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Tiefer Wald.

Niemand wusste so recht, wie groß die Wälder von Norfesta waren und was sich alles in ihnen verbarg. Meilen über Meilen konnte hier nichts gefunden werden, was nicht gefunden werden wollte. Die Bäume wuchsen unbeeindruckt in die Höhe und wiegten sich im kalten Wind des Nordens, während ein dichter Teppich aus Gestrüpp und Ranken manchen Weg einfach enden ließ. Leben und Tod waren hier anzutreffen. Auf vielerlei Arten.

Es war später Mittag, als endlich Claudile die Stelle fand. Die Wölfe neben ihr hechelten laut und bewegten sich langsam um sie herum. Geduckt und vorsichtig. Sie jaulten leise.

Böser Ort, vermittelte der Leitwolf. Dunkel, grau. Mit Metall. Nicht gut.

Claudile nickte verstehend. Langsam verwandelte sie sich wieder zurück in einen Menschen.

Die Spur führte zu einem tiefen Loch in der Erde, das meterweit in die Dunkelheit reichte. Doch da war noch mehr. Die Angst hatte hier überhandgenommen und vermischte sich mit Schmerz. Tiefen, langanhaltenden Schmerz. Ein stechender Geruch, der auch die Wölfe nervös machte.

Ein sterbender Gott unter Wölfen war hierhergekommen, um…

Vorsichtig nahm sie einen Stock vom Boden und schlug damit gegen die Wand. Sie witterte Metall, nein es war eine ganz besondere Ader von…

Silber!

Fauchend wandte sie sich ab.

Der Leitwolf jaulte leise.

Ströme von Blut. Er will leiden. Warum? Werwolf verrückt.

Die anderen stimmten zu. Es war ihnen ein Rätsel.

„Ich versteh das nicht“, sagte Claudile leise und trat näher an die Höhle heran. Der Gang führte weiter und immer weiter durch eine Art Stollen. Mit ihrer Hand schob sie den Dreck beiseite und fuhr zurück, als sie das Silber berührte. Die Wunde am Zeigefinger stach vehement und schien infiziert von innen heraus zu brodeln. Gottverdammtes Silber!

„Warum tut er das?“, sagte sie unter Schmerzen und fauchte leise.

Die Wölfe duckten sich weg und stoben auseinander. Die Jagd war vorbei.

Sie ließ sie gewähren und blickte mit unheilvollen Gedanken zum Loch. Kein Werwolf suchte freiwillig eine Silbermine auf – außer, er wollte…

„Oh, verdammt“, hauchte sie leise und trat den Rückzug an.

Jeder hatte einen Ansatzpunkt. Oft war es Habgier, eine altbewährte Sache. Oder auch Stolz. Francesco hatte viel als Soldat gesehen und erlebt, aber noch mehr gelernt als er in die Dienste eines Werwolfs trat: als dienender Mensch beobachtete er die Bürger von Norfesta und verstand sehr schnell, was sie am meisten begehrten: sie wollten ihre Würde behalten. Mochten Dutzende von Monstern auch über sie herrschen – die Würde durfte man ihnen nicht nehmen, sonst verloren sie allen Mut.

Die Glückliche Bettina wollte sich frei entfalten und unbedingt ihre Kinder schützen, man sah es in ihren Augen. Wenn man den richtigen Ansatzpunkt gefunden hatte, war alles ein Kinderspiel.

„Meinst du, wir bräuchten mehr davon?“ fragte Francesco unschuldig und deutete auf einen Sack Mehl. „Du musst es nur sagen. Ich kenne mich damit nicht aus.“ Er breitete hilflos die Arme aus.

Die mehrfache Mutter hatte die Ärmel hochgekrempelt und bearbeitete den Teig mit beiden Händen. Kurz warf sie ihm einen Blick zu, der folgendes zum Ausdruck brachte: Natürlich weißt du das nicht. Darum bin ich eine Frau. Eine Frau weiß alles. „Wäre nicht schlecht“, meinte sie nur und lächelte auf ihre besondere Art.

