Читать книгу Das Ding – Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl - Jurgen Neffe - Страница 7

1 GESTRANDET

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Meine letzte Reise nach Amerika gleicht einem Albtraum nach fiebrig durchwachter Nacht. Er will nicht enden, bevor ich mir über meine Vergehen nicht Rechenschaft abgelegt habe. Alles, was ich darüber zu sagen habe, werde ich wahrheitsgemäß zu Papier bringen. Ich greife hierfür auf Notizen zurück, die ich während meiner Gefangenschaft in feiner Bleistiftschrift zwischen den Zeilen eines Buches gemacht habe.

Die Überschrift – »Fake Life« – habe ich erst korrigiert, als ich wieder frei war. So jedenfalls will es mein Gedächtnis. Nun steht dort stattdessen, was Brenda mir bei meiner Entlassung nachgerufen hat: »You German Psycho!«

Ich bedauere selbst, wie unser beider Geschichte zu Ende gegangen ist. Die Verantwortung für ihren Teil trägt allein sie. Oder anders gesagt: das System, dem sie zu Diensten steht. Mir bleibt nur die Hoffnung, sie möge das Folgende einmal zu Gesicht bekommen und mich dann besser verstehen.

Ich sitze im New Yorker Kennedy-Airport fest. Hinter mir liegen neun Stunden Atlantiküberquerung und weitere fünf im Berliner Flughafen, weil sich unser Start verspätet hat. Im Flugzeug saß neben mir ein Mann in meinem Alter. Nicht freundlich, nicht unfreundlich, sondern einfach nur vorhanden. Während des Fluges sagte er kein einziges Wort. Hin und wieder starrte er auf den Monitor, der unsere Reiseposition anzeigte. Zwischendrin bettete er seinen Kopf auf dem Klapptisch vor sich und fiel in leichten Schlaf. War er weggedämmert, warf er sich von der einen auf die andere Seite.

Damit hätte ich leben können. Doch der Mann stank unsäglich nach Unterarmschweiß. Mit jeder Bewegung schickte er seinen atemraubenden Geruch auf die Reise. Mir wurde übel. Ich musste mich aus dem Stutzen über mir stoßweise mit frischem Wind versorgen. Als ich es nicht mehr aushielt, bat ich ihn aufzustehen. Mit Stift und Buch begab ich mich in den Heckbereich.

Die Flugbegleiter zeigten sich nachsichtig. Sie überließen mir sogar einen Notsitz. Eine von ihnen erkundigte sich nach meinem Lesestoff. Ich zeigte ihr das Buch und fasste kurz den Inhalt der »Deutschstunde« von Siegfried Lenz zusammen: Das Malverbot gegen einen Künstler durch die Nazis, seine gnadenlose Durchsetzung seitens des pflichtversessenen Dorfpolizisten, seines alten Freundes, aufgezeichnet von dessen Sohn Siggi als Strafarbeit im Schularrest.

Etwa zwei Stunden vor der Landung gerieten wir in Turbulenzen. Der Pilot ließ die Anschnallzeichen aufleuchten. Die Flugbegleiterin bat mich, meinen Platz wieder einzunehmen. Ich erklärte ihr, das sei mir kaum möglich, und nannte ihr den Grund. Tatsächlich ging sie los, blieb vor meiner Sitzreihe stehen, schüttelte den Kopf, nickte mir zu und verschwand in der Businessklasse.

Wenig später kehrte sie zurück und bot mir an, dort für den Rest des Fluges Platz zu nehmen. Somit verdankte ich dem Stinker ein Upgrade mit üppiger Mahlzeit auf weiß gedecktem Tischchen. Während die Touristenklasse im hinteren Pferchbereich im Plastik stocherte, speisten wir vorne mit Besteck aus Edelstahl. Im Andenken an den unerwarteten Luxus ließ ich einen Löffel in meinen Rucksack gleiten.

Nach der Landung am späten Nachmittag, die vorderen Gäste steigen zuerst aus, versuche ich mit schnellen Schritten die Passkontrolle zu erreichen. In der gewaltigen Halle mit der Schalterbatterie muss ich mir die Sinnlosigkeit meiner Eile eingestehen: Abertausende stehen an. Ich zähle die Reihen im Zickzackparcours. Nach der ersten Kehre berechne ich die Restzeit auf vier Stunden. Am Ende sind es nur drei.

