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Tochter der Sonne 1.

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So weit das Auge reichte … nichts als Sand! Goldgelber Wüstensand, der mit dem Horizont, an dem eine goldgelbe Sonne gleißte, zu verschmelzen schien. Freya hatte schon so einiges über dieses Land gehört, aber in den Geschichten hatte es sich immer irgendwie … phantastisch angehört, fremdartig, exotisch, wundervoll. Aber das hier war … recht ernüchternd. Heiß und … staubig. Seufzend sah sie sich um. Nein, hier gab es weit und breit nichts anderes als staubigen, heißen Wüstensand. Enttäuschung machte sich in ihr breit. Sie hatte hierher kommen wollen, weil sie irgendwohin gewollt hatte, nur weg aus ihrer Heimat. Sie hatte gehört, dass das hier ein Land voller Sonne wäre. Es war ein Land voller Sonne. Aber in ihren Gedanken hatte es sich … irgendwie schön angehört. Aber das hier …! Sie hatte hierher gewollt, weil sie in ihrem eigenen Land nicht mehr sicher war. Jetzt war sie nicht sicher, ob das eine gute Idee gewesen war hierher gekommen zu sein. Der Weg hierher war unglaublich beschwerlich gewesen, ihr Körper war mittlerweile geschunden und übersäht mit blauen Flecken von ihren Stürzen, die sie sich im Gebirge zugezogen hatte, das die Grenze zwischen diesen beiden Ländern - ihrer Heimat, in der das Wetter meist zu feucht und etwas kühl war, und diesem hier, wo es augenscheinlich weder Feuchte noch Kühle zu geben schien, darstellte. Sie war viel nachts unterwegs gewesen, um ihren Häschern zu entgehen, die ihr hinterher und noch immer auf Rache aus waren. Man hatte sie öffentlich angeklagt. Sie sollte bestraft werden, dafür dass ihr immer wieder diese Dinge passierten, wofür sie gar nichts konnte. Freya war mehr als einmal, in mehr als nur ihrem Heimatdorf, mit ihrer unheiligen Gabe aufgefallen. Und die Menschen verstanden einfach nicht, was sie da immer sahen. Für sie war Freya nur ein regelrechter Feuerteufel. Ein unheilvolles, dämonisches Kind. Und so etwas durfte es gar nicht geben! Deswegen war sie fortgelaufen. Man hatte sie nicht nur einfach vertreiben wollen. Die Männer, die hinter ihr her gewesen waren, wollten noch etwas ganz anderes mit ihr tun. Nur zum Sterben fühlte sie sich eindeutig zu jung. Und zu unschuldig. Daher war sie geflohen. Fort aus ihrer Heimat. Weit fort. So weit, dass sie nun hier angekommen war. Hier im … staubigen, heißen Nichts. Aber vielleicht war das ja auch gut so. Vielleicht konnte sie hier wenigstens nicht irgendwas aus Versehen in Brand stecken. Hier gab es ja nichts!

Außerdem … wenigstens regnete es hier nicht. Das war sie nämlich gründlich leid geworden auf ihrem langen Weg hierher. In ihrem Land gab es um diese Jahreszeit ständig diesen alles durchdringenden, feinen Regen, der einem sogar bis ins Gemüt kroch. Und es war ihr so vorgekommen, dass sogar dieser Regen sie nicht dort haben wollte - sie, als Feuerteufel, als der sie verschrien war.

Aber hier war alles so ganz anders ….

Trotzdem war sie noch immer ein wenig missmutig, als sie sich wieder in Bewegung setzte, auf einen winzigkleinen Fleck am Horizont zu, von dem eine dünne Rauchsäule in den hellen Himmel aufstieg. Diese Rauchsäule bedeutete, dass dort Leute lebten. Nicht, dass sie menschliche Gesellschaft bevorzugte - wenn es nach ihr gegangen wäre, dann würde sie durchaus noch drei oder vier Wochen allein unterwegs sein. Aber sie hatte allmählich Hunger und sie wusste sich in dieser Einöde nicht zu helfen. Sand konnte man jedenfalls nicht essen!

Tatsächlich erreichte sie nach einiger Zeit ein kleines, recht fremdartig aussehendes Dorf. Der kleine Marktplatz inmitten all der mit bunten Tücher verhangenen, von der Sonne ausgeblichenen hellgelben Lehmhäuser sah recht einladend aus, sämtliche Marktstände ebenso fröhlich kunterbunt, wie auch die Gewänder der Menschen, die hier hin und her eilten. Neugierig blieb sie hier und da stehen und schaute den Leuten zu, besah sich die Waren, die an den bunten Ständen feilgeboten wurden, und roch das Essen, das einige Händler in großen Pfannen und Töpfen darboten. Immer wieder wurde ihr von dem einen oder anderen Händler in einer ihr fremden Sprache gutmütig schwatzend etwas entgegengestreckt, doch die Hände wurden sofort zurückgezogen, sobald die Blicke der Leute sich zu ihr hoben. Aus dem zuvor freundlich klingenden Gebrabbel, das Freya nicht verstand, wurde Argwohn und man wies immer wieder laut lamentierend mit dem Kopf auf sie. Sie verstand nicht, was die Menschen um sie herum sagten. Sie verstand aber, dass man sie hier als Fremde erkannte. Hier, unter diesen dunkelhäutigen Menschen mit ebenso durchweg dunklen Haaren, fiel sie auf, wie ein fremdartiges Insekt, sie, mit ihren blonden Haaren, die ihr in langen Strähnen in ihr blasses Gesicht fielen. Sie verstand, dass die Menschen argwöhnisch waren. Das waren sie überall, wo sie auf ihnen fremde Menschen trafen. Sie verstand auch, wenn sie sich so umsah, dass sie wohl die einzige Frau war, die sich hier auf diesem Marktplatz befand, was den hiesigen Männern aus einem ihr unerfindlichen Grund wohl ein Dorn im Auge war. In ihrer Heimat war es Sache der Frauen einkaufen zu gehen. In ihrer Heimat wären wohl Männer so eigenartig beäugt worden, wenn sie auf einem Markt einkaufen gehen wollen würden. Aber sie verstand auch, dass sie Hunger hatte. Ihr Magen knurrte ungeduldig und voller Vorfreude ob der einladenden Essensgerüche. Immerhin: das hier war ein Markt! Etwas Geld hatte sie in der Tasche. Und so schnappte sie sich beim nächsten Händler die Teigtasche, die ihr unter die Nase gehalten wurde, noch bevor der wirklich aufsehen konnte. Ein entrüstetes Gemurmel entstand, das immer lauter anschwoll. Freya beeilte sich ihm ein paar Kupfermünzen in die Hand zu drücken und ging hastig mit ihrer duftig gefüllten Teigtasche in den Händen weiter.

Das Gemurmel hinter ihr wurde aber leider nicht leiser. Es wurde im Gegenteil sogar lauter, kam ihr hinterher und rottete sich zu einem regelrechten Mob zusammen, der sie quer über den Marktplatz zu verfolgen schien.

Freya war plötzlich atemlos vor Angst. Sie verstand kein einziges Wort von all den Menschen, die hier wüst auf sie einredeten und die Augen der Männer um sie herum verrieten ihr eine schlecht unterdrückte Wut. Nur vorüber sie wütend waren, konnte sie leider nicht verstehen. Sie konnte es nur ahnen. Sie war hier fremd. Sie war eine Fremde unter all den Leuten und mit Sicherheit wollte niemand einen Fremden in seiner Nähe haben. Fremde bedeuteten meist Ärger. Zumindest hielt man es in ihrem Heimatdorf so. Sie versuchte möglichst schnell mit immer hastigeren Schritten davonzukommen. Darum bemüht möglichst niemanden anzusehen, stolperte sie mehr mit gesenktem Blick und ihrer kargen Mahlzeit in der Hand, als dass sie wirklich noch koordiniert einen Schritt vor den anderen setzen konnte. Und dann konnte sie es mit einem mal gar nicht mehr. Sie spürte noch einen dumpfen Schmerz in ihrem Kopf und nahm noch vage war, dass ihr ihre Teigtasche aus den Händen glitt und zu Boden fiel. Danach wurde es dunkel um sie herum.