Die Küche war ein Tummelplatz voller Leiber, die emsig ohne zu Fragen an die Arbeit gegangen waren. Vier Kinder hatten Wasser aus einem Brunnen geholt und warfen dreckige Kleider in einen Trog, indem sie gleich auch reinsprangen und wie wild mit den Füßen traten, als würden sie Wein treten wollen. Francesco war sich sicher, dass Wäsche so nicht gewaschen werden sollte, schwieg aber lieber. Es war nicht seine Sache.

Ein Mädchen schnippelte Kartoffeln, während ein anderes Mädchen Zwiebeln schälte. Zwei Jungen putzten die Fenster mit ihren eigenen Klamotten und spuckten hingebungsvoll in ihre Handflächen. Ein Junge befeuerte den großen Kamin, während ein anderes einen großen Kessel an dem Haken hängte. Es waren sechszehn kleine Kinder und sie alle reagierten ohne zu murren. Die Glückliche Bettina hatte alles im Griff und schaute kaum auf, als Francesco beschloss zu gehen. Er hatte ihr Geld dagelassen – von jetzt an würde es laufen.

„Wir brauchen Holz.“

„Kriegst du.“

„Ich war so frei und habe meinen Schwestern gesagt, dass sie auch kommen sollen. Die Burg ist ziemlich groß und so. Das stört dich doch nicht, oder?“

„Wie viele Schwestern hast du?“

„Drei.“

„Oh, einverstanden.“ Ja, das konnte nicht schaden, wenn…

„Auch sie haben Kinder.“ Oh, Mist.

„Ich habe Vertrauen, Frau Bettina“, sagte Francesco und straffte die Gestalt.

In dem Empfangsaal hatte sich eine Menge eingefunden. Er wusste bereits: Die Bürger von Blaqrhiken besaßen ein hervorragendes Informationsnetz. Jedermann hasste die Werwölfe und der alte Baron schuldetet ihnen allen Geld, aber wenn der Magen knurrte, wollte man etwas dagegen tun.

Francesco nahm sich einen Stuhl, stellte sich darauf und formte mit den Händen einen Trichter vor dem Mund. „Meine Damen und Herren“, rief er laut. „Wir brauchen einen Gärtner, einen Förster und Leute, die etwas vom Putzen verstehen. Wer Arbeit sucht, soll sich links von mir aufreihen.“ Ihm kam ein bedrückender Gedanke. „Ähm, … wem das Fürstentum Geld schuldet, kommt am besten zu mir!“

Er war nicht überrascht, als sich sogleich alle auf den Weg zu ihm machten. Damit hatte er gerechnet. Langsam stieg er von dem Stuhl herunter und machte sich an dem großen Tisch an die Arbeit.

„Das Forstamt bekommt noch die Löhne von drei Monaten!“

„Ihr schuldet der Bäckerei noch vierhundert Münzen!“

„Das Sägewerk kann seine Arbeiter nicht bezahlen!“

So ging es drunter und drüber. Francesco bedeutete zu warten, holte Schreibmaterial und einen Sack Münzen, trat wieder vor den Schuldnern und griff zu einem Federkiel.

„Kann losgehen“, sagte er gedämpft und begann.

Schweratmend kam Claudile an der Burg an. Sie witterte Veränderung in der Luft, konnte aber nicht sagen, woher und vor allem was sich veränderte. Der Wald war alt, aber etwas war dort gewesen, erinnerte sie sich. Eine Präsenz, die sich nicht klar definieren ließ. Etwas war im Gange und schien sie zu beobachten. Sie drehte sich um die eigen Achse und schnupperte probeweise. Nichts. Und doch war da etwas.

Ein Frösteln durchlief ihren Körper. Das war neu.

Sie kam nicht weiter. Der Baron war in dem Loch gewesen, aber die Spur verlor sich. Und sie musste schnell handeln, bevor sich die Spur verflüchtigte.

Sie brauchte Hilfe.

Wer wäre besser geeignet als die Stadtwache?

Sie nickte sich selbst zu ihrem Entschluss zu, betrat ihre Burg auf dem gleichen Weg wie sie gegangen war und zog sich eiligst um. Kurz zuvor betrachtete sie das auffällige Rüschenkleid und die Hose von Francesco. Das Kleid war unnatürlich. Es engte sie ein und ließ sie aussehen, als wäre sie eine Menschenfrau mit einem viel zu breiten Becken. Zum Teufel, damit!

