Читать книгу Fürstin des Nordens - Trilogy - Juryk Barelhaven - Страница 13
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ОглавлениеDie Tage zogen sich hin.
Die Speisekammer der Burg füllte sich mit zunehmender Geschwindigkeit – großen Dank an die Glückliche Bettina, die viele Suppenrezepte kannte und peinlich genau darauf achtete, das von allem genug da war. Ja, es würde für die Hohen Herren ausreichen. Nicht aber für die Stadt, wie Claudile im Kopf überschlug.
Mit dem Geld aus der Schatzkammer ließ sie einen vertrauenswürdigen Boten mit der Kutsche schicken, der im nächsten Ort Winterkleidung in großer Zahl sowie Mehl und gedünsteten Fisch einkaufen sollte. Gottlob verfügte die Burg über einen abschließbaren Keller, in dem die Sachen gelagert wurden. Kurzerhand ernannte Claudile zwei Männer zu Burgwächter, um Menschen in Not nicht in Versuchung zu führen. Immer öfter nahm sie bei ihren Vorbereitungen Brain in die Pflicht, der nach langen Überlegungen endlich zugesagt hatte, der neue Stadtvogt zu werden. Zu ihrem Glück nahmen die Leute ihre Befürchtungen über den nahen Winter sehr ernst. „Wir haben zwei Friedhöfe“, stellte Brain selbst klar. „Den an der Nordseite und den auf der Ostseite. Wir kennen die Kälte. Diejenigen, die nicht vorbereitet sind, liegen dort.“ Kurz und knapp.
„Wir brauchen sauberes Stroh und lassen es in der Halle auslegen“, ordnete Claudile an. „Jedem, dem kalt ist, soll sich in der Burg einfinden. Das Feuer im Kamin brennt immerzu und an Holz soll es nicht mangeln. Zur Not bitte ich die Küche ruhig ein paar Gerichte mehr zuzubereiten.“
„Man wird Euch Claudile, die Barmherzige nennen“, witzelte der neue Stadtvogt. „oder Claudile, die Übervorsichtige. Sucht es euch aus.“
Der Fürstin war nicht zum Lachen. Sobald sie aus dem Fenster sah, konnte sie eine leichte Schneeschicht draußen sehen. „Der Schnee wird zunehmen. Da bin ich mir sicher.“
„Viele sind zu stolz, um in der Burg nach einer Schlafstätte und Brot zu betteln“, bemerkte Brain. „Viele würden lieber erfrieren.“
„Haltet Ihr meine Maßnahmen für übereilt, Stadtvogt?“
„Nicht ein bisschen, verehrte Fürstin“, stimmte Brain zu. „Schaffe in der Zeit, dann hast du in der Not, sagen die Bauern. Manchmal kommen Lawinen herunter. DANN zeigt sich wirklich, wer vorgesorgt hat.“ Zusammen gingen sie durch die weiten Regale voller Pullover, Hosen, Decken und eingelegtem Fleisch und Säcken voller Mehl. „Ganz beachtlich“, meinte Brain anerkennend. „Aber es mangelt an Grog. Weiß hier niemand den Zauber von heißem Grog zu schätzen?“
Claudile warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Alkohol verwandelt Männer in Bestien. Das ist keine Taverne, sondern immer noch meine Burg.“
„Zweiunddreißig Familien“, überlegte Brain laut. „Ich kenne das vom Krieg. Man kann so gut planen wie man will, aber am Ende sitzen alle um einen Topf und kochen ihre Stiefel. Was ist das für ein Radau?“
Claudile horchte in der Ferne, wandte sich um und ging mit schnellen Schritten die Treppe hinauf.
Draußen auf dem Hof traf sie Francesco, der gerade mit großen Schritten vom Stadttor auf sie zuhielt. Er lächelte geistesabwesend und fuhr sich mit einem Taschentuch über die Stirn. Obwohl es recht kühl war, schien er zu schwitzen.
Im Hintergrund fuhr gerade eine Kutsche durch den Torbogen.
„Wir haben Besucher“, fragte Claudile geistesabwesend.
