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3. Aus orthodoxer Sicht

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Athanasios Vletsis

1. Ökumenismus als Verrat des orthodoxen Glaubens und Rückkehrökumene als Lösung für das Problem der Kirchenspaltung?

Orthodoxe Kreise in Griechenland haben im April 2009 einen Text verabschiedet mit dem bezeichnenden Namen »Glaubensbekenntnis« (Omologia Pisteos)1. Wie jedoch der Untertitel des Dokuments verrät, geht es dabei nicht um eine neue Form des Credo (eine solche Vorstellung wäre orthodoxen Gläubigen suspekt), sondern um eine klare Abgrenzung des orthodoxen Glaubens vom ökumenischen Dialog, der von diesen Kreisen als »Panhäresie« und als Verrat des orthodoxen Glaubens abgelehnt wird. Die Rückkehr zur orthodoxen Kirche bleibt dann, nach diesem Verständnis, die einzige mögliche Lösung des Problems der Kirchenspaltung, denn allein die orthodoxe Kirche »repräsentiert die wahre katholische Kirche Christi«. Ist nun die Erfahrung, welche die Orthodoxen durch ihre Beteiligung an der ökumenischen Bewegung gesammelt haben, eine negative? Und wie soll nach den Prinzipien der »Rückkehr-Ökumene« der Dialog der Kirchen fortgesetzt werden?

2. Ökumenische Aktivität als vielfältige Bereicherung

Die Wahrnehmung des orthodoxen Glaubens durch den ökumenischen Gesprächspartner

Das ökumenische Patriarchat von Konstantinopel und die Orthodoxen, die an den vielfältigen Dialogen beteiligt sind, beurteilen jedenfalls die Rolle ihrer Kirche im ökumenischen Dialog ganz anders als das eingangs zitierte anti-ökumenische Manifest. Sie sind sogar stolz, dass gerade eine orthodoxe Kirche bei der Idee der Bildung einer Gemeinschaft (Koinonia) von Kirchen entscheidend beteiligt war.2 Auch wenn die verschiedenen orthodoxen Kirchen mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen und ihrem je eigenen Welthorizont erst allmählich zur Wahrnehmung der Bedeutung der ökumenischen Bewegung kamen3, hat ihre Aktivität in der ökumenischen Bewegung bleibende Spuren hinterlassen. Dadurch wurde nicht nur die reiche orthodoxe Tradition von anderen Kirchen neu entdeckt – auch für ihre eigene Selbstwahrnehmung hatte diese ökumenische Öffnung Rückwirkung gezeigt. Denn durch die Augen des Gesprächspartners sind orthodoxe Theologen selber zu einem vertieften Verständnis ihrer eigenen Tradition gelangt und haben damit Eigenschaften ihrer eigenen Identität besser kennen- und schätzen gelernt. Insbesondere folgende Bereiche theologischer Tätigkeit wurden im ökumenischen Dialog als ein wesentlicher Beitrag ostkirchlicher Identität hervorgehoben:

 Die Erinnerung an den bindenden und normativen Charakter von Entscheidungen der gemeinsamen ökumenischen Konzilien im ersten christlichen Jahrtausend. Da diese Konzilien auf dem Boden der Ostkirchen stattgefunden haben, wurde oft genug im Verlauf der ökumenischen Anstrengungen auf die wichtige Rolle des ostkirchlichen Christentums zur Festigung des christlichen Glaubens verwiesen. Die dogmatischen Beschlüsse von ökumenischen Konzilien haben den Glauben an den Dreieinigen Gott und an seine heilsgeschichtliche Offenbarung in der Person seines Sohnes und in der Wirkkraft des Heiligen Geistes nicht in abstrakten Normen erfasst, sondern vorrangig in feierlichen doxologischen Formeln, wie insbesondere im Credo von Nizäa-Konstantinopel (325 - 381).

 Die Doxologie (die Verherrlichung des Dreieinen Gottes) findet in der Tradition orthodoxer Kirchen ihren Ausdruck in der Vielfalt gottesdienstlichen Lebens. Die Wiederentdeckung der zentralen Bedeutung der eucharistischen Versammlung der Kirche Jesu Christi wurde als ein besonderer Impuls ostkirchlichen Lebens gewürdigt. Wird eine solche eucharistische Ekklesiologie betont, so kann man hoffen, dass sich dies auch im Sinne einer dynamischeren Gestaltung der kirchlichen Strukturen auswirkt.