Ohne den Tumult im Saal beachtend kletterte sie auf die Mauer und sprang geduckt in den Graben, wo sie wenig später an der Wache ankam. Zu ihrem Glück trat Korporal Axel gerade aus der Tür.

„Einen schönen Abend, Herrin.“

„Ich habe ein Problem“, begann sie und erklärte ihm alles auf dem Weg. „Darf ich dich kurz begleiten?“

Axel nickte. „Es ist nur der übliche Rundgang. Es könnte eher langweilig werden.“

„Nein, schon gut.“

„Wie Ihr wollt.“

„Hast du denn keine Angst?“ fragte sie ihn, als sie durch die Düsternis des aufkommenden Abends durch die Gassen schlenderten.

„Nein.“

„Aber es könnten überall Schurken und Halunken auf der Lauer liegen.“

„Oh, ja. Aber ich bin schon seit einer ganzen Weile nicht mehr belästigt worden.“

„Fürchtet man vielleicht deine Uniform?“

„Möglich“, räumte Axel ein.

„Vermutlich haben die Leute gelernt, Respekt davor zu haben. Ich finde Gefallen an Männerhosen. Könnte ich mir ein paar Hosen von euch leihen?“

„Nicht die von Gaver, oder?“

Beide lachten ungezwungen. Claudile schüttelte den Kopf. „Wie lange bist du schon hier?“

„Ich kam erst vor einem Jahr hier an.“

„Vor einem Jahr verschwand auch Alexandra Häberlein“, erwiderte sie beiläufig und blickte interessiert in ein Schaufenster, das frischen Wolfspelz anbot.

Er zuckte leicht zusammen.

„Äh… entschuldigt bitte, aber… Ihr kamt mit einem Problem zu mir?“

„Schön, dass du fragst“, sie lächelte knapp. „Ich bin der Spur des Barons gefolgt, so gut es ging. Sie verliert sich in einem alten Silberstollen. Nur, damit ihr von der Wache Bescheid wisst. Er wird seiner Strafe nicht entgehen.“

„Das… ist gut zu wissen.“

„Mir wurde heute gewahr, dass sich wohl eine kleine Religionsgemeinschaft gebildet haben könnte“, erklärte sie wie beiläufig. „Du weist nicht zufällig etwas darüber?“

„Nein.“

Sie forschte in seinem Blick und fand nichts anderes als Aufrichtigkeit. „Gut, dann belasse ich es dabei. Wo wohnst du?“

„Ich wohne bei meinem Onkel“, sagte Axel.

„Man braucht einen Ort, wo man sich selbst entfalten kann. Wie ist es da so?“

„Ach, nicht sehr gemütlich. Mein Onkel ist Gerber und redet von nichts anderem. Vom Geld machen und so.“

„Ich dachte, Menschen lieben Gold.“

Axel verharrte kurz und suchte offensichtlich nach Worten. Dann erklärte er: „Nicht alle. Ruhe und Frieden sind auch sehr wichtig.“

„Familie, möchte ich meinen.“ Sie lächelte kokett ihm zu. „Es muss schön sein, eine Familie zu haben. Aber es gibt bestimmt auch interessantere Themen wie Familie und Geld.“

„Zum Beispiel?“ fragte er lauernd und blickte sich um. „Wo sind wir?“

Sie standen beide am Scheideweg einer kleinen Kreuzung.

Claudile hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt und blickte vielsagend zu einem Schild, das an der Mauer eines Hauses genagelt war.

Tuchmüllenstraße.

Axel starrte sie an und sagte kein Wort.

„Wie tragisch. Es muss schlimm gewesen. Eine große Familie stirbt in den Flammen. Vor einem Jahr.“ Claudile schaute nach links und rechts und witterte kurz. Sie waren allein. Kein Zweifel. „Seltsam, dass ein Stadtwächter diese Straße nicht kennt“, bemerkte sie höflich. „Wir könnten auch über Frisuren reden. Oder Kleidung. Ver…kleidung.“

Axel Gesicht gefror zu einer starren Maske. Langsam erschlafften seine Schultern.