Fluggäste mit amerikanischen Papieren nutzen eine gesonderte Abfertigung. Sie benötigen kaum mehr als fünf Minuten für die Prozedur. Ich trotte im Tross der EU-Pässe, lausche der Vielfalt der Sprachen unseres schönen alten Kontinents, sehe in erschöpfte Gesichter, ertrage quengelnde und tobende Kinder.

Irgendwann fühle ich mich wie ein Stück Vieh auf dem Weg zum Schlachter. Das Warten auf den sicheren Tod kann schlimmer sein als der Tod selbst. Zumal mich eine unbestimmte Angst beschleicht. Ich habe sie bereits beim Ausfüllen der Einreiseformulare vor ein paar Wochen verspürt.

»Gehören Sie einer terroristischen Vereinigung an?« Welcher gestandene Terrorist würde das mit »Ja« beantworten? »Sind Sie Kommunist?« Wäre ich es, würde ich es verschweigen. Aber was, wenn sie es wüssten? Dann hätten sie mich wegen falscher Angaben am Wickel. Und dazu noch der Löffel.

Der Schlachter erweist sich als Schlachterin, eine afroamerikanische Schönheit, die gerade hinter ihrem Schalter Platz genommen hat. Ein flüchtiger Blick in ihr ebenmäßiges Gesicht lässt sie wie dreißig erscheinen. Die Haut ihrer Hände verrät, dass sie deutlich älter ist.

»Fingerabdrücke!«, herrscht sie mich an und zeigt gestenreich auf das Gerät zwischen uns. Als hätten Europäer noch nie einen Touchscanner gesehen. »Rechter Daumen!« Sie ist offenbar mit dem Vorsatz zum Dienst erschienen, sich keine Freundlichkeit nachsagen zu lassen. »Noch mal von vorn!«

Mir ist nicht klar, ob sie sich mehr über die mangelnde Qualität meiner Fingerkuppen oder das widerspenstige Innenleben ihrer Apparatur ärgert. Das Gerät scheint seinen eigenen Messungen zu misstrauen und bricht den Vorgang immer wieder ab.

Immerhin verstehe ich jetzt, warum es vorher nur im Schneckentempo voranging. Zehn Minuten für zwei Hände. Um auf diese Weise die gesamte Menschheit zu erfassen, bräuchten sie mehr als hunderttausend Jahre. Rechnen beruhigt mich.

»Nehmen Sie Ihre Mütze ab!« Ich soll mein Gesicht mit kahlem Schädel vor eine Kameralinse halten. Sie spricht mich mit meinem Namen an. Eigentlich dürfte sie ihn noch gar nicht kennen. Mein Pass liegt zugeklappt auf der Schaltertheke.

Ich reime mir das so zusammen: Sie haben die Passagierlisten und wissen, wer wann mit welchem Flug ankommt. Die Listen gleichen sie mit den Passbildern der Visumsanträge ab. Danach müssen sie nur noch die Gesichtserkennung aktivieren. Schon nach dem Verlassen des Flugzeugs sind mir die vielen Überwachungskameras aufgefallen. Damit haben sie alles beisammen, was sie brauchen. Grenzen machen Menschen gläsern.

Die schöne Strenge mustert mich eingehend. Zum kurzärmeligen dunkelblauen Uniformhemd mit dem Wappen der U.S. Customs and Border Protection trägt sie hellblaue Latexhandschuhe. Im linken hält sie mein Ausweisdokument, der rechte tippt auf eine Tastatur. Dabei gehen ihre Blicke zwischen mir, dem Papier und dem Bildschirm hin und her.

