Читать книгу Das Ding – Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl - Jurgen Neffe - Страница 9

3 KÖNIG VON NEW YORK

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Seine Häuser hatte ich vorher, bei unserem ersten Zusammentreffen, schon einmal versammelt gesehen, ohne sie allerdings entsprechend zu würdigen. Sie rahmten, als Dekoration aus Sperrholz oder Hartpappe, seine Geburtstagstorte.

Ich wurde Zeuge, wie er mit prallen Backen fünf schlanke, weiße Kerzen ausblies. Dabei beugte er sich über eine ausgestanzte Superman-Figur, der man seinen Kopf aufgesetzt hatte. Auf die Brust war statt des gerahmten »S« ein rotes Dollarzeichen auf den gelben Grund gemalt.

Der Jubilar trug zu seinem Fünfzigsten einen auffällig dunkelblauen Anzug, vermutlich wie üblich von Brioni, dazu eine rotschwarz gestreifte Krawatte auf weißem Hemd. Blendend sah er aus, und so schien es ihm auch zu gehen. Er hatte auch allen Grund zur guten Laune. Vor Kurzem hatte er es nach sechsjähriger Verbannung wieder auf die Forbes-Liste der reichsten Amerikaner geschafft.

Ich verglich ihn mit dem Dreijährigen, dessen Foto auf die Einladungskarte gedruckt war. Schon damals der breite Schädel, am bulligsten unterm Dach, das sein entschlossenes Gesicht fast klein erscheinen ließ. Darüber das gescheitelte Blond, mittig noch beim Kind mit seinen zarten Zügen, in die ein hartes Mienenspiel im Laufe der Jahrzehnte die bekannten Formen und Falten eingeschrieben hat. Die engelhaft aufgeschwungenen Brauen, in jenen Tagen schon buschig, aber noch nicht ins Bedrohliche von heute verfinstert. Und dann die Augen, denen das Leben über die Zeit jeden Ausdruck von Arglosigkeit ausgetrieben hat. Ich sah, wie aus einem weichen, dicklippigen Bubenmäulchen ein ironisch frech verspielter, harter, angriffslustiger Mund werden kann.

Die Einladung hatte ich bei meinem Dienstantritt unter Dutzenden anderen vorgefunden. Sie war ursprünglich an meinen Vorgänger adressiert. Sein Name war durchgestrichen und meiner per Hand darübergesetzt. Sie war also nicht an mich persönlich gerichtet, sondern an meine Funktion.

Korrespondenten bedeutender Blätter können täglich zwischen etlichen Möglichkeiten wählen, ihre Abende mit fremden Menschen zu verbringen, indem sie die Veranstaltungen bekannter Menschen besuchen. Meine Büromanagerin und ihre Mitarbeiterinnen, erfahren im New Yorker Event-Geschäft, waren sich einig, der Geburtstag sei der attraktivste Termin an diesem Abend.

Dort habe ich dann viel über die Stadt und jene Sorte ihrer Bewohner gelernt, die auf solchen Einladungslisten stehen. Und über die unerbittlichen Regeln, die das gesellschaftliche Leben im örtlichen Establishment fast so streng bestimmen wie die Etikette im achtzehnten Jahrhundert.

Meine Begleiterin trug ein helles wehendes Sommerkleid, sie sah bezaubernd aus. Frauen genießen an solchen Abenden bei der Garderobe einen unschätzbaren Vorteil, gemessen an der strengen Kleiderordnung für Männer. Ich hatte mich für den schwarzen Zweiteiler aus gekämmter Baumwolle entschieden. Meine handgefertigten Schuhe aus poliertem schwarzem Leder trage ich zu solchen Anlässen seit meiner Zeit in London, wo sie zur Grundausstattung des Gentleman gehören.

Ich band meine weinrote Fliege, die sich bestens mit dem gestärkten Kragen meines blütenrein weißen Hemdes vertrug. Im Spiegel sah ich einen Mann, den man problemlos auf die Geburtstagsfeier eines Immobilienmoguls schicken konnte.