„Ich glaube wir haben ihn verloren!“ Der Reiter hoch auf seinem eleganten, dunklen Ross blickte nicht gerade optimistisch drein, während seine Augen die gesamte Gegend absuchten.

„Wir dürfen jetzt nicht aufgeben! Es ist doch noch gar nicht so lange her, dass wir diese Schwingung aufgenommen haben. Echtes Potential entwickelt und entfaltet sich nur langsam. Wir müssen Geduld haben.“, sagte sein Begleiter leicht tadelnd und spähte in die Ferne, als ob er hoffte, dort die Schwingung, von der er sprach, zu Gesicht zu bekommen.

Aber alles, was er sah war eine Steppe, die nur hier und da von einigen knorrigen Bäumen bewachsen war, die zudem niemandem in einem Maße Deckung boten, als dass sich jemand in ihren Schutz zurückziehen könnte. Seit einigen Wochen schon hatten sie kein menschliches oder menschenähnliches Wesen mehr gesehen. Zumindest nicht aus der Nähe. Glücklicherweise wohl aber einige kleine Nagetiere, die ihnen abends immer wieder als kleines Festmahl dienten. Auch jetzt nahm er die Bewegung eines kleinen Tieres in der Ferne wahr.

Er zog mit einer fließenden Bewegung seinen Bogen von seinem Rücken, legte einen Pfeil an die Sehne seines Bogens an, zielte kurz und schoss den Pfeil ab, der sein Ziel nicht verfehlte. Zumindest würden sie heute Abend wieder etwas Fleisch zu essen bekommen. Zusammen mit einigen Beeren, die hier glücklicherweise reichlich wuchsen, würden sie heute Abend zumindest kulinarisch für ihre vergebliche Suche entlohnt werden, die sich schon seit einiger Zeit hinzog. Besonders glücklich darüber waren beide Männer nicht. Auch wenn dem Schützen die Suche nicht einmal halb so viel ausmachte, wie seinem Begleiter.

Der Bogenschütze wendete sein Pferd in die Richtung, in die er den Pfeil abgeschossen hatte, und trieb sein Pferd an. Bei dem toten Tier angekommen nahm er es am Pfeilschaft auf, zog den Pfeil aus dem leblosen Körper und steckte ihn dann wieder in seinen Pfeilköcher zurück. Das erlegte Kaninchen band er mit einem Stück Lederband an dem Sattel seines Pferdes fest. Er würde sich später weiter darum kümmern.

„Echtes Potential entfaltet sich nur langsam …“, echote der andere Reiter. „Was wissen wir denn schon?! Es ist Ewigkeiten her, dass man Schwingungen echter Magie gespürt hat, und noch länger ist es her, dass ein echter Magier frei auf Erden wandelte!“, maulte er.

„Kosmo!“, schalt der Bogenschütze. „Willst du etwa Bastaho sagen, dass du aufgegeben hast, und mit leeren Händen zurückkehren?“

Kosmo sah leicht betreten zu Boden. „Natürlich nicht, Damaso, aber ich habe schon lange nichts mehr gespürt und ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob wir noch auf der richtigen Fährte sind.“

„Dann lass uns einfach drüben bei den drei Bäumen unser Nachtlager aufschlagen und für heute unsere Suche beenden. Ein bisschen mehr Ruhe wird uns nicht schaden, und ihm gewiss auch nicht.“ Damaso sah noch einen Augenblick lag angestrengt in die Ferne, dann aber ritt er zu der kleinen Gruppe von Bäumen herüber, die er als Nachtlager auserkoren hatte.

Jetzt, kurz vor der Dämmerung, wirkte die Steppe irgendwie verzaubert. Er liebte diesen weiten Blick, vor allem wenn der Horizont durch den Sonnenuntergang Feuer gefangen zu haben schien. Kosmo folgte ihm in einem langsameren Tempo zu den Bäumen. Er war es einfach müde zu suchen, ohne zu wissen, nach wem sie eigentlich Ausschau halten sollten. Die Schwingung, die der alte Bastaho als Erster wahrgenommen hatte, brauchte noch nicht einmal aus diesem Land zu stammen. Was bedeutete, dass sie noch Wochen, ja sogar noch Monate von ihrem Ziel entfernt sein konnten. Schließlich war es nur eine schwache Regung von Magie gewesen, die Bastaho gespürt hatte. Natürlich hatte er vermutet, dass der Träger dieser Magie sein ganzes Potential noch nicht entwickelt hatte, vielleicht kannte er es gar nicht. Das war auf jeden Fall ein Grund, warum die Schwingung nur so schwach war. Was aber ist, wenn sich alle irren, und der Träger in einem anderen Land zu suchen ist?, fragte sich Kosmo.

Aber darauf würde er heute wohl keine Antwort bekommen. Damaso war niemand, der aufgab, Damaso war jemand, der seine Ziele immer erreichte. Und wenn es noch so lange dauern würde. Und Damaso war jemand, der alles bezwingen konnte: Hunger, Müdigkeit, Kälte, Verdruss und Hoffnungslosigkeit …!

Damaso sah Kosmo an, als er endlich zu ihm aufgeschlossen war.

„Verlier nur nicht den Mut.“, versuchte Damaso seinem jüngeren Begleiter ein wenig aufzumuntern. Damit saß er vom Pferd ab und machte sich daran eine große, graue, dicht gewebte Decke, die hinten an seinem Sattel befestigt war, vom Pferderücken zu holen, um sie zwischen die unteren Zweige der Bäume zu spannen. Auf diese Weise würden sie heute ein Dach über den Kopf haben. Es sah nach Regen aus ….

Einige Zeit später hing ihr Abendessen gut durchgebraten über dem Feuer, das sie entzündet hatten. Zusammen mit einigen Beeren, die Kosmo gepflückt hatte, und einigen Stücken Brot, die sie als Proviant mitgenommen hatten, ergab ihr Jagdglück eine gute Mahlzeit, die Kosmo wieder in bessere Stimmung versetzte.

Trotzdem waren beide Reiter an diesem Abend sehr schweigsam. Auch nach ihrer Mahlzeit, als sie sich noch eine Pfeife teilten, sagten sie kaum ein Wort. Stattdessen schienen sie mit dem ausgeblasenen Rauch aus ihrer Pfeife auch ihren Geist in den Himmel zu schicken.

„Spürst du etwas?“, durchbrach Damaso nach einer ganzen Weile die Stille plötzlich mit einem deutlichen Lauern in seiner Stimme.

„Deinem Unterton nach zu urteilen, sollte ich wohl etwas spüren.“, entgegnete Kosmo ergeben. „Aber ich muss dich enttäuschen. Vielleicht bin ich auch einfach nur zu müde.“

„Ruh´ dich aus. Morgen werde ich uns wieder auf den richtigen Weg bringen!“ Damaso wandte seinen Blick von seinem Freund ab und schaute mit halb geschlossenen Augen in den Himmel empor. Angestrengt horchte, sah und fühlte er in sich und in die Welt hinein. Dann, nach einer geraumen Zeit, nahm er einen zufriedenen Gesichtsausdruck an.

Als er zu Kosmo hinüber sah, musste er feststellen, dass sein Freund bereits eingeschlafen war.

Als Freya wieder zu sich kam, war es immer noch dunkel um sie herum. Diesmal kam die Dunkelheit aber offensichtlich dadurch zustande, dass es mitten in der Nacht war.

Sie versuchte sich aufzusetzen, aber ihr Kopf dröhnte fürchterlich! Ihr Kopf brummte und schmerzte und fühlte sich an, als wäre sie unter einen Ochsenkarren gekommen, mit dem sie als Kind einmal unachtsam Bekanntschaft geschlossen hatte. Aber das war jetzt nicht der Fall gewesen. Sie war sich durchaus bewusst, was passiert war. Warum hatte man sie niedergeschlagen? Was hatte sie denn getan?

