.
Dieser Freitag, der dritte im November, wurde zum längsten Tag meines Lebens. Als ich aufwachte, goß es in Strömen, und es sah aus, als würde es noch neununddreißig Tage lang weitergießen. Ich verbrachte den Vormittag damit, eine Mandantin zu beruhigen, deren Verstand durch die nahende Scheidung zu leiden begann. Mittags traf ich Chris bei Hershies auf ein Pastrami-Sandwich und einen Eisbecher.
»Du gehst heute abend mit ›Pigball‹ aus?« fragte sie, als wir uns gesetzt hatten. »Larry und ich hatten ihn zum Abendessen eingeladen, und da hat er gebeichtet. Ist er der Richtige?«
»Er wirkt ganz solide.«
»Mein Gott, Rebecca, du bist die konservativste Frau, die ich kenne. Kein Wunder, daß du nie länger als drei Wochen verliebt bist. Wie in drei Teufels Namen hast du es geschafft, mit Gary zusammenzuziehen?«
»Ich war damals noch nicht so vorsichtig. Außerdem war es seine Idee; er hat mich an den Haaren in seine Höhle gezerrt. Mit mir zusammenzuleben war dann aber auch die einzige Entscheidung, die er in den zwei Jahren traf!«
»Was? Ich dachte immer, Ihr hättet eine total gleichberechtigte Beziehung. Larry dachte das übrigens auch.«
»Ich auch. Aber ich merkte bald, daß ich keinen neuen Liebhaber hatte, sondern einen Sohn. Alles sehr subtil natürlich. Er erwartete nicht, daß die feministische Anwältin ihm Essen kochte oder seine Wäsche wusch. Dafür brauchte er keine Mutter.«
»Wofür dann?«
»Er wollte von mir wissen, in welche Vorlesungen er gehen sollte, ob er klassische Musik oder besser Rock Musik hören und – das ist kein Witz –, ob er mit einer anderen Frau schlafen sollte.«
»O Gott.«
»Damals dachte ich, daß wir diese Sachen gleichberechtigt und erwachsen diskutierten, aber später merkte ich, daß ich allein alle Entscheidungen fällte. Und nicht nur das; Gary wollte ständig bestätigt und getätschelt werden und hören, was für ein guter Junge er war.«
»So schlimm kann es doch nicht gewesen sein. Wenn Gary eine Mutter braucht, was macht er dann heute mit diesem rosigen Pfirsich von zweiundzwanzig?« Das war mein wunder Punkt; Gary hatte mich wegen Melissa, besagter Pfirsichdame, verlassen.
»Er ist mir entwachsen«, sagte ich. »Eine Mutter-Sohn-Beziehung kann ewig dauern, nur werden die kleinen Jungs irgendwann erwachsen und rebellieren gegen ihre Mütter. Es war ganz schön hart, als er mich verließ.«
Chris nickte.
»Und jetzt hast du ›Pigball‹.«
»Parker.« Ich mußte lachen. »Ja. Parker. Und ich habe es ernst gemeint, als ich sagte, daß er mir solide vorkommt. Er scheint fähig zu sein, auf sich selbst aufzupassen.«
»Was macht ihr zwei denn heute abend?«
»Weiß ich noch nicht. Wahrscheinlich Essen und dann Kino. Laß uns lieber wieder ins Büro gehen, ich will seinen Anruf nicht verpassen.«
Das war für mich an diesem Freitag der einzige Grund, ins Büro zu gehen, um die Wahrheit zu sagen. Ich hatte keine Termine und wollte am Nachmittag einige offene Fälle bearbeiten. Das hätte ich auch zu jeder anderen Zeit machen können, und je länger ich es aufschieben konnte, desto besser. Das einzige, was ich bei der Juristerei hasse, ist das Wühlen in muffigen Schwarten.
