Читать книгу Der Prinz und das Mädchen - Junia Swan - Страница 9
ОглавлениеAuf dem Weg vom Markt zu ihrem Zimmer, verzehrte Rana ein komplettes Fladenbrot. Da ihr Abendessen am vergangenen Abend ausgefallen war, vermochte sie nicht zu warten, bis sie ihr Heim erreichte. Während sie kaute, malte sie sich die Speisen aus, welche sie außerdem zubereiten wollte, und bog in ihre Straße ein. Es war kaum jemand unterwegs und die beigefarbenen von einer hellen Staubschicht überzogenen Pflastersteine, wirkten fast einladend. Eilig huschte sie in ihr Reich und legte die spärlichen Einkäufe auf den Tisch. Da klopfte es an die Tür. Augenblicklich erstarrte sie. Ihr Herz begann aufgeregt zu pochen und ihre Gedanken überschlugen sich. Wer konnte das sein? Hatte der Fremde sie verraten und der Wache des Königs einen Hinweis auf ihre Gesetzlosigkeit gegeben? Oh, Gott, was hatte sie getan, wieso vermochte sie ihr loses Mundwerk nicht zu halten? Weshalb hatte sie überhaupt so viel riskiert, um ihm zu helfen? Sie war eben eine unverbesserliche Weltverbesserin, die, wie es aussah, niemals aus ihren Fehlern lernte. Das hatte sie nun davon: Ihr war mittlerweile hundeelend und sie war schwach vor Angst.
Wieder klopfte es.
Es wäre sinnlos, es zu ignorieren und vorzugeben, nicht zu Hause zu sein. Zweifelsfrei hatte man sie dabei beobachtet, wie sie zurückgekommen war. Kauend und mit nichts als Essen im Kopf, weshalb sie nicht auf die wenigen Personen geachtet hatte, die auf der Straße herumlungerten.
Sie biss die Zähne zusammen und atmete tief aus, dann öffnete sie die Tür.
Ein edel gekleideter Mann stand vor ihr und taxierte sie herablassend, während sie fühlte, wie alles Blut in ihre Beine sackte. Es lag auf der Hand, dass er ein Gesandter des Königs war. Sein Haar war akkurat geschnitten und seine Gesichtszüge offenbarten seine ausgezeichnete Abstammung, noch bevor er ein Wort gesprochen hatte.
„Ja?“, fragte Rana mit dem letzten, ihr verbliebenen Mut und klammerte sich an den Türrahmen.
„Bist du die Nachtigall?“, begehrte der feine Herr zu erfahren und seine Aussprache war so vornehm und glatt, dass sie befürchtete darauf auszurutschen, wenn sie etwas erwiderte. Doch so schnell gab sie ihrer Angst nicht nach. Sie war eine Kämpferin und würde vor den Pfeilen seiner eindrucksvollen Überlegenheit nicht davonlaufen. In Gedanken hob sie ihr mächtiges Schild, geschmiedet aus Trotz und Kampfgeist, und entgegnete mutig: „Wer will das wissen?“
Er zog die Augenbrauen zusammen und wirkte dadurch überaus einschüchternd. Doch es war offensichtlich, dass seine Pfeile an ihrer Abwehr abgeprallt waren.
„Das geht dich nichts an. Beantworte meine Frage.“
Eine Attacke mit seinem Schwert und ihr Schild entglitt ihren Fingern. Rana schluckte und kämpfte gegen den Kloß in ihrem Hals an, der ihr zunehmend die Luft abschnürte.
„Ja“, wisperte sie.
„Dann komm mit mir.“ Er machte Anstalten, sich abzuwenden, weshalb sie schnell „Wohin? Und warum?“, hervorstieß.
Der einschüchternde Mann hielt mitten in der Bewegung inne und seine Gesichtszüge verfinsterten sich noch mehr. Ranas Hoffnung, dieser schrecklichen Situation zu entkommen, schwand. Zweifellos hatte sie der Fremde gestern belogen, als er ihr versichert hatte, seine Retter nicht zu verraten. Enttäuschung breitete sich in ihr aus und raubte ihr jegliche Kraft.
„Hör auf, Fragen zu stellen, und folge mir.“
Er klang überaus ungeduldig, machte in der nächsten Sekunde auf dem Absatz kehrt und setzte sich in Bewegung. Rana zog die Tür hinter sich zu und wankte ihm auf wackligen Beinen hinterher. Nie zuvor hatte sich der Weg durch diese Straße derart in die Länge gezogen wie in jenen Minuten.
Als sie einer königlichen Kutsche ansichtig wurde, die sie auf der Hauptstraße erwartete, befürchtete sie, vor Angst zu sterben. Man wollte sie doch nicht in den Kerker werfen und davor foltern? Sie hatte ja nichts gemacht! Nur ein paar unbedeutende Regeln gebrochen, um einem Verletzten zu helfen. Daraus würde man ihr sicherlich keinen Strick drehen! Da fiel ihr wie Schuppen von den Augen, dass sie ihren Mund nicht gehalten hatte und dem Geschundenen, als würden ihre sonstigen Vergehen nicht ausreichen, um sie zu belasten, auch noch von ihrem Broterwerb erzählt hatte. Wie dumm sie doch war! Wie ausgesprochen leichtsinnig! Nun musste sie dafür bezahlen.