Sie versuchte sich zu bewegen, musste aber feststellen, dass ihre Beine gefesselt und sie mit ihrem linken Arm irgendwo fest gekettet war. Eine stille Panik überkam sie, doch sie konnte sich beherrschen. Sie musste möglichst ruhig bleiben und erst einmal sehen, in welcher Lage sie hier steckte! Freya spürte schweres, kaltes Metall um ihr linkes Handgelenk liegen und wagte nur vorsichtig ihren Arm zu bewegen. Ein metallisches Klirren sagte ihr, dass an der Handschelle um ihrem Gelenk noch eine Metallkette hing. Damit war es wohl relativ aussichtslos sich frei zu machen und zu flüchten. Das wäre prompt ihr erster Reflex gewesen.

Also schaute sie sich um, soweit die Dunkelheit es zuließ.

Ihre Augen brauchten eine Weile, um sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen, dann aber nahm sie Schatten um sich herum wahr. Nach einiger Zeit konnte sie die Schatten deutlicher erkennen: Offensichtlich saß sie mit mehreren zusammengekauerten Menschen in einem Raum. Vielleicht war es auch kein Raum! Ein steter und kalter Luftzug war deutlich zu merken und die andere Menschen hier saßen anscheinend ebenso wie sie, auf einem kalten und sandigen Boden.

Nachdem sie noch eine Weile vergebens versucht hatte sich leise ihrer Handschelle zu entledigen und mehr von ihrer Umgebung zu erkennen, sank sie wieder zurück in den Sand und wartete ab. Sie konnte nichts tun. Und die anderen um sie herum schienen allesamt tief und fest zu schlafen.

Schlaf … das war wahrscheinlich das Einzige, was ihren Kopf vor lauter Grübeleien jetzt vom Zerplatzen abhalten konnte!

Als sie das nächste Mal erwachte war es taghell und sie konnte endlich ihre Umgebung wahrnehmen. Zwar machten ihr immer noch die Schmerzen in ihrem Kopf zu schaffen, aber sie sah deutlich die nächtlichen Schatten jetzt bei Tage. Es waren tatsächlich andere Menschen gewesen, die allesamt, genau wie sie, angekettet auf dem Boden eines Zeltes saßen oder lagen. Freya erschrak, als sie in die Gesichter der Menschen blickte. Es waren ausnahmslos fremdländische Menschen mit dunkler Haut und schwarzen Haaren. Ihre Augen konnte Freya nicht erkennen, niemand wagte auch nur einmal den Kopf zu heben oder sich verstohlen umzusehen. Obwohl die anderen Leute im Zelt alle wach waren, was Freya unschwer erkennen konnte, blieben doch alle still sitzen, als warteten sie resigniert auf etwas Bestimmtes.

Freya hatte mittlerweile längst alles Gefühl für die Zeit verloren, sie hätte nicht sagen können, ob es kurz nach Sonnenaufgang oder kurz vor Sonnenuntergang war, aber nach einer ganzen, langen, ewig dauernden Weile kam jemand in einem langen, dunklen Gewand mit einem verschlungenem Tuch um seinen Kopf, das einen Großteil seines Gesicht verbarg, in ihr Zelt, sah sich gründlich die einzelnen Menschen an und machte sich daran, vereinzelte Leute von der langen Eisenkette, an der alle mit ihren eigenen Ketten verbunden waren, abzumachen, um sie grob hinter sich her aus dem Zelt zu zerren.

Von draußen erklangen verschiedene Stimmen, alle in der fremden Sprache, die Freya tags zuvor auf dem Marktplatz gehört hatte und nicht verstand. Dann hörte sie, wie sich die Stimmen immer weiter fort bewegten.

Nach kurzer Zeit kam der vermummte Mann wieder ins Zelt herein. Diesmal blickte er als erstes direkt zu Freya hinüber. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als seine eiskalten Augen ihren Blick trafen. Grenzenlose Furcht stieg in ihr hoch. So erbärmlich hilflos, wie gerade eben jetzt, hatte sie sich noch nie gefühlt. Was wollte er von ihr?

Sein Blick wanderte zu einem anderen Mädchen hinüber, dann besah er noch drei weitere Mädchen. Sie schienen alle in Freyas Alter zu sein, vielleicht auch etwas jünger. Keines von ihnen schien aber dermaßen beunruhigt zu sein, wie Freya es war. Sie wirkten auf sie eher … stumpf. Ganz so, als hätten sie sich aufgegeben. Freya schluckte.

Der Mann löste ihre Ketten und zog sie mit sich hinaus ins Freie. Nur widerstrebend wollten Freyas Füße ihren Dienst aufnehmen und mitlaufen. Umso grober wurde sie von dem Mann an ihrer Kette auf die Füße gezogen und wurde hinter den anderen Mädchen her gestoßen.

Draußen erwartete sie der bunte, fröhliche Marktplatz. Überall wuselten wieder fremdländische Menschen durch die Gegend, waren immer noch die Stände mit allerlei Waren aufgebaut, wurde hier gefeilscht und dort nachgefragt, und schließlich Waren verpackt und verstaut.

Freya wurde unsanft in eine Reihe gezwungen, zu der sich die anderen Mädchen aufgestellt hatten. Sie musste gegen die Sonne anblinzeln und senkte den Blick, um sich dem grellen Sonnenlicht zu entziehen.

Ein Mann trat auf sie zu, fasste sie hart unter das Kinn und zwang ihren Kopf nach hinten, um sie genauer anschauen zu können. Dann sagte er etwas. Als Freya nicht darauf reagierte, blickte er den anderen Mann an, der sie aus dem Zelt herausgeholt hatte. Er trat auf Freya zu und sprach sie direkt in einem schroffen Ton mit lauter Stimme an. Freyas Augen weiteten sich, als sie begriff, dass sie absolut nicht verstand, was man nun von ihr erwartete. Aber der Mann in seinem dunklen Gewand fackelte nicht lange und schlug sie hart ins Gesicht, wobei er seine Worte wiederholte.

Angst stieg Freya bitter die Kehle hinauf, Angst, gemischt mit einer ungesunden Wut.

Noch einmal trat der andere Mann an sie heran und blickte ihr voller Zorn ins Gesicht. Freya verstand immer noch nichts von dem, was er ihr entgegen stieß. Sie schaute kurz zu den anderen Mädchen hinüber, die aber alle den Kopf tief gesenkt hielten und so taten, als hätten sie nichts von alle dem mitbekommen. Wunderbar, schoss es ihr durch den Kopf. Sie konnte hier noch nicht mal jemandem vermitteln, dass das alles hier nur ein Missverständnis sein musste!

Ein fester Tritt gegen ihr Schienbein brachte sie aus ihren Überlegungen.

Langsam spürte Freya, wie ihr die Zornesröte ins Gesicht stieg. Kampfeslustig sah sie den Mann vor sich an.

„Ich habe mich schon öfter gegen Männer wehren müssen, die sogar größer waren, als du. Wenn du es darauf anlegst, kannst du dir gerne Prügel von mir abholen!“, stieß sie ihm verächtlich zwischen zusammengebissenen Zähnen entgegen.

Die Männer wechselten kurz einige zornige Worte, dann fasste der eine mit beiden Händen nach ihrer Bluse und riss sie mit einem Ruck auf.

Fast automatisch schlug Freya mit ihrer freien Faust zu und landete einen gezielten Treffer mitten auf seiner Nase. Der Mann riss augenblicklich seine Hände vor sein Gesicht und krümmte sich mit einem schmerzverzerrten Wehklagen. Der andere Mann schob sich sofort dazwischen, eine Faust deutlich zum Schlag erhoben, und hätte Freya um ein Haar wieder mitten ins Gesicht getroffen, aber Freya duckte sich blitzschnell unter der Faust weg. Oft genug hatten irgendwelche Strolche auf ihrer langen Reise geglaubt, man könne sich ungestraft an ein Mädchen wie sie heranmachen. Was glaubten die Männer eigentlich alle? Dass ein Mädchen, nur weil es einsam durch die Gegend streifte, automatisch wehrlos und damit leichte Beute war?

Freya duckte sich ein weiteres Mal unter seinem Schlag geschickt weg und schlug ihm ihrerseits so hart sie konnte in die Nieren. Ein Stöhnen verriet ihr ihren Erfolg.