»Was ist der Zweck Ihres Besuches?« – »Ich treffe einen alten Freund.« – »Ist das alles?« – »Ich werde sicher auch in Ausstellungen gehen«, gebe ich zu Protokoll, »in Buchhandlungen, meine alte Wirkungsstätte besuchen.« – »Können Sie mir das näher erläutern?« – »Ich habe Ende der Neunzigerjahre in New York gelebt.« – »Nach meinen Informationen waren Sie Korrespondent eines Nachrichtenmagazins und hatten ein Journalistenvisum im Pass. Warum finden wir nichts Entsprechendes in Ihrem aktuellen Dokument?« – »Weil ich meinen Beruf vor fünfzehn Jahren aufgegeben habe.« – »Sie veröffentlichen weiter Texte in deutschen Zeitungen.« – »Hier und da auch in ausländischen.« – »Ihr Artikel über Karl Marx in der Los Angeles Times liegt uns vor.« – »Der geht auf meine Biografie über den Mann zurück.« – »Er bestärkt uns in der Annahme, dass Sie uns den wahren Grund Ihrer Reise noch nicht genannt haben.«

Ihr »wir« beunruhigt mich. Wenn ich nur wüsste, was »ihr« alles über mich wisst. Ich habe mich für amerikanische Provider möglichst unsichtbar gemacht, von sozialen Netzwerken und Kurznachrichtendiensten ferngehalten, mich jeglicher Form von Spracherkennung verweigert, der Verlockung von Cloud-Diensten widerstanden, Online-Einkäufe gemieden und die Kameras meiner Geräte blind gemacht. Für meine elektronische Post nutze ich einen deutschen Anbieter und verwende nur unabhängige Browser und Suchmaschinen, um möglichst keine Spuren auf Servern in den USA zu hinterlassen.

Vielleicht hat mich gerade das bei den Amerikanern verdächtig gemacht. Weil es so aussieht, als hätte ich vor ihnen etwas zu verbergen. Habe ich in gewisser Weise ja auch, wenn ich ehrlich bin. Sieht mir die Uniformierte das an? Oder weiß sie es längst? Wäre sie umgekehrt nur nicht so undurchschaubar.

Bislang habe ich nicht ein einziges Mal die Unwahrheit gesagt. Aber auch nicht die ganze Wahrheit. War das schon eine Lüge? Oder nur eine Lücke, die sich schließen ließe, falls erforderlich? Vielleicht hätte ich einfach sagen sollen: »Ich liebe diese Stadt wie keine andere. Deshalb zieht es mich von Zeit zu Zeit hierher.« Ist ja irgendwie wahr. Aber wahr genug?

Ich versuche es auf die persönliche Tour. »Sagen Sie, Brenda.« Ihren Vornamen weiß ich, seit der Kollege in der Nachbarbox sie so begrüßt hat. Die Plakette auf ihrer Brust weist ihren Familiennamen als Lee aus. »Was wollen Sie eigentlich von mir?« – »Das habe ich Ihnen doch gesagt. Wir wollen wissen, was Sie während Ihres Aufenthaltes in den USA vorhaben.«

Ich kann mich eigentlich gut an solche Situationen anpassen. Jedoch weigere ich mich, Menschen zu gehorchen, die nur meinen Gehorsam erleben wollen. Das gilt besonders für Uniformierte, die ihre Macht aus der Verkleidung ableiten. Sie schaffen es immer wieder, mir Sätze zu entlocken, die ich besser nicht gesagt hätte. Freunde haben mich oft gewarnt, mein Verhalten gegenüber Amtspersonen könne als Arroganz aufgefasst werden.

Dass aus Ms Lee und mir keine Freunde mehr werden, dürfte uns beiden bald klar sein. Dass die ebenso zarte wie zähe Beamtin mir alles, was ich als älterer weißer Europäer äußere, kritisch auslegen könnte, hätte ich ahnen müssen. Als mir dann der Kragen platzt, ist es zu spät für die Einsicht, auch dieses provozierte Ausrasten könnte zu ihrer Strategie gehören.

Mein verbaler Kontrollverlust dauert nur wenige Sekunden. Doch in denen sage ich einen Satz, wie ihn nur der Frust diktieren kann: »Ich habe ein Geschenk für Ihren Präsidenten dabei.« – »Sie haben WAS!?« – »Ein Geschenk für Ihren Präsidenten. Das würde ich ihm gern persönlich vorbeibringen.«

Der Satz ist so fatal wie wahr. Ihre Augen blitzen auf. Ich bilde mir sogar ein, darin ein Gemenge aus Zorn und Frohlocken zu erkennen. Oder auch nur Genugtuung. Weil sie einen fetten Fang an ihrer Angel glaubt. Oder besser: im Griff ihrer Gummihandschuhe, die temporeich tippen.