„Der Magistrat“, entgegnete Francesco kühl und hielt auf die Burg zu. „Er kommt viel zu früh.“
Claudile runzelte die Stirn. „Wieso habe ich noch nie etwas von einem Magistraten gehört?“
„Er ist ein Experte, wenn es um Adelsangelegenheiten geht. Komm bitte mit. Es eilt.“ Ein Hauch von Entsetzen huschte über sein Gesicht.
Die Kutsche fuhr den pflasterten Weg am Brunnen vorbei, passierte den breiten Marktplatz und rollte auf den Schotterweg zur Burg. Von nur einem einzelnen Pferd gezogen wirkte die Kutsche gewöhnlich – aber was hatte Francesco so in Sorge versetzt? Claudiles beeilte sich über den Platz zu kommen.
Als die Kutsche anhielt, war sie überrascht als ein einzelner Mann ausstieg. Der Geruch von Büchern, Mottenkugeln und strenger Wasser-Brot-Diät ging von ihm aus, sowie das hohe Alter. Tiere witterten über den Geruch Alter, Geschlecht und sogar ansteckende Krankheiten. Der Geruch vom Magistrat war reines Pergament, unverfälschtes Studium von Büchern und steriler Sauberkeit eines Klosterkämmerchens. Nur ein Mensch.
Nein, da war noch mehr.
Eine Autorität.
„Mein Name ist Sir Reynold Huckstebull Fleming“, stellte sich der Mann vor, der eine besonders breite fliehende Stirn besaß. „und ich bin Magistrat für Heraldik und Adelsgeschichte.“
„Claudile“, sagte sie und reichte ihm die Hand.
Sir Reynold schüttelte nur den Kopf. „Nein, so geht das nicht. Eine Dame von Welt stellt sich anderen immer mit dem vollen Titel vor. Versuchen wir es nochmal.“ Er öffnete ein großes in Ledergeschlagenes Buch und las daraus vor: „Ihr seid Lady Claudile, die ehrwürdige Tochter des großen Khans, unserem Herrn und Meister.“ Er sah sie kurz an. „Fürstin Claudile Salacia Aminata Urnie von Alemont.“
Claudile verzog das Gesicht. „Auch bei meinen Freunden?“
Sir Reynold schloss das Buch und seufzte. „Ihr beliebt zu scherzen. Gleichwohl möchte ich hinzufügen, dass das Amt für Heraldik und Adelsgeschichte entscheidet, wer wirklich zum Adeligen taugt oder nicht. Jene, die tun, was getan werden muss, ernsten selten Lohn. Dafür gibt es viele Beispiel, und leider lässt sich nichts daran ändern.“ Seine Stimme verlor ihren kummervollen Klang, als er fortfuhr: „Ich habe schon viele Werwölfe in unserem Reich unter die Lupe genommen, wenn ich es mal so ausdrücken darf, und nur die wenigsten haben sich Mühe gegeben, den Ansprüchen gerecht zu werden.“
„Das heißt, ihr entscheidet, ob ich zur Fürstin tauge oder nicht. Und wenn ich euren Ansprüchen nicht gerecht werde?“
„Zwei meiner Vorgänger wurden getötet, weil den neuen Herren ihr Urteil nicht gefiel“
„Ich frage mich, warum.“
„Nichtsdestotrotz steht und fällt mein Urteil mit Eurem Betragen. Lasst mich nur hier und da einige Beobachtungen machen, um gerecht zu urteilen. Gemäß dem Fall, das ihr gewogen, gemessen und begutachtet werden und das Urteil negativ ausfällt, wird Euch der Titel aberkannt. Dann gehe ich wieder und könnt weiterhin hier residieren, wie es Euch beliebt. Doch die Konsequenzen würden… sich bemerkbar machen.“
Claudile war schlau genug, nicht zu fragen, was genau dann passieren würde. Bestenfalls würde man sie einfach gegen einen neuen Fürsten austauschen. Schlimmstenfalls davonjagen. Sie hatte genug Vorstellungskraft, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Plötzlich wurde ihr heiß und kalt.