Natürlich wurden noch andere Männer auf das Spektakel aufmerksam und kamen neugierig näher. Missbilligung stand in ihren Gesichtern deutlich zu lesen, Missbilligung und unverhohlener Hass. Von ihnen allen konnte sie wohl keine Hilfe erwarten.

Geistesgegenwärtig schnappte Freya mit der linken Hand nach der Kette, die noch immer an ihrer linken Handschelle befestigt war, und schleuderte das freie Ende der Kette mit Wucht über ihrem Kopf im Kreise herum. Die Männer um sie herum wichen alle sofort einige Schritte vor dem unheilig schwirrenden Metall zurück. Fieberhaft überlegte Freya, wohin sie fliehen konnte, währen sie einige Schritte unsicher im Kreis herumlief und die Menschenmenge immer wieder vor sich her trieb, aber einen Ausweg aus ihrer Misere sah sie noch nicht. Dort, wo einige Männer zurückgewichen waren, gewahr sie den Anblick eines Pferdes, dass dort gesattelt auf dem Marktplatz stand. Das wäre zumindest eine Chance von hier weg zu kommen. Wenn sie denn nur reiten könnte! Aber was für eine Wahl hatte sie denn? Jetzt wohl keine mehr!

Langsam tastete sie sich immer weiter in Richtung der Mitte des Marktplatzes vor. Dann stürmte sie plötzlich wie der Blitz durch die Männermenge hindurch auf das Pferd zu. Sie hatte noch nie auf so einem Tier gesessen, geschweige denn ein Pferd geritten, aber wenn andere das konnten, dann konnte sie das auch. Außerdem blieb ihr jetzt gar keine Zeit mehr sich über ihre Reitkünste Gedanken zu machen. Sie musste jetzt ihr Glück beim Reiten eines Pferdes versuchen. Gegen so viele Männer, die kein Geheimnis daraus machten, dass Frauen in ihrer Kultur anscheinend keine Rechte hatten, würde sie niemals ankommen. Sie musste fliehen! Und zwar jetzt!

Mit Erleichterung stellte sie fest, dass es gar nicht schwierig war in den Sattel des Pferdes zu kommen. Als sie allerdings anreiten wollte bäumte sich das Pferd erst einmal laut wiehernd auf und hätte sie fast wieder abgeworfen, bevor es dann durch die Menschenmenge davon preschte.

Rufe wurden hinter ihr laut, Schreie und offensichtlich auch Flüche, die allerdings schnell leiser wurden, je weiter das Pferd voran galoppierte. Sie glaubte das Hufgetrappel von anderen Pferden zu hören, wagte aber nicht sich umzusehen, sondern gab ihrem Pferd die Sporen, ganz so wie sie es schon einmal bei Reitern gesehen hatte.

Es kam ihr so vor, als wäre sie den ganzen Tag und auch die ganze Nacht im gestreckten Galopp geritten, als ihr Pferd endlich stehen blieb. Natürlich war sie nur eine ganze Weile galoppiert und dann in einem schnellen Schritt weiter ins Land hineingeritten, bis tief in die Nacht hinein. Bevor sie dann vor Erschöpfung immer wieder auf dem Pferderücken eingenickt war! Tatsächlich war nun am fernen Himmel schon wieder die Morgendämmerung zu erkennen. Aber erst jetzt und hier fühlte sie sich einigermaßen sicher. Sie hatte schon seit Stunden nichts und niemand anderen gehört oder gesehen. Das Pferd brauchte gewiss dringender als sie eine Ruhepause. Sein Atem kam stoßweise und ziemlich schnell, sein Fell war nass verschwitzt und Freya machte sich Sorgen, dass es gleich zusammenbrechen könnte. Das hätte sie absolut nicht gewollt. Sie war dem Tier so unglaublich dankbar, dass es sie, eine völlig Fremde und absolut keine Reiterin, so brav und lange getragen hatte.

Freya ließ sich seitlich am Sattel herunter rutschen und stellte sich neben dem Kopf des Pferdes. „Danke.“, sagte sie schlicht, aber ehrlich, und strich dem Tier über den langen Nasenrücken. Sein kurzes Fell war wundervoll warm und weich, es fühlte sich fast schon tröstlich an das Pferd zu streicheln.

„Ich danke dir, dass du mich gerettet hast!“ Das Pferd schien sie mit seinen großen, dunklen Augen verständnisvoll anzusehen. Dann aber blickte es kurz auf, streckte seinen Hals und schlug mit dem Kopf in eine Richtung, schräg links vor ihnen, drehte sich dann aber gleich darauf um und trabte davon. Voller Entsetzten lief Freya ihm einige Schritte weit nach.

„Warte!“, rief sie. „Wo willst du hin?“ Ohne anzuhalten drehte das Pferd seinen Kopf noch einmal in die andere Richtung und stieß ein leises Wiehern aus. Freya blieb stehen.

Sie konnte dem Pferd wohl kaum lange hinterher laufen. Vor allem wollte sie ganz bestimmt nicht in diese Richtung zurückgehen, aus der sie gekommen waren. Wahrscheinlich will es zurück zu seinem Besitzer, überlegte sie. Ein wenig irritiert schaute sie ihm noch hinterher. Dann begann sie zu überlegen. Konnte es sein, dass das Pferd ihr eine Richtung zeigen wollte, in die sie gehen sollte? Sie fand das Verhalten des Pferdes eigenartig, mit dem Kopf in eine Richtung zu nicken und sich dann umzudrehen, um in die andere Richtung davonzulaufen …! Aber was wusste sie schon von Pferden? Freya drehte sich ebenfalls in diese angegebene Richtung um und lauschte darauf, ob sie irgendetwas wahrnehmen konnte.

Ein sehr leises Geräusch drang bis zu ihren Ohren vor. Es hörte sich an, wie ein Fluss, der schnell dahin floss. Sie beschloss auf dieses Geräusch zuzulaufen, da sie andernfalls auch keinerlei Abwechslung in ihrer Umgebung ausmachen konnte. Das Gelände schien so eben und glatt zu sein, dass man schon unsichtbar sein müsste, um sich hier verstecken zu können. Und wenn das Geräusch wirklich von einem Fluss stammte, dann gab es dort auch ein Ufer, und damit wahrscheinlich auch eine Böschung, zumindest aber gewiss Felsen, wo man sich im Verborgenen halten konnte.

Schon nach wenigen Schritten wurde ihr schmerzlich bewusst, dass ihre Füße so langsam mal eine Pause brauchten von ihrer wochenlangen Wanderung. Außerdem war es zu dunkel, um genau sehen zu können, wo sie ihre Füße hinsetzte. Ihr alter Rock verfing sich immer wieder in dornigem Gestrüpp und war bald mehr zerfetzt, als noch einigermaßen intakt. Alles was sie noch weiter besaß war eine nun ebenfalls zerrissene Bluse, die sie nun nicht mehr vor der Kälte, die vom Boden aufstieg, schützen konnte. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie eigentlich gar nichts mehr hatte. Sie war verlumpt. Sie war dreckig. Sie war alleine. Sie war arm. Die paar Kupfermünzen, die sie noch hatte … wahrscheinlich hatte der Händler vermutet, dass sie sie gestohlen hatte. So wie sie aussah, mussten es ja alle glauben.

Erschöpft ließ sie sich auf den Boden sinken. Einen Augenblick lang wollte sie nicht mehr weiter denken und auch nicht mehr weiter laufen. All das war sie so leid! Warum nur war ihr Leben so vollkommen aus der Bahn geraten? Warum nur hatten die Dorfbewohner ihrer Heimat angefangen ihr die Schuld an allem Ungeschick zu geben, das ihnen widerfahren war? Warum wurde ihr nachgesagt, dass sie von teuflischen Dämonen besessen sei? Warum hatte man sie mit Steinen aus ihrem Dorf vertrieben? Sie hatte niemals etwas von den Dingen getan, die man ihr anlastete. Niemals hatte sie Scheunen abbrennen oder Brunnen einstürzen lassen. Sie war jedes Mal in der Nähe gewesen, wenn so etwas passiert war, aber sie war es nicht gewesen!