Trotz der drückenden Schwüle schlug ich vor, den Weg zu Fuß zurückzulegen. Drei Blocks quer, das sei doch genau die passende Bewegung vor dem Fest. Schon nach einem klagte meine Begleiterin, ihre Schuhe drückten unerträglich. Es waren Stöckelschuhe, so nannten wir da noch High Heels, was die Sache nicht besser machte. Als wir die Fifth Avenue erreichten, hatte sie sich Blasen gelaufen. Am liebsten hätte sie ihre Schuhe in den Wind geschossen. Das ging aber gerade nicht. Am Eingang zum Tower drängten sich Dutzende entlang des roten Teppichs.

Die meisten Eingeladenen schienen das zu genießen. Sie ließen sich in ihren Limousinen vorfahren und nahmen sich ausgiebig Zeit, bestaunt, bejubelt und fotografiert zu werden. Wir Leute aus dem gemeinen Volk kamen zu Fuß und hatten weder Lust auf das Gehabe, noch hätten wir als Unbekannte Anlass geboten, uns über Gebühr begaffen zu lassen.

Also beschleunigte ich meinen Schritt und schlängelte mich auf der Überholspur an den Berühmten und Bewunderten vorbei. Was gar nicht nötig gewesen wäre, da gerade die Oberweite von Pamela Anderson im Blickpunkt der Schaulust stand.

In meinem Eifer ließ ich meine Begleiterin zurück, die mit ihren wehen Füßen nicht mithalten konnte. Ich sehe noch heute vor mir, wie ungalant, geradezu rüpelhaft das auf die Umstehenden gewirkt haben muss. Die Rache des Schicksals sollte bald folgen. Kaum war der Spießrutenlauf beendet, bekam ich eine Lektion in Sachen Kleiderordnung.

Am Eingang spielten ein Geigentrio und ein Pianist. Kellner erwarteten die Gäste mit Champagner und frischen Erdbeeren. Ich entschuldigte mich bei meiner Begleiterin für den langen Fußweg und mein unmögliches Betragen. »Ist gut, lass uns den Abend genießen.« Wir stießen an und fanden einen Platz, von dem aus sich die Neuankömmlinge bestens beobachten ließen.

Unter den wenigen Farbigen fielen uns Eartha Kitt und David Dinkins auf, beide bald siebzig. Sie war als Sängerin, Schauspielerin und Königin der Nachtclubs berühmt geworden, er als erster afroamerikanischer Bürgermeister der Stadt. Ob dessen Nachfolger Rudolph Giuliani unter den Gästen war, wie mir mein Gedächtnis vorgaukeln will, kann ich nicht mehr mit Sicherheit sagen.

Unsere Gläser waren inzwischen ausgetrunken. Wir warteten auf eine Servierkraft mit Nachschub. Da kam der erste Gast auf uns zu und drückte mir seine leere Champagnertulpe in die Hand. Ein wenig verdattert nahm ich sie an. Weitere Besucher schickten sich an, seinem Beispiel zu folgen. Als sich endlich Kellner näherten, erkannte ich meinen Irrtum. Nur sie trugen Fliege, alle anderen Männer Krawatte. Wir waren auf einer Party, nicht auf einem Ball.

Allein die Kragenschleife hatte als Signal genügt, mich dem Dienstpersonal zuzurechnen. Und das, obwohl mir deren viel auffälligeres Merkmal fehlte, die weißen Handschuhe. Meine Begleiterin, die schon vorher Zweifel angemeldet hatte, ob ein Querbinder dem Anlass angemessen sei, vergaß in ihrer Belustigung sogar ihre wehen Füße.

Das Atrium hatte ich während eines früheren Aufenthalts in New York schon einmal aufgesucht. Mein Reiseführer hatte es als Muss unter den Touristenattraktionen empfohlen. Niemand, der es je betreten hat, wird den fünfundzwanzig Meter hohen Wasserfall vergessen. Und auch nicht sein sanftes Rauschen über die vorstehenden Kanten des lachsfarbenen italienischen Marmors, der den gesamten fünfstöckigen Bereich auskleidet. Daneben dominieren, außer dem vielen Glas, kupfergolden spiegelnde Metallflächen.

Die Halle erinnerte an ein schmuckes Kaufhaus ohne nennenswerte Verkaufsflächen. Tatsächlich beherbergte sie nur ein paar Shops der gehobenen Sorte. Eine Rolltreppe fuhr aufwärts, die andere nach unten. Sie wurde weltbekannt, als Trump zwei Jahrzehnte nach unserem Besuch an der Seite seiner dritten Ehefrau symbolträchtig zu den wartenden Reportern hinabglitt, um seine Kandidatur für das Amt des Präsidenten zu verkünden.