Sie verbeugte sich leicht und bemühte sich um einen unterwürfigen Ton: „Ich denke, ich habe verstanden.“
Er nickte knapp und sah sie von unten bis oben an. „Interessante Garderobe, die Ihr da habt.“
„Nun, wisst ihr…“
„Frauen sind in der Adelshierarchie nie selbstständige Menschen. Wenn sie auch nicht Sklaven sind, so sind sie auf sozialer Ebene und auch juristisch eher als unfreie Menschen zu betrachten. Sie werden immer nur in Bezug auf die umgebende Familie gesehen und bewertet, das ist das Ergebnis des ersten Kapitels von Stüversand aus seinem Werk. Ein Ausbrechen aus dem vorgegebenen Rollenbild wurde und wird negativ bewertet, eine Erfüllung der gewünschten Rolle wird nicht nur positiv gesehen, sie hat auch rechtliche Auswirkungen: Je mehr Kinder einer Frau das Erwachsenenalter erreichten, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Frau das „ius liberorum“ zuerkannt wurde: Sie wurden frei von der sogenannten Geschlechtsvormundschaft.“
„Meint er, ich solle viele Kinder bekommen? Nur, um dann über mich selbst bestimmen zu können?“
„Das wäre gesellschaftlich akzeptabel.“ Er nickte freundlich und deutete auf ihre Männerhose. „Beginnen wir doch mit dieser unangemessenen Tracht. Wo ist eure standesgemäße Bekleidung?“
„Die Gesellschaft kann mich mal“, platzte es aus ihr heraus.
Francesco stand hinter Sir Reynold und machte mit Gesten deutlich, was er von ihrer Äußerung hielt.
Sir Reynold verzog keine Miene dabei. „Adelige sind unter anderem auch „Ordnungshüter“. Wenn nicht eine Instanz da ist, die dafür Sorge trägt, dass geltende Gesetze eingehalten werden, dann hat die Gesellschaft ein Problem! Ich verweise auf Marta III. aus dem Königsgeschlecht und Fürst Philipp den Jakobiner als Beispiel. Beide hielten die Normen nicht ein, fordern damit lautstark die Ordnung heraus. Ihre Geschichte nahm ein schnelles Ende.“
„Wie meint er das, Francesco?“
„Er meint, dass du als Vorbild fungierst.“
„Bemüht Euch ruhig redlich“, warf Sir Reynold lächelnd ein. „Ich werde noch den ganzen Tag hier sein. Nun gut, dann besichtige ich jetzt die Burg. Euer Zuhause.“
Gewogen, gemessen…
Verdammter Mist! Ausgerechnet.
Der Finger des Aristokraten strich prüfend über einen Bilderrahmen. „Ihr seid noch nicht lange hier tätig?“ Mit angewiderten Gesichtsausdruck begutachtete er das Resultat und runzelte leicht die Stirn. „Wo sind Eure Angestellten? Die Küchenmagd, ein Diener, der Gärtner…“, er vollführte eine Geste und drehte sich einmal im Kreis. „Alles wirkt so… unfertig.“
„Wie kommt es, das hier jetzt hier auftaucht?“
„Mir wurde zugetragen, dass ich baldmöglichst erscheinen darf“, antwortete er knapp. „Wie kommt es, dass Ihr nicht vorbereitet seid?“
Ich dachte, ich hätte noch Zeit, dachte Claudile bitter. Oh, das geht böse aus!
Francesco versuchte es mit Heiterkeit. „Wie wäre es mit einem schönen Wein und wir besprechen das alles bei einem lodernden Feuer im Kamin?“ Nach den Schweißperlen aufs einer Stirn verstand Francesco sehr gut, was hier gerade passierte. Das war eine Prüfung – vielleicht die Prüfung ihres Lebens, und Claudile hatte sich nicht genügend darauf vorbereitet.
Das war nichts, das man mit roher Gewalt oder mit schönen Worten beheben konnte.
Natürlich wurde es noch schlimmer.
Just in dem Moment wurde es laut. Infernalischer Lärm drang aus der Küche und ließ Claudile hochschrecken. Was denn jetzt?
In der Küche wurden sie fündig. Auf der einen Seite standen die Glückliche Bettina und ihre sechszehn Kinder und ein Mann, der sie im Arm hielt und auf der anderen Seite Fritz, der Haushalter, wie er Töpfe und kleine Fässchen vor sich auf dem Tisch aufgereiht hatte.