Was Dummheiten beim Überschreiten von Grenzen betrifft, muss ich zugeben, Wiederholungstäter zu sein. Als mich vor ein paar Jahren ein Zollbeamter in Heathrow fragte, ob sich in meinem Gepäck Lebensmittel oder Waffen befänden, sagte ich trocken: »Nichts weiter, nur eine Bombe.« Der Fall ging glimpflich für mich aus. Der Mann bewies britischen Humor und erkundigte sich mit einem Augenzwinkern nach der Natur des Sprengkörpers. Es handele sich, gab ich an, um eine geistige Bombe. Ob ich ihm die einmal zeigen könne, fragte er ausgesucht höflich. Ich öffnete meinen Koffer und zog einen Wälzer hervor. Darwins »Entstehung der Arten«. Da lachte er und ließ mich ziehen.

Darauf darf ich bei Brenda nicht hoffen. Schon drückt sie einen Telefonhörer an ihren Kopf, schon bittet sie einen Bob, zu ihr zu kommen, schon lerne ich Bob kennen, ihren Vorgesetzten, schon fordert mich Bob auf, ihm zu folgen. Auf den ersten Blick ein netter Herr in Uniform, etwa mein Alter.

Er lässt mich im Glauben, es gehe um eine reine Formsache. Tatsächlich will er nur vor den Wartenden im Einreisesaal kein Aufsehen erregen und drängt mich in die Katakomben jenseits der öffentlichen Wahrnehmung. Kaum haben wir den Funktionsraum zur Leibesvisitation erreicht, zieht er andere Saiten auf. Er nimmt mir den Rucksack mit Laptop und Tablet ab, verlangt mein Mobiltelefon sowie den übrigen Inhalt meiner Jacken- und Hosentaschen.

Bob – sein Namensschild kennt ihn als Mr Delaney – weist mich auf mein Recht hin, über die Amtsleitung ein Telefonat nach »außen« zu führen. Er rät mir aber davon ab, meine Familie oder Freunde anzurufen. Die könnten mir ohnehin nicht helfen. Stattdessen empfiehlt er eine Anwältin, die sich auf »Fälle wie meinen« spezialisiert habe. Sie habe am Ende noch jeden hier »rasch und reibungslos rausgeholt …« – er legt eine Pause ein – »… der sich nichts hat zuschulden kommen lassen«.

Ihre Nummer ist in seinem Dienstapparat eingespeichert. Nach kurzem Läuten vernehme ich eine weibliche Stimme, die sich nach meinem Anliegen erkundigt. Ich überlege kurz, wie sich meine Lage auf Englisch beschreiben ließe. »I am stuck«, sage ich dann mit stummem Fragezeichen. – »Ich verstehe«, gibt sie zurück. »Aber das höre ich von allen, die sich hier melden. Könnten Sie mir Ihren Fall ein wenig genauer schildern?« – »Dazu müsste ich weiter ausholen.« – »Kein Problem.«

Sie klingt fast erleichtert. »Ich stelle Sie zu unserem Aufzeichnungsdienst durch und lasse mir das Protokoll später vorlegen. Lassen Sie sich ruhig Zeit.« Ich höre ein zartes Schnalzen, dann macht es mehrfach klick und einmal piep, schließlich schnarrt eine Automatenstimme in mein Ohr: »Please start your recording now.« Augenblicklich lege ich auf.

Mr Delaney sage ich, nur einen Anrufbeantworter erreicht zu haben. Er lässt es mir durchgehen, obwohl er den tatsächlichen Hergang mit Sicherheit kennt. Ich sehe es an seinem Schmunzeln. Immerhin glaubt er jetzt zu wissen, woran er bei mir ist.

Er führt mich zu einem Warteraum. Geistesgegenwärtig bitte ich ihn um mein Buch und den Druckbleistift zwischen den Seiten. Mit demonstrativer Großmut willigt er ein.

Das Ding – Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl

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