An jenem Abend hatten die Läden geschlossen. Die Gaststätten wurden für die Party genutzt. An den Wänden hingen, eigens für seinen Ehrentag angefertigt, übergroße Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die Donny als Kleinkind zeigten. Mal auf dem Dreirad, mal in der Badewanne, mal inmitten seiner Konfirmandengruppe.

Der Jubilar ließ es sich nicht nehmen, jeden der etwa vierhundert Ehrengäste persönlich zu begrüßen. Ich stellte ihm zunächst meine Begleiterin vor. Er ließ die Augen nicht mehr von ihr. Ich selbst, so versuchte ich seine Aufmerksamkeit wieder auf mich zu lenken, verträte das wichtigste Nachrichtenmagazin Deutschlands. Seinem Nicken zufolge kannte er es. Ich sei erst seit zwei Wochen hier, der neue Mann in New York.

Ich gratulierte ihm zum runden Geburtstag. Zuerst auf Englisch, dann auf Deutsch, was ihm augenscheinlich gefiel. »Ich liebe Deutschland«, sagte er, »ein großartiges Land.« Ob ich denn wisse, dass sein Großvater väterlicherseits aus der Pfalz eingewandert sei. Ich bejahte, er grinste.

Von unserer ersten Begegnung blieb mir nur sein Sonntagslächeln. Und sein fester, aber keineswegs harter Händedruck. Für einen Mann seiner Statur besaß er eher kleine Hände. Jedenfalls keine Pranken. Das Gewebe war teigig, die Haut angenehm geschmeidig. Körperliche Arbeit schien ihnen fremd.

Die Feierlaune veranlasste mich zu der Bemerkung, ich selbst hätte gerade einen runden Geburtstag begangen, kurz vor seinem. Zwischen uns lägen genau zehn Jahre und neun Tage. Deswegen würde ich sein Datum nie wieder vergessen. Er zeigte sich erfreut und nahm noch einmal meine Hand in seine. So etwas hatte ihm an diesem Abend wohl noch keiner gesagt.

Mir bedeutet die runde Zahl an sich nichts, jedenfalls nicht mehr als alle anderen. Ich begehe jeden Geburtstag so, wie ich es seit Kindertagen kenne. Unter den sechs Ehrentagen unserer Familie ragte meiner immer heraus. Weil ich, so meine Eltern, nach meiner Geburt wegen multipler Organschwäche dem Tod geweiht gewesen sei. Die Ärzte hätten mir kaum Überlebenschancen eingeräumt.

All das weiß ich natürlich nur aus Erzählungen. Das biografische Gedächtnis beginnt immer mit Hörensagen. Der diensthabende Chirurg hat mich demnach gleich nach der Entbindung getauft. Meine Geburtsurkunde legt Zeugnis darüber ab. Solche Nottaufen nach dem Ritus der römisch-katholischen Kirche sollten sicherstellen, das ein Neugeborenes im Falle seines Ablebens in den Himmel kommt.

Wie man sieht, lebe ich noch immer auf Erden. Diesen Sieg, den ersten meines Lebens und größten, den ein Mensch erringen kann, nämlich den Sieg über den Tod, würdige ich Jahr für Jahr, mal im Kleinen, mal größer.

Ob ich denn, fragte mich der frischgebackene Fünfziger und ließ meine Hand wieder los, in meinem Magazin über seine großartige Feier berichten wolle? Großartig zählte offenkundig zu seinen Lieblingswörtern. Ich sagte, mehr aus Höflichkeit denn mit Plan und Absicht, das sähe ich eher als Teil einer größeren Geschichte über ihn.

Er setzte sein unwiderstehliches Siegergrinsen auf. Das beherrscht er wie kein anderer. »Rufen Sie mein Büro an für einen Termin.« Dann wünschte er uns mit anhaltendem Blick auf die Frau an meiner Seite viel Spaß auf seiner Party. »Das Beste, was Ihnen die City heute zu bieten hat.«

Wir hatten tatsächlich Spaß als Zaungäste einer ziemlich skurrilen Festveranstaltung. Die immer neuen Show-Einlagen und Auftritte wurden nach einem überall aushängenden Ablaufplan zeitgenau in Szene gesetzt. Pünktlich um halb acht verstummte wie von Geisterhand gesteuert der Wasserfall. Aus Lautsprechern besang Frank Sinatra die Stadt, die niemals schläft. Wer es hier zu etwas bringe, der schaffe es überall, und so weiter.