Über diesen Dingen hockte ich, als das Telefon klingelte. Ich dachte, es wäre Parker, und nahm erst nach dem dritten Läuten ab, um nicht zu eifrig zu erscheinen. Aber es war Elena Mooney.
»Rebecca, ich bin in einer teuflischen Klemme. Hast du je von den FDOs gehört?«
»Nein.«
»Das sind die ›Friday Downtown Operators‹, rund siebzig Geschäftsleute, die sich jeden Freitag zum Lunch treffen und dazu all die weiblichen Wesen einladen, auf die sie ein Auge geworfen haben. Eine Einladung gilt als Ehre.«
Ich reagierte wohl mit einem empörten Geräusch, aber Elena redete einfach weiter.
»Offensichtlich wollten viele von ihnen zum ›Dirnenzauber‹, hatten aber keine Karten mehr erwischt. Deshalb wollen sie jetzt selber etwas organisieren und haben Jeannette von Phister gefragt, wie man ein Bordell mieten kann. Sie hat das mit mir arrangiert. Die Mädchen und ich agieren als Hostessen, es ist ausdrücklich nur eine Party – das heißt, wir arbeiten nicht wie sonst. Die Typen haben ihre Damen dabei.
Das Problem ist nur, die Sache findet heute abend statt. Ich hatte einen wunderbaren Klavierspieler engagiert, einen Schwarzen mit cremefarbenem Seidenanzug, und der ist jetzt krank geworden. Ich weiß, es ist ein Überfall, aber könntest du vielleicht ...«
»Schrecklich gern, aber ich bin schon verabredet.«
»Um Himmels willen, bring ihn doch mit.«
»Nein, das kann ich nicht. Was passiert, wenn ich Kollegen treffe?«
»Herrje, es ist doch nur eine Party. Du warst beim ›Dirnenzauber‹ mit jedem Zuhälter und jeder Nutte von San Francisco zusammen, genauso wie der Polizeichef und der Sheriff. Wo ist da der Unterschied?«
»Das war ja auch nicht in einem Bordell.«
»Aber ich wohne dort. Es ist nur eine Party in meinem üppig dekorierten Heim in Pacific Heights. Wenn die Nutten keine Freier bedienen, wo ist dann das Bordell?« Sie sollte Anwältin werden.
»Sie haben dich schon einmal drangekriegt, weil du ein ›sündiges Haus‹ führst. Woher willst du wissen, daß es keine Razzia gibt?«
»Hm. Jeder, der sich daneben benimmt, wird rausgeschmissen. Und keine Bange wegen der Musik. Der Typ im Seidenanzug spielt jedes Wochenende, und die Leute tanzen dazu. Das Haus ist schallisoliert.«
Ich sah keinen Grund, nein zu sagen. Wenn ich auf der Party einen Anwalt traf, den ich kannte, hatte er denselben Grund, sich zu schämen, wie ich – er war schließlich auch dort. Und außerdem weiß jeder, daß ich Elenas Anwältin bin. Was ist natürlicher, als einer Freundin zu helfen? Ich würde Parker fragen.
Parker war sofort Feuer und Flamme.
»Da ist noch was«, meinte Elena, als ich ihr zusagte. »Kannst du etwas anziehen, was ... zu dem Anlaß paßt?«
Ich konnte sie beruhigen – ich hätte genau das Richtige. Ich sollte etwas früher kommen, damit sie mich frisieren und schminken konnte. Da Parker sich dabei langweilen würde, wollten wir in zwei Autos hinfahren.