„Mich stört es nicht. Du beweist Einfallsreichtum.“

„Das habt Ihr extra gemacht!“

„Ja, das wollte ich geklärt wissen“, meinte sie jovial und trat näher heran. „Es liegt am Geruch, musst du wissen. Den Baron Mattes Lyren konntest du täuschen, wahrscheinlich weil er die meiste Zeit betrunken und seine feine Nase schon fast taub war von dem billigen Fusel.“

Axel errötete und nahm seine Mütze ab. „Alexandra Häberlein, Euch zu Diensten.“

Hauptmann Gaver starrte auf die Menge vor sich im Saal. Auf der Liste der Dinge, die er besonders gut konnte, kam Starren an zweiter Stelle, direkt nach reglosem Hocken. Er brachte immer die besten Leistungen, wenn es darum ging, nichts zu tun. Einfach wie erstarrt dasitzen – das war seine größte Stärke. Er war auf eine besondere Art Dumm, die eine gewisse Faulheit voraussetzte. Zu seinem Glück gab es unter den Leuten keine nennenswerten Verbrechen.

Als die Menge sich nach und nach lichtete, und die meisten mit Säcken voller Geld verschwanden, trat er vor und versuchte sein Glück.

Francesco sah ihn fragend an.

Gaver nickte. Ganz in seinem Universum vertieft.

„Du musst schon etwas sagen, wenn du etwas willst“, knurrte Francesco leise.

„Ich komme von der Stadtwache, Herr.“ Er bearbeitete beim Sprechen eine Lücke im Zahn, hinter der sich etwas vom Mittagessen verkrümelt hatte. Er wartete geduldig, bis die Zunge das Stück loseisen konnte und nickte glücklich.

„Und?“

Gavers Handfläche tauchte auf. Er hatte wohlweislich etwas aufgeschrieben. „Nja, Ich bin Gaver“, las er tapfer ab. „Wir benötigen ein neues Sitzkissen.“

Francesco starrte ihn an.

„Was-?“

„Die Sitzkissen sind ganz durchgescheuert, also besser zwei oder drei. Lavendel finde ich schön. Aber du solltest wissen, Herr, nja, dass wir nicht nur arbeiten!“

„Ach?“

„Wir brauchen eine neue Pfanne, Herr.“ Er schniefte leise. Etwas hatte sich in seinem linken Nasenloch gebildet. Starr vor Staunen beobachtete Francesco wie sich sein Finger hob. „Und der Winter naht, Herr. Ein neuer Ofen wäre nicht schlecht, nja. Etwas Kohle dazu, eine neue Pfanne und ich mache die besten Speckkartoffeln, die du dir vorstellen kannst. Ist kein Witz, Herr.“

„Bitte benutz ein Taschentuch. Willst du Geld, Mann? Schulden wir euch Gehalt? Wenn ja, wieviel?“

Gaver erstarrte, blickte Francesco aus großen Augen an und hob langsam die rechte Hand, um davon abzulesen. „Wir… haben… Gehalt von Juli bis August… und das kann ich nicht lesen!“

„Gibt es eine Mama oder einen Papa, mit dem ich reden dürfte?“ half Francesco aus und spürte, wie sich sein Nacken verspannte. „Jetzt verstehe ich, warum du als Letzter kommst.“

Das letzte Haus in der Tuchmüllenstraße war ein einsames, bis auf die Grundfesten niedergebranntes Gemäuer. Die Balken waren schief und krumm, aus der Asche sprossen vereinzelt Setzlinge. Nach über einem Jahr hatte niemand daran gedacht eine Neues zu bauen. Zum Glück der Stadt war es an der Mauer gelegen, so dass die Flammen kaum Chancen hatten, überzugreifen. Brände in Städten konnten alles zerstören – das war kein Geheimnis.