Dann wurde der holden Familie gehuldigt. Der Präsident der nach ihm benannten Unternehmensgruppe und seine extrem blonde zweite Frau Marla traten auf eine Balustrade über unseren Köpfen. Sie winkten und wirkten mit ihren unwirklich weißen Zahnreihen, als wollten sie Reklame für ihre Zahnärzte machen. Eartha Kitt sang »Happy Birthday«, während sich Hunderte goldene Luftballons auf uns ergossen. Gold ist seine Lieblingsfarbe.

Seine vier Kinder kamen auf die Bühne. Die drei älteren, eine Tochter und zwei Söhne aus erster Ehe, boten ihm nacheinander ihre einstudierten Ständchen dar. Nur die Kleinste auf dem Arm der Mutter hatte ihren Text vergessen. Sie säuselte auch nach vergeblicher Souffleusenhilfe der gluckenglücklichen Mama zum Vergnügen des Publikums und ihres Vaters nur unbekümmert etwas wie »Hu, hu, hu« ins Mikrofon.

Die Gattin trug einen weißen Hosenanzug von Claude Montana, so habe ich es tags drauf der Presse entnommen, mit schweren, überlangen Fransen am Untersaum des Oberteils, so habe ich das selbst gesehen. Das Püppchen im Puppenkleidchen war ihr einziges Kind mit Donald. Die Eltern hatten ihm nach dem berühmten Kaufhaus neben ihrem Turmschloss den Namen Tiffany gegeben.

Die beiden Söhne aus erster Ehe, einer diesseits, der andere jenseits der Pubertät, schienen mit ihren blauen Anzügen und auffälligen Krawatten dem Daddy nacheifern zu wollen. Der ältere hört nach seinem Vater auf den Namen Donald, der jüngere heißt Eric. Die fünfzehnjährige Tochter, damals noch ziemlich pausbackig, trägt als erstgeborenes Mädchen den Namen ihrer geschiedenen Mutter Ivana, in der verniedlichten Form Ivanka.

Die drei machten den Eindruck, fast körperlich fassbar, dass sie den Patriarchen gleichermaßen achteten wie fürchteten. Seine Geburtstagsfeier schienen sie als Prüfung zu verstehen. Immer wieder sah ich sie zu ihm hinüberblicken, als suchten sie in seiner Körpersprache das Lob. Wenn sie es entdeckten, und sei es nur in einem knappen Kopfnicken, übertrug sich ihre Entspannung unwillkürlich aufs Publikum.

Mühelos beherrschte der Jubilar die Szenerie wie ein Fixstern, um den sich alles dreht. Bereitwillig nutzte er jede Gelegenheit, mit Gästen für die Fotografen zu posieren. Neben ihm wirkte jeder irgendwie klein und zweitrangig. Selbst Leute wie sein Unternehmerfreund George Steinbrenner, Besitzer der New York Yankees, des legendären Baseballteams, schienen zu schrumpfen.

Unter den Gästen befand sich auch ein alter Mann, der ein wenig verloren wirkte, oft ganz allein herumstand oder von einem Stuhl aus dem Geschehen folgte. Es war Trumps Vater Fred. Der Sohn zeigte allem Anschein nach kein ausgesprochenes Interesse, seinen Erzeuger in den Mittelpunkt zu rücken oder mit ihm abgelichtet zu werden.

Die Lieblingsspeise des Geburtstagskindes, Fleischbällchen nach schwedischer Art, war bereits restlos verzehrt, als ein langer Tisch in den Saal geschoben wurde. Darauf verbarg sich unter einem feuchtweißen Tuch ein prall gehäuftes Etwas, auf dem präzise eingehaltenen Zeitplan als »Höhepunkt des Buffets« angekündigt.

Da griff ein Dutzend weißer Handschuhe das Laken und hob es über den Gipfel des Haufens hinweg. Was sahen wir? Langusten satt. Wie auf einen Kasernenpfiff nahm die erlauchte Gästeschar von allen Seiten Kurs auf die Tafel. Im Nu war sie vollständig umstellt, die vordersten Reihen hart bedrängt von den Nachrückenden.