Am Abend regnete es immer noch. Ich kam in Trenchcoat und Stiefeln. Als ich sie auszog, atmete Elena auf. »Genau richtig«, sagte sie, »gleich wirst du dich nicht mehr wiedererkennen.«
Ich gab ihr die Wimpern, und sie klebte sie mir in zwei Sekunden an. Dann kam blauer Lidschatten dran und viel Rouge auf die Wangen. Es sah nicht einmal schlecht aus. Ich wollte einen Schönheitsfleck und bekam ihn – auf die rechte Wange zwischen Nase und Mund. In einem Kommödchen wühlte sie nach dem passenden karmesinroten Lippenstift. Den durfte ich immerhin selbst auftragen, das hatte ich auf der Junior High School gelernt. Aus einer anderen Schublade holte sie üppige Silberohrringe und das piece de resistance – einen Turban aus Silberlamée. Er verdeckte meine ordinäre Alltagsfrisur und machte aus der gewöhnlichen Rebecca die Kurtisane meiner Phantasien. Ich sah keineswegs aus wie eine Straßennutte. Eher wie eine hochklassige Lady von leicht zweifelhaftem Ruf. Über diesen Effekt war ich hocherfreut.
Elenas Haar war über der Stirn hochgesteckt und fiel im Nacken locker herab. Raffiniert, aber nicht sehr schön. Sie trug ein schlüpfriges Etwas aus schwarzem Samt, mit langen Armein und einem äußerst kurzen Rock. In dieser Nacht lernte ich, daß der Minirock in eleganten Etablissements nie aus der Mode gekommen war. Als einzige der filles de joie hielt ich meine Knie bedeckt, aber dafür hatte mein Rock einen Schlitz bis zur Taille.
Elena holte mich auf einen Sherry in die Küche, bevor die Gäste kamen. Dort saßen auch die anderen Hostessen bei Tee und anderen alkoholfreien Getränken. Ein Joint machte die Runde. Die Frauen waren Profis und wollten nicht nach Alkohol riechen. Elenas Kolleginnen Hilary, Renée und Stacy hatte ich schon als Anwältin vertreten. Sie stellten mich Kandi vor, die mit Nachnamen gut Floss oder Apple oder Kane hätte heißen können. Und falls sie Stephanie, Betsy oder Suzy Q hieß, würde ich mich auch nicht wundern. Sie war der Typ süßer Backfisch mit den Bewegungen einer erwachsenen Frau. Aufregend wie selbstgemachtes Karamel, luftig wie Zuckerwatte und sättigend wie Halwa. Nein, nichts davon traf auf Kandi zu: sie war ein Baiser. (Das ist nicht sexistisch gemeint, sondern nur eine Beobachtung: Ich selber bin ein Zimtherz, Parker ein englisches Toffee, Ex-Präsident Carter ein Mr. Goodbar-Riegel, Richard Nixon eine Lakritzstange, seine Frau Pat die Zuckergußrose auf einer Geburtstagstorte. Ich könnte ewig so weiterspinnen.)
Kandi hatte blonde Löckchen und eine Figur, die vor Selbstgefallen nur so vibrierte. Aber ich muß sie nicht genauer beschreiben, der Typ ist bekannt: die üppige, frühreife Schulschönheit, die es in jeder High School gibt; zum einen amerikanisches Durchschnitts-Girl, zum anderen das knospende Starlet, so leuchtend, so strahlend, daß einem die Augen wehtun. Nur daß Kandi das kleine Mädchen längst hinter sich gelassen hatte und zur Modell-Nutte geworden war. Sie trug ein aprikosenfarbenes, lang-ärmeliges Chiffonkleid mit einem kurzen wirbelnden Röckchen wie bei einer Eiskunstläuferin. Ausschnitt, Ärmel und Saum waren mit aprikosenfarbenen Federchen besetzt. Das Ganze saß wie angegossen.
Waren Hilary, Renée und Stacy im November in einem solchen Aufzug vor Gericht erschienen, sie hätten die Nacht im Kittchen verbracht. Hilary trug eine schenkelkurze, schnallenbesetzte Krankenschwesteruniform, die stämmige ältere Renée dagegen eine scharlachrote, glitzernde Wickelbluse mit breitem Gürtel und einen engen schwarzen Rock, der ihren opulenten Hintern zärtlich einhüllte und knapp überm Knie endete.