 Außerdem konnten auch die Werke der Patristik neu entdeckt werden. Die Schriften der Kirchenväter fungieren dabei nicht als das unfehlbare Zeugnis des Glaubens, an dessen Erfassung nicht gerüttelt werden darf; sie werden vielmehr als Ausdruck einer mystischen Vertiefung der Überlieferung interpretiert. Diese mystische Erweiterung christlichen Glaubens vermag eine Verengung in strengen, oft abstrakten dogmatischen Formeln zu sprengen – erst in diesem Sinn können die Kirchenväter recht verstanden werden.

Die Ökumene als Lernprozess auch für die Orthodoxen

Bei den vielfältigen Dialogen konnten die Orthodoxen nicht nur Zeugnis ihrer Tradition abgeben und damit das Spektrum christlicher Wahrnehmung erweitern. In vielerlei Hinsicht konnten sie auch selbst von der Erfahrung anderer christlicher Gemeinschaften lernen und sich bereichern lassen. Ich möchte wiederum exemplarisch drei Felder solchen ökumenischen Lernens für die Orthodoxie benennen, die in einer gewissen Entsprechung zu den oben erwähnten drei positiven Beiträgen orthodoxer ökumenischer Sensibilisierung stehen könnten:

 Die (Wieder-)Entdeckung der sozialethischen Dimension des Glaubens als eine notwendige Ergänzung (und nicht als Widerspruch) zu doxologisch-gottesdienstlichen Lehraussagen. Orthodoxe selber haben das Wort von der »Liturgie nach der Liturgie« (ION BRIA) geprägt, um ihre Mitwirkung an den sozialethischen Aktivitäten des ÖRK zu beschreiben, konkret ihre Mitarbeit beim »Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung«. Gewiss gibt es noch viel zu lernen – so fehlt es z. B. manchmal an der kritischen Distanz ihrer Kirche zum national-staatlichen Leben (als Ergänzung und Korrektur des byzantinischen »Symphonie«-Prinzips). Jedenfalls trägt die Sensibilisierung für eine Reihe sozialer Fragen bereits Früchte, wie z. B. die Umweltaktivitäten des Ökumenischen Patriarchats zeigen.

 Die bisherigen ökumenischen Beziehungen haben den Orthodoxen die Katholizität kirchlicher Existenz in ihrer universalen Öffnung anschaulich gemacht. Damit wird die Bedeutung der eucharistischen Ekklesiologie nicht einfach in den überschaubaren Grenzen von kleinen Gemeinden gezeigt – ihre Dynamik lädt nun ein, die Strukturen kirchlichen Lebens weltweit neu zu gestalten und das Leben der Kirche eucharistisch-missionarisch zu öffnen.

 Durch das vielfältige sachliche ökumenische Gespräch wurden allmählich nicht wenige dogmatische Unterschiede der Vergangenheit weitgehend geklärt; damit verlieren nun Lehrunterschiede ihren trennenden Charakter. Man kann in dieser Kategorie nicht wenige Dissenspunkte erwähnen: von der Filioque-Problematik und von Fragen der Sakramenten-/​Pastoraltheologie (samt Amtstheologie) bis hin zu den Bräuchen der liturgischen Praxis, die den Kirchen jetzt erlauben, gemeinsam zu beten, ökumenische Gottesdienste zu feiern und Sakramente gegenseitig anzuerkennen (wie z. B. Taufe und Trauung). Die mystische Dimension christlichen Glaubens macht also das konkrete theologische Vokabular nicht unbrauchbar, sondern öffnet es allmählich in einer neuen Wahrnehmung.