Überreste der Meerestiere flogen im Bogen aus der Menschentraube nach draußen und lagen verstreut auf dem Boden. Die ersten Satten machten Nachrückern Platz. Das ging eine Weile so. Plötzlich verlief sich die Versammlung und machte den Blick frei auf einen vollkommen leer gefegten Tisch.

Noch einmal erhob der Gastgeber das Glas, und die Umstehenden taten es ihm nach. Nur dass in seinem Kelch kein Champagner perlte, sondern gefärbtes Sprudelwasser. Der Mann, hatte ich mir sagen lassen, trank nie Alkohol. Er rauchte auch nicht, und statt Kaffee trank er jeden Tag literweise Diet Coke. Dazu Snacks und Fast Food in jeder Form und großer Menge.

Wie trinkfreudig war dagegen seine angeheiratete Verwandtschaft aus den Südstaaten. Wir trafen auf die muntere Truppe im Souterrain des Gebäudes. Erst auf dem Weg nach unten wurde uns klar, dass wir von der Götzenkomödie dieser Party bislang nur das inszenierte Paradies vor Augen gehabt hatten. Ein Himmelreich der Hypokrisie, wo die Schönen und Reichen und Wichtigen eine Show bedienten, in der jeder seine Rolle zu spielen wusste.

Ich gehöre zu den Leuten, die auf ein Leben im Reich Gottes pfeifen, solange die irdische Hölle so viel Lebendigkeit zu bieten hat wie an den Tischen der Verwandtschaft aus Georgia. Nach der perfekt inszenierten Herrlichkeit großbürgerlichen Spießertums im goldverliebten Atrium war ich gerne bereit, ihnen ihren provinziellen Stammtischgeist nachzusehen.

Keiner trug die oben angesagte Kluft. Stattdessen wurde man dem noblen Anlass mit Hüten gerecht, ausladend und oft schreiend bunt bei den Damen, auffallend breite Krempen bei den Herren, die ihre Kopfbedeckung auch bei Tisch nicht abnahmen. Ihren Südstaatenstolz unterstrichen sie mit grellen Krawatten, hellen Farmeranzügen und blank gewienerten, oft reich verzierten Cowboystiefeln.

Die Kleider der Frauen, nicht eine in Schwarz oder Weiß, betonten die Üppigkeit ihrer Formen, statt sie zu überspielen. Wären sie mit der Rolltreppe in die Oberwelt gefahren, wäre sicher ein Raunen durch die versammelten Charaktermasken gegangen, die ihre figürlichen Makel mittels eines erheblichen Aufwands an ausgleichender Garderobe zu verbergen suchten.

So ausgelassen, wie sie drauf waren, dachten die Leute im Souterrain gar nicht daran, sich von blasierten New Yorker Reichen die Stimmung verderben zu lassen. Sie rückten zusammen, um uns in ihre Runde aufzunehmen. Ein schräges Völkchen, das uns da einlud auf einen reif gelagerten schottischen Whisky mit Eis, wie sie ihn sonst wohl eher selten serviert bekamen. Ihr New Yorker Verwandter stammt mütterlicherseits aus Schottland ab, von einer kaum bevölkerten Hebrideninsel.

»Alles für lau«, rief eine rundliche Dame. Selbst die Tickets für den Flug von Atlanta und die Hotelrechnungen gingen aufs Haus. Ihre gestärkten, blond gefärbten Locken quollen unter einem Sommerhut hervor, der eher für die Siegerehrung bei einem Rodeo gemacht war als für die angesagteste Sause im verfluchten New York. »Wie kann man hier leben wollen?«, fragte einer, dem ich uns als Neubewohner zu erkennen gab. »Wir Leute aus dem Süden wissen, wohin wir gehören.«

Wir wussten das in dem Augenblick auch, meine Begleiterin und ich. Als wir uns auch noch als Raucher zu erkennen gaben, brachen die Dämme zwischen Fremdheit und Freundschaft für eine Nacht. Hier unten sprach keiner über den Superman mit dem Dollarzeichen auf der Brust.

Wie der berühmte Verwandte aus New York sein Geld verdiente, war ihnen gleichwohl nicht fremd. Mister Maples, Marlas Vater, wurde im heimischen Branchenverzeichnis ebenfalls als Immobilienunternehmer geführt. Als Elvis-Darsteller verdiente er sich ein wenig dazu. Das erfuhren wir von einem Herrn, der mit seiner Zigarre verwachsen schien und mit seiner überbordenden Hutkrempe die Plätze neben sich frei hielt.