Stacy, kaum einsfünfzig groß und flachbrüstig wie ein Junge, hatte sich in ein weißgepunktetes Dirndl mit Peter-Pan-Kragen geworfen, das hinten von einer altmodischen kecken Schärpe zusammengehalten wurde. Dazu hatte sie sich Zöpfe geflochten, sie mit rosa Schleifchen verziert und sich Sommersprossen auf die Nase getupft.
Ich konnte Elena nur bewundern. Sie hatte mit sicherer Hand für alle Phantasien vorgesorgt: von Kandi, der High-School-Queen, bis zu Renée, der klassischen Nutte. Und dazu noch die geheimnisvolle Exotin: ich.
Den musikalischen Ablauf des Abends hatte ich folgendermaßen geplant: eine Mischung aus Scott Joplin, altmodischem Blues und für »neue« Pärchen wie Parker und mich ein paar romantische Evergreens, zum Beispiel ›These Foolish Things‹ oder ›As Time Goes By‹. Aber zuerst Scott Joplin, um Stimmung zu machen.
Die Lampen im Haus ließen sich über einen Dimmer steuern, und Elena hatte sie auf rosiges Schummerlicht eingestellt. Als ich mich an den Flügel setzte, kam Renée vorbei, und ich fühlte mich nach Paris versetzt, Place Pigalle, also begann ich mit ›Milord‹ anstelle des ›Maple Leaf Rag‹. Genau der richtige Empfang für die Gäste.
Die FDOs und ihre Damen kamen in kleinen Gruppen hereingerauscht, sich schüttelnd wie nasse Vögel. Sie drückten ihrer Gastgeberin das Regenzeug in die Hand und stürzten sich ins Vergnügen.
Alle waren in Partykleidung, die Männer in Anzug und Krawatte, die Frauen in Seidenfummeln, die viel Haut zeigten. Elena begrüßte die Gäste, während die vier anderen Champagner servierten – das einzig angemessene Getränk für ein Bordell. Immer wenn Kandi vorbeirauschte, hinterließ sie eine Wolke von Federchen, die mich zum Niesen brachte. Und prompt verspielte ich mich. Da ich zudem heftig das Pedal benützte, war es mir unmöglich, einen Hauch von Anstand zu wahren. Das Niesen und der Schlitz im Rock waren aber auch meine einzigen Kümmernisse. Von Zeit zu Zeit brachte mir jemand Champagner, und so war ich in blendender Stimmung, als Parker aufkreuzte.
Es war Zeit für eine Pause. »Irma La Douce, nehme ich an?« sagte er zur Begrüßung.
Ich erhob mich. »Gefällt mein Kostüm?«
»Das, was man davon sieht, auf jeden Fall.«
»Bin ich nicht fas-tzi-nierend?« Mit langem »tz« gesprochen.
»Tz-auberhaft«, antwortete er genauso. »Du siehst unerschwinglich aus, auf jeden Fall sehr teuer.«
Eine Hand auf der Hüfte, reckte ich die Brust vor: »Ich könnte dir ein gutes Angebot machen.«
»Rebecca!« Das war Stacy. Sie hielt ein silbernes Tablett mit Champagnergläsern. »Was haben wir denn hier? Stunde der Amateure?«
»Stacy, das ist Parker. Mein Typ für heute abend.«
Sie reichte uns Champagner und schwirrte ab. »Mandantin von dir?« fragte Parker.
»Hm. Die Huren erkennt man an der Kleiderlänge.«
Parker wirkte entsetzt. »Was ist denn schon dabei?« fragte ich. »Wir trugen doch alle Miniröcke vor einigen ...« Ich hielt inne, weil er nicht mehr zuhörte. Er war offenbar abgelenkt und blickte gebannt zur anderen Seite des Raums. Ich sah dort aber nur einen Haufen Leute, die sich Drinks nahmen von einem Tablett, das Kandi hielt.