Zitternd und innerlich wie gelähmt, ließ sie sich ohne Gegenwehr in die Kutsche helfen und sank auf eine angenehme und weich gepolsterte Sitzbank. Unbewusst schlang sie die Arme um ihren Oberkörper und senkte den Kopf, in dem die Gedanken wie ein Orkan durcheinanderwirbelten. Warum holte man sie außerdem mit einem derart vornehmen Gefährt ab und nicht mit einem Karren? Weshalb begleitete sie dieser Mann und nicht die Wachen des Königs? Was hatte das zu bedeuten? Verlor sie jetzt den Verstand und träumte sich in eine unrealistische Welt, um die Gegenwart ertragen zu können? Plante man unbeschreiblich Schreckliches mit ihr, weswegen man alles daran setzte, zu vertuschen, dass man sie verschleppte? Oh, Himmel, was geschah hier? Was hatte sie getan? Würde sie heute noch hingerichtet werden?
Wäre Rana nicht dermaßen in ihrer Furcht gefangen gewesen, hätte sie festgestellt, dass sie nie zuvor so komfortabel gesessen war.
Nur nebenbei gewahrte sie, dass ihr Häscher sich ihr schräg gegenüber niederließ. Mit einem Ruck setzte sich das Gefährt in Bewegung und sie bemerkte aus dem Augenwinkel, dass er seine Aufmerksamkeit ins Freie lenkte.
Schweigend verstrichen die Minuten und Ranas Verzweiflung steigerte sich. Als sie die Ungewissheit ihre Zukunft betreffend nicht länger ertrug, sank sie vor ihm auf die Knie und umfasste die Unterschenkel ihres Peinigers. Unwillig wandte er sich ihr zu, beugte sich vor und versuchte, sie abzuschütteln.
„Bitte, ich tue alles, wenn Ihr mich verschont!“, flehte sie. „Bitte, lasst mich laufen!“
Sein Mund verzog sich abfällig. „Nimm deine Finger von mir, du üble Gestalt! Lass dir ein für alle Mal gesagt sein, dass es für dich keinen Ausweg gibt. Der Prinz wünscht, dich zu sehen.“
„Der Prinz?“ Alle Farbe wich aus Ranas Wangen und sie befürchtete, in Ohnmacht zu fallen. „Oh, bitte nicht! Was will er denn von mir?“
„Das weißt du genau.“
„Nein!“, stieß sie hervor und war nicht länger in der Lage, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. „Ich habe nichts Unrechtes getan!“
„Hast du doch und du bist dir dessen bewusst! Und jetzt setze dich auf deinen Platz und nimm deine dreckigen Finger von mir!“
Schluchzend kam sie seinem Befehl nach und barg ihr Gesicht in ihren Händen.
„Bitte lasst mich laufen! Ich verspreche, ... ich verspreche, dass ich Euch immer kostenlos zur Verfügung stehen werde, wenn Ihr mir die Freiheit schenkt!“
Er lachte auf, höhnisch, abfällig und abgehackt – es klang wie Schläge, die er auf sie prasseln ließ und ihr wurde eiskalt.
„Denkst du, eine verlauste Person, wie du, führt mich in Versuchung, den Prinzen zu hintergehen?“
Da schüttelte sie vernichtet den Kopf. Ihr war es ja nicht einmal gelungen, jenen Mann, dem sie geholfen hatte, davon zu überzeugen, sie nicht zu verraten. Und dieser war ein Spieler, ein Betrüger gewesen. Der feine Herr ihr gegenüber war indessen von edlem Stand.
„Dann sind wir endlich einer Meinung“, stellte er ungerührt fest und Rana sank weiter in sich zusammen.
Aufgrund ihres Kummers entging der jungen Frau, dass sich die Landschaft veränderte. Die kargen Felsen ihrer Heimat wichen üppigem Grün, das satt in der Sonne leuchtete. Palmen warfen willkommene Schatten, die berührungslos über den Grund strichen, wenn die Wedel sich im Wind bewegten. Ein dunkelblaues Himmelsgewölbe spannte sich über dem malerischen Gebiet wie die Kuppel eines herrschaftlichen Palastes.
Als Rana vor einem weitläufigen, prunkvollen Gebäude Stunden später aus der Kutsche stieg, meinte sie, in eine andere Welt geraten zu sein. Verwirrt suchte sie den Blick ihres Entführers, doch der ignorierte sie und schritt ihr steif voran. Nicht ein einziges Mal vergewisserte er sich, dass sie ihm folgte. Rana war überzeugt davon, zu träumen. Weshalb brachte man sie an einen Ort wie diesen, wenn man sie bestrafen wollte? Sie hatte zweifellos den Verstand verloren. So fühlte sich das also an.