Derjenige, der für den ganzen Spaß aufkam, hatte sich den Angereisten offenbar vorher nur einmal kurz gezeigt und eine kleine Ansprache gehalten. Sein Herz schlage zwar heute für New York, aber wie ihres auf immer für Amerika. Dann war die Erscheinung aus der Glitzerwelt wieder dorthin verschwunden, und hier unten im Dämmerlicht ging die Fete fröhlich weiter.

Sie fingen an zu singen, und ich musste schlucken. Das Lied war ihrem Verwandten gewidmet, auf dessen Programmzettel sie nicht einmal erwähnt waren. Die Melodie war eingängig, wir fielen ein in den Refrain: »He is the King, the King, the King of New York. He buys what he likes and he likes what he buys.«

Gleich im Anschluss stießen sie mit frischen Getränken an und begannen, ziemlich laut und reichlich durcheinander über Politik zu reden. Niemand konnte da ahnen, einmal der Familie eines echten Präsidenten zugerechnet zu werden, und dann noch eines Mannes, der sich zum Kaiser von Amerika aufschwingen wollte. »Verdammte Politik«, johlte einer. »Es lebe der gesunde Menschenverstand.« Da tobte die verbliebene Menge am Großtisch, den wir aus kleineren zusammengeschoben hatten.

Die Aschenbecher quollen über. Eigentlich herrschte in dem Gebäude striktes Rauchverbot. Die Organisatoren mussten vorsorglich die Rauchmelder hier unten ausgeschaltet und die Entlüftung auf Höchststufe gestellt haben. Der Getränkeservice lief bis zum Ende. Mit unserem Wein waren meine Begleiterin und ich fast allein. Die anderen tranken nun durchweg Hoch- und immer Höherprozentiges, anfangs mit viel, dann mit immer weniger Eis.

Als wir uns schließlich verabschiedeten, war es schon spät. Im hell erleuchteten Atrium räumten Scharen fleißiger Helfer die Reste der Party auf. Die High Society hatte sich längst verzogen. Wir traten hinaus auf die Fifth Avenue, nun ohne Scheinwerfer und roten Teppich. Da sagte die Frau an meiner Seite: »Lass uns zu Fuß gehen. Der Asphalt ist noch warm.«

Schon trug sie ihre Schuhe in der Hand. Ich entledigte mich meiner englischen Fußbekleidung nebst Socken. Wir gingen beschwingt mitten auf der sechsundfünfzigsten Straße barfuß nach Hause. Dabei sangen wir immer wieder den Refrain auf den König von New York. Bald dichteten wir das Lied quietschfidel um und landeten schließlich beim »Clown with a Crown« mit dem »Smile from his Bile«, dem Lächeln aus der Galle …

Das war der Moment, in dem sich in mir der heimliche Spleen für meinen weiteren Aufenthalt in der Metropole entwickelte. Ich wollte herausfinden, wer in diesem Gemeinwesen, das sich als Hauptstadt der Welt verstand, den Titel »König von New York« wirklich verdiente. Meine Begleiterin war mit von der Partie. Wir wollten einfach nicht glauben, der erste Beste könnte der beste Erste sein.

Daheim ließen wir den lauen Abend mit einem letzten Glas auf unserem Balkon hoch über den Straßen von Manhattan ausklingen. Von dort überblickten wir den Südteil der Insel mit ihrem Lichtersee bis zu den Zwillingstürmen. Fast zum Greifen nahe, weil es uns weit überragte, das Empire State Building. Jeden Abend wurde es in anderen Farben angestrahlt. Am vierzehnten Juli mit Blick auf Paris und den Sturm auf die Bastille in Blau-Weiß-Rot, am St. Patrick’s Day in irischer Tradition vollständig grün, und komplett orange an Halloween.

In jener Nacht leuchtete es, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, in den Landesfarben von Jamaika, Schwarz-Gelb-Grün. Gott weiß, was der Lichtmeister geraucht hatte.

Pünktlich um Mitternacht schaltete sich die Beleuchtung aus. Finster ragte der betagte Wolkenkratzer wie ein Monolith aus der dichten Berglandschaft versinkender Gebäude vor uns auf.

Das Ding – Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl

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