Alexandra Häberlein setzte sich schweratmend auf einen Stein und starrte in die erkaltete Asche. Mehr und mehr sackte sie in sich zusammen, bis sie ihr Gesicht verbarg. Lautes Schluchzen ließ Claudile dazu herab, sich zu ihr zu setzen. „Er war so gemein“, schniefte sie leise und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. „Meine Brüder und meine Mutter! Wir haben versucht ihn festzuhalten, doch er war zu stark. Er hatte schon viel getrunken und dann…“

Claudile stöhnte leise mitfühlend und tätschelte ihr die Schulter. „Es war bestimmt anstrengend, die ganze Zeit einen Mann zu spielen, was?“

„Ihr habt ja keine Ahnung“, brachte sie hervor. „Die Idee hatte mein Onkel. Wir sahen keinen anderen Ausweg. Also nahm ich die Schere und schnitt mir alles ab. Mit einem Laken band ich mir das Oberteil fest und versteckte mich für einige Wochen bei den Holzfällern im Ort. Dort nahm man mich auf und ich lernte zu gehen und zu sprechen wie sie. Ich wusste nicht weiter! Immerzu diese Maskerade.“

Claudile nickte mitfühlend. „Er hat dich nie gefunden. Du bist jetzt frei.“

Sie blickte mit ihrem verquollenem Gesicht auf: „Frei? Sagtest du frei!? Ich bin schon so lange ein Mann, dass ich nicht mehr weiß, was ich eigentlich bin!“

Wer wüsste das besser als ein Werwolf? Gefangen in einem Körper, der weder zur einen noch zur anderen Seite gehörte. „Als würde man zwischen einem Spiegel leben. Die eine Seite verlangt ihr Recht, sowie die andere Seite.“

Beide blickten traurig in die Reste des Hauses, das einst so voller Leben war. „Wir hatten immer genug zu essen, bis der Baron kam. Er lief durch die Straßen und setzte sein Recht durch wie ein…wie ein…,“

„…wie ein Werwolf“, half Claudile aus und nickte beklemmend. „Das wolltest du doch sagen, oder?“

„Baron. Wie ein Baron. Verzeihung“, schniefte sie leise.

„Nein, du hast recht“, gab sie bekümmert zu. „Warum war er hinter dir her? Komm, mir kannst du es sagen“, versuchte sie zu trösten und nahm sie in den Arm. „So ist es gut. Ja, jetzt wird alles gut.“

Alexandra wandte sie um und sah sie ängstlich an. „Ihr dürft es niemanden sagen, Herrin. Bitte, ich beschwöre euch!“

Sie stutzte, aber nickte schließlich. „Gut, verstanden.“

Alexandra nickte zaghaft und schluckte trocken. „Jungfrau.“

„Mmh.“ Claudile wusste, dass sich manche Männer von den Unberührten angezogen fühlte. Offenbar galt das auch für männliche Werwölfe. „Verstehe. Hast du...?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Gut, äh… ist besser so.“ Sie hustete trocken. „Sind deine Eltern… standesgemäß beigesetzt worden“, fragte sie leise und strich ihr übers Haar.

„Darum hat sich Pater Brain gekümmert“, antwortete sie leise. „Er ist ein guter Mann, Herrin. Er schimpfte und tobte, aber wenn er mich sah vergoss er immer Tränen. Seine Grabesrede war gut. Ich mag ihn sehr.“

Mich mag er nicht, dachte Claudile böse. „Könntest du ein gutes Wort für mich einlegen?“

Alexandra lächelte und kuschelte sich näher heran.

So saßen sie eine Zeitlang beisammen.

Die Glückliche Bettina hatte alle Pflichten wie üblich erfüllt, ihre Kinder zu Bett gebracht und einen Teller mit Gewürzgurken, einigen Scheiben Käse und etwas Trauben gemacht. Zufrieden mit sich und der Welt gelangte sie zum Saal, um den netten Mann eine kleine Stärkung zu bringen. Sie erblickte Gaver und Francesco. Sie ahnte gleich, dass das nicht gut ausging.

„Hütet euch vor den Hexen! Vertraut ihnen nicht. Weist sie an euren Türen ab. Sie sind nichts als ein Zufall der Kräfte, ungeschrieben und unsauber, das blasse, neidische Echo lebender, denkender Geschöpfe. In ihren Herzen ist ein Stein. Sie bauen nicht an, sie gründen nicht, sie pflanzen nicht und ernten nicht. Ihre Entstehung war ein Akt des Stehlens, und sie stehlen von Menschen und entehren die Natur. Der einzige Zweck ihres erbärmlichen Lebens ist ihr Ende. Es ist kein Mord, eine Hexe zu töten. Nja, schlimmstenfalls ein Akt der Nächstenliebe!“ So sprach Gaver voller Inbrunst, aber ohne Betonung so dass sich die einstudierte Rede wie ein Singsang eines dummen Kindes anhörte.

Einige wenige Städter hatten sich in Gruppen zusammengefunden und flüsterten hinter vorgehaltener Hand, während Francesco noch immer mit dem Federkiel in der Hand an seinem Platz saß und ihn anstarrte. Langsam ging ihm die Geduld aus.

„Das habe ich in der Sonntagsschule gelernt“, half Gaver nach und nickte befreiend. „Man kann die Worte austauschen, nja. Statt Hexe sagt man Werwolf, Zigeuner, Diebe, …“

„Ich frage dich zum dritten Mal“, zischte er mühsam beherrscht, „ob wir dir Geld schulden. Es sollte ein Gesetz geben, das schwachsinnige Narren verbietet!“

„Wenn es eins gäbe, müsste ich jeden Tag Überstunden machen, Herr.“

„Das gebe ich dir recht, Gaver.“ Francesco lehnte sich zurück und presste die Fingerspitzen aneinander. Er atmete hörbar ein und lächelte kühl: „Lass uns die Situation betrachten, in der ein eifriger und sehr kleiner Mann einen erstaunlichen Plan entwickelt. Er weiß, dass er Gehalt bekommen sollte aber statt die Fürstin zu fragen, steht er ohne eine Ahnung vor mir und hält die Hand auf. Und so geht es los, und unser Freund hält sich nicht mit Zahlen auf, sondern redet sich um Kopf und Kragen. Denkst du, ich wüsste nicht, dass die Stadtwache nutzlos ist? Den letzten Handtaschenräuber habt ihr vor einem Jahr gehängt. Du bist eigentlich nur da, um das Stadttor zu bewachen. Ich möchte den Tag erleben, an dem es nicht mehr da sein wird. Und dein Gesicht dann sehen.“

Bettina stellte den Teller ab. „Eine kleine Stärkung, Herr.“

Gaver grinste blöd und langte zu.

Sie schlug ihm blitzschnell auf die Hand. „Nicht für dich, Gaver“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Es klang wie das Fauchen einer sehr gereizten Leopardin. Schnell wandte sie sich wieder Francesco zu und trug wieder ein sorgenfreies Lächeln zur Schau. „Herr, ich würde Euch kurz sprechen wollen.“

Er nickte widerwillig und ließ sich von ihr mitziehen. Hinter einer Säule flüsterte sie ihm ins Ohr: „Das ist Gaver! Er ist nicht ganz richtig, der Arme. Seid er als Kind vom Kutschbock gefallen ist, ist er etwas langsam. Außerdem trinkt er. Und viel. Eigentlich ist es kein Trinken mehr, sondern ein Saufen. Wir lassen ihn glauben, dass er für Recht und Ordnung sorgt.“

Francesco hörte geduldig zu und nickte ernst. „Ja, verstehe. Eine Frage nur: warum?“

„Könnt Ihr euch vorstellen, wie er auf dem Feld arbeitet oder wie er Lachse fängt? Wir haben alles versucht. Glaubt mir“, sie faltete die Hände und machte ein trauriges, sehr trauriges Gesicht.

„Aber…“

„Bitte. Es ist besser so.“

„Na schön“, stöhnte Francesco und blickte in Gavers Richtung, wie er langsam, ganz langsam sich eine Gurke vom Teller nahm und sie sich in die Hosentasche steckte.

Widerwillig setzte er sich wieder. „Na schön. Du bekommst das Gehalt von vier Monaten plus eine Pfanne aus der Küche. Das ist mein letztes Angebot.“

„Und den Stuhl.“

„Welchen Stuhl?“

„Den Stuhl.“ Gaver zeigte in die Ferne.

„Gaver“, Francesco verbarg den Kopf in seine Hände „das ist ein Thron.“

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