Ihr war klar, dass ein armes Dorf, das nach einem Scheunenbrand den gesamten Wintervorrat verloren hatte, einen Sündenbock brauchte. Die Welt, aus der sie stammte, war so einfach: Etwas Schreckliches war passiert, also hatte es auch irgendjemand zu verantworten! Aber warum ausgerechnet sie? … Weil sie eben doch anders war, als andere Menschen … Eine bittere Erkenntnis. Ja, sie war anders. Irgendwie war sie es. Irgendwie … schien sie das Pech regelrecht anzuziehen.

Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen, als ihr die Tränen in die Augen schossen. Aber es waren keine befreienden Tränen, das Gefühl, dass das Weinen gut tat, wollte und wollte sich nicht einstellen. Zu tief hatte man sie verletzt und sie wollte der Welt am liebsten laut alles entgegen schreien, was an ihr nagte, zerrte und sie zerriss.

Als Freya irgendwann wieder träge aufblickte war es bereits hell geworden. Müde und erschöpft wischte sie sich die letzten Tränen aus den Augen und stand ergeben auf. Es sollte wohl so sein, dass sie einsam durch die Lande streifte, bis sie irgendwo ankam, wo sie vielleicht für immer bleiben konnte. Oder auch niemals irgendwo ankommen würde ….

Nach einer Weile kam sie endlich zu dem Fluss, den sie von weitem gehört hatte. Mittlerweile stand auch die Sonne so hoch am Himmel, dass es ihr sehr willkommen war, direkt am kühleren Flussufer entlang zu laufen.

Der Fluss war ein fast schon reißendes Gewässer, was sie verwunderte, hatte sie doch geglaubt, dass dieses Land hier nur aus Sand und Staub bestünde. Freya traute sich nicht auch nur mit den Füßen hinein, obwohl sie eine gute Schwimmerin war. Sie hatte Angst, dass sie straucheln und von der Strömung mitgerissen werden könnte. Allerdings wünschte sie sich aber auch auf die andere Flussseite, denn dort gab es Büsche, Felsen und bestimmt auch kleine Höhlen in den recht großen Felsen – mehr mögliche Verstecke, falls sie nochmals gezwungen war sich verstecken zu müssen. Auf dieser Seite des Flusses hingegen gab es nichts, was sie vor neugierigen Blicken schützen könnte.

Noch während sie sich umsah, kamen aus der Ferne zwei schwarze Punkte auf sie zu. Als Freya sie sah, flüchtete sie so schnell sie konnte hinter einen sandigen Hügel, der zum Fluss hin steil abfiel und ihr einigermaßen Schutz bot. Sie lag platt auf dem Erdboden und wagte es nur knapp den Kopf über den Hügelkamm zu heben, um zu beobachten, wer oder was dort auf sie zukam. Leider kamen die beiden Reiter aus der Ferne sehr viel schneller auf sie zu als ihr lieb sein konnte. So viel Schutz bot der Hügel nun auch wieder nicht! Und leider war er weit und breit das einzige Versteck in der Landschaft! Hastig machte sie sich daran den steilen Hang vorsichtig bis ganz nach unten, bis an die Wasseroberfläche herabzurutschen. Irgendwo musste sie sich verstecken! Ein kleiner Stein war es, der ihr zum Verhängnis wurde. Er gab unter ihrem Gewicht nach, so dass Freya ins Wasser stürzte und sofort durch die starke Strömung mitgerissen wurde. Sie hatte die größten Probleme ihren Kopf über Wasser zu halten und ebenso große Probleme Luft zu bekommen: das Wasser war mehr als eiskalt und schien sie regelrecht zu lähmen! Sie hoffte, während die Welt um sie herum schon wieder unstet und dunkel wurde, dass sie irgendwo an einem sicheren Ufer an Land gespült wurde.

„Kosmo!“, rief Damaso. „Hast du das gespürt!“ Aufgeregt zügelte Damaso sein Pferd, um kurz innezuhalten.

„Ja, allerdings.“ Kosmo war offensichtlich erleichtert. „Du hattest recht. Wir sind wieder auf der richtigen Spur und ganz nah dran!“

„Ja, aber jetzt ist es schon wieder weg! Und ich weiß nicht in welche Richtung wir weiter müssen, um ihn zu finden.“

„Das machst du doch extra! Um mich zu ärgern!“ Kosmo warf dem Älteren einen grimmigen Blick zu. Damaso wusste genau, wie sehr es ihm widerstrebte, wochenlang durch fremde Länder zu reiten. Er mochte seinen geregelten, ordentlichen Tagesablauf zu Hause. Dagegen war nichts einzuwenden! Nur um Damasos Willen hatte er ihn begleitet. Und weil Bastaho ihn darum gebeten hatte. Sie sollten nicht allein auf die Suche gehen. Keiner von ihnen.

„Nicht weit von hier ist eine kleine Hafenstadt. Vielleicht schlagen wir diese Richtung ein und spüren immer wieder mal, ob wir etwas aufnehmen können. Immerhin … jagen wir einen Menschen. Und die zieht es doch immer in irgendwelche Städte!“, schlug Damaso vor.

„Einverstanden.“, sagte Kosmo und wendete sein Pferd unverzüglich in die von Damaso angegebene Richtung. Zwar sollten sie sich von Städten fern halten, aber das galt nur im gewissen Sinne. Von Menschen mussten sie Abstand halten, wenn sie unerkannt bleiben wollten. Aber Städte bedeuteten auch etwas mehr Annehmlichkeit, als nachts auf dem harten Boden unter dem Sternenhimmel schlafen zu müssen. Oder sich sein Essen selber zu jagen. Die beiden ungleichen Freunde ritten einige Zeit nebeneinander her, bevor Kosmo das Schweigen brach.

„Was meinst du, wie viele Magier es wohl noch gibt oder künftig noch geben wird? Glaubst du auch, dass unser Geschlecht irgendwann ausstirbt?“

„Kosmo …“, begann Damaso nachdenklich und ritt etwas langsamer, „wir sterben nicht einfach aus. Wir werden von den Menschen verdrängt. Für uns ist bald einfach kein Platz mehr auf dieser Welt! Es werden immer mehr Menschen! Und sie sind dumm und kurzsichtig und rücksichtslos!“

„Wenn du so darüber denkst, warum helfen wir dann einigen von ihnen?“

„Weil sie halt dumm sind!“, entgegnete Damaso grimmig. „Sie wissen nicht, was sie tun oder warum sie etwas tun. Manche von ihnen hätten großen Schaden anrichten können, wenn niemand von uns sie gefunden hätte.“

„Aber sie müssen in Abgeschiedenheit leben, wenn sie erkannt haben, was sie sind!“, gab Kosmo zu bedenken.

„Ja, aber nur weil der Rest der Menschheit zu dumm ist zu verstehen, und zu machtgierig, um sie zu tolerieren. Würden die Menschen nicht so intolerant mit ihrer Umwelt umgehen, hätten einige andere ebenfalls überleben können, aber Menschen denken anders: kenn ich nicht, akzeptier ich nicht, will ich nicht hier haben! Und deshalb sind schon einige Spezies ausgestorben. Kosmo, wir gehören bald ins Reich der Mythen und Märchen, niemand glaubt mehr ernsthaft an unsere Existenz! Aber um die Menschen nicht zu verschrecken und unser aller Leben aufs Spiel zu setzten, sollten wir ab jetzt so tun, als wären wir ebenfalls Menschen. Wir dürfen uns nicht zu erkennen geben!“ Während er neben Kosmo daher ritt überprüfte Damaso noch mal seine Kleidung auf ihren korrekten Sitz. Nichts wäre in der nächsten Stadt fataler gewesen, als durch eine kleine Unachtsamkeit die Bewohner herausfinden zu lassen, wer oder was sie wirklich waren.

Kurz vor der Hafenstadt zogen sich Damaso und Kosmo ihre Kapuzen über die Köpfe, achteten aber peinlich genau darauf nicht wirklich vermummt auszusehen, um nicht aufzufallen. Viele der Leute trugen Kopfbedeckungen, allein schon um sich vor der gleißenden Sonne zu schützen, andere aus irgendwelchen religiösen Gründen.