3. Ökumenische Zielvorstellungen: eine neue Wahrnehmung der Katholizität christlichen Glaubens im stetigen ökumenischen lernen und Wachsen

Die großen Fortschritte in der ökumenischen Bewegung können über die immer noch vorhandene Trennung der Kirchen nicht hinwegtäuschen. Gewiss, die Einheit der Kirche kann nicht ein Werk von Menschen sein. Erst die Wirkung des Heiligen Geistes kann jene Gemeinschaft (wieder-)herstellen, die nicht Gefahr läuft, von menschlicher Hand zerstört zu werden. Dass aber auch das »synergetische« Mitwirken des Menschen sein Friedenswerk entfalten soll, ist gerade für orthodoxe Christen ein fester Bestandteil ihres Glaubens. Welches könnte nun der menschliche Beitrag zur Einheit der Kirche sein? Ist nicht gerade für die Ökumene die Vorstellung lähmend, dass wir Christen nicht einig werden können bezüglich des Ziels unserer ökumenischen Anstrengungen?4

Dass die Einheit der Kirchen der Welt im gemeinsamen eucharistischen Kelch sichtbar versinnbildlicht werden sollte, prägt (wie ich denke zu Recht) die Einheitsvorstellung aller Kirchen. Dass der Weg dorthin wahrscheinlich ein langer sein wird, ist wiederum eine Gewissheit, die von den meisten ökumenisch engagierten Theologen geteilt wird. Welcher Katalog von theologischen Fragen sollte noch abgehakt werden, damit die Kirchen zu einer Einigung kommen können? Beinahe endlos würde diese Liste aussehen, wollte man darin alle Interpretations- und Meinungsunterschiede theologischer Differenzierung berücksichtigen. Die eigene orthodoxe Geschichte kann m. E. bezeugen, dass nicht erst die Übereinstimmung in allen Einzelheiten die Voraussetzung dafür liefert, dass die Orthodoxen gemeinsam das eucharistische Brot teilen können. Es genügt, wenn der Glaube in der Form eines gemeinsamen Credo bezeugt und die nötigen sakramentalen (nicht kulturell gewachsenen!) Formen geteilt werden können, um zusammen die Liturgie zu feiern. Gewiss steht für die Orthodoxen hinter einer Fassade der Einförmigkeit eine gemeinsame Geschichte, die als Einheit stiftender Faktor wirksam ist. Geht es aber in der Ökumene nicht darum, die Grundwahrheiten des christlichen Glaubens wiederzuentdecken, die von einer viel tiefer reichenden Einheit Zeugnis ablegen können als die geschichtlich gewachsenen historischen Traditionen? Und wie soll dann die neue gemeinsame ökumenisch-katholische Einheit entstehen, die erst im Verlauf der Geschichte dieser Welt zu einer stets wachsenden ökumenischen Komplementarität führen kann?

Denn der gemeinsame eucharistische Kelch kann nicht das Ende des Weges von Kirchen unterwegs ins Reich Gottes sein. Orthodoxe interpretieren diese eucharistische Gabe als Vorwegnahme und als Abbild des himmlischen Mahles vor dem Altar Gottes. Bis wir aber dorthin gelangen, kann es für menschliche Maßstäbe unendlich dauern. Könnte nicht eine Annäherung von kleinen, aber entscheidenden Schritten der Katholizität5 des christlichen Glaubens in der heutigen Welt sichtbaren Ausdruck verleihen? Das gemeinsame Glaubensbekenntnis könnte allmählich von vielen anderen liturgischen und theologischen Zeugnissen des Glaubens in der Welt begleitet werden. Ja, eine lebendige Einheit kann stets neue Formen ihrer Katholizität erproben, ohne ihre Tradition zu leugnen. Die Vergangenheit kann nicht immer die passenden Lösungen für die Zukunft anbieten. Sie kann aber die Fülle christlichen Lebens schrittweise offenbaren, wenn die Charismen des einen die Gaben des anderen ergänzen: Wenn die doxologischen Formen von Glaubensaussagen durch die diakonischen Formen eines opfernden Dienstes für die Welt begleitet werden, und dies alles in jener demütig-mystischen Haltung, die in der Lage sein wird, die Dynamik des Geistes offenzulegen, dann kann im großen Delta der Übereinkunft des Flusses des Glaubens das kosmische Meer stets neue Nahrung bekommen. Erst dort kann die Weite des christlichen Glaubens anschaulich erfahrbar werden.

Ökumene - wozu?

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