Claudile, Francesco und der Magistrat sahen sich fragend an und stellten sich dazu.
„Ich habe nichts dergleichen gestohlen“, sagte gerade Bettina. Die Farbe in ihrem Gesicht wechselte ins Fleckige. Der Mann neben ihr musste ihr Gatte sein, mutmaßte Claudile, denn er nahm sie beschützend in den Arm und versuchte sie zurückzuhalten.
Fritz stützte die Fingerknöchel auf den Tisch vor sich und beugte sich vor. „Ach, jetzt habe ich wohl keine Augen mehr im Kopf, wie? Was für eine Frechheit! Die meisten von euch können froh sein, dass ihnen jemand überhaupt eine Arbeit gibt. Halunken, Diebe, Schnorrer! Mir reicht es endgültig mit euch!“
„Alles ist ruhig und friedlich!“ beeilte sich Claudile zu sagen und wollte den Gast hinausbegleiten, doch mit unverhohlenem Interesse wich er ihrem Arm aus und stellte sich näher zum Haushalter. Sein süffisantes Lächeln wirkte sehr entmutigend. „Probleme mit der Belegschaft, guter Mann?“
„Ich war von Anfang an dagegen, diese“, Fritz holte tief Luft und deutete auf die Familie, als wäre sie Abfall in seinen Augen, „diese Taugenichtse einzustellen! Ich weiß, was sich gehört! Ich hatte darauf bestanden, nur ausgebildetes Personal einzustellen. Aber hat man auf mich gehört? Nein, natürlich nicht…“
„Sehr bedauerlich“, pflichtete Sir Reynold bei.
„Was ist denn passiert?“ fragte Francesco.
„Genau das meine ich! Ein fauler Apfel verdirbt den ganzen Korb!“
„Wohl eher eine Tonne Äpfel“, hörte sich Claudile sagen und fragte sich im nächsten Moment, warum sie das gesagt hatte. „Jetzt wollen wir uns erstmal beruhigen. Was ist passiert?“
Die Glückliche Bettina wirkte überhaupt nicht glücklich. Ihre Kinder drängten sich ängstlich in einem Pulk um sie herum. „Er behauptet, wir würden Essen stehlen. Das haben wir nicht nötig, sage ich.“
„Wo ist der Zucker hin?“ fragte Fritz drohend und zeigte wie es schien aufs Geratewohl auf eines der Kinder. „Du da! Du kaust doch die ganze Zeit! Hast wohl dir heute den Bauch vollgeschlagen, was?“
Der Mann an ihrer Seite – Claudile erinnerte sich, dass er als Müllkutscher arbeitete – erhob sich zu seiner ganzen Größe und krempelte beim Sprechen die Ärmel hoch: „Jetzt hör mal zu, du Floh! Wenn meine Frau sagt, sie hat nichts gestohlen, dann hat sie nichts gestohlen!“
Bettina warf ihrer Herrin einen flehentlichen Blick zu. „Ich schwöre bei meinen Ahnen! Sowas tun wir nicht. Ihr müsst mir glauben!“ Sie war den Tränen nahe.
Claudile wollte ihr glauben – Ach, was! Sie glaubte ihr. Und eigentlich war es ihr egal, denn die Speisekammer war mit frischem Essen zum Bersten voll und Geld gab es genug. Aber der Zeitpunkt… war mehr als schlecht gewählt.
Der Zeitpunkt. Etwas in ihrem Kopf klingelte verschwörerisch, aber der Gedanke hielt sich hartnäckig hinter Panik, denn der lauernde Blick des Magistraten sprach bereits Bände.
„Da reicht man ihnen die Hand – und sie reißen dir jeden Finger ab!“, triumphierte Fritz dabei. „Mir tut es leid, dass Ihr das mit ansehen musstet, Herr.“
Der Magistrat bedachte ihn spöttisch und deutete mit einem Blick zu Claudile zur nächsten Tür. „Ich denke, das wird heut ein kurzer Besuch. Können wir?“
Völlig überrumpelt stand sie da. Was passiert hier gerade?
Zu Schnell. Viel zu schnell.
Und gerade in dem Moment, als Claudile dachte, es könne nicht mehr schlimmer kommen, bewegte sich die Erde.