Das war auch so eine menschliche Sache, die sich nicht mehr wirklich mit der ihrigen Welt vereinbaren ließ. Die Menschen in den unterschiedlichsten Ländern hatten unterschiedliche Ansichten, was die höheren Sphären dieser Welt anbelangte – alle glaubten an etwas anderes und jeder glaubte fest daran, mit seinem Glauben im Recht zu sein und konnte den Glauben anderer nicht akzeptieren, aber keiner von ihnen, auf jeden Fall keiner, den Damaso oder Kosmo oder ein anderer von ihnen je getroffen hatte, glaubte noch an die Existenz von Elben und Trollen - oder an Magie. Fabelwesen wurden sie neuerdings genannt! Damaso schüttelte fast unmerklich den Kopf. Das hätte man damals mal einem Minotauren erzählen sollen! Aber auch die Minotauren hatten letzten Endes der Menschheit weichen müssen! Seit vielen Jahren schon hatten auch die Elben nichts mehr von ihnen gehört. Es blieb nur zu hoffen, dass ihr Volk noch so lange überleben würde, bis entweder die Menschen begriffen und akzeptiert hatten, dass andere Völker ein sehr viel älteres Recht hatten auf dieser Erde zu leben, oder die Menschheit aufgehört haben würden zu existieren.

Letzteres erschien ihm persönlich wahrscheinlicher. Damaso war fest davon überzeugt, dass die Menschen niemals so tolerant sein würden. Insofern konnte er Kosmos Abscheu gegen das Reisen nachvollziehen. Es war nicht erbaulich, sich durch andere Völker und Kulturen bewegen zu müssen, ohne sich selbst offen bewegen zu können.

In der Hafenstadt herrschte großer Tumult. Etwas Ungewöhnliches hatte die ganze Aufmerksamkeit der Leute am Hafenbecken auf sich gezogen. Viele standen in kleinen Gruppen versammelt und berieten sich aufgeregt. Ab und zu schien ein Sprecher einer Gruppe zu einer anderen Gruppe hinüber zu rufen. Die Gespräche schienen aber insgesamt nicht sehr erfreulich zu sein.

„Ich verstehe nicht, was hier vor sich geht.“, sagte Kosmo leise zu Damaso, als sie am Hafenbecken angekommen waren.

Sie waren von ihren Pferden abgesessen und führten die Tiere an den Zügeln hinter sich her.

„Sie streiten sich über einen Sklaven.“, erwiderte Damaso ruhig. „Wie es scheint, hat man einen entlaufenen Sklaven aufgegriffen, weiß aber nicht wem er gehört. Und nun streiten sie sich darüber wem der arme Kerl zugesprochen wird.“ Kosmo schüttelte den Kopf.

„Ich verstehe diese Menschen einfach nicht. Wer könnte sich anmaßen über einen anderen Menschen zu gebieten. Wem stünde wohl eine solche Macht zu?“

„Sei ruhig, Kosmo!“, schalt Damaso. „Sonst werden sie noch auf uns aufmerksam. Die Menschen werden weder du noch ich ändern können! Halte lieber deine Sinne offen!“

Die beiden schritten mit ihren Pferden durch die staubigen und steinigen Strassen der gesamten Hafenstadt, taten möglichst unbeteiligt und schauten sich nur flüchtig um, um nicht auch noch Anlass für irgendwelchen Aufruhr zu geben, jedoch fanden sie ihre Fährte nirgends wieder. Gegen Abend, nachdem sie ihre Pferde in einem Stall versorgen konnten, kehrten sie in eine Taverne direkt am Kai ein. Nachdem sie sich etwas zu Trinken bestellt hatten, fragten sie beim Wirt nach einer Unterkunft für die Nacht. Der Wirt schüttelte aber nur mit dem Kopf. „Tut mir Leid, werte Herren, aber ich fürchte, dass Ihr zurzeit wenige Chancen haben werdet. In zwei Tagen findet ein großes Fest statt, und morgen ist ein großer Markt! Unser Herrscher befindet sich mit seinem erstgeborenen Sohn auf großer Sommerreise durch das ganze Land. Viele Kaufleute sind von überall her gekommen. Die meisten Unterkünfte sind leider schon belegt. Ich kenne persönlich niemanden mehr, der noch ein Zimmer frei hätte.“

„Habt Dank, Herr Wirt, für Eure Auskunft. Dann werden wir wohl oder übel in der Scheune bei unseren Pferden nächtigen müssen!“ Das letztere hatte Damaso zu seinem Begleiter gewand gesagt.

„Hütet Euch, junge Herren!“, mischte sich der Wirt noch einmal ein. „In den meisten Ställen dürften die Kaufleute ihre Sklaven untergebracht haben, die morgen verkauft werden sollen!“

„Oh!“, machte Damaso und wandte sich von dem Wirt ab.

Sklavenmarkt …! So was Erniedrigendes konnten sich tatsächlich nur Menschen ausdenken! Sie würden zusehen, dass sie morgen zeitig aus der Stadt herauskämen.

Freyas Welt schien seit einiger Zeit aus kurzen, verwirrenden und schmerzhaft an Erfahrung strotzenden Unterbrechungen von Dunkelheit und Ohnmacht zu bestehen.

Als sie erneut erwachte war das nur, weil Hektik und Lärm sie aus dem Schlaf aufgeschreckt hatten. Sie konnte sich noch nicht orientieren und versuchte erstmal klar im Kopf zu werden. Ihr Gesicht tat fürchterlich weh, ebenso wie das Atmen selber, und auch ihre Arme und Beine schmerzten überall. Eigentlich ihr ganzer Körper. Langsam kamen die Erinnerungen wieder. Sie war gefangen gewesen, hatte sich aber kämpfend befreien können; sie war auf einem Pferd geflüchtet und zu einem Fluss gekommen, in den sie hineingefallen war. Was dann? Etwas fehlte, denn sie befand sich jetzt schon wieder angekettet in irgendeiner Scheune. Langsam wurde ihr die Anwesenheit anderen Leute bewusst. Nicht schon wieder!, ging es ihr entgeistert durch den Sinn. Wozu hatte sie sich die schmerzhafte Mühe mit der Flucht nur gemacht?

Sie kam nicht dazu sich ihre Frage zu beantworten. Einige Männer kamen herein und nahmen alle Leute aus der Scheune mit nach draußen. Sie wurden an langen Ketten quer durch eine kleine Stadt geschleift zu einem Marktplatz, wo sie in kleineren Gruppen an Pfosten angekettet wurden und in der sengenden Sonne warten mussten.

Freya nahm den Geruch von Wasser wahr. Die Stadt musste an einem Meer oder See liegen, vielleicht auch an dem Fluss, dessen Strömung sie fortgerissen hatte. Sie wollte sich ein Bild der Umgebung machen, aber konnte zwischen den dicht stehenden Häusern keine Lücke entdecken, die ihr einen Ausblick auf den Horizont gewährt hätte, so wenig wie es ihr möglich war, über den Hausdächern etwas anderes als einen hellblauen Himmel zu erkennen.

Einige Männer blieben von Zeit zu Zeit an ihrer Gruppe stehen und begutachteten das eine oder andere Mädchen, das mit ihr an dem Pfosten fest gekettet war. Einige Male wurden von den anderen Gruppen Leute frei gemacht, und wurden von Männern in teuer aussehenden Kleidern, meistens mit großen seltsam aussehenden und zu Hüten umfunktionierten Tüchern auf ihren Köpfen, fortgeschafft. Ein paar Mal hatte man ihr mit einem Griff in die Haare ihren Kopf nach hinten gezwungen, um sie besser anschauen zu können. Glücklicherweise hatte sich niemand ernsthaft für sie interessiert. Es ging über ihre Vorstellungskraft sich auszumalen, was mit den Leuten passierte, die man von hier wegbrachte. Als aber nun wieder ein Mann vor ihr stand und sie deutlich musterte, überkam sie ein schreckliches Gefühl.