Der Boden im Inneren des Prunkbaus war mit weißem Marmor verkleidet, an den Wänden hingen kunstvoll gerahmte Bilder, goldene Käfige mit paradiesisch buntgefiederten Vögeln standen auf Tischen oder eigens dafür errichteten Goldgestellen. An den Decken erstreckten sich Gemälde und Muster aus winzigen Mosaiken. Bogenfenster ermöglichten einen ausgezeichneten Blick auf liebevoll angelegte Gärten. Rana blinzelte. Warum hatte man sie hierher gebracht? Was hatte sie hier zu suchen? Das konnte unter keinen Umständen ein Gefängnis sein.
Sie durchschritten unzählige Gänge und traten aus dem hinteren Teil des Palastes wieder ins Freie. Ein breiter Kiesweg schlängelte sich zwischen Blumenbeeten hindurch, teilte sich und der edle Herr schlug den rechten ein, welcher wiederum vor dem hohen Tor eines weiteren Gebäudetrakts endete. Dieses öffnete sich wie von Geisterhand und eine vornehme Frau geriet in ihr Blickfeld.
„Geh mit Zan Merizadi und tu, was sie dir sagt“, befahl der Mann und Rana nickte überwältigt.
„Komm mit“, forderte die feine Dame Rana auf und setzte sich in Bewegung.
Das fließende Kleid ihrer Führerin umspielte bei jedem Schritt ihre Knöchel und wehte um ihren Leib, als wollte es einerseits die darunter verborgenen weiblichen Rundungen kaschieren und zugleich hervorheben, indem es sich bei der nächsten Bewegung eng daran schmiegte. Ein zartes Parfum hing in der Luft und Rana war mittlerweile überzeugt davon, die Realität verlassen zu haben. Inbrünstig hoffte sie, niemals zu erwachen. Hier war es tausendmal schöner als in dem heruntergekommenen Viertel ihrer Heimatstadt.
Wieder traten sie ins Freie und schritten erneut einen Kiesweg entlang, der sich ebenso teilte. Diesmal eilten sie geradeaus weiter, bis sie vor einem kleinen, bezaubernden, geschlossenen Pavillon, mit einem Kuppeldach, welches türkis schimmerte, hielten. Ein Diener öffnete für Zan Merizadi die Tür und diese führte Rana in einen großzügigen, verschwenderisch eingerichteten Innenraum. Sofas mit dicken Polstern standen um einen Glastisch mit goldenen Klauenfüßen. Riesige Sitzkissen mit Quasten aus Goldfäden lagen auf weichen Teppichen verstreut. Sie drückte gegen eine weitere Tür und sie betraten ein luxuriöses Bad, in dessen Mitte ein ovales Becken, ausgekleidet mit bunten, kleinen Fliesen, die das Wasser funkeln ließen, eingelassen war.
„Dieses Bad teilst du dir mit den anderen Frauen“, erklärte sie und winkte ein Mädchen herbei, welches sofort zu ihnen kam.
Mit großen Augen sah sich Rana um und atmete den angenehmen Duft tief ein, der wie Nebel von der Wasserfläche aufstieg.
„Das ist Miriam, deine persönliche Dienerin. Sie wird dir helfen.“
Bevor Rana begriff, was hier eigentlich geschah, begann das Mädchen ihr Kleid zu öffnen.
„Aber ... aber, warum bin ich hier?“, rief sie der älteren Frau, die Anstalten machte, sich zurückzuziehen, hinterher.
Ein letzter Blick über ihre Schulter. „Von nun an wohnst du hier“, erklärte sie und streckte sich nach der Tür aus.
„Was? Aber ... ich verstehe das nicht ...“
„Prinz Aren hat es angeordnet. Seine Anweisungen werden nicht in Frage gestellt. Findet Euch damit ab.“ Anmutig wandte sich Zan Merizadi ab und verließ den Raum.
„Das wird mir nicht schwerfallen“, murmelte Rana und sträubte sich nicht, als Miriam ihr das Kleid von den Schultern zog und es auf den Boden fallen ließ.
Obwohl sie sich darüber freute, nicht ins Verlies gesperrt worden zu sein, überlegte sie, weshalb ausgerechnet der Prinz ein Interesse daran hatte, ihr zu helfen. Sie vermutete, dass sie unwissentlich einen seiner Freunde gerettet hatte - es war die einzig sinnvolle Erklärung für seine Großzügigkeit. Bevor jener in der Früh aufgebrochen war, hatte er ihr feierlich versprochen, sie für ihre Hilfe zu entlohnen. Nicht in ihren kühnsten Träumen hätte sich Rana eine Entschädigung dieser Art vorgestellt. Die Erleichterung, ihrem tristen Leben und einer verdienten Strafe entronnen zu sein, schwächte sie und sie ließ sich dankbar ins Wasserbecken sinken.