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SOZIALVERHALTEN

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Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass sich die Lebensweise der uns vertrauten Honigbiene auf die Zehntausenden anderen Bienenarten übertragen lässt. Das Gegenteil ist der Fall. Apis mellifera stellt mit ihrer arbeitsteiligen, staatenbildenden Lebensweise die große Ausnahme dar. Die meisten Bienen führen ein Einsiedlerdasein. Doch Gemeinschaftsbienen mit Populationen von bis zu 100.000 Tieren auf der einen und Solitärbienen auf der anderen Seite sind lediglich die zwei Außenpositionen eines Sozialverhaltens, das faktisch mehrere Entwicklungsstufen aufweist. Die Zuordnungen in diese Kategorien lassen sich nicht immer exakt vornehmen und doch vermitteln sie einen Eindruck davon, welchen Umgang Vertreter einzelner Bienengattungen mit ihren Artgenossen pflegen.

AUF SICH SELBST GESTELLT – SOLITÄRBIENEN

Solitär lebende Bienen stellen mit Abstand die größte Gruppe unter den Wildbienen dar. Ihr Einsiedlerdasein bedeutet nicht, dass sie jeglichen Kontakt untereinander meiden würden. Männliche Solitärbienen schließen sich durchaus zu Schlafverbänden zusammen und teilen sich eine Blüte oder einen Fruchtstand als Schlafplatz. Solitäre Bienen zeichnen sich vielmehr dadurch aus, dass die Weibchen ihre Nester alleine errichten und auch bei der Versorgung ihrer Brut auf sich selbst angewiesen sind. Typische Vertreter solitär lebender Wildbienen sind Maskenbienen (Hylaeus) und Seidenbienen (Colletes) aus der Familie der Colletidae, Blattschneider- und Mörtelbienen (Megachile) sowie Mauerbienen (Osmia), aber auch Sandbienen, die allein in Deutschland mit knapp 120 Arten vertreten sind. Der Lebenszyklus einer typischen Solitärbiene verläuft in Grundzügen in etwas so: Zwischen März und Ende Juni schlüpfen mit einem kurzen zeitlichen Vorsprung zunächst die Männchen, die sich auf die Suche nach den bald folgenden fruchtbaren Weibchen machen. Nach dem Begattungsakt begibt sich das Weibchen sofort an die aufwendige Brutvorsorge. Im Alleingang richtet sie einen Nistplatz ein, wobei sie mitunter auf bereits vorhandene Hohlräume zurückgreift. Der Bauvorgang folgt bei Solitärbienen einem strikten Plan: Erst wenn eine Brutzelle vollständig errichtet, mit Larvenproviant in Form von Pollen und Nektar aufgefüllt und mit einem Ei versehen ist, verschließt die Biene die Zelle und beginnt mit dem Bau der nächsten. Wenn alle Brutzellen fertig und aufgefüllt sind, verlässt die Biene das Nest ohne weitere Fürsorge. Bald darauf stirbt das Weibchen. Aus den Eiern schlüpfen Larven, die sich von dem bereitgestellten Proviant ernähren, einspinnen und überwintern. Erst im darauffolgenden Frühjahr erfolgt die Verpuppung und eine neue Generation junger Solitärbienen erwacht zum Leben.


Solitärbienen wie die Mauerbiene leben allein und bauen ihr eigenes kleines Nest. Für jede Eizelle legt die Mauerbiene eine geeignete Brutzelle an, die sie durch senkrechte Wände aus Lehm und Speichel gegen andere Brutzellen abgrenzt.


Die Weibchen der solitären Mörtelbiene bauen je ein eigenes Nest aus Lehm und Steinchen, das an Felsen oder Hauswänden angeheftet wird. Dieses enthält in der Regel fünf bis zehn Brutkammern, in denen sich die Larven entwickeln.


Die Larven ernähren sich nach dem Schlüpfen wochenlang vom Pollen, bevor sie als Vorpuppe in eine mehrmonatige Ruhephase übergehen.


Nachdem die Biene ausreichend Pollen in die Brutzelle eingetragen hat, erfolgt die Eiablage. Danach wird die Brutzelle mit einem Deckel aus Naturmaterialien verschlossen, der bei Linienbauten zugleich den Boden für die nächste Brutzelle bildet.

LEBEN IN DER WOHNGEMEINSCHAFT – KOMMUNALE BIENEN

Eine Vorstufe zum sozialen Verband findet sich unter anderem bei einigen Vertretern aus der Familie der Andrenidae, so zum Beispiel bei der Sporn-Zottelbiene (Panurgus calcaratus) oder einigen Sandbienenarten. Diese kommunalen Bienen zeigen in ihrem Sozialverhalten große Ähnlichkeiten mit Solitärbienen – alle Weibchen sind fruchtbar, alle erledigen die Brutvorsorge im Alleingang. Allerdings werden die Brutzellen in einem gemeinsamen Nest angelegt, das sich zwei oder mehrere Weibchen einer Generation teilen. Einer der Vorteile dieser Wohngemeinschaft, in der die Bienen fast immer einen gemeinsamen Eingang benutzen, ansonsten aber ihren eigenen, autarken Bereich bewohnen, zeigt sich im Fall einer Bedrohung durch artfremde Eindringlinge: Im Nest anwesende Bienen verteidigen dann nicht nur ihre eigene Brut, sondern auch automatisch die ihrer Mitbewohnerinnen.


Nach dem Begattungsakt – hier am Beispiel von Mauerbienen – macht sich das Weibchen sofort an die aufwendige Brutvorsorge.