Der Mann zischte etwas zu seinem Begleiter, den sie, da dieser sich hinter dem Mann fast schon zu verstecken schien, erst gar nicht bemerkt hatte, dann weiteten sich seine Augen und blanker Zorn sprühte ihr entgegen. Laut rief er etwas über den gesamten Platz, was sie mal wieder nicht verstand. Jedenfalls schien sie noch immer in demselben Land zu sein wie vorher auch. Was aber im Moment kein tröstlicher Umstand war. Sie war wohl nicht lange genug von der Strömung fort getragen worden! Sie wünschte sich sehnlichst irgendwo anders hin ….

Zwei Männer in einer Art Uniform ergriffen sie bei den Armen, ein dritter machte ihre Ketten los. Der Mann, der sie zuvor angesehen hatte, erklärte der Öffentlichkeit mit lauter Stimme etwas und wies mit harscher Stimme immer wieder auf sie.

Freya überkam Panik. Was hatte sie sich zu Schulden kommen lassen, dass sie hier so offenbar angezeigt wurde!

Immer mehr gemurmelte Zustimmungen erklangen aus der Menge um sie herum, die immer mehr anschwollen, bis sie schließlich in einem Meer von Beschimpfungen endeten.

Freya verstand nicht die Worte, die man so hasserfüllt und lautstark gegen sie vorbrachte, wohl aber deren Sinn. Die beiden uniformierten Männer zwangen sie hinter sich her und brachten Freya zu einem Pfahl, der mitten auf dem Marktplatz stand. Freya versuchte sich nach Leibeskräften gegen die Männer zu wehren, schaffte es aber nicht. Sie wurde weiter gegen den Pfahl gezogen, die Männer hielten ihre Arme rechts und links fest und zwangen sie unbarmherzig mit der Brust gegen den Pfahl, bis sie kaum noch Luft bekam.

Jemand zerriss ihre Bluse. Der Schmerz des Peitschenhiebes, den sie daraufhin spürte, nahm ihr für einen kurzen Moment sämtliche Luft …. Dann explodierte der Schmerz zu einem gewaltigen Feuerwerk, das ihr die Haut auf ihrem Rücken zerriss und ihr ein gleißendes Feuer durch ihren Rücken schickte. Tränen des Schmerzes schossen ihr ebenso schnell in die Augen, wie das Blut aus ihren Wunden am Rücken heraus quoll. Noch bevor sie endlich wieder einatmen konnte, hörte sie einen erschrockenen Aufschrei hinter sich. Durch die Menschenmenge ging ein Raunen.

Freya fühlte, wie die beiden Männer, die sie an den Armen hielten, abgelenkt wurden und nutzte diesen kurzen Moment um sich mit einer geschickten Drehung freizumachen. Sie hatte keine Zeit, um sich nach einem Fluchtweg umzuschauen und stürmte wie eine Furie einfach durch die Menschentraube, die den Pfahl am Marktplatz umstand, hindurch.

Es klappte: Die Menge war nicht darauf vorbereitet gewesen, dass es einer Frau einfallen würde, sich gegen Männer zu widersetzen.

Hätte sie sich die Zeit genommen, die sie natürlich nicht hatte, sich umzuschauen, hätte sie gesehen, wie der Mann, der ihr den Peitschenhieb versetzt hatte, mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Hand wie zum Schutze zwischen seine Oberschenkel presste.

Sie brauchte nur wenige Schritte bis sie wieder ein Pferd gewahr wurde, das nicht angebunden war und fertig gesattelt einfach dastand. Also gut – es hatte schon einmal funktioniert! Während sie mit einer fließenden Bewegung in den Sattel sprang und das Pferd antrieb, kam ihr die Erkenntnis, dass sie genau dieses Pferd schon einmal gesehen und geritten hatte!

Und mit dieser Erkenntnis kam auch eine andere: Man hatte sie gerade als Pferdediebin gerichtet! Sie trat mit ihren nackten Füßen nach den Männern, die noch versuchen wollten sie aufzuhalten, sie vom Pferd zu zerren, ihrer wieder habhaft zu werden.

„Seid verflucht!“, schrie sie ihnen entgegen, während sie das Pferd wieder antrieb, und wünschte sich, sie könne die Männer irgendwie daran hindern, sie zu verfolgen. Dann preschte sie mit dem Pferd davon. Ein unsichtbares Hindernis schien die Männer tatsächlich aufzuhalten. Kein einziger von ihnen stellte ihr nach.

„Wir müssen zurück!“ Fast zeitgleich riefen Kosmo und Damaso dem anderen die Worte entgegen. In nur einem Bruchteil eines Augenblicks wendeten sie die Pferde und galoppierten der Hafenstadt entgegen, die sie vor einigen wenigen Stunden, als der Morgen noch graute, verlassen hatten. Dieses Mal war die Schwingung von Magie so überaus deutlich gewesen und so kraftvoll, wie noch nie zuvor. Aber etwas Bedrohliches schien auch von ihr auszugehen. Sie mussten sich beeilen, bevor noch ein Unglück passierte!

Nach einer Weile, die sie im gestreckten Galopp verbracht hatten, sah Kosmo am Horizont vor sich etwas auftauchen. Er konnte aus der Entfernung nicht sehen, was es war, aber Damaso schien es auch zu sehen, und es kam auf sie zu! Es erschien ihnen fast unmöglich, aber die Pferde ließen sich zu noch größerem Tempo anspornen. Die Gegend um sie herum flog nur so an ihnen vorbei und das Etwas am Horizont wurde immer größer, bis sie schließlich erkennen konnten, dass es sich um einen Reiter handelte! Sie brauchte nicht mehr lange um ihn zu erreichen!

Freya ritt so schnell, dass der Wind, der ihr entgegen blies, ihr die Tränen in die Augen trieb. Fast schon zu spät erkannte sie, dass Reiter ihr entgegen kamen. Eine jähe Angst zuckte durch ihren ganzen Körper wie ein Blitz.

„Nein!“, rief sie panisch und wendete das Pferd ab, um noch vor den Reitern in eine andere Richtung davon zu stürmen. In der Ferne erkannte sie einen kleinen Wald. Wenn sie es bis dahin schaffte, wäre sie vielleicht erst einmal sicher, redete sie sich ein.

Aber natürlich war der Wald nicht groß genug, um ihr wirklich Schutz zu bieten. So wie sie den Wald aus der Entfernung sah, würde sie ihn mit einigen wenigen Galoppsprüngen durchquert haben!

„Das ist er!“, keuchte Damaso. Der scharfe Ritt nahm ihm tatsächlich den Atem! Die Anstrengung der letzten Wochen merkte er jetzt deutlich. Hoffentlich würde der Mensch keine großen Probleme machen. Als Damaso und Kosmo sahen, dass der Reiter sein Pferd abgewendet hatte, seufzten sie beide. Es würde zum Schluss noch eine Hetzjagd geben!

Kurz vor dem Wald waren die Reiter so nahe gekommen, dass Freya hören konnte, wie ihr jemand etwas zurief. Sie konnte die Worte nicht verstehen, wollte es aber auch gar nicht! Sie wollte nur weg und in Ruhe gelassen werden.

„Nein!“, schrie sie panisch auf und eine Erschütterung durcheilte ihre Umgebung, wie eine Druckwelle. Ihr Pferd scheute kurz vor diesem Empfinden und verlangsamte seine Schritte ein wenig. „Weiter, bitte, lauf weiter!“, flehte sie ihr Reittier an. Tränen der Angst und der Verzweiflung füllten ihre Augen. „Lauf!“ Aber ihr Pferd wollte nicht mehr schneller laufen. Es trabte nur irritiert vor sich hin.

Wieder hörte sie, dass jemand sie ansprach, dann waren die Reiter auch schon da und jemand fasste nach den Zügeln ihres Pferdes.

Sie hatten gerade den Waldrand erreicht und Freya ließ sich voller Panik von Pferd fallen, rappelte sich aber gleich auf und rannte los durch die ersten Baumreihen hindurch. Hinter ihr knackten Zweige, als jemand direkt hinter ihr durch das Unterholz brach und sie hörte ihren Verfolger stoßweise atmen. Dann wurde sie von einem kräftigen Arm um die Taille gepackt und zu Boden gerissen. Sie trat mit ihren Beinen und schlug mit ihren Armen um sich, sie wand sich mit ihrem ganzen Körper gegen diesen Angriff, aber der Griff, der sie umfangen hielt, war schier unmenschlich. Ihre Panik hatte Kräfte in ihrem Körper mobilisiert, die sie, wie es ihr schien, eine ewig lange Zeit kämpfen ließ. Doch schließlich wurden ihre Bewegungen irgendwann zunehmend kraftloser, bis ihr schließlich sämtliche Kraft ausging und sie sich kaum noch rühren konnte.

Der Reiter, der sie zu Boden gerissen hatte, drehte sie mit einer schnellen, kraftvollen Bewegung auf den Rücken, und kniete sich über sie, um sie anzusehen, wobei er ihre Handgelenke fest umschlungen hielt. Der zweite Reiter stand, noch immer hoch zu Ross und mit den Zügeln ihres Pferdes in der Hand, direkt neben ihnen und musterten sie mit einer Miene, die Freya erschaudern ließ. Noch nie hatte sie ein solches Gesicht gesehen! Der andere Mann, der sie am Boden hielt, sagte etwas in einem ruhigen Tonfall, aber Freya verstand nicht …. Ihr wurde allerdings klar, dass es sich nicht um die gleiche Sprache handelte, die die Bewohner der Stadt sprachen. Sie klang anders. Wieder sagte der Mann etwas. Freya blickte mit großen Augen zu dem Reiter hinüber. Er saß unbewegt auf seinem Pferd. Ihn hatte der Mann wohl nicht gemeint. Mit einem Ruck erhob sich der Mann vom Boden und ließ Freya los. Nun war sie völlig verwirrt. Mit Schrecken im Blick starrte sie die beiden fremden Männer an, während sie langsam aufstand und immer noch nicht verstand, was hier los war.

Der eine bedeutete dem anderen Mann tiefer in den Wald zu gehen und der Reiter saß ab und führte die Pferde durch das Gehölz. Freya wurde unter ihren rechten Oberarm gefasst, aber es war kein schmerzhafter Griff, wie sie eigentlich erwartet hatte. Vielmehr schien sie der Mann zu stützen, was sie auch nötig hatte: Nach einigen Metern versagten ihre Beine ihr den Dienst und sie drohte vor plötzlicher Erschöpfung zusammenzusacken, hätte der Mann sie nicht an den Schultern gepackt und vorsichtig, mit dem Rücken an einen Baumstamm hingesetzt.

Schweigend sahen sich die beiden Männer immer wieder an, ganz so als kommunizierten sie auf eine nicht Wortbasierende Ebene miteinander.

Dann wandte sich der Mann, der sich gefangen hatte, ihr zu und sah sie von oben bis unten an. Als erstes wurde er ihrer zahlreichen blauen Flecke gewahr, die sich im Laufe der Zeit auf ihrem gesamten Körper angesammelt hatten, vor allem aber sprang ihm wohl ihr Anblick ins Gesicht. Sie war geschlagen worden. Zwar hatte sie selber keine Ahnung, wie sie wohl aussehen mochte, doch etwas in dem Blick des Mannes sagte ihr, dass man ihr so einiges ansah, was ihr widerfahren war. Und ihre zerlumpte Kleidung bot auch keinen perfekten Sichtschutz mehr. Dann nahm der Mann aber offensichtlich eine Verletzung an ihrer Schulter wahr, wo ihre zerrissene Bluse ein wenig verrutscht war, und griff nach dem Stoff, um ihn zur Seite zu ziehen. Er beugt sich vor, um ihr besser über die Schulter sehen zu können und sog scharf die Luft ein, als er ihre Verletzung im Ganzen besehen konnte.

Er sagte einige Worte zu seinem Kameraden, der zu ihnen heran kam und hinter sie trat. Abermals wurde ihr ihre Bluse heruntergerissen, diesmal jedoch war sie einfach zu schwach, um sich dagegen zu wehren. Heiße Tränen füllten ihre Augen und sie musste ihr Gesicht in den Händen verbergen, um nicht vor den Männer so offen ihre Schwäche zeigen zu müssen!

Sie war erschöpft. Am Ende ihrer Kräfte. Sollten sie doch mit ihr machen, was sie wollten.

Der jüngere Mann stieß so etwas wie ein Fluch aus, ging zu seinem Pferd hinüber, kramte in seinen Packtaschen, die an seinem Sattel festgezurrt waren, und kam dann zu ihnen zurück.

Nur durch einen dicken, erdrückenden Schleier verwirrender Gefühle nahm sie wahr, dass sich die Männer daran machten ihre Wunden zu versorgen, während sie sich leise miteinander unterhielten. Als sie damit fertig waren nahm der Ältere der beiden Männer ihre zerrissene Bluse und warf sie einfach fort. Erschöpft, verwundet und halb nackt saß sie nun da, am Ende ihrer selbst angekommen! Sie schloss resigniert die Augen. Jetzt brach auch ihre Seele zusammen!

Sie hatte schon fast ihren Verstand ausgeschaltet, um sich dessen zu wappnen, was nun kommen mochte, als der Ältere seine Tunika auszog. Freya sprang voll panischer Verzweiflung auf ihre wackeligen Beine und versuchte an den Kerlen vorbei zu stürzen. Doch der Jüngere der beiden hielt sie auf, packte sie um die Hüften und hielt sie fest. Ihre Beine knickten unter ihr weg und sie landete kniend im Sand. Der ältere Mann trat zu ihr und streifte ihr seine Tunika über. Fast schon sanft half er ihr dann wieder auf die Beine, schlang ihr noch seinen Gürtel um die Taille, um die Tunika, die ihr viel zu groß war, in Form zu halten und nahm sie dann spielerisch, als hätte sie gar kein Eigengewicht auf. Während er sie auf den Armen zu ihrem Pferd herüber trug, legte der andere Mann eine dicke Decke über ihren Sattel, bevor sie ebenfalls auf ihren Sattel gesetzt wurde. Dann saßen auch die Männer auf. Nachdem sie miteinander - oder mit ihr? – gesprochen hatten ritten sie los. Sie durchquerten zügig den Wald und schlugen dahinter einen großen Haken, um wieder in die Richtung zu reiten, aus der sie alle gekommen waren.

Je weiter sie sich von dem Wäldchen fortbewegten, um so mehr regte sich endlich auch wieder Freyas Kampfgeist. Sie konnte sich immer noch schlecht orientieren, zum einen, weil sie dieses Land überhaupt nicht kannte und zu anderen, weil ihr Körper immer noch so sehr schmerzte, dass sie kaum klar denken konnte. Aber sie war sich sicher, dass das die Richtung sein musste, in der die Stadt lag, und damit war sie sich auch sicher, dass die Männer sie wieder zurückbringen wollten.

Sie waren schon eine Weile im leichten Trab unterwegs und ihr Pferd lief den anderen einfach nur hinterher. Die beiden Männer ritten gut eine halbe Pferdelänge voraus. Freya ritt zwischen ihnen. Aber sie unterhielten sich miteinander und schauten kaum zu ihr nach hinten, als wären sie sicher, dass sie ihnen nicht abhauen würde.

Sie wagte es einfach …!

Jäh zog sie an den Zügeln ihres Pferdes, das sofort kurz innehielt, riss ihr Pferd herum, trat ihm in die Rippen und galoppierte den beiden Männern davon.

Laut fluchend wendete der Ältere von beiden ebenfalls sein Pferd und stellte ihr nach. Er war leider ein sehr viel erfahrener Reiter als Freya und hatte keine Mühe ihr Pferd wieder einzufangen.

Er schalt sie in seiner unverständlichen Sprache und bedachte sie mit einem kalten Blick. Dann drehte er beide Pferde wieder in die richtige Richtung, und es war Freya klar, dass er von nun an ihre Zügel nicht mehr loslassen würde.

Tochter der Sonne

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