Solitäre Bienen wie die Blattschneiderbiene zeichnen sich dadurch aus, dass die Weibchen ihre Nester allein errichten und auch bei der Versorgung ihrer Brut auf sich selbst angewiesen sind.

GEMEINSCHAFTLICHES LEBEN MIT ARBEITSTEILUNG – SOZIALE BIENEN

Bei allen sozialen Bienenarten, die Staaten bilden, unterscheiden wir eine auf dem Prinzip der Arbeitsteilung beruhende Differenzierung in drei Wesen: Es gibt eine – optisch meist hervorstechende – Königin und viele Arbeiterinnen, die sich um die Brut kümmern, Nahrung beschaffen und den Nestausbau und -schutz übernehmen. Aus unbefruchteten Eiern entstehen später wiederum männliche Drohnen, die sich weder an der Nahrungssuche noch am Nestausbau beteiligen.

Doch auch dieses Gemeinschaftsleben kennt durchaus unterschiedliche Entwicklungsstufen. So sprechen wir beispielsweise von primitiv-eusozialen Gemeinschaften (eu = griech.: gut, wohl), wenn die eigentliche Nestgründung samt Eiablage und Proviantansammlung von einem einzelnen Weibchen durchgeführt wird. Mit dem Schlüpfen der ersten Tochtergeneration wird jedoch diese an Solitärbienen erinnernde Lebensweise durch arbeitsteiliges Gemeinschaftsleben mit engen Bindungen abgelöst, wobei in aller Regel kein Futteraustausch zwischen den erwachsenen Bienen stattfindet. Die Lebensdauer der primitiv-eusozialen Staaten ist meist auf die Zeit von Frühjahr bis Herbst beschränkt, denn mit dem Ausschwärmen geschlechtsreifer Männchen und Weibchen zerfällt die alte Ordnung, und alle Bienen der Gemeinschaft – abgesehen von den befruchteten Jungköniginnen – sterben. Die wichtigsten Repräsentanten dieser primitiv-eusozialen Lebensweise sind Hummeln.

Den höchsten Grad in der Entwicklung ihres Sozialverhaltens haben unbestritten die Honigbienen erreicht. Ihre hoch-eusoziale Lebensweise ist die Grundlage für das Bestehen von Kolonien, die in ihrer Komplexität und Organisationsweise eine unendliche Faszination ausüben.


Mit dem Schlüpfen der ersten Tochtergeneration entsteht eine arbeitsteilige Lebensgemeinschaft, deren Lebensdauer auf ein Jahr begrenzt ist.


Die bekanntesten Vertreter der primitiv-eusozialen Lebensweise sind Hummeln. Bei der Nestgründung, dem Sammeln von Proviant und der Versorgung der Brut ist das Weibchen komplett auf sich alleine gestellt.


Die Düsterbiene zählt zu den Brutschmarotzern. Die Weibchen suchen meist die Nester der Löcherbiene auf und legen ihre Eier in dem dort vorhandenen Futterbrei ab. Die Larve der Düsterbiene schlüpft vor der Wirtslarve, tötet sie und ernährt sich von dem Pollen-Nektar-Vorrat.

UNGEBETENE GÄSTE – PARASITISCHE BIENEN

Ob Solitärbienen, kommunale oder soziale Bienen – alle diese Bienen verbindet ein wesentliches Merkmal: Die Weibchen legen eigene Nester samt Proviant für ihre Brut an, unabhängig davon, ob sie dies im Alleingang oder gemeinschaftlich tun oder ob sie dafür bereits angelegte Hohlräume nutzen. Dieses Verhalten trifft bei Weitem nicht auf alle Weibchen zu. Im Gegenteil: Je nach Region macht der Anteil parasitischer Bienen, die auch als Kuckucksbienen bezeichnet werden, bis zu 25 Prozent aus. Sie sind in allen Bienenfamilien zu finden, oft schmarotzen sie bei verwandten Arten. Das zeigt sich zum Beispiel bei Trauerbienen (Melecta), die bei Pelzbienen (Anthopora) schmarotzen. Beide Gattungen zählen zur Familie der Apidae. Im Frühjahr, wenn die Pelzbienen ihre Nester an lehmigen Steilwänden, vegetationsarmen Bodenstellen oder in Totholz angelegt haben und die Eiablage erfolgt ist, suchen die Trauerbienen nach einem geeigneten Moment, um in die Nester einzudringen und in bereits verschlossene Brutzellen ihre eigenen Eier abzulegen. Die Larve frisst nach dem Schlüpfen zunächst das Wirtsei, bedient sich dann der angelegten Vorräte und überwintert auch in der Brutzelle. Ganz offensichtlich weiß die Pelzbiene um die Gefahr, die von außen in Gestalt von Kuckucksbienen droht, denn nicht selten finden sich im Eingangsbereich der Nester Brutzellen, die mit nur wenig Proviant angereichert sind und in denen keine Eiablage erfolgt ist. Selbst wenn die parasitische Biene hier ihre Eier ablegt, wird die Brut der Wirtin dadurch nicht gefährdet – ein cleveres Täuschungsmanöver.

Die Weibchen parasitischer Arten haben trotz aller Unterschiede im Hinblick auf Form und Farbgebung ein gemeinsames Merkmal. Sie verfügen im Gegensatz zu ihren solitär, kommunal oder sozial lebenden Verwandten über keine Sammelvorrichtungen und haben meist ein nur sehr spärliches Haarkleid. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Da sie keinerlei Brutvorsorge betreiben, also auch keinen Proviant sammeln müssen, sind diese anatomischen Voraussetzungen entsprechend zurückgebildet.

Das große Buch